OGH 1Ob80/08h

OGH1Ob80/08h16.9.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christina S*****, vertreten durch Dr. Christoph Schwab, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Eckhard Pitzl und Dr. Gerhard W. Huber, Rechtsanwälte in Linz, wegen 5.000 EUR sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 10. Dezember 2007, GZ 23 R 181/07t-32, womit das Urteil des Bezirksgerichts Wels vom 9. Mai 2007, GZ 13 C 1745/06d-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin begab sich zur Abklärung einer Verhärtung in ihrer linken Brust in das Krankenhaus der Beklagten. Dort wurde von einem für die Beklagte tätigen Arzt eine Feinnadelbiopsie durchgeführt. Dabei gelangte infolge eines zu tiefen Stichs Luft in den Brustkorb der Klägerin (sog Pneumothorax), was zu starker Atemnot und stechenden Schmerzen führte.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten Schmerzengeld von 4.500 EUR sowie Kostenersatz für Haushaltshilfe und Nebenspesen in Höhe von pauschal 500 EUR. Sie brachte zum haftungsbegründenden Verhalten der Beklagten einerseits vor, ihre Verletzung sei auf einen Behandlungsfehler des Arztes zurückzuführen, und andererseits, dass sie über die Risiken einer Biopsie nicht aufgeklärt worden sei, weshalb der Eingriff ohne ihre rechtswirksame Einwilligung erfolgt sei. Wäre sie ordnungsgemäß aufgeklärt worden, hätte sie die Biopsie nicht durchführen lassen.

Die Beklagte wendete unter anderem ein, dass die Klägerin - als „vernünftige" Patientin - mit und ohne Aufklärung mit der Feinnadelbiopsie einverstanden gewesen wäre, weil das Risiko eines Pneumothorax gering sei und sie ein großes Interesse an der Abklärung der Verhärtung in der Brust gehabt habe. Die Alternative wäre nur eine Operation ohne gesicherte vorhergehende Diagnostik gewesen, die kein vernünftiger Patient vorgezogen hätte.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Die Feinnadelbiopsie sei entsprechend den Regeln der ärztlichen Heilkunst durchgeführt worden, weshalb kein Behandlungsfehler vorliege. Einer Aufklärung über das Risiko eines Pneumothorax hätte es nicht bedurft, da diese Komplikation nur sehr selten auftrete. Der Beklagten sei im Übrigen der Beweis gelungen, dass die Klägerin in die gegenständliche Behandlung auch dann eingewilligt hätte, wenn sie über das Risiko eines Pneumothorax aufgeklärt worden wäre.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es mit Zwischenurteil die Klagsforderung als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannte und die Revision (nachträglich) zuließ. Zur Frage der hypothetischen Einwilligung der Klägerin nahm das Berufungsgericht eine Beweiswiederholung mit dem Ergebnis vor, dass eine Feststellung, dass die Klägerin in die Behandlung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte, nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit getroffen werden könne. Über das Auftreten eines Pneumothorax als Folge der Feinnadelbiopsie wäre aufzuklären gewesen. Im Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht treffe den Arzt bzw Krankenhausträger die Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Operation erteilt hätte. An diesen Beweis seien strenge Anforderungen zu stellen. Keinesfalls zureichend seien allgemeine Überlegungen, wonach sich der „vernünftige" Patient nach der Empfehlung des Arztes richte und daher in der großen Mehrzahl der Fälle der Operation auch dann zugestimmt hätte, wenn er über alle Risiken aufgeklärt worden wäre. Vielmehr komme es nur und gerade darauf an, ob der konkrete Patient bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Operation erteilt hätte. Die Erbringung dieses Nachweises sei der Beklagten nicht gelungen. Aufgrund der Rechtswidrigkeit des Eingriffs habe die Klägerin gegen die Beklagte grundsätzlich Anspruch auf Abgeltung aller durch den Eingriff verursachten Vermögensnachteile und Schmerzen. Die Revision sei zuzulassen, weil den Fragen der „Substantiierungspflicht" des Patienten und über die „Anforderungen an die Plausibilität des Konflikts des Patienten" sowie die Beurteilung der Frage, ob die Klägerin dieser Darlegungspflicht nachgekommen sei, eine über den Rechtsstreit hinausgehende Bedeutung zukomme, und weil zur Frage, ob die Beklagte einwenden könne, die Patientin hätte sich später doch dem Eingriff unterzogen, nur eine höchstgerichtliche Entscheidung, deren Sachverhalt nicht völlig gleich gelagert sei, vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist entgegen dem gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Vom Urteil des Erstgerichts abweichende Feststellungen darf das Berufungsgericht nur nach einer Beweiswiederholung oder -ergänzung treffen. Das Berufungsgericht kann allerdings aus den erstinstanzlichen Feststellungen andere tatsächliche Schlussfolgerungen ziehen und damit zu einer anderen rechtlichen Beurteilung kommen (E. Kodek in Rechberger ZPO3, § 498 Rz 1). Das Berufungsgericht ist weder in der Frage der Typizität des Operationsrisikos, noch bei jener des Karzinomverdachts von den Feststellungen des Erstgerichts abgewichen, sondern zog lediglich differenzierte(re) Schlussfolgerungen daraus. Auch eine unvollständige Wiederholung der zum Beweisthema relevanten Beweise liegt nicht vor, sodass insgesamt von einer Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes und somit von einer Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht die Rede sein kann.

2. Die Beklagte vermeint, dass die Klägerin vor der Biopsie wegen der Dringlichkeit der sicheren Diagnose und wegen des geringen Risikos eines Pneumothorax nicht über dieses Risiko aufzuklären gewesen wäre. An das Ausmaß der Aufklärung - welches grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls ist (RIS-Justiz RS0026529) - sind aber besonders strenge Anforderungen zu stellen, wenn der Eingriff nicht unmittelbar der Heilung des Patienten, sondern (nur) der Diagnose dient (RIS-Justiz RS0026387).

Dies ist hier gegeben. Der Eingriff diente dazu, die „Bösartigkeit" der Verhärtung in der Brust der Klägerin „mit 100%iger Sicherheit" auszuschließen, zumal dies der Frauen- und der Röntgenarzt jeweils nicht vermochten. Eine besondere Dringlichkeit des Eingriffs ist dem festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen.

Gemäß der ständigen Rechtsprechung reicht die ärztliche Aufklärungspflicht um so weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist. Dann ist die ärztliche Aufklärungspflicht im Einzelfall selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind (RIS-Justiz RS0026313).

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach im vorliegenden Fall von einem Bestehen - und somit von einer Verletzung - der Aufklärungspflicht durch die Beklagte auszugehen sei, ist jedenfalls vertretbar; dies auch unter Berücksichtigung, dass die gewählte Diagnosemethode die einzig zweckmäßige war, sowie weiters des Umstands der erblichen Vorbelastung der Klägerin.

3. Die Beklagte macht geltend, dass es die Klägerin unterlassen habe, substantiiert darzulegen, dass sie zum damaligen Zeitpunkt bei ausreichender Aufklärung vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden wäre. Dies wäre erforderlich gewesen, um die (hypothetische) Verweigerung der Zustimmung zur Behandlung zum damaligen Zeitpunkt verständlich erscheinen zu lassen und nicht den Eindruck zu erwecken, dass das Aufklärungsversäumnis nachträglich ausschließlich zur Begründung einer Schadenersatzklage benützt werde. Wird die Aufklärungspflicht verletzt, trifft den Arzt bzw Krankenhausträger die Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zum Eingriff erteilt hätte; es geht darum, dass der Arzt oder Krankenhausträger das Vorliegen eines die Rechtswidrigkeit des Eingriffs ausschließenden Rechtfertigungsgrunds zu behaupten und zu beweisen hat (RIS-Justiz RS0108185; RS0111528). Im vorliegenden Fall ist der Beklagten dieser Beweis nicht gelungen. Der vorgenommene Eingriff - wenn auch lege artis durchgeführt - erweist sich daher als rechtswidrig (vgl RIS-Justiz RS0118355).

Daran würde sich auch bei Annahme einer Pflicht des Patienten, die Gründe für die (mögliche) Ablehnung des Eingriffs zu substantiieren, nichts ändern. In Bezug auf diese - von der deutschen Rechtsprechung angenommene - Substantiierungspflicht dürfen nämlich auch nach den Entscheidungen des BGH keine allzu hohen Anforderungen an die Plausibilität der vom Patienten geäußerten Gründe gestellt werden, um nicht dessen individuelle Entscheidungsspielräume zu unterlaufen. Die dem Patienten auferlegte Substantiierungspflicht beschränkt sich nicht nur darauf, dass er bei vollständiger Aufklärung den Eingriff überhaupt abgelehnt hätte, sondern es reicht auch hin, dass er diesen beispielsweise zu einem späteren Zeitpunkt hätte vornehmen lassen (6 Ob 126/98t = RdM 2000/2). Der Oberste Gerichtshof erachtete erst jüngst in der Entscheidung 4 Ob 132/06z die Substantiierungspflicht - soweit er überhaupt von deren Bestand ausging - schon für erfüllt, wenn das Vorbringen des Patienten „nicht von vornherein unplausibel" ist.

Im vorliegenden Fall fehlt jegliches Vorbringen der Klägerin zu den Gründen der (hypothetischen) Ablehnung des Eingriffs bei vollständiger Aufklärung. Allerdings findet sich die vom Berufungsgericht nach Beweiswiederholung getroffene - auf der Parteiaussage der Klägerin basierende - Feststellung, dass sich die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung möglicherweise vorerst über andere Untersuchungsmethoden erkundigt oder den Termin verschoben hätte, um die Versorgung ihrer zwei Kleinkinder sicherzustellen. Aufgrund dieser Aussage konstatierte das Berufungsgericht, dass eine die Beklagte entlastende (und von ihr zu beweisende) Feststellung im Sinne einer Einwilligung zur Behandlung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht getroffen werden könne. An diese (Negativ-)Feststellung ist der Oberste Gerichtshof gebunden. Die von der Beklagten in deren Revision für bedeutsam erachteten Rechtsfragen haben keine über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalls hinausreichende erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO. Die Revision ist daher als unzulässig zurückzuweisen. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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