OGH 2Ob148/08s

OGH2Ob148/08s14.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen I. der klagenden Partei F* GmbH, *, vertreten durch Dr. Hans Schönherr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 83.453,81 EUR sA, sowie II. der klagenden Partei Franz K*, vertreten durch Dr. Hans Schönherr, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 132.917,86 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der jeweils beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. April 2008, GZ 15 R 210/07y‑52, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2008:E88486

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Antrag der klagenden Parteien auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. § 20 Abs 1 StVO ist eine Schutznorm, die allen Gefahren des Straßenverkehrs vorbeugen soll, die eine überhöhte Geschwindigkeit mit sich bringt (RIS‑Justiz RS0027748). Der daraus abgeleitete Grundsatz des Fahrens auf Sicht bedeutet, dass ein Fahrzeuglenker seine Fahrgeschwindigkeit so zu wählen hat, dass er sein Fahrzeug beim Auftauchen eines Hindernisses rechtzeitig zum Stehen bringen oder zumindest das Hindernis umfahren kann (2 Ob 65/05f mwN; RIS‑Justiz RS0074750). Jeder Kraftfahrer muss daher seine Fahrweise so gestalten, dass der Weg des abzubremsenden Fahrzeugs in der Zeit vom Erkennen eines Hindernisses auf der Fahrbahn bis zum vollen Stillstand des Fahrzeugs nie länger als die durch ihn eingesehene Strecke ist. Diese Pflicht besteht auch auf Autobahnen (2 Ob 65/05f mwN; RIS‑Justiz RS0074680).

Die Feststellungen der Vorinstanzen sind in ihrem Gesamtzusammenhang dahin zu verstehen, dass der Anhänger des kroatischen LKW‑Zugs durch eine Schleuderbewegung so knapp vor dem entgegenkommenden klägerischen Sattelzug über die doppelte Sperrlinie in dessen Richtungsfahrbahn geriet, dass dem Kläger des verbundenen Verfahrens („Zweitkläger") eine unfallverhindernde Abwehrmaßnahme nicht mehr möglich war. Auch bei Einhaltung der unter den gegebenen Fahrbahn- und Sichtverhältnissen zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 43 km/h hätte er den Unfall nicht vermeiden können; das fiktive Schadensausmaß war nicht feststellbar.

Der Oberste Gerichtshof hat in gleichgelagerten Fällen den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzung des Gebots des Fahrens auf Sicht und dem eingetretenen Schaden bereits verneint. Dabei wurde ausgeführt, es liege außerhalb des Schutzzwecks des § 20 Abs 1 StVO, einen Unfall zu verhindern oder auch nur dessen Folgen geringer zu halten, der dadurch entsteht, dass ein Kraftfahrer auf ein entgegenkommendes, seine Fahrbahnhälfte plötzlich verlassendes und in die Gegenfahrbahn eindringendes Fahrzeug nicht mehr unfallverhindernd reagieren kann (ZVR 1975/242; vgl auch ZVR 1961/302; ZVR 1970/174; RIS‑Justiz RS0074781; RS0027564).

Die Verneinung eines auf die Verletzung der Schutznorm des § 20 Abs 1 StVO gegründeten Mitverschuldens des Zweitklägers durch das Berufungsgericht stimmt im Ergebnis mit dieser Rechtsprechung überein; eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung liegt nicht vor.

Die in der außerordentlichen Revision weiters aufgeworfenen Fragen der Beweislastverteilung bei Verletzung eines Schutzgesetzes und des Verhältnisses zwischen relativ und absolut zulässiger Höchstgeschwindigkeit können mangels Entscheidungserheblichkeit auf sich beruhen.

2. Da der Oberste Gerichtshof den Revisionsgegnern die Beantwortung der von der beklagten Partei erhobenen außerordentlichen Revision nicht freigestellt hat, war die dennoch erstattete Revisionsbeantwortung gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig. Ein Kostenersatz findet daher nicht statt (2 Ob 250/07i).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte