OGH 1Ob93/08w

OGH1Ob93/08w30.5.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Veith, Dr. Fichtenau und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Danilo M*****, geboren am *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs dessen Vaters Dalibor M*****, vertreten durch Dr. Harald Hauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. Februar 2008, GZ 43 R 84/08h-S23, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Nach § 107 Abs 2 AußStrG kann das Gericht bis zur endgültigen Entscheidung auch vorläufige Regelungen hinsichtlich der Obsorge treffen, wenn wegen einer Kindeswohlgefährdung sofortige und rasche Maßnahmen erforderlich sind. Diese Maßnahmen setzen grundsätzlich eine akute Gefährdung des - ausschließlich relevanten (RIS-Justiz RS0048632) - Kindeswohls voraus. Eine solche Gefährdung liegt vor, wenn die Obsorgepflichten objektiv nicht erfüllt oder subjektiv gröblich vernachlässigt worden sind, oder wenn die Obsorgepflichtigen durch ihr Gesamtverhalten schutzwürdige Interessen des Minderjährigen ernstlich und konkret gefährden (Hopf in KBB2, § 176 ABGB Rz 2 mwN; RIS-Justiz RS0007035).

Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass der Vater die Mutter - während sie den Minderjährigen im Arm hielt - am Nacken erfasste und sie der Straße entlang nach Hause „geschliffen" hat. Weiters hat der Vater die Mutter wiederholt sexuell missbraucht; diese Missbrauchshandlungen hat das Kind miterlebt. Als der Vater der Mutter drohte, er werde sie erschießen, falls sie „zu Gericht" gehen sollte, zog sie mit dem Minderjährigen in ein Frauenhaus und erstattete gegen den Vater Anzeige wegen § 201 StGB. Weiters steht fest, es sei zu befürchten, dass der Vater versucht, das Kind ins Ausland zu verbringen, weswegen das Erstgericht diesem bereits auftrug, den Reisepass des Kindes bei Gericht zu hinterlegen.

So wie auch eine endgültige Entscheidung nach § 176 Abs 1 ABGB weitgehend auf Ermessensausübung beruht, hängt die Erlassung einer vorläufigen Maßnahme nach dieser Gesetzesstelle von den Umständen des Einzelfalls ab, der keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zuerkannt werden kann, es sei denn, dass bei dieser Entscheidung das Wohl des Minderjährigen nicht ausreichend bedacht wurde (10 Ob 355/99z; RIS-Justiz RS0007101 ua). Dies ist nicht der Fall. In der Auffassung der Vorinstanzen, die vorläufige Entziehung der Obsorge des Vaters und die vorläufige Übertragung allein an die Mutter sei gerechtfertigt, ist eine im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung nicht zu erkennen, sind doch die festgestellten Gewalthandlungen des Vaters, die das Kind miterleben musste, unzweifelhaft geeignet, dessen Wohl akut und ernstlich zu gefährden. Diese Entscheidung steht mit dem Grundsatz der Rechtsprechung in Einklang, dass die Elternrechte bei der - allein nach dem Wohl des Kindes zu treffenden - Entscheidung über die Obsorge in den Hintergrund zu treten haben (4 Ob 186/01h).

Insoweit der Revisionsrekurswerber vermeint, es fehle Rechtsprechung dazu, ob eine akute Gefährdung des Kindes auch in der Zukunft zumindest theoretisch möglich sein müsse oder ob ein in der Vergangenheit gelegener und auch theoretisch nicht mehr wiederholbarer Vorfall zur Annahme einer akuten Gefährdung des Kindeswohls ausreiche, so übersieht er, dass bei jeder Obsorgeentscheidung nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden darf, sondern auch Zukunftsprognosen zu erstellen sind (RIS-Justiz RS0048632). Der Umstand, dass sich das Kind und dessen Mutter derzeit im Frauenhaus befinden, zu dem der Vater keinen Zutritt hat, steht der Annahme einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls nicht entgegen: Da eine Obsorgeentscheidung immer zukunftsbezogene Rechtsgestaltung ist (1 Ob 601/95), wäre es nicht sachgerecht, die Situation nach dem Ende des Aufenthalts der Mutter und des Kindes im Frauenhaus unberücksichtigt zu lassen. Dass Umstände vorlägen, die in Hinkunft auf eine Änderung seines Verhaltens schließen ließen, hat der Revisionsrekurswerber nicht vorgebracht.

Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG wurde nicht aufgezeigt. Dies führt zur Zurückweisung des Revisionsrekurses.

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