OGH 4Ob31/08z

OGH4Ob31/08z11.3.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Alfred K*****, vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Marta K*****, vertreten durch Mag. Martina Breitenecker und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 30. Oktober 2007, GZ 44 R 265/07v-21, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 19. Juni 2007, GZ 23 C 43/06h-10, infolge Berufung beider Parteien mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Die Revision des Klägers wird zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten binnen 14 Tagen die mit 445,82 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 74,30 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

2. Der Revision der Beklagten wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Parteien haben 1979 geheiratet; ihrer Ehe entstammen zwei inzwischen volljährige Kinder. Im November 1995 zog die Beklagte aus der Ehewohnung aus. Aus diesem Anlass schlossen sie folgende Vereinbarung:

„Marta verlässt am 25. 11. 1995 auf eigenen Wunsch und ohne Zwang, wie zwischen Alfred und Marta einvernehmlich vereinbart, den bisherigen Wohnsitz an der Adresse [...] und übersiedelt an einen eigenen Wohnsitz an der Adresse [...].

Sämtliche weitere Schritte im Bezug auf die Trennung bzw. Neubeschaffung des Hausrates, Sorge- und Besuchsrechte für die gemeinsamen Kinder [...] sowie Vermögens- und Unterhaltsregelungen werden gemeinsam und einvernehmlich getroffen.

Es gilt weiter als vereinbart, dass jetzt und in Zukunft, auch im Fall einer Scheidung, auf gegenseitige Schuldzuweisungen verzichtet wird und keinerlei sich aus der getrennten Lebensführung ergebende Eheverfehlungen als Scheidungsgründe geltend gemacht werden. Eine eventuelle Scheidung wird im gegenseitigen Einvernehmen vorgenommen.

Der Inhalt der vorliegenden Vereinbarung wird in einen detaillierten Trennungsvertrag eingearbeitet."

Ein übereinstimmender Parteiwille zur Auslegung dieser Vereinbarung konnte nicht festgestellt werden. Die Ehe ist seit Dezember 1995 unheilbar zerrüttet.

Der Kläger begehrt mit seiner Ende August 2006 eingebrachten Klage die Scheidung der Ehe. Zunächst stützte er sich dafür auf § 49 EheG. Die Beklagte habe sich lieblos verhalten, die Haushaltsführung vernachlässigt und ihn schließlich grundlos verlassen (ON 1). In weiterer Folge begründete er sein Begehren vorerst „in eventu" mit § 55 EheG (ON 4 S 1). Schließlich führte er aus, dass aufgrund der Vereinbarung ein Verschuldensausspruch „nicht mehr in Frage" komme, weswegen die Scheidung „jedenfalls nach § 55 EheG ohne Verschuldensausspruch" zu erfolgen hätte (ON 7 S 4). Er habe sein Begehren auf eine Klage nach § 55 EheG ohne Verschuldensausspruch „umgestellt"; es sei daher „mit einer Scheidung nach § 55 EheG vorzugehen". Ein Verzicht (auch) auf diesen Scheidungsgrund wäre sittenwidrig. Der Klagsvertreter habe „lediglich aus anwaltlicher Vorsicht" im Hinblick auf Unterhaltsforderungen der Beklagten einen „Verschuldensausspruch" verlangt (ON 9 S 2 f). Der Kläger habe jedenfalls keine Eheverfehlungen begangen; an der Zerrüttung der Ehe sei allein die Beklagte schuld, da sie grundlos aus der Ehewohnung ausgezogen sei.

Die Beklagte beantragt einen Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG. Dem Kläger fielen zahlreiche Eheverfehlungen zur Last. Er habe sie weder bei der Haushaltsführung und Kinderziehung noch bei Auseinandersetzungen mit seiner Mutter unterstützt. Vielmehr habe er sich emotional und körperlich von ihr zurückgezogen. Er habe an depressiven Stimmungsschwankungen gelitten und mit Selbstmord gedroht, ihre Hilfe aber abgelehnt. Im Jahr 1990 habe sie eine pornographische Zeitschrift mit Notizen des Klägers bei Kontaktanzeigen gefunden. Das habe sie tief gedemütigt und enttäuscht. Im Sommer 1991 habe der Kläger sie körperlich attackiert und verletzt, worauf sie gemeinsam mit den Kindern für drei Tage die Ehewohnung verlassen habe. Eine Anzeige bei der Polizei habe sie zurückgezogen, um dem Kläger keine beruflichen Schwierigkeiten zu bereiten. Nach einer Schilddrüsenerkrankung habe sie 1991 medikamentenbedingt stark zugenommen. Darauf habe der Kläger mit Spott und Beleidigungen reagiert. Anlass für den Auszug aus der Ehewohnung sei gewesen, dass der Kläger eine ehewidrige Beziehung zu einer Arbeitskollegin aufgenommen habe. Der Beklagten sei daher ein weiteres Zusammenleben mit dem Kläger nicht mehr zumutbar gewesen. Sie selbst habe keine Eheverfehlungen gesetzt. Die Vereinbarung sei sittenwidrig, da die Beklagte bei deren Abschluss nur ein geringes Einkommen gehabt habe; sie sei überwiegend im Haushalt tätig gewesen und habe kaum über Berufserfahrung verfügt. Weiters hätten die Parteien nur für den Fall einer einvernehmlichen Lösung auf die Schuldzuweisungen verzichtet; dies folge insbesondere aus dem Hinweis auf eine allfällige Scheidung „im gegenseitigen Einvernehmen". Davon sei jedoch der Kläger durch Einbringen der Scheidungsklage abgegangen.

Das Erstgericht schied die Ehe nach § 55 EheG und wies die Anträge beider Parteien auf Ausspruch des Verschuldens der Gegenseite ab. Die Ehegatten hätten mit der Vereinbarung auf Schuldzuweisungen verzichtet, was sich auch auf die Zukunft bezogen habe. Eine übereinstimmende gegenteilige Absicht sei nicht erkennbar. Es gebe auch keinen Hinweis, dass eine einvernehmliche Scheidung zur Bedingung für den Verzicht gemacht worden sei. Die Wendung, dass "eine eventuelle Scheidung im gegenseitigen Einvernehmen vorgenommen" werde, müsse nicht unbedingt eine einvernehmliche Scheidung im technischen Sinn bedeuten. Die Parteien hätten es offen gelassen, ob es überhaupt zur Scheidung komme, sie hätten aber trotzdem "jetzt und in Zukunft" auf gegenseitige Schuldzuweisungen verzichtet.

Gegen dieses Urteil richteten sich Berufungen beider Parteien, die den Scheidungsausspruch als solchen formal unbekämpft ließen. Mit ihren Hauptanträgen strebten die Parteien jeweils den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Gegenseite an. Hilfsweise stellten sie jedoch den Antrag auf Aufhebung „des Urteils", wobei das Verhältnis dieses weit gefassten Antrags zur bloß beschränkten Anfechtungserklärung unklar blieb.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen nicht Folge und bestätigte das angefochtene Urteil mit der Maßgabe, dass der Scheidungsausspruch nach § 55 Abs 1 EheG erfolge. Die ordentliche Revision ließ es zu.

Die - allein aus dem Wortlaut der Vereinbarung erschlossene - Parteienabsicht sei darauf gerichtet gewesen, bei und nach der Trennung auf gegenseitige Schuldzuweisungen zu verzichten. Dass eine eventuelle Scheidung im gegenseitigen Einvernehmen vorgenommen werden sollte, erfasse „im Zweifel" auch eine Scheidung im Streitverfahren, jedoch ohne Auseinandersetzung über ein Verschulden. Diese Vereinbarung sei wirksam. Die Parteien könnten auch auf zukünftige Scheidungsgründe verzichten, soweit diese absehbar seien.

Auch die Beklagte habe daher wirksam auf das Geltendmachen bereits vorliegender Scheidungsgründe verzichten können. Dass sie diese Vereinbarung nun als unzweckmäßig erkenne, sei kein Grund, sie für unwirksam zu halten. Ein Verzicht auf Unterhaltsansprüche ergebe sich daraus nicht, da zumindest ein Billigkeitsunterhalt möglich sei. Eine schlüssige Aufhebung der Vereinbarung lasse sich aus dem Prozessverhalten der Parteien nicht ableiten. Denn der Kläger habe nur nach dem Zeitpunkt der Trennung liegende Eheverfehlungen der Beklagten geltend gemacht, die Beklagte hingegen nur solche Verfehlungen des Klägers, die davor lägen. Es fehle daher trotz beiderseitigem Verstoßes gegen die Trennungsvereinbarung an einem Konsens über deren nunmehr gewünschten Geltungsbereich. Den Hinweis auf eine „Scheidung ... im gegenseitigen Einvernehmen" könne man nicht dahin auffassen, dass bei Fehlen des Einvernehmens Schuldzuweisungen und das Geltendmachen von Eheverfehlungen zulässig seien. Denn das würde bedeuten, dass ein Verstoß gegen die getroffene Vereinbarung zu deren Unwirksamkeit führte. Dieses Ergebnis widerspräche dem allgemeinen Grundsatz, dass Vereinbarungen einzuhalten seien.

Hielte man das Geltendmachen von Scheidungsgründen dennoch für zulässig, reichten die dafür herangezogenen Gründe für eine andere Entscheidung nicht aus. Die vor der Trennungsvereinbarung verwirklichten Eheverfehlungen beider Teile lägen rund zwölf Jahre zurück und seien daher nach § 57 Abs 2 EheG verfristet. Die vom Kläger in der unterbliebenen Rückkehr der Beklagten erblickte Eheverfehlung und die damit dokumentierte Ablehnung, ihm Beistand zu gewähren, sei für den Kläger nach seiner eigenen Aussage rund einen Monat nach Abschluss der Trennungsvereinbarung erkennbar gewesen. Damit sei auch für ihn die endgültige und unheilbare Ehezerrüttung offenkundig gewesen. Nach Eintritt der Ehezerrüttung gesetzte Eheverfehlungen, die - wie im vorliegenden Fall - nicht zu deren Vertiefung führen konnten, könnten selbst dann nicht als Scheidungsgrund herangezogen werden, wenn der Verzicht auf deren Geltendmachung unwirksam wäre.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts hänge von erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO ab. Denn es fehle Rechtsprechung zu den Fragen, ob eine Trennungsvereinbarung mit einem gegenseitigen Verzicht auf das Geltendmachen von Eheverfehlungen in Verbindung mit einer Scheidung nach § 55 EheG überhaupt zulässig sei, ob auf das Geltendmachen künftiger, jedoch vorhersehbarer Eheverfehlungen wirksam verzichtet werden könne, und ob das Festhalten der Absicht, künftig eine Scheidung im Einvernehmen durchführen zu wollen, als Bedingung für die Wirksamkeit eines solchen Verzichts anzusehen sei.

Gegen dieses Urteil richten sich Revisionen beider Parteien. Der Kläger strebt eine Scheidung der Ehe nach § 49 EheG aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten an. Die Beklagte begehrt den Ausspruch, dass den Kläger das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe; hilfsweise beantragt sie die „ersatzlose" Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist unzulässig, jene der Beklagten ist hingegen zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

A. Zur Revision des Klägers

Der Kläger stützt sich in seiner Revision ausschließlich darauf, dass die Beklagte nach ihrem Auszug Scheidungsgründe gesetzt habe, und zwar einerseits durch ihre Weigerung, in die Ehewohnung zurückzukehren, und andererseits durch das Aufgeben der Berufstätigkeit und das damit begründete Erheben von Unterhaltsforderungen. Dieses unvorhersehbare Verhalten sei vom Verzicht nicht erfasst gewesen.

Damit zeigt der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage iSv § 502 Abs 1 ZPO auf. Denn er setzt sich nicht mit der Ansicht des Berufungsgerichts auseinander, dass die Ehe schon im Dezember 1995 „endgültig und unheilbar zerrüttet" gewesen sei. Daher konnten spätere Verfehlungen, auf die sich der Kläger nun stützt, keine ehezerrüttende Wirkung mehr haben (RIS-Justiz RS0056921). Soweit sich der Kläger (implizit) auf die Nichtrückkehr der Beklagten zwischen ihrem Auszug im November 1995 und der endgültigen Zerrüttung der Ehe im Dezember dieses Jahres beruft, ist er auf die ebenfalls bereits vom Berufungsgericht angeführte Zehnjahresfrist des § 57 Abs 2 EheG zu verweisen, die - anders als die Frist nach § 57 Abs 1 EheG - nicht durch die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft gehemmt wurde (1 Ob 307/02g). § 59 Abs 2 EheG ist wegen des Fehlens eines für die unheilbare Zerrüttung der Ehe kausalen, nicht verfristeten Scheidungsgrunds nicht anwendbar.

Auf dieser Grundlage kommt es für die Revision des Klägers nicht auf die von ihm und vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage an, welche Reichweite die Vereinbarung zwischen den Streitteilen hat. Die Revision des Klägers ist daher mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Damit kann auch offen bleiben, ob sein letzter Prozessstandpunkt in erster Instanz - die „Umstellung" der Klage auf § 55 EheG - überhaupt noch eine Scheidung nach § 49 EheG tragen könnte.

Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Kostenersatz hängt insofern nicht vom letztlichen Ausgang des Scheidungsstreits ab. Der Kläger hat der Beklagten daher nach §§ 50 Abs 1, 41 ZPO die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

B. Zur Revision der Beklagten

1. Die Vorinstanzen haben zutreffend ausgeführt, dass Ehegatten nach ständiger Rechtsprechung wirksam darauf verzichten können, bereits verwirklichte Scheidungsgründe geltend zu machen (RIS-Justiz RS0016541 [T1, T2]; Gruber in Schwimann, ABGB3 I, § 56 EheG Rz 11; Koch in KBB2 § 56 EheG Rz 5; Stabentheiner in Rummel3 § 56 EheG Rz 6; alle mwN). Demgegenüber wurde die Wirksamkeit eines Verzichts für künftige Scheidungsgründe bisher verneint (RIS-Justiz RS0016541; Gruber, Koch und Stabentheiner aaO). Die nicht unplausiblen Erwägungen des Berufungsgerichts, wonach diese Frage für bereits absehbare Eheverfehlungen anders beurteilt werden könnte, sind hier nicht näher zu prüfen. Denn die Beklagte stützt ihren Verschuldensantrag ausschließlich auf Handlungen des Klägers, die er vor Abschluss der Vereinbarung gesetzt haben soll. Insofern wäre ein Verzicht jedenfalls möglich.

2. Die referierte Rechtsprechung bezieht sich indes primär auf die angriffsweise Geltendmachung von Eheverfehlungen mit Klage nach § 49 EheG; insofern könne ein Verzicht nicht anders behandelt werden als die in § 56 EheG ausdrücklich genannte Verzeihung. Demgegenüber kann der Verschuldenseinwand nach § 61 Abs 3 EheG nach ständiger Rechtsprechung auch auf verfristete oder verziehene Eheverfehlungen gestützt werden (RIS-Justiz RS0057121, RS0057143). Nach Gruber (aaO § 56 EheG Rz 12 und § 61 EheG Rz 16) gilt das auch für Eheverfehlungen, auf deren (gemeint offenkundig: aktive) Geltendmachung verzichtet wurde. Das ist durchaus folgerichtig, liegt doch in jeder Verzeihung ein Verzicht, nicht aber in jedem Verzicht eine Verzeihung (1 Ob 811/52 = SZ 25/258; Gruber aaO § 56 EheG Rz 11).

Aus dem bloßen Verzicht auf das (aktive) Geltendmachen eines Scheidungsgrunds kann daher im Allgemeinen nicht abgeleitet werden, dass sich der Erklärende auch der Möglichkeit begeben wollte, das Verhalten seines Gatten bei einer Klage nach § 55 EheG als Grundlage für einen Verschuldensantrag heranziehen. Der tragende Grund für diese Unterscheidung liegt im Zweck des § 61 Abs 3 EheG: Im (unmittelbaren) Anwendungsbereich des § 56 EheG geht es um die Verhinderung der Auflösung der Ehe aus Gründen, auf deren Geltendmachen der die Scheidung anstrebende Ehegatte ausdrücklich oder implizit (durch Verzeihung) verzichtet hat. Demgegenüber soll § 61 Abs 3 EheG jenen Ehegatten schützen, der trotz einer vom anderen allein oder überwiegend verschuldeten Zerrüttung (§ 55 EheG) an der Ehe festhalten will (8 Ob 573/82 = EvBl 1984/61). Die beiden Regelungen haben daher eine ganz unterschiedliche Zielsetzung.

Aus diesem Grund muss ein an der Ehe festhaltender Gatte den Antrag nach § 61 Abs 3 EheG im Allgemeinen auch dann stellen können, wenn er auf den Scheidungsanspruch ausdrücklich oder (etwa durch Verzeihung) konkludent verzichtet hat oder wenn dieser Anspruch durch Verfristung erloschen ist. An der oben erörterten Rechtsprechung zur Unanwendbarkeit von § 56 EheG auf Verchuldensanträge nach § 61 Abs 3 EheG ist daher grundsätzlich festzuhalten.

3. Demgegenüber lässt sich aus dem Regelungszweck des § 61 Abs 3 EheG wohl nicht ableiten, dass der betroffene Ehegatte - Willensfreiheit und Kenntnis der Rechtsfolgen vorausgesetzt - auf das Erheben des Verschuldensantrags als solches nicht verzichten könnte. Denn auch dieser Einwand steht, wie die Scheidungsklage, in seinem Belieben. Es gibt daher keinen Grund, einen Verzicht von vornherein für wirkungslos zu halten. Zudem könnte der Ehegatte nach einer Scheidung gemäß § 55 EheG auf einen nach §§ 69 Abs 2, 61 Abs 3 EheG iVm § 94 ABGB geschuldeten Unterhalt (auch) pro futuro verzichten, soweit er seinen notwendigen Unterhalt aus dem eigenen Einkommen decken kann (3 Ob 74/02g = SZ 2002/141). Verzichtet er statt dessen (schon) auf den Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG, würde ein ähnliches Ergebnis durch den Billigkeitsunterhalt nach § 69 Abs 3 EheG, gegebenenfalls auch nach § 69b iVm § 68a EheG, erzielt. Der vom Gesetz angestrebte Schutz des an der Ehe festhaltenden Gatten erfordert daher nicht zwingend die Unwirksamkeit eines solchen Verzichts.

4. Eine abschließende Lösung der unter 3. aufgeworfenen Frage kann hier aber letztlich offen bleiben. Denn ein wirksamer Verzicht auf den Verschuldensantrag ist der Vereinbarung nicht zu entnehmen. Grund dafür ist die darin enthaltene Regelung, dass eine eventuelle Scheidung im „gegenseitigen Einvernehmen" vorgenommen werde. Dieser Wortlaut schlösse auch eine Scheidung nach § 55 EheG aus. Auf diesen - durchaus absehbaren - Scheidungsgrund konnten die Parteien allerdings keinesfalls wirksam verzichten (2 Ob 545/58 = RZ 1959, 71). Eine durch Vereinbarung gänzlich unscheidbar gemachte Ehe widerspräche dem Regelungskonzept des Ehegesetzes.

Damit ist aber zu klären, was gelten sollte, wenn eine der Parteien - formal gegen den Wortlaut der Vereinbarung - Scheidungsklage nach § 55 EheG erheben würde. Einen übereinstimmenden Parteiwillen haben die Vorinstanzen dazu nicht festgestellt. Die strittige Formulierung ist daher nach dem anzunehmenden Willen redlicher und vernünftiger Parteien ergänzend auszulegen (RIS-Justiz RS0017758, RS0113932). Auf dieser Grundlage muss sie aber dahin gedeutet werden, dass der Verzicht auf „Schuldzuweisungen" nur dann gelten sollte, wenn (auch) eine Einigung über die Scheidungsfolgen erzielt würde. Dass sich die Beklagte darüber hinaus auch verpflichtet hätte, eine Zerrüttungsscheidung hinzunehmen, ohne einen Verschuldensantrag nach § 61 Abs 3 EheG stellen zu können, ist zumindest im Zweifel nicht anzunehmen. Denn diese Vereinbarung hätte nach den unstrittigen Einkommensverhältnissen allein sie belastet. Sie wäre nach drei Jahren der Scheidungsklage des Klägers ausgesetzt gewesen, ohne sich durch einen Verschuldensantrag - auch sozialversicherungsrechtlich - absichern zu können. Demgegenüber hätte sich der Kläger spätestens nach sechs Jahren auch ohne Einvernehmen über die Scheidung und ihre Folgen von der Ehe lösen können.

Ein auf dieses Ergebnis gerichteter gemeinsamer Parteiwille mag im Einzelfall denkbar sein. Hier steht er aber nicht fest, und im Zweifel kann den Parteien ein solches angestrebtes Ergebnis, für das es auch kein dahin deutbares Parteivorbringen gibt, nicht unterstellt werden. Vielmehr ist bei ergänzender Auslegung der Vereinbarung anzunehmen, dass der Verzicht auf „Schuldzuweisungen" in diesem Fall nicht gelten soll.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wird die Vereinbarung bei diesem Verständnis nicht wirkungslos. Denn auf das aktive Geltendmachen von bereits vorhandenen Scheidungsgründen haben die Ehegatten jedenfalls wirksam verzichtet. Will sich jedoch ein Gatte entgegen dem Wortlaut der Vereinbarung ohne diesbezügliches Einvernehmen von der Ehe lösen, kann ihm durchaus zugemutet werden, die Konsequenz des § 61 Abs 3 EheG zu tragen.

5. Aus diesen Gründen ist die Entscheidung der Vorinstanzen über den Verschuldensantrag der Beklagten nicht zu billigen. Ein Teilurteil über ein Scheidungsbegehren nach § 55 EheG ist unzulässig, wenn der Beklagte einen Verschuldensantrag nach § 61 Abs 3 EheG gestellt hat (1 Ob 514/86 = SZ 59/64; RIS-Justiz RS0040724). Daher sind auch die Aussprüche über die Scheidung selbst aufzuheben. Teilrechtskraft ist insofern nicht eingetreten. Denn die Beklagte hat in ihrer Berufung hilfsweise beantragt, das Ersturteil „aufzuheben", ohne dieses Begehren auf den Ausspruch über den Verschuldensantrag zu beschränken. Damit ist im Zweifel anzunehmen, dass sie auch den Ausspruch über die Scheidung als solche angefochten hat (vgl 4 Ob 602/81).

Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren das Verschulden an der Zerrüttung zu prüfen haben. Bei der dabei erforderlichen Gesamtabwägung (RIS-Justiz RS0057268) wird auch auf das vor der Zerrüttung liegende Verhalten der Beklagten Bedacht zu nehmen sein. Entscheidend ist, ob den Kläger ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft und ob dieses Verschulden gegebenenfalls jenes der Beklagten deutlich überwiegt (RIS-Justiz RS0057256).

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte