Spruch:
Stützen beide Ehegatten ihr Scheidungsbegehren auf § 55 EheG, ist ein Verschuldensausspruch nach § 61 Abs. 3 EheG unzulässig
OGH 22. 9. 1983, 8 Ob 573, 574/82 (OLG Linz 4 R 141, 142/82; KG Ried im Innkreis 1 Cg 222/81)
Text
Mit der am 29. April 1981 erhobenen Klage begehrte Leopoldine G die Scheidung ihrer Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Die Ehe habe sich von allem Anfang an nicht sehr harmonisch gestaltet. Der Beklagte habe sich ihr gegenüber immer sehr lieblos verhalten, habe sich um sie nicht gekümmert und ihr zu verstehen gegeben, daß er an ihr nicht das geringste Interesse habe. Dies habe soweit geführt, daß ihr der Beklagte keinen Unterhalt mehr geleistet habe, sodaß sie schließlich am 23. Mai 1974 den gemeinsamen Haushalt verlassen und in H eine Stelle als Hotelbedienstete (Zimmermädchen) angenommen habe. Seither arbeite sie in dieser Eigenschaft in der Hotelbranche. Der Beklagte habe sich alle Jahre hindurch um sie nicht gekümmert und sie auch nie aufgefordert, mit ihm die eheliche Gemeinschaft wiederaufzunehmen. Infolge dieses fortgesetzten ehewidrigen Verhaltens des Beklagten sei die Ehe unheilbar zerrüttet.
Der beklagte Ehemann bestritt das Vorbringen in der Klage, beantragte Abweisung des Klagebegehrens und erhob selbst Widerklage. Seine Frau habe sich um ihn seit der am 20. April 1973 erfolgten Übergabe seiner Liegenschaftshälfte an den gemeinsamen ehelichen Sohn Alois G jun. nicht mehr gekümmert und ihm auch nicht den Haushalt geführt. Nach wiederholten Ankündigungen habe sie ihn im Frühjahr 1974 grundlos verlassen; seither arbeite sie in H.
Die Klägerin bestritt das Vorbringen in der Widerklage und replizierte hierauf, daß sie sich die ihr gehörige Liegenschaftshälfte behalten habe, weil der gemeinsame Sohn und dessen Ehegattin sich ihr gegenüber feindselig verhalten hätten. Die Übergabe der Liegenschaftshälfte ihres Mannes an den gemeinsamen Sohn stelle sich daher als feindseliger Akt ihres Mannes ihr gegenüber dar. Ihr Mann habe sich auf die Seite des Sohnes gestellt und sich ihr gegenüber auch grundlos feindselig verhalten. Auf Grund dieser Situation sei sie schließlich genötigt gewesen, trotz ihres hohen Alters noch eine Stellung anzunehmen, um sich eine Altersversorgung zu schaffen. Die Feindseligkeit ihres Mannes ihr gegenüber habe sich auch darin gezeigt, daß er im Jahre 1973 ihre Unterschrift auf einer Vollmacht gefälscht und diese Vollmacht bei der Behörde vorgelegt habe; dadurch sei ihr eine Zufahrt zu einem Grundstück weggenommen worden, die für die Errichtung eines eigenen Wohnhauses notwendig gewesen wäre. Später erklärte die Klägerin, ihr Scheidungsbegehren auch auf § 55 EheG zu stützen. Hierauf beantragte der Beklagte unter Hinweis auf sein Vorbringen in der Widerklage Verschuldensausspruch iS des § 61 Abs. 3 EheG. Schließlich stützte auch der Beklagte sein Scheidungsbegehren auf § 55 EheG; auch die Klägerin als Widerbeklagte beantragte, für den Fall einer Scheidung der Ehe nach § 55 EheG, das Verschulden ihres Mannes an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen.
Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile nach § 55 Abs. 3 EheG, ohne festzustellen, daß einen der Streitteile das alleinige oder überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht auf Grund der von ihm getroffenen Feststellungen aus, daß die Ehe der Streitteile nach § 49 EheG nicht geschieden werden könne, da keiner der Streitteile schwere Eheverfehlungen iS des § 49 EheG begangen habe bzw. solche Eheverfehlungen verfristet seien. Auf Grund der Tatsache, daß die häusliche Gemeinschaft der Streitteile bereits seit 1974, also länger als sechs Jahre, aufgehoben sei, bestehe jedoch das Scheidungsbegehren beider Streitteile, insoweit es auf § 55 Abs. 3 EheG gestützt sei, zu Recht. Daß einer der Streitteile die Zerrüttung der Ehe allein oder überwiegend verschuldet habe, könne aus dem festgestellten Sachverhalt nicht gefolgert werden. Vielmehr hätten beide Streitteile in etwa gleichem Umfang zur Zerrüttung ihrer Ehe beigetragen. Ein Verschuldensausspruch iS des § 61 Abs. 3 EheG habe daher nicht erfolgen können.
Das Berufungsgericht gab der allein von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge.
Es billigte auf der Grundlage der als unbedenklich zur Gänze übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes dessen Ansicht, daß die auf § 49 EheG gegrundeten Scheidungsbegehren unberechtigt seien. Da die häusliche Gemeinschaft jedoch seit mehr als sechs Jahren aufgehoben sei und eine tiefgreifende unheilbare Zerrüttung der Ehe vorliege, sei das auf § 55 EheG gestützte Eventualbegehren berechtigt. Wenn aber - so wie im vorliegenden Fall - beide Ehegatten Klage nach § 55 EheG erhoben hätten, sei nach dem Wortlaut des § 61 Abs. 3 EheG kein Raum für eine Verschuldenserörterung.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Rechtsrüge richtet sich gegen die Ablehnung der Vorinstanzen, ein Verschulden des Beklagten an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen. Das Berufungsgericht lehnte einen solchen Ausspruch iS der Ausführungen Schwinds (EheR[2], 234) mit der Begründung ab, daß dieses Antragsrecht auch nach der neuen Rechtslage nur dem nach § 55 EheG beklagten Ehegatten zustehe, eine Verschuldenserörterung somit dann nicht möglich sei, wenn beide Ehegatten ihr Scheidungsbegehren auf § 55 EheG stützten. Die von der Revisionswerberin dagegen vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Die Bestimmung des § 61 Abs. 3 EheG wurde in Verbindung mit § 69 Abs. 2 EheG zur unterhaltsrechtlichen Sicherung jenes Ehegatten geschaffen, der sich der Scheidung nach § 55 Abs. 2 EheG widersetzt und an der Ehe festhalten will, aber ungeachtet des Umstandes, daß den klagenden Ehegatten das ausschließliche oder überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft, geschieden wird (RV 289 BlgNR 14. GP 11 f.). In der Regierungsvorlage wurde weiters zum Ausdruck gebracht, daß es rechtspolitisch verfehlt wäre, dem Ehegatten einen Unterhaltsanspruch nach § 94 ABGB zuzubilligen, der selbst aus der Ehe hinausstrebt; dies könnte als eine Begünstigung der Ehescheidung verstanden werden; außerdem hätte es der klagende Ehegatte in der Hand, eine Entlassung aus den ehelichen Pflichten zu erreichen, ohne seinen Unterhaltsanspruch wie bei aufrechter Ehe aufzugeben (RV aaO 12). Da die Klägerin im vorliegenden Fall selbst aus der Ehe strebt, steht ihr das Recht, die im § 69 Abs. 2 EheG vorgesehene unterhaltsrechtliche Besserstellung durch einen Antrag nach § 61 Abs. 3 EheG zu erreichen, nicht zu. In der Ablehnung der Vorinstanzen, ein Verschulden des Beklagten an der Zerrüttung der Ehe festzustellen, kann daher ein Rechtsirrtum nicht erblickt werden.
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