Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.189,44 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 198,24 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte beabsichtigte, das Dienstverhältnis der bei ihr seit 1. 12. 2002 beschäftigten Klägerin zu kündigen. Sie übermittelte dem Betriebsrat am Vormittag des 19. 4. 2006 ein mit diesem Tag datiertes Schreiben mit folgendem Wortlaut:
„Sehr geehrte Frau Dr. F*****!
Wir sehen uns leider dazu gezwungen, das mit Ihnen am 1. 12. 2002
eingegangene Dienstverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen
Kündigungsfrist aufzukündigen.
Ihr letzter Arbeitstag ist daher der 30. 6. 2006.
Wir ersuchen Sie, Ihren offenen Resturlaub während der Kündigungsfrist zu konsumieren.
Im Sinne des § 105 ArbVG wurde der Betriebsrat von der Kündigung ordnungsgemäß verständigt.
Wir bedauern diesen Schritt und verbleiben mit den besten Wünschen
für die Zukunft.
Mit freundlichen Grüßen
HR Dr. Martin W*****
Vizerektor für Personal und Infrastruktur
........
Mitteilung gemäß § 105 ArbVG an den Betriebsrat:
Im Sinne des § 105 ArbVG wurde der Betriebsrat von der Kündigung
ordnungsgemäß verständigt.
Bestätigung der Übernahme:........"
Nachdem der Vorsitzende des Betriebsrats von diesem Schreiben Kenntnis erlangt hatte, fragte er unverzüglich bei der Klägerin nach, ob sie es auch erhalten habe. Dies wurde von der Klägerin verneint. Noch am selben Tag besprachen der Vorsitzende des Betriebsrats und sein Stellvertreter den Inhalt des erhaltenen Schreibens mit einem Vertreter der Arbeiterkammer.
Bei einer Besprechung am 21. 4. 2006 sprach der Vizerektor der Beklagten gegenüber dem Vorsitzenden des Betriebsrats und seinem Stellvertreter ua die der Kündigung der Klägerin zugrunde liegenden Umstrukturierungen und die Kündigung der Klägerin an. Er sagte zu den beiden Betriebsratsmitgliedern wörtlich: „das habt ihr ja eh schon schriftlich gekriegt". Der Vorsitzende entgegnete: „da kommt eh noch etwas von uns". Fragen, wie das Schreiben vom 19. 4. 2006 zu verstehen sei, wurden von den Vertretern des Betriebsrats nicht gestellt.
In der Sitzung des Betriebsrats vom 26. 4. 2006 wurde das Schreiben vom 19. 4. 2006 besprochen. Der Betriebsrat beschloss, der anstehenden Kündigung der Klägerin zu widersprechen. Dieser Beschluss wurde dem Vizerektor mit Schreiben vom 26. 4. 2006 mitgeteilt. Dieses Schreiben hat folgenden wesentlichen Wortlaut:
„Stellungnahme des Betriebsrats
Kündigung Frau Dr. Romana F*****
........
Der Betriebsrat hat in seiner Sitzung am 26. 4. 2006 beschlossen, der beabsichtigten Kündigung von Frau Dr. Romana F***** ausdrücklich zu widersprechen."
Am 27. 4. 2006 wurde der Klägerin ein mit diesem Datum versehenes Kündigungsschreiben ausgehändigt, in dem ua darauf hingewiesen wurde, dass „im Sinne des § 105 ArbVG der Betriebsrat von der Kündigung ordnungsgemäß verständigt wurde".
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr Dienstverhältnis über den 30. 6. 2006 hinaus fortbesteht. Eine Kündigung vom 19. 4. 2006 sei ihr gegenüber nie ausgesprochen worden. Der tatsächlich ausgesprochenen Kündigung vom 27. 4. 2006 sei kein ordnungsgemäßes Vorverfahren vorangegangen, weil das Schreiben vom 19. 4. 2006 nicht als Verständigung von der Kündigungsabsicht zu werten sei. Der Betriebsrat habe der Kündigung nur aus Gründen der Vorsicht widersprochen. Zudem sei der Betriebsrat nicht vom Ausspruch der Kündigung vom 27. 4. 2006 verständigt worden.
Die Beklagte hielt dem entgegen, den Betriebsrat mit dem Schreiben vom 19. 4. 2006 ordnungsgemäß von ihrer Kündigungsabsicht verständigt zu haben. Der Betriebsrat habe die Verständigung in diesem Sinn verstanden und der beabsichtigten Kündigung fristgerecht widersprochen. Von der ausgesprochenen Kündigung sei der Betriebsrat verständigt worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus stellte es fest, dass der Betriebsrat das Schreiben vom 19. 4. 2006 als Verständigung von der beabsichtigten Kündigung der Klägerin gewertet habe und dass er vom Ausspruch der Kündigung verständigt worden sei. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass die Verständigung des Betriebsrats nach § 105 Abs 1 ArbVG an keine Form gebunden sei; entscheidend sei, wie sie unter Würdigung der dem Betriebsrat bekannten Umstände nach der Übung des redlichen Verkehrs aufzufassen sei. In diesem Sinn sei hier von einer ordnungsgemäßen Verständigung des Betriebsrats von der Kündigungsabsicht auszugehen. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es wertete die von der Klägerin bekämpften Feststellungen, wonach der Betriebsrat das Schreiben vom 19. 4. 2006 als Verständigung von der Kündigungsabsicht verstanden habe und von der ausgesprochenen Kündigung verständigt worden sei, als nicht für die Entscheidung relevant. Auf die gegen diese Feststellungen erhobene Beweisrüge sei daher nicht einzugehen.
Entscheidend sei, wie das Schreiben vom 19. 4. 2006 objektiv unter Würdigung der dem Betriebsrat bekannten Umstände nach der Übung des redlichen Verkehrs aufzufassen sei; ein allenfalls davon abweichendes subjektives Verständnis des Erklärungsempfängers sei nicht entscheidend. Richtig sei, dass das Schreiben vom 19. 4. 2006 nicht eindeutig sei, weil es auch die Deutung als Benachrichtigung von einer bereits erfolgten Kündigung zulasse. Allerdings sei bei der Beurteilung, wie der Erklärungsempfänger eine Willenserklärung bei objektiver Betrachtungsweise verstehen musste, auch auf die ihm im Einzelfall erkennbaren Umstände Bedacht zu nehmen. Hier könne nicht außer Betracht bleiben, dass der Betriebsratsvorsitzende erfahren habe, dass die Kündigung noch nicht ausgesprochen worden sei. Zudem habe der Betriebsrat in seiner Sitzung das Kündigungsschreiben auch im Sinne einer Benachrichtigung von einer beabsichtigten Kündigung behandelt, gegen die beabsichtigte Kündigung Widerspruch erhoben und den Dienstgeber davon verständigt. Der Dienstgeber habe daher von einer rechtswirksamen Willenserklärung des Betriebsrats aufgrund einer von diesem als ordnungsgemäß gewerteten Verständigung ausgehen können. Insofern sei von einem gemeinsamen Verständnis der Erklärung vom 19. 4. 2006 auszugehen. Der Kündigung sei somit ein ordnungsgemäßes Vorverfahren vorangegangen. Ob der Betriebsrat vom Ausspruch der Kündigung verständigt wurde, sei nur für die - auch nicht hilfsweise erfolgte - Anfechtung der Kündigung von Bedeutung.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.
Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und der ihm erkennbaren Umstände des Einzelfalls verstehen muss. Der Erklärungsempfänger ist nach Treu und Glauben gehalten, unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit zu prüfen, was der Erklärende gemeint hat (RIS-Justiz RS0053866; 7 Ob 688/87; zuletzt etwa 9 Ob 42/01v).
Im Sinne dieser auch hier anzuwendenden Rechtsprechung ist bei der Auslegung des nach seinem bloßen Wortlaut in der Tat nicht völlig eindeutigen Schreibens vom 19. 4. 2006 auch der Umstand zu berücksichtigen, dass der Vorsitzende des Betriebsrats, der sich unmittelbar nach Erhalt des Schreibens bei der Klägerin erkundigte, von dieser erfuhr, dass zu diesem Zeitpunkt noch keine Kündigung ausgesprochen worden war. Vor diesem Hintergrund bestand aber angesichts des im Schreiben vom 19. 4. 2006 enthaltenen fettgedruckten Hinweises „Mitteilung gemäß § 105 ArbVG an den Betriebsrat" und der ihm beigefügten Rubrik für die Bestätigung der Übernahme durch den Betriebsrat kein vernünftiger Grund, daran zu zweifeln, dass die Beklagte den Betriebsrat von der beabsichtigten Kündigung der Klägerin verständigen wollte. In diesem Sinn hat der Betriebsrat das Schreiben auch behandelt, wie aus seinem Beschluss ersichtlich ist, in dem von einem Widerspruch gegen die beabsichtigte Kündigung die Rede ist. Die Rechtsauffassung der zweiten Instanz, dass der Kündigung ein ordnungsgemäßes Vorverfahren vorangegangen sei, ist daher zutreffend.
Die dagegen von der Revisionswerberin vorgebrachten Einwände überzeugen nicht: Insbesondere trifft es nicht zu, dass die Verständigung vom 19. 4. 2006 völlig wortgleich mit der Kündigung vom 27. 4. 2006 sei und daher nicht unterschiedlich ausgelegt werden könne. Gerade der im Schreiben vom 19. 4. 2006 enthaltene und mit einer Übernahmebestätigung versehene Hinweis „Mitteilung gemäß § 105 ArbVG an den Betriebsrat" ist im Kündigungsschreiben nicht enthalten. Auch aus den vom Erstgericht festgestellten Vergleichsfällen aus dem Betrieb der Beklagten ist für den Standpunkt der Klägerin nichts zu gewinnen. Die diesen Fällen zugrunde liegenden Sachverhalte sind teilweise mit dem hier zu beurteilenden nicht vergleichbar. Außerdem sind die in diesen Fällen ergangenen Verständigungen ganz unterschiedlich. In einem Fall erfolgte im Übrigen die Mitteilung an den Betriebsrat - allerdings an den Betriebsrat I - in einer der hier gewählten Vorgangsweise durchaus ähnlichen Weise.
Ob der Betriebsrat iSd § 105 Abs 4 ArbVG vom Ausspruch der Kündigung verständigt wurde - die Feststellung, dass dies der Fall war, wurde vom Berufungsgericht aus rechtlichen Überlegungen nicht überprüft - ist für die Entscheidung ohne Bedeutung. Das Gesetz knüpft an die Unterlassung einer solchen Verständigung keine Konsequenzen; eine solche Unterlassung kann daher nur zur Folge haben, dass der Beginn des Laufs der Frist zur Kündigungsanfechtung für den Betriebsrat hinausgeschoben wird (Gahleitner in Cerny/Gahleitner/Kundtner/Preiss/Schneller, ArbVG² § 105 Erl 61). Eine planwidrige Gesetzeslücke kann darin nicht erblickt werden, zumal das von der Revisionswerberin in dieser Rechtslage erblickte Rechtsschutzdefizit nicht besteht: Der Betriebsrat, der der Kündigungsabsicht widersprochen hat und durch das Anfechtungsverlangen des gekündigten Arbeitnehmers von der Kündigung erfährt, ist ja durch die Unterlassung der Verständigung durch den Arbeitgeber an der Anfechtung nicht gehindert. Gleiches gilt für den gekündigten Arbeitnehmer, wenn der Betriebsrat dem Verlangen auf Anfechtung nicht entspricht.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
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