OGH 6Ob277/07i

OGH6Ob277/07i24.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*****, vertreten durch Dr. Thaddäus Kleisinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Kosch & Partner Rechtsanwälte in Eisenstadt, wegen 28.744,49 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien als Rekursgericht vom 2. Mai 2007, GZ 1 R 52/07d-10, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 11. Jänner 2007, GZ 2 C 1417/06f-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Parteien schlossen anlässlich der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 14. 12. 2006 einen Vergleich, der allerdings nur dann rechtswirksam werden sollte, „wenn er nicht mittels Schriftsatz bis zum 22. 12. 2006 (Einlangen bei Gericht, Fax genügt) widerrufen wird".

Am 22. 12. 2006 übermittelte der rechtsfreundliche Vertreter der Beklagten einen an das Erstgericht adressierten Vergleichswiderruf per Telefax an die Nummer +43 1 51528 576, wo er um 11.25 Uhr einlangte. Diese Faxnummer ist dem Rekursgericht zugeordnet, in dessen Räumlichkeiten sich auch das Faxgerät befindet. Das Faxgerät mit der Nummer +43 1 51528 693 befindet sich hingegen in den Räumlichkeiten des Erstgerichts, dem auch die erwähnte Nummer zugeordnet ist. Tatsächlich langte der Vergleichswiderruf beim Erstgericht erst am 27. 12. 2006 ein; an diesem Tag wurde er auch mit dessen Einlaufstampiglie versehen.

Die Vorinstanzen wiesen übereinstimmend den Vergleichswiderruf als verspätet zurück; er sei falsch adressiert gewesen. Das Rekursgericht sprach weiters aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs „zu einem derartigen Sachverhalt", der aber „in der Praxis immer wieder vorkommt", fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

1. Gemäß § 528 Abs 2 Z 2 zweiter Halbsatz ZPO ist der Revisionsrekurs gegen eine bestätigende Entscheidung der zweiten Instanz dann nicht jedenfalls unzulässig, wenn das Gericht zweiter Instanz die Zurückweisung einer Klage aus formellen Gründen - also ohne Sachentscheidung - bestätigte. Einer Klagezurückweisung aus formellen Gründen ist dabei jedenfalls ein Beschluss gleichzuhalten, mit dem die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens über eine Klage verweigert wird, also ein prozessualer Rechtsschutzanspruch des Klägers, eine Sachentscheidung über das Klagebegehren zu erlangen, endgültig verneint wird. Dies trifft auch im hier zu beurteilenden Fall zu, weil der Vergleichswiderruf - unabhängig davon, ob er als rechtzeitig anzusehen ist - das Begehren auf Fortsetzung des Verfahrens in sich schließt (1 Ob 178/02m = JBl 2003, 453; 7 Ob 94/04f = JBl 2005, 45; 6 Ob 158/07i; Zechner in Fasching/Konecny, ZPO² [2005] § 528 Rz 98).

2.1. Aus der Erwägung, dass eine Vereinbarung über die Form des Widerrufs eines gerichtlichen Vergleichs in Zweifel als prozessrechtliche Vereinbarung anzusehen ist (RIS-Justiz RS0032697), reicht in analoger Anwendung des § 89 Abs 3 GOG iVm § 60 Geo zur Wahrung der Widerrufsfrist - mangels gegenteiliger Vereinbarung - eine Eingabe mittels Telefax, die durch einen eigenhändig unterfertigten Schriftsatz bestätigt wird oder deren Original nachgereicht wird, aus, auch wenn der Bestätigungsschriftsatz oder das nachgereichte Original nach Ablauf der Widerrufsfrist bei Gericht einlangen (1 Ob 178/02m; 9 ObA 230/01s mwN; 9 ObA 23/96 = JBl 1996, 395 ua, zuletzt 6 Ob 158/07i; Klicka in Fasching/Konecny, ZPO² [2003] §§ 204, 206 Rz 31; Gitschthaler in Rechberger, ZPO³ [2006] §§ 204-206 Rz 19).

Da die Parteien im vorliegenden Verfahren sogar ausdrücklich vereinbart hatten, dass „Fax genügt", konnte die Beklagte den Vergleich grundsätzlich mittels Telefax bis 22. 12. 2006 widerrufen.

2.2. Nach der weiteren Vereinbarung der Parteien hätte der Widerrufsschriftsatz (außerdem) am 22. 12. 2006 „bei Gericht einlangen" müssen, wobei beim Fernkopieren (Telefax) die Besonderheit zu beachten ist, dass die Eingabe direkt vom Sendegerät des Einreichers an das Empfangsgerät übermittelt wird, sodass Postaufgabe und Einlangen bei Gericht zusammenfallen; das heißt Fristen sind gewahrt, wenn die Telefaxeingabe am letzten Tag bei Gericht einlangt, ohne dass eine Übernahme durch die Einlaufstelle notwendig ist (7 Ob 157/07z).

Damit wäre der Vergleichswiderruf als Telefaxeingabe an sich zwar auch rechtzeitig erfolgt; für die Beklagte kann daraus jedoch nichts gewonnen werden, weil die damalige Vertreterin der Beklagten den Schriftsatz an das falsche Empfangsgerät übermittelte und dieser deshalb in der Einlaufstelle des Erstgerichts tatsächlich erst am 27. 12. 2006 einlangte.

2.3. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs werden nämlich zwar prozessrechtliche Fristen im Hinblick auf § 89 Abs 1 GOG um die Dauer des Postlaufs verlängert; die Post tritt in einem solchen Fall als „verlängerte" Einlaufstelle des Gerichts auf (Gitschthaler in Rechberger, ZPO³ [2006] §§ 124-126 Rz 11 mwN). Voraussetzung dafür ist aber unter anderem, dass das Schriftstück (auf dem Kuvert) an das zuständige Gericht unter Angabe der richtigen Anschrift adressiert war; andernfalls könnte eine befristete Prozesshandlung nur dann als rechtzeitig angesehen werden, wenn das Schriftstück noch innerhalb der offenstehenden Frist beim zuständigen Gericht einlangt (Gitschthaler, aaO Rz 14 mwN).

2.4. Die Beklagte meint nun unter Hinweis auf die gemeinsame Einlaufstelle von Erst- und Rekursgericht sowie des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, die Übermittlung des Vergleichswiderrufsschriftsatzes als Telefaxeingabe an irgendein Empfangsgerät im Gebäude 1030 Wien, Marxergasse 1a, sei fristenwahrend gewesen, weil die dort untergebrachten Gerichte eine einheitliche Telefonnummer und eine gemeinsame Telefonvermittlung hätten und auf dem Schriftsatz als Adresse ohnehin das Erstgericht angegeben gewesen sei; lediglich die konkrete Nebenstelle sei unrichtig angeführt gewesen. Dem kann nicht gefolgt werden:

Anträge, Gesuche und Mitteilungen der Parteien haben außerhalb der mündlichen Verhandlung mittels Schriftsatzes zu erfolgen. Diese Schriftsätze können - neben der im vorliegenden Verfahren nicht in Rede stehenden Möglichkeit der Einbringung im elektronischen Rechtsverkehr (vgl dazu Gitschthaler in Rechberger, ZPO³ [2006] § 74 Rz 11 ff mwN) - im Hinblick auf § 74 ZPO einerseits bzw die auf § 89 Abs 3 GOG basierende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0006955) andererseits entweder (körperlich) auf postalischem bzw direktem - also durch Übergabe an die Einlaufstelle des Gerichts - Weg oder mittels Telefaxeingabe überreicht werden. Die nach § 75 Z 1 ZPO erforderliche Bezeichnung des Gerichts erfasst dabei sowohl die Angabe des Gerichts als auch dessen Adresse, wobei allerdings letztere bei Telefaxeingaben durch die konkrete Nummer des Empfangsgeräts des Gerichts ersetzt, jedenfalls aber ergänzt wird; bei der Übermittlung der Telefaxeingabe kommt es ja nicht auf die auf dem Schriftstück aufscheinende Adresse, sondern auf die ins Sendegerät des Übermittlers eingegebene Faxnummer des Empfangsgeräts (einschließlich der konkreten Nebenstelle) an. Wird diese unrichtig angegeben, scheitert die Übermittlung entweder gänzlich oder sie erfolgt an eine „andere Adresse"; im Sinne der unter 2.3. angeführten Rechtsprechung war dann aber das Schriftstück unrichtig adressiert. Dies entspricht auch dem Grundsatz, dass das Risiko von Einbringungsfehlern derjenige trägt, der sich des Telefax bedient (Gitschthaler in Rechberger, ZPO³ [2006] § 74 Rz 7 mwN; Konecny in Fasching/Konecny, ZPO2 [2003] § 74 Rz 39).

Fristenwahrend kann eine an ein falsches Empfangsgerät übermittelte Telefaxeingabe daher nur dann sein, wenn das - beim Empfangsgerät ausgedruckte - Schriftstück noch innerhalb der offenstehenden Frist beim zuständigen Gericht einlangt. Die Entscheidung 7 Ob 157/07z, wonach Fristen gewahrt sind, wenn die Telefaxeingabe am letzten Tag bei Gericht einlangt, ohne dass eine Übernahme durch die Einlaufstelle notwendig ist, ist somit mit der Einschränkung zu lesen, dass die Telefaxeingabe an das zuständige Gericht unter richtiger Verwendung von dessen Faxnummer übermittelt wurde.

Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor; die damalige Vertreterin der Beklagten verwendete anstelle der Faxnummer des (zuständigen) Erstgerichts jene des Rekursgerichts.

2.5. Die Beklagte beruft sich nun auf den Umstand, dass sich die Faxgeräte von Gerichten „üblicherweise in der Einlaufstelle" befänden, Erst- und Rekursgericht hätten aber eine vereinigte Einlaufstelle im Gerichtsgebäude 1030 Wien, Marxergasse 1a; damit schade die Verwendung der unrichtigen Faxnummer nicht. Diese Unterstellung ist jedoch aktenwidrig. Tatsächlich steht das Faxgerät des Erstgerichts in dessen Räumlichkeiten, jenes des Rekursgerichts hingegen in diesem zugeordneten Räumlichkeiten; keines dieser Geräte steht in der vereinigten Einlaufstelle.

2.6. Die unrichtige Adressierung eines Schriftstücks (etwa eines Rechtsmittels an das Gericht zweiter Instanz) schadet dann nicht, wenn die Einlaufstelle dieses Gerichts im Sinne des § 37 Abs 2 Geo mit jener des Erstgerichts vereinigt ist (RIS-Justiz RS0041726, RS0041705), dies gilt auch für die Einlaufstelle des Erst- und des Rekursgerichts sowie des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien (7 Ob 166/05w). Diese Rechtsprechung findet nur dann keine Anwendung, wenn in einem Gerichtsgebäude getrennte Einlaufstellen eingerichtet sind (7 Ob 549/78 [Oberster Gerichtshof - Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien]; 9 ObA 133/99w [Bezirksgericht Wels - Landesgericht Wels]).

Eine analoge Anwendung dieser Rechtsprechung auf Telefaxeingaben würde voraussetzen, dass sich die Faxgeräte der durch die Einlaufstelle vereinigten Gerichte tatsächlich auch in dieser Einlaufstelle befinden (Konecny in Fasching/Konecny, ZPO2 [2003] § 74 Rz 39). Hintergrund der Rechtsprechung war ja, dass durch das Einlangen des Schriftstücks in der vereinigten Einlaufstelle trotz der unrichtigen Adressierung keine Verzögerung gegenüber dem Fall einer richtigen Adressierung eingetreten ist (s aus jüngerer Zeit 6 Ob 130/05v; 2 Ob 155/06t). Landet hingegen eine Telefaxeingabe durch die Verwendung einer falschen Faxnummer in einem gänzlich anderen Bereich des Gerichtsgebäudes, kommt es durch die notwendige (körperliche) Übermittlung des am Empfangsgerät ausgedruckten Schriftstücks an die Einlaufstelle tatsächlich zu einer Verzögerung, wie das vorliegende Verfahren im Übrigen anschaulich zeigt.

Damit haben aber die Vorinstanzen zutreffend den Vergleichswiderruf der Beklagten als verspätet zurückgewiesen, langte er doch erst am 27. bzw am 28. 12. 2006 beim Erstgericht ein.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 40, 50 ZPO; die Klägerin hat keine Kosten verzeichnet. Über die Kosten der Bekanntgabe des (vormaligen) Masseverwalters ON 17 wird das Erstgericht zu entscheiden haben.

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