Spruch:
Dem Rekurs des Klägers wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Unstrittig ist, dass der am 13. 11. 1928 geborene Kläger im Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien in folgenden Zeiträumen Pflichtversicherungszeiten erworben hat:
27.10.1948 bis 14.10.1951 35 Monate 17 Tage
15.10.1951 bis 01.11.1953 24 Monate 16 Tage
01.02.1959 bis 05.03.1959 1 Monat 5 Tage
05.12.1977 bis 29.03.1979 15 Monate 24 Tage
22.05.1980 bis 28.05.1982 24 Monate 6 Tage
endgültige Summe 101 Monate 8 Tage.
Weiters ist unstrittig, dass der Kläger von 1967 bis 1972 in Österreich insgesamt 41 Beitragsmonate erworben hat. Strittig sind weitere 48 Monate aus dem Zeitraum von 15. 5. 1943 bis 15. 5. 1945.
Erstmals bestätigte der bosnische Versicherungsträger die Versicherungszeiten des Klägers am 3. 6. 1996 mit dem Formblatt JU/A 15, darunter 48 Versicherungsmonate für den Zeitraum 15. 5. 1943 bis 15. 5. 1945; ein Eintrag in der Rubrik „Art der Versicherungszeiten" fehlt. Aufgrund einer Anfrage der beklagten Pensionsversicherungsanstalt, ob es sich bei den Versicherungszeiten im genannten Zeitraum um Zeiten der Pflichtversicherung oder um Ersatzzeiten handle bzw in welchem Ausmaß diese zu berücksichtigen seien, übermittelte der bosnische Versicherungsträger der beklagten Partei neuerlich ein am 20. 4. 2000 ausgefülltes Formblatt JU/A 15, in dem für den strittigen Zeitraum 48 Versicherungsmonate bestätigt wurden; als Art der Versicherungszeiten wurde „I" (gleichgestellte Zeiten) vermerkt.
Weitere Anfragen an den bosnischen Versicherungsträger betreffend den strittigen Zeitraum führten zur Übermittlung der Formblätter BIH/A 14 vom 19. 5. 2003 und vom 6. 6. 2006, in welchen für den strittigen Zeitraum 48 Monate der Pflichtversicherung bestätigt wurden. In einem Begleitschreiben teilte der bosnische Versicherungsträger der beklagten Partei mit, dass dem Kläger im Zeitraum von 15. 5. 1943 bis 15. 5. 1945 die Sonderzeiten in der doppelten Dauer gewährt und diese zu den erworbenen Versicherungszeiten hinzugezogen worden seien. Mit Bescheid vom 25. November 1996 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom Jänner 1996 auf Zuerkennung der Alterspension mangels Erfüllung der Wartezeit ab.
Der Kläger begehrt die Alterspension ab 1. 2. 1996 im Wesentlichen mit der Begründung, die beklagte Partei habe die von 15. 5. 1943 bis 15. 5. 1945 erworbenen Versicherungszeiten zu Unrecht nicht berücksichtigt. Nach Auskunft des zuständigen bosnischen Versicherungsträgers handle es sich um „gleichgestellte Zeiten", welche dieselbe rechtliche Wirkung wie Zeiten der Pflichtversicherung hätten. Richtigerweise seien diese strittigen Versicherungszeiten als Beitragszeiten zu qualifizieren, was sich auch aus dem Formblatt BIH-A 14 vom 19. 5. 2003 ergebe. An die Auskünfte des bosnischen Pensionsversicherungsträgers seien sowohl der österreichische Pensionsversicherungsträger als auch die Arbeits- und Sozialgerichte gebunden.
Die beklagte Partei wandte ein, dass eine Bindung an die Auskunft des jugoslawischen Pensionsversicherungsträgers nur hinsichtlich der Anzahl der erworbenen Versicherungsmonate bestehe.
Das Erstgericht sprach dem Kläger unter Einbeziehung der im Zeitraum von 15. 5. 1943 bis 15. 5. 1945 erworbenen Versicherungszeiten ab 1. 2. 1996 dem Grunde nach die Alterspension zu und trug der Beklagten eine vorläufige Zahlung auf. In rechtlicher Hinsicht führte es im Wesentlichen aus, dass es an die Auskunft des bosnischen Versicherungsträgers, wonach der Kläger im Zeitraum von 15. Mai 1943 bis 15. Mai 1945 48 Monate der Pflichtversicherung erworben habe, gebunden sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge, hob das erstinstanzliche Urteil auf und verwies die Sozialrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es verneinte eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens infolge der unterbliebenen Einvernahme des Klägers zur Nachentrichtung von Beiträgen, weil dieser in seiner Berufungsbeantwortung zugestanden habe, keine Beiträge nachentrichtet zu haben. Im Übrigen teilte es die Rechtsansicht der beklagten Partei, wonach eine inhaltliche materielle Prüfung der im ehemaligen Jugoslawien erworbenen Versicherungszeiten zu erfolgen habe.
Die vom Kläger nach den Rechtsvorschriften der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien erworbenen Versicherungszeiten seien nach Artikel 18 des - im Hinblick auf den Stichtag 1. 2. 1996 noch anzuwendenden - Abkommens zwischen diesen beiden Staaten über soziale Sicherheit vom 19. November 1965 (BGBl 1966/289 in der Fassung des Zusatzabkommens vom 19. März 1979, BGBl 1980/81, und des zweiten Zusatzabkommens vom 11. Mai 1988, BGBl 1989/269) für den Erwerb eines Leistungsanspruches zusammenzurechnen, soweit sie sich nicht überschneiden. In welchem Ausmaß und in welcher Weise Versicherungszeiten zu berücksichtigen seien, richte sich nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaates, in dessen Versicherung diese Zeiten zurückgelegt worden seien. Für den Kläger komme lediglich die Erfüllung der Wartezeit nach § 236 Abs 4 Z 1a ASVG in Betracht, wonach bis zum Stichtag mindestens 180 Beitragsmonate vorliegen müssten. Ob der Kläger die Wartezeit erfüllt habe oder nicht, hänge ausschließlich davon ab, wie die Versicherungszeiten im Zeitraum von 15. 5. 1943 bis 15. 5. 1945 zu qualifizieren seien. In Artikel 1 Z 9 des anzuwendenden Abkommens bedeute der Ausdruck „Versicherungszeiten" Beitragszeiten und Ersatzzeiten, die nach den Rechtsvorschriften der beiden Vertragsstaaten als solche gelten. Rechtlich bedeutsam sei im vorliegenden Fall in erster Linie, inwieweit eine Bindung der österreichischen Gerichte und Versicherungsträger an bloße Auskünfte fremdstaatlicher Versicherungsträger bestehe. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entfalte eine rechtskräftige Entscheidung über die Anrechnung von Versicherungszeiten im Vertragsstaat jedenfalls dann Bindungswirkung, wenn dem Versicherten im Verfahren Parteistellung eingeräumt worden sei. Liege im Vertragsstaat über diese Frage keine bindende Entscheidung vor, sei die Frage, ob eine in einem Vertragsstaat zurückgelegte Zeit als Versicherungszeit nach dessen Rechtsvorschriften zu berücksichtigen sei, materiell im österreichischen Rechtsbereich zu prüfen.
Im fortgesetzten Verfahren werde daher vorerst zu klären sein, ob ein Bescheid des bosnischen Versicherungsträgers vorliege, mit welchem dem Kläger für den strittigen Zeitraum 48 Monate als Beitragszeit angerechnet worden seien. Sei dies der Fall, seien diese Monate auch im gegenständlichen Verfahren als Beitragszeit zu berücksichtigen; dann habe der Kläger die Wartezeit erfüllt. Andernfalls bestünden im Hinblick auf die unterschiedlichen Auskünfte des bosnischen Versicherungsträgers jedenfalls Bedenken daran, dass es sich bei den strittigen Versicherungszeiten um Beitragszeiten handle. Da das anzuwendende Abkommen diesbezüglich keine Begriffsbestimmung aufweise, werde von einer Beitragszeit nur dann gesprochen werden können, wenn Zeiten in einem auf Beiträgen beruhenden System der sozialen Sicherheit erworben worden seien, das heißt, wenn die Gewährung der Leistungen aus dem System im (ehemaligen) Jugoslawien entweder von einer unmittelbaren finanziellen Beteiligung der geschützten Person oder ihres Arbeitgebers oder von einer Erwerbstätigkeit während einer Wartezeit abhänge (vgl 10 ObS 127/93). Zur verlässlichen Beurteilung, ob es sich bei den im Zeitraum von 15. 5. 1943 bis 15. 5. 1945 erworbenen Versicherungszeiten des Klägers nach dem zum Stichtag anzuwendenden bosnischen Recht um eine im doppelten Ausmaß zu berücksichtigende Beitragszeit handle, würden nähere Feststellungen über die vom Kläger während dieses Zeitraumes ausgeübten Tätigkeiten, die dafür allenfalls geleisteten Beiträge sowie die zum Stichtag in Bosnien-Herzegowina geltende Rechtslage fehlen, weshalb das Ersturteil aufzuheben und die Sozialrechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen sei. Da eine sofortige Entscheidung in der Sache selbst ohne weitere Beweisaufnahmen dann denkbar wäre, wenn man der - vom Berufungsgericht nicht geteilten - Ansicht des Klägers folge, wonach eine Bindungswirkung auch an Auskünfte des bosnischen Versicherungsträgers bestehe bzw daran, dass die bestätigten „gleichgestellten Zeiten" wie Beitragszeiten zu behandeln und daher auch bei der Ermittlung der Wartezeit zu berücksichtigen seien, sei der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der als „Revisionsrekurs" benannte Rekurs des Klägers aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Entscheidung in der Sache im Sinne einer Wiederherstellung des klagsstattgebenden Ersturteils. Die beklagte Partei hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.
1. Da für den Kläger lediglich die Erfüllung der Wartezeit nach § 236
Abs 4 Z 1 a ASVG in Betracht kommt (mindestens 180 Beitragsmonate zum
Stichtag), ist entscheidend, wie und in welchem Ausmaß die
Versicherungszeiten im Zeitraum von 15. 5. 1943 bis 15. 5. 1945 zu
qualifizieren sind. Der Kläger beruft sich diesbezüglich auf bindende
Auskünfte des bosnischen Sozialversicherungsträgers, aus denen er
ableitet, dass die fraglichen Zeiten als Beitragszeiten anzusehen
seien.
2. Angesichts des Stichtags 1. 2. 1996 (RIS-Justiz RS0076166) gehen die Parteien zu Recht von der Anwendung des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über soziale Sicherheit vom 19. November 1965 (BGBl 1966/289) in der Fassung des Zusatzabkommens vom 19. März 1979 (BGBl 1980/81) und des zweiten Zusatzabkommens vom 11. Mai 1988 (BGBl 1989/269) aus.
Art 18 Abs 1 dieses Abkommens (AbkSozSi-Jugoslawien) regelt für den Bereich der Pensionsversicherung die Koordination der vertragsstaatlichen Vorschriften folgendermaßen:
„(1) Galten für einen Versicherten nacheinander oder abwechselnd die Rechtsvorschriften der beiden Vertragsstaaten, so werden für den Erwerb, die Aufrechterhaltung und das Wiederaufleben des Leistungsanspruches die nach den Rechtsvorschriften der beiden Vertragsstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten zusammengerechnet, soweit sie sich nicht überschneiden. In welchem Ausmaß und in welcher Weise Versicherungszeiten zu berücksichtigen sind, richtet sich nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaates, in dessen Versicherung diese Zeiten zurückgelegt worden sind."
Jugoslawische Versicherungszeiten sind demnach vom österreichischen Versicherungsträger in dem Ausmaß und in der Weise zu berücksichtigen, wie sie der bosnische Versicherungsträger zu berücksichtigen hat. Die ursprünglich in Z 9 des Schlussprotokolls zum AbkSozSi-Jugoslawien enthaltene Regelung, wonach für die Erfüllung der allgemeinen Leistungsvoraussetzungen in der österreichischen Pensionsversicherung die nach den jugoslawischen Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungszeiten mit ihrer tatsächlichen Dauer heranzuziehen sind, wurde mit dem Zweiten Zusatzabkommen (BGBl 1989/269) beseitigt.
3. Liegt in Bosnien und Herzegowina bereits eine rechtskräftige Entscheidung über die Anrechnung von Versicherungszeiten vor, so ist jedenfalls dann, wenn der Versicherten an diesem Verfahren beteiligt war und ihm bei der Beurteilung der Frage, welche Versicherungszeiten im Vertragsstaat erworben wurden, Partei- oder Beteiligtenstellung eingeräumt wurde, von einer Bindung an diese Entscheidung auszugehen (RIS-Justiz RS0076056; Rechberger in Rechberger3 § 190 ZPO Rz 5). Liegt im Vertragsstaat keine bindende Entscheidung vor, ist in Österreich materiell (nach dem Recht des Staates, in dem die fraglichen Versicherungszeiten zurückgelegt wurden) zu prüfen, ob und in welcher Form die fraglichen Zeiten als Versicherungszeit zu berücksichtigen sind (10 ObS 99/89 = SZ 62/58 = SSV-NF 3/39 zum AbkSozSi-BRD). Eine bindende Wirkung von Auskünften des Versicherungsträgers eines Vertragsstaates für den anderen Vertragsstaat ist dem Abkommen nicht zu entnehmen.
4. Im Abkommen bedeutet der Ausdruck „Versicherungszeiten" nach Art 1 Abs 1 Z 9 Beitragszeiten und Ersatzzeiten, die nach den Rechtsvorschriften der beiden Vertragsstaaten als solche gelten. Dabei gelten als „Beitragszeiten" Zeiten, für die nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates Beiträge entrichtet sind oder als entrichtet gelten, als „Ersatzzeiten" sonstige als Versicherungszeit geltende Zeiten (vgl Siedl/Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [Lfg 27] Allg Teil [alt] 10 und 87). Soweit ein Abkommen - wie das hier anzuwendende - den Begriff der Beitragszeit nicht selbst definiert, liegt eine Zeit dieser Qualifikation dann vor, wenn Zeiten in einem auf Beiträgen beruhenden System der Sozialen Sicherheit erworben wurden, dh wenn die Gewährung der Leistungen aus dem System im Vertragsstaat entweder von einer unmittelbaren finanziellen Beteiligung der geschützten Person oder ihres Arbeitgebers oder von einer Erwerbstätigkeit während einer Wartezeit abhängt (Siedl/Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [Lfg 27] Allg Teil [alt] 88).
5. Allen diesen Grundsätzen folgt die angefochtene Entscheidung. Wenn das Berufungsgericht auf der Grundlage seiner zutreffenden Rechtsansicht die Aufnahme weiterer Beweise für erforderlich hält, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten.
6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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