OGH 2Ob241/06i

OGH2Ob241/06i12.7.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1100 Wien, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Vesna S*****, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 34.114,58 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 21. Juni 2006, GZ 2 R 9/06t-35, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 7. November 2005, GZ 13 Cg 92/04p-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.440,72 (darin EUR 240,12 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Nach den für das Revisionsverfahren noch maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen war die Beklagte seit 15. 2. 2000 die allein vertretungsbefugte Geschäftsführerin einer GmbH (in der Folge: Gesellschaft). Spätestens am 15. 6. 2000 war die Gesellschaft zahlungsunfähig, was der Beklagten ab diesem Zeitpunkt bekannt sein musste. Zwischen 15. 6. und 1. 12. 2000 waren bei der Gesellschaft insgesamt 16 Dienstnehmer beschäftigt, die bei der klagenden Partei angemeldet waren. In diesem Zeitraum wurden keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlt. Am 14. 3. 2001 wurde aufgrund eines Antrages der klagenden Partei über das Vermögen der Gesellschaft der Konkurs eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt war der Betrieb des Unternehmens bereits eingestellt. Mit Beschluss des Konkursgerichtes vom 20. 9. 2002 wurde der Konkurs mangels kostendeckenden Vermögens aufgehoben (§ 166 KO).

Die klagende Partei begehrte mit der am 16. 7. 2004 beim Erstgericht eingelangten Klage von der Beklagten den Ersatz der ab dem 15. 6. 2000 aufgelaufenen Sozialversicherungsbeiträge, die im Konkurs der Gesellschaft zur Gänze unberichtigt geblieben seien.

Die Beklagte wandte unter anderem die Verjährung des Schadenersatzanspruches ein. Zur Begründung dieser Einrede brachte sie vor, der klagenden Partei habe bereits im Jahr 2000 bekannt sein müssen, dass die Gesellschaft mit der Zahlung der Beitragsschulden im Rückstand sei.

Die Vorinstanzen erachteten den Verjährungseinwand der Beklagten als nicht berechtigt. Das Berufungsgericht führte dazu aus, nach der Entscheidung des verstärkten Senates des Obersten Gerichtshofes vom 19. 12. 1995, 1 Ob 621/95, könne die Verjährungsfrist nicht vor Eintritt des Schadens zu laufen beginnen. Hier sei der Schaden der klagenden Partei nicht vor Abschluss des Konkursverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft festgestanden, weshalb die Klage innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB erhoben worden sei.

Es ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 1 Ob 226/05z von der Entscheidung des verstärkten Senates abgewichen sei und demnach keine einheitliche Rechtsprechung zur Frage des Beginnes der Verjährung nach § 1489 ABGB bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten gegen das zweitinstanzliche Urteil erhobene Revision ist entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig; in dessen Begründung wird keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dargetan.

Die angebliche Judikaturdivergenz liegt nicht vor: Seit der Entscheidung des verstärkten Senates 1 Ob 621/95 = SZ 68/238 vertritt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass die kurze Verjährung von Ersatzansprüchen (§ 1489 Satz 1 ABGB) nicht vor dem tatsächlichen Eintritt des Schadens zu laufen beginnt (RIS-Justiz RS0083144). Die Auffassung, dass jeder Teilschaden mit seinem Entstehen einer eigenen Verjährungsfrist unterliege, wird jedoch weiterhin abgelehnt (3 Ob 139/05w mwN). Ist bereits ein Primärschaden eingetreten, dann muss die Feststellungsklage zur Abwehr der Verjährung vorhersehbarer Folgeschäden innerhalb der für den Primärschaden bestehenden Verjährungsfrist eingebracht werden (2 Ob 6/06f mwN; RIS-Justiz RS0097976; Dehn in KBB² § 1489 Rz 4). Für nicht vorhersehbare schädigende Wirkungen eines Ereignisses beginnt die Verjährungsfrist ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme oder - bei einem Primärschaden - sobald künftige Schäden wahrscheinlich sind, neu zu laufen (2 Ob 6/06f mwN; RIS-Justiz RS0034527; Dehn aaO Rz 4). Maßgeblich ist dabei die objektive Vorhersehbarkeit, während ein subjektiver Irrtum des Geschädigten nicht zu berücksichtigen ist (2 Ob 6/06f mwN).

In der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 1 Ob 226/05z = ÖBA 2006/1355, ging es um den Anspruch der Gläubigerin einer insolventen Bank, die im Wege der Amtshaftung den Ersatz ihres Forderungsausfalles begehrte. Der erste Senat vertrat die Ansicht, dass die Klägerin bereits mit der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Bank einen Primärschaden erlitten habe, weil an die Stelle ihres liquiden Bankguthabens eine Konkursforderung getreten sei. Der Eintritt eines weitergehenden Schadens habe der Klägerin mit Zugang eines Schreibens des Masseverwalters bekannt sein müssen. Mit diesem Schreiben habe sie sämtliche für eine Amtshaftungsklage erforderlichen Kenntnisse vom objektiven Sachverhalt erlangt.

Die Beurteilung des ersten Senates, wonach die dreijährige Verjährungsfrist (dort: des § 6 Abs 1 AHG) mit dem Zugang des besagten Schreibens zu laufen begonnen habe, lässt entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes keine Abweichung von der dargestellten Rechtslage erkennen. Von einer uneinheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage des Beginnes der Verjährung nach § 1489 ABGB kann somit keine Rede sein. Die als erheblich erachtete Rechtsfrage erfüllt schon deshalb nicht die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO. Davon abgesehen kommt, wie noch zu erörtern sein wird, dem Zeitpunkt des Schadenseintrittes hier ohnedies keine streitentscheidende Bedeutung zu.

Aber auch in der Revision der Beklagten wird keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt:

§ 69 Abs 2 und 3 KO verpflichtet unter anderem den Geschäftsführer einer GmbH, bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Konkurseröffnung spätestens binnen 60 Tagen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit die Konkurseröffnung zu beantragen. Bei dieser Bestimmung handelt es sich nach herrschender Auffassung um ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB, das alle Gläubiger vor (weiteren) Schäden durch die nicht rechtzeitige Konkurseröffnung schützen soll (RIS-Justiz RS0027441; Dellinger in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 69 KO Rz 70; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 II/2 § 69 KO Rz 107). Vom Schutzzweck der Norm werden sowohl Altgläubiger, deren Forderungen im Zeitpunkt des Eintrittes der Zahlungsunfähigkeit bereits bestanden und die durch die Eingehung neuer Verbindlichkeiten geschädigt werden, als auch Neugläubiger, die durch die Begründung der Verbindlichkeit im Stadium der Zahlungsunfähigkeit insoweit geschädigt werden, als sie keine Gegenleistung erhalten, erfasst (vgl 8 Ob 4/03a mwN; Dellinger aaO Rz 73; Schumacher aaO Rz 107). Wie der Oberste Gerichtshof unter Ablehnung gegenteiliger Rechtsprechung und Lehrmeinungen jüngst ausgesprochen hat, verfolgt § 69 Abs 2 KO überdies nicht nur den Schutz der Alt- und Neugläubiger vor Quotenschäden (Differenz zwischen tatsächlicher und hypothetischer, bei rechtzeitiger Antragstellung erzielbarer Konkursquote), sondern es hat diese Bestimmung auch den Schutz der Neugläubiger vor (weitergehenden) Vertrauensschäden zum Ziel (4 Ob 31/07y; vgl auch schon 7 Ob 2339/96p = SZ 70/215; Schumacher aaO Rz 109 ff, insb Rz 117; aA Dellinger aaO Rz 83 ff, insb Rz 100). Neugläubiger sind dabei so zu stellen, als hätten sie mit der Gesellschaft nicht mehr kontrahiert (7 Ob 2339/96p; 1 Ob 50/99f = SZ 72/76).

In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes wurde im Zusammenhang mit der zivilrechtlichen Haftung von Organen einer Kapitalgesellschaft für Sozialversicherungsbeiträge der Dienstnehmer der Gesellschaft wiederholt die Ansicht vertreten, dass das Entstehen weiterer Beitragsschulden infolge Weiterbeschäftigung von Dienstnehmern nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners als Eingehung weiterer Schulden zu beurteilen sei, sodass dem Sozialversicherungsträger insofern die Stellung eines Neugläubigers zukomme. Er sei dann so zu stellen, als hätte er die im Gesetz für die Gewährung des Versicherungsschutzes vorgesehenen Beiträge zur Gänze erhalten, sodass von dieser gesetzlichen Beitragsschuld nur die tatsächlich erlangte Konkursquote abzuziehen sei (7 Ob 726/88; 10 Ob 2009/96f; 1 Ob 50/99f; 6 Ob 190/04s; Dellinger aaO Rz 71; Schumacher aaO Rz 141).

Das Erstgericht hat der klagenden Partei vor dem Hintergrund dieser Rechtsgrundsätze den Ersatz ihres Vertrauensschadens zuerkannt, der von der Beklagten im Verfahren dritter Instanz weder dem Grunde noch der Höhe nach noch in Zweifel gezogen wird. Es bedarf auch keines näheren Eingehens auf die Frage, ob der Vertrauensschaden der klagenden Partei erst - wie das Berufungsgericht offensichtlich meint - mit der Aufhebung des Konkurses oder - dem Rechtsstandpunkt der Beklagten gemäß - bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt eingetreten ist. Denn selbst wenn Letzteres zutreffen sollte, könnte dem Verjährungseinwand der Beklagten aus den folgenden Gründen kein Erfolg beschieden sein:

Die Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginnt erst zu laufen, wenn dem Geschädigten der Sachverhalt soweit bekannt ist, dass die Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (RIS-Justiz RS0034524). Setzt der Ersatzanspruch des Geschädigten - wie hier - ein Verschulden des Schädigers voraus, bedarf es auch der Kenntnis jener Umstände, die im Einzelfall ein derartiges Verschulden begründen (RIS-Justiz RS0034322, RS0034524 [T14 und 29], RS0034603; Dehn aaO Rz 5). Wenn der Geschädigte die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erfolgt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (RIS-Justiz RS0034327). Wann nach diesen Kriterien eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann, richtet sich dabei jeweils nach den Umständen des Einzelfalles (RIS-Justiz RS0034524 [T23]).

Alle diese Grundsätze werden regelmäßig auch in Fällen schuldhafter Konkursverschleppung angewandt (vgl 2 Ob 566/88; 2 Ob 597/93; 5 Ob 524/93; 7 Ob 602/94; 5 Ob 2339/96y = SZ 69/251).

Die Behauptungs- und Beweislast für die die Verjährung begründenden Umstände trifft denjenigen, der die Verjährungseinrede erhebt (8 Ob 244/98k = SZ 71/201; 2 Ob 242/99y; RIS-Justiz RS0034198 [T1], RS0034326, RS0034456). Im vorliegenden Fall oblag der Beklagten demnach auch der Beweis, wann jene natürlichen Personen, deren Wissen der klagenden Partei zuzurechnen ist, vom Zeitpunkt des Eintrittes der Zahlungsunfähigkeit der GmbH und deren Erkennbarkeit für die Beklagte Kenntnis erlangten (vgl 5 Ob 524/93 = ecolex 1995, 257). Eine entsprechende Feststellung liegt nicht vor. Dies begründet aber keinen sekundären Verfahrensmangel, weil die Beklagte zur Kenntnis dieser Umstände durch die klagende Partei auch kein Tatsachenvorbringen erstattet hat. Sie hat ihren Verjährungseinwand vielmehr nur auf die (einzige) Behauptung gestützt, der klagenden Partei habe bereits im Jahr 2000 bekannt sein müssen, dass die Gesellschaft mit der Zahlung der Beitragsschulden im Rückstand sei. Nach der Rechtsprechung lässt aber selbst die (bloße) Tatsache der Konkurseröffnung noch keinen sicheren Schluss auf ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten zu (vgl 2 Ob 597/93 mwN).

Mit ihrer von der Tatsachengrundlage abweichenden Revisionsbehauptung, der klagenden Partei seien im Jahr 2000/2001 sämtliche zur Erhebung einer Schadenersatzklage notwendigen Umstände bekannt gewesen, zeigt die Beklagte somit keine Fehlbeurteilung ihres Verjährungseinwandes durch das Berufungsgericht auf, die der Oberste Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit wahrnehmen müsste. Soweit sich die Beklagte auf der Konkurseröffnung nachfolgende Informationserteilungen an den Masseverwalter stützt, liegt eine unzulässige und daher unbeachtliche Neuerung vor (§ 504 Abs 2 ZPO).

Da es der Lösung von Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die klagende Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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