OGH 2Ob6/06f

OGH2Ob6/06f2.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Beate B*****, vertreten durch MMag. Dr. Herbert Greiml, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1.) Mathilde S*****, 2.) Heidemarie S*****, 3.) H***** Versicherung AG (vorher: H*****versicherungen), *****, vertreten durch Dr. Hans Georg Mayer, Mag. Dr. Hans Herwig Toriser, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 10. November 2005, GZ 2 R 394/05a-30, mit dem infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Völkermarkt vom 20. Juli 2005, GZ 2 C 74/04t-25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I.): Die Bezeichnung der drittbeklagten Partei wird auf H***** Versicherung Aktiengesellschaft berichtigt.

II.): Der Revision wird Folge gegeben.

Das Ersturteil wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass es

lautet:

„Es wird gegenüber den beklagten Parteien festgestellt, dass diese der klagenden Partei im Ausmaß von 50 % für sämtliche zukünftige Schäden haften und diese zu ersetzen haben, welche die klagende Partei aus dem Verkehrsunfall vom 14. 8. 2000 erleidet, wobei gegenüber der drittbeklagten Partei die Haftung bis zur Höhe der Versicherungssumme laut dem mit der zweitbeklagten Partei abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrag für den PKW Renault F 40, Kennzeichen ***** begrenzt ist.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.077,49 (darin enthalten EUR 117,19 USt und EUR 374,31 Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten zu ersetzen."

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.246,57 (darin enthalten EUR 156,97 USt und EUR 304,75 Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

I.): Die drittbeklagte Partei ist nunmehr zu FN 91142h des Handelsgerichtes Wien unter der Firma H***** Versicherung Aktiengesellschaft eingetragen; ihre Bezeichnung war daher nach § 235 Abs 5 ZPO zu berichtigen.

II.): Die Klägerin erlitt am 14. 8. 2000 bei einem Verkehrsunfall, den beide Unfallsbeteiligte zu je 50 % verschuldeten, einen Bruch der linken Speiche mit Verrenkung im körperfernen Ellenspeichengelenk mit knöchernem Abriss des Griffelfortsatzes der Elle. Bei der Operation vom 14. 8. 2000 wurden die Speiche mit einer 6-Loch-Titanplatte und der Ellengriffel mit einer Kleinfragmentschraube versorgt. Der Heilungsverlauf war während des stationären Aufenthaltes bis 16. 8. 2000 komplikationslos. Der Klägerin wurde für insgesamt 6 Wochen eine Kunststoffschiene angelegt. Ab 7. 9. 2000 erfolgten 18 physiotherapeutische Nachbehandlungen (Heilgymnastik) im Abstand von zwei bis drei Tagen. Anfang September 2001 wurde die Titanplatte operativ entfernt. Der Heilungsverlauf war komplikationslos, danach gab es keine weiteren ärztlichen Behandlungen. Als unfallskausale Dauerfolge besteht eine geringfügige, endlagige Bewegungseinschränkung im linken Handgelenk zur Streckseite und bei der Bewegung ellenwärts. Das körperferne Ellen-Speichengelenk ist fixiert, es besteht nach wie vor eine leichte Teilverrenkungstendenz. Der Ellengriffel ist deformiert. Spätfolgen durch die verbliebene Kleinfragmentschraube oder eine mögliche posttraumatische Arthrose im Ellen-Speichengelenk links sind nicht mit Sicherheit auszuschließen. Dauerfolgen waren für die Klägerin frühestens nach Entfernung des metallischen Implantates im September 2001 erkennbar. Strittig ist ausschließlich die Verjährung; die Feststellungsklage wurde am 16. 1. 2004 eingebracht.

Das Erstgericht gab dem eingeschränkten Feststellungsbegehren statt. Das von den Beklagten angerufene Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Klagsabweisung ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es bezog die strittige Feststellung zur Erkennbarkeit von Dauerschäden ausschließlich auf die subjektive, daher nicht relevante Kenntnis der Klägerin und ging davon aus, dass Dauerfolgen schon auf Grund der Schwere der Verletzung in Verbindung mit der notwendigen Versorgung durch Metallimplantate vorhersehbar gewesen seien.

Die Klägerin bekämpft dieses Urteil in ihrer außerordentlichen Revision mit dem Abänderungsantrag, ihrem Feststellungsbegehren stattzugeben, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagten beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Die Vorhersehbarkeit künftiger Schäden ist zwar nach den Gegebenheiten des Einzelfalles zu beurteilen und stellt im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage dar (RIS-Justiz RS0111272; vgl RS0113916); hier ist aber von einer aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit wahrzunehmenden Fehlbeurteilung auszugehen. Ist bereits ein Primärschaden eingetreten, dann muss die Feststellungsklage zur Abwehr der Verjährung vorhersehbarer Folgeschäden innerhalb der für den Primärschaden bestehenden Verjährungsfrist (hier nach § 1489 Satz 1 ABGB drei Jahre) eingebracht werden (SZ 69/55; RIS-Justiz RS0097976; RS0083144 [T2, 8]; RS0087613; RS0034618 [T3]; M. Bydlinski in Rummel ABGB3 § 1489 Rz 3; Fasching in Fasching Komm2 § 228 ZPO Rz 150). Für nicht vorhersehbare schädigende Wirkungen eines Ereignisses beginnt die Verjährungsfrist ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme oder - bei einem „Primärschaden" - sobald künftige Schäden wahrscheinlich sind, neu zu laufen (RIS-Justiz RS0034527; RS0083144 [T 20]; Mader in Schwimann ABGB2 § 1489 Rz 13). Maßgeblich ist dabei die objektive Vorhersehbarkeit (RIS-Justiz RS0111272 [T1]), während ein subjektiver Irrtum des Geschädigten nicht zu berücksichtigen ist (RIS-Justiz RS 0034547).

Die strittige Feststellung zur Vorhersehbarkeit der Dauerfolgen lässt sich nicht auf eine subjektive Kenntnis der Klägerin reduzieren; sie gibt vielmehr den objektiven Wissensstand um die Wahrscheinlichkeit von Spätfolgen aus der Sicht der Klägerin als medizinischer Laiein wieder. Bei Beurteilung der Erkennbarkeit von Dauerfolgen dürfen an den medizinischen Sachverstand eines Laien jedenfalls keine besonderen Anforderungen gestellt werden (M. Bydlinski aaO). Ohne fundiertes Fachwissen kann ein Unfallopfer nicht jedenfalls schon auf Grund einer operativen Versorgung einer Fraktur mit Metallimplantaten erkennen, dass auf Grund der Komplexität einer derartigen Verletzung im späteren Verlauf Probleme auftreten können. Im vorliegenden Fall waren immerhin die Operation und die anschließende Heilung komplikationslos verlaufen, was gegen die Vorhersehbarkeit von Dauerfolgen ab dem Zeitpunkt der ersten Operation spricht. Von einem Verletzten eine auf den Eintritt von Dauerschäden bezogene negative Erwartungshaltung zu verlangen, ist nicht gerechtfertigt, weil eine solche unter Umständen einen komplikationslosen Heilungsprozess nicht fördert. Auch aus diesen Erwägungen ist es nicht sinnvoll, der Geschädigten die Einbringung einer Feststellungsklage aufzudrängen, wenn sie zunächst zu Recht der Überzeugung sein konnte, dass keine weiteren Schäden eintreten und daher nicht geltend zu machen sind (RIS-Justiz RS0034527 [T 6]). Somit ist der Verjährungseinwand nicht berechtigt. Es war allerdings die Haftung auf zukünftige Schäden zu begrenzen, weil ein rechtliches Interesse nur an der Feststellung jener Schadenersatzansprüche besteht, die im Zeitpunkt der Einbringung der Feststellungsklage noch nicht fällig waren (RIS-Justiz RS0037422 [T6] ; RS 0038817 [T2]). Das erstgerichtliche Urteil war daher mit dieser klarstellenden Maßgabe wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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