OGH 6Ob106/07t

OGH6Ob106/07t21.6.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Susanne P*****, vertreten durch Dr. Wilhelm Frysak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W*****S***** Betriebs- und Veranstaltungs GmbH, ***** vertreten durch die Rechtsanwaltspartnerschaft Dr. Waneck Dr. Kunze in Wien, wegen 5.106 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 10. Jänner 2007, GZ 35 R 341/06s-21, womit das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 14. Juli 2006, GZ 33 C 1051/05i-13, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage ab; der Rekurs der beklagten Partei gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts ist unzulässig:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach ständiger Rechtsprechung trifft jeden, der eine seiner Verfügung unterliegende Anlage dem Zutritt eines Personenkreises eröffnet oder auf seinem Grund einen Verkehr für Menschen unterhält (ZVR 1987/104; 7 Ob 51/00a) eine Verkehrssicherungspflicht (Reischauer in Rummel, ABGB² § 1294 Rz 5). Er muss die Anlage für die befugten Benützer in einem verkehrssicheren und gefahrlosen Zustand erhalten (JBl 1991, 586) und vor erkennbaren Gefahren schützen (SZ 60/256; 7 Ob 51/00a). Nach herrschender Meinung ergeben sich die Pflichten schon bei der Duldung des Verkehrs (ZVR 1978/111; 7 Ob 51/00a) und nicht erst aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit dem (später) Geschädigten. Der für eine Anlage Verantwortliche haftet im Fall der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten deliktisch. Besteht zwischen dem Betreiber der Anlage und dem später Verletzten ein Vertragsverhältnis, so hat der Betreiber für die Verletzung seiner vertraglichen Schutz- und Nebenpflichten nach Vertragsgrundsätzen einzustehen.

Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht, ihr Umfang und ihre Intensität hängen immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend ist, welche Maßnahmen zur Vermeidung einer Gefahr möglich und zumutbar sind (stRsp RIS-Justiz RS0110202; RS0023355 [T10]; RS0098750).

Öffentlich-rechtliche Vorschriften oder die Richtlinien der betreffenden Sportverbände stecken im Einzelfall lediglich die Mindestanforderungen an die vom Verantwortlichen zu treffenden Sicherheitsvorkehrungen ab (2 Ob 94/95 = RIS-Justiz RS0023511 T7), sie bedeuten aber nicht, dass der Verkehrssicherungspflichtige keine weiteren Vorkehrungen zur Vermeidung oder Verringerung von Gefahren zu treffen hätte (5 Ob 273/03p = RIS-Justiz RS0023511 T8). Er muss zumutbare schadensverhindernde Maßnahmen unabhängig vom Vorhandensein einer behördlichen Bewilligung setzen (RIS-Justiz RS0023419).

Die Verkehrssicherungspflichten treffen denjenigen, der die entsprechenden Vorkehrungen treffen kann. Entscheidend ist das Kriterium der Gefahrenbeherrschung (Harrer in Schwimann, ABGB³ § 1295 Rz 48). Es muss im Einzelfall geprüft werden, wer die Gefahr hätte abwenden können (Z 64/76).

2. Die Beklagte wurde auf der Zuschauertribüne anlässlich eines Eishockeymatches der V***** in der von der Beklagten betriebenen Eishalle durch einen Puck getroffen und verletzt. Sie nimmt die Betriebsgesellschaft der Eishalle für Schadenersatz und Feststellung der Haftung für künftige unfallskausale Folgen ihrer Verletzung in Anspruch.

Das Berufungsgericht legte der beklagten Betriebsgesellschaft zur Last, ihre Pflicht zur Erhaltung und Überwachung des Sicherheitsstandards der Eishalle vernachlässigt und eine Anpassung der Schutzvorrichtungen (des Plexiglasschutzes) an die Erfordernisse neuer Spieltechniken unterlassen zu haben. Es ging davon aus, dass die beklagte Betriebsgesellschaft zwar nicht Veranstalterin des betreffenden Eishockeymatches war (und deshalb für eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten nicht vertraglich zu haften hat). Das Berufungsgericht beurteilte die Beklagte jedoch erkennbar als diejenige Betreibergesellschaft, die die Gefahr beherrschen und entsprechende Vorkehrungen zur Vermeidung des dann auch eingetretenen Schadens (Verletzung durch einen über die zu niedrige Bande fliegenden Puck) treffen konnte.

3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Voraussetzungen der Haftung aus der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Eine auffallende Fehlbeurteilung ist nicht zu erkennen, zumal die Beklagte mit der Führung des Betriebs der Eishalle beauftragt war und als Betriebsgesellschaft besser als die Eigentümerin selbst in der Lage ist, entsprechende Vorkehrungen an Ort und Stelle zu treffen, um die beim Betrieb der Eishalle (nämlich bei Durchführung von Wettspielen und des Trainings) auftretenden Gefahren hintanzuhalten. Ob neben der Beklagten auch der Verein als Veranstalter des Spieles und/oder die Eigentümerin der Eishalle selbst wegen einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten in Anspruch genommen werden könnten, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

4. Das Berufungsgericht hat nach den Umständen des hier zu beurteilenden Einzelfalls die im Bereich des Sitzplatzes der Klägerin vorhandene Absicherung als zu gering beurteilt. Die Höhe dieser Absicherung bestehend aus Bande und einem Plexiglasschutz betrug insgesamt 2,22 m, gemessen vom Niveau der Eisfläche. Die Auffassung des Berufungsgerichts hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Schon in seiner Entscheidung 5 Ob 533/84 (= SZ 57/57) hat der Oberste Gerichtshof für die Längswände des für ein Eishockeymatch verwendeten Stadiums eine Gesamthöhe der Absicherung von 2,6 m als unzureichend beurteilt, obgleich diese Höhe den Regeln des internationalen Eishockeyverbands entsprochen hätte. Dass die Einhaltung von Richtlinien der Sportverbände unter Umständen nicht ausreicht, um im Einzelfall eine vorhersehbare und zumutbarerweise vermeidbare Gefahr hintanzuhalten, hat der Oberste Gerichtshof schon ausgesprochen (SZ 57/57; 1 Ob 520/93 = RIS-Justiz RS0023511 [T7]).

Von einer Verkennung der Rechtslage, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden müsste, kann im vorliegenden Fall keine Rede sein, zumal sich die Spieltechnik bei Eishockeyspielen seit der Entscheidung SZ 57/57 sicherlich noch weiterentwickelt hat und die Gefahr eines in den Zuschauerraum fliegenden Pucks seit damals keineswegs geringer geworden ist.

5. Auf die Frage, ob der Veranstalterbegriff des § 3 Abs 1 Wiener Veranstaltungsgesetz eine zivilrechtliche Haftung des Betreibers einer Sporthalle zu begründen vermag, kommt es angesichts der ohnehin in Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bejahten (deliktischen) Haftung der Beklagten wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten nicht mehr an.

Mangels erheblicher Rechtsfragen war der gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts gerichtete Rekurs der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die klagende Partei hat in ihrer Rekursbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen, sodass ihre Rechtsmittelbeantwortung der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht dienlich war.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte