OGH 2Ob52/07x

OGH2Ob52/07x12.4.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marianne S*****, vertreten durch Dr. Franz Hufnagl, Rechtsanwalt in Gmunden, gegen die beklagte Partei Dominik G*****, vertreten durch Dr. Johannes Buchmayr, Rechtsanwalt in Linz, wegen EUR 8.940 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 17. Oktober 2006, GZ 21 R 228/06p-20, mit dem das Zwischenurteil des Bezirksgerichtes Gmunden vom 29. März 2006, GZ 2 C 1727/04f-8, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das Zwischenurteil des Erstgerichtes wird wiederhergestellt. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 31. 7. 2004 ereignete sich gegen 15.10 Uhr im Gemeindegebiet von Scharnstein auf der Grubbachstraße auf Höhe des Hauses Nr. 34 ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin und der Beklagte als Radfahrer beteiligt waren.

Die Klägerin begehrt in der am 18. 11. 2004 beim Erstgericht eingebrachten Klage einen Schadenersatzbetrag von EUR 8.940 sA. Der Beklagte sei plötzlich von dem geschotterten Platz vor einer Wehranlage von links in die Grubbachstraße eingefahren, um sie zu queren bzw sich zur Weiterfahrt in Richtung Scharnstein einzuordnen. Dabei habe er offensichtlich die in diese Fahrtrichtung fahrende Klägerin übersehen, die durch die Kollision zu Sturz gekommen und nach rechts in Richtung der Gartenmauer des Hauses Nr. 34 zu Boden gestürzt sei.

Der Beklagte bestreitet sein Verschulden. Die Klägerin sei zum Zeitpunkt des Einbiegens in die Grubbachstraße noch soweit entfernt gewesen, dass das Einfahrmanöver sie nicht behindert hätte. Der Beklagte sei im Schritttempo entlang der rechts der Grubbachstraße befindlichen Gartenmauer in Richtung Scharnstein gefahren, als die Klägerin aus Unachtsamkeit ohne jegliche Reaktion aufgefahren sei. Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil die Haftung des Beklagten zu 50 % aus und wies das Mehrbegehren hinsichtlich weiterer 50 % des Klagebegehrens ab.

Zusätzlich zu den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Unfalldaten stellte es folgenden - zusammengefasst wiedergegebenen - Sachverhalt fest:

Die Grubbachstraße führt - in Fahrtrichtung der Streitteile gesehen - von Grünau kommend Richtung Scharnstein. Sie beschreibt im Unfallbereich eine leichte langgezogene Rechtskurve. Unmittelbar an den rechten Fahrbahnrand grenzen im Unfallbereich Zäune an. Links befindet sich eine Wehranlage, die eine beschotterte Zugangsfläche hat. Am Beginn dieser Zugangsfläche befindet sich links der Wehranlage ein Holzgerüst. Der Zugang bzw die Zufahrt zur Wehranlage endet 5 m später. 23 m vom Ende dieser Wehrzufahrt entfernt steht bei der Liegenschaft Grubbachstraße Nr. 34 ein Zaunpfeiler (der auf dem Lichtbild 3 im Strafakt abgebildet ist und vor dem ein Blutfleck zu sehen ist). Die Grubbachstraße ist im Bereich der Unfallstelle 4 m breit. Es gilt eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h. Aus Fahrtrichtung der Klägerin beträgt die Sicht jedenfalls 100 m. Der Beklagte war mit einem Freund auf Höhe der Wehranlage in der Alm baden. Sie hatten ihre Fahrräder an dem Holzgerüst auf der Zugangsfläche zur Wehranlage angelehnt. Der Beklagte stieg auf sein Fahrrad, fuhr in annähernd rechtem Winkel auf die Asphaltfläche der Grubbachstraße ein, schwenkte jedoch dann nach links und fuhr in einer Geschwindigkeit von 7 bis 8 km/h auf der linken Fahrbahnhälfte der Grubbachstraße weiter in Richtung Scharnstein. Er wollte auf seinen Freund warten, der sich noch auf der Zugangsfläche zum Wehr befand.

Die Klägerin befuhr die Grubbachstraße in Fahrtrichtung Scharnstein mit zunächst 25 km/h und einem Seitenabstand von rund 1,50 m zu den rechtsseitigen Gartenmauern/-Zäunen.

Als der Beklagte in die Grubbachstraße einfuhr, befand sich die Klägerin jedenfalls mehr als 70 m von der späteren Unfallstelle entfernt. Der Beklagte legte vom Überfahren des Fahrbahnrandes der Grubbachstraße bis zur Kollision etwa 25 m in 10 bis 15 Sekunden zurück. Als sein Freund ihm etwas nachrief, drehte sich der Beklagte nach rechts (richtig wohl: links) zum Standort seines Freundes um. Dadurch geriet sein Fahrrad in eine Schwenkbewegung nach rechts, wodurch der Beklagte über die gedachte Fahrbahnmitte der Grubbachstraße auf die rechte Fahrbahnhälfte gelangte. Zum Zeitpunkt des Umdrehens befand sich die Klägerin, die ihre Geschwindigkeit schon auf etwa 10 km/h verringern hatte, bereits unmittelbar hinter dem Fahrrad des Beklagten.

Auf Höhe des erwähnten Zaunpfeilers kam es zu einer leichten Streifberührung zwischen dem Vorderrad des im Wesentlichen fahrbahnparallel ausgerichteten Fahrrades der Klägerin und dem rechten Pedal des Fahrrades des Beklagten, welches sich im Kollisionszeitpunkt in einer Schrägstellung von 20 bis 30 Grad nach rechts befand. Die Kollision ereignete sich auf der rechten Fahrbahnhälfte der Grubbachstraße zumindest 1,50 m vom rechten Fahrbahnrand entfernt. Das Fahrrad der Klägerin kippte durch die Kollision nach rechts, wodurch die Klägerin zu Sturz kam. Dabei erlitt sie einen Nasenbeinbruch, eine Gehirnerschütterung mit kurzzeitiger Bewusstlosigkeit sowie mehrere Rissquetschwunden. Beschädigt wurden die Radfahrkleidung der Klägerin und ihr Fahrrad. Ausgehend von diesen Feststellungen hielt das Erstgericht eine Verschuldensteilung von 1 : 1 für sachgerecht. Es lastete dem Beklagten wegen des Rechtsschwenkens einen Verstoß gegen § 11 Abs 1 und 2 StVO an und berücksichtigte auf Seiten der Klägerin ein Mitverschulden infolge eines unzulässigen Rechtsüberholmanövers (§ 15 Abs 2 lit a StVO) bei einer unklaren Verkehrssituation. Das von beiden Streitteilen angerufene Berufungsgericht änderte das erstinstanzliche Zwischenurteil dahin ab, dass es die Haftung des Beklagten dem Grunde nach für sämtliche Schäden aussprach. Dabei traf es zum Unfallhergang nach einer Beweiswiederholung folgende Feststellungen:

„Wie sich der Unfall genau ereignet hat, kann nicht festgestellt werden. Weder steht die genaue Fahrlinie des Beklagten fest, noch kann geklärt werden, wo sich die Klägerin befand, als der Beklagte in die Grubbachstraße eingefahren ist."

Anschließend folgen als Sachverhaltsfeststellungen mögliche Unfallvarianten, insbesondere

1. ein Rechtskommen des Beklagten in Verbindung mit einem Linksschwenk der Klägerin

  1. 2. ein leichter Seitenversatz durch beide Fahrzeuglenker
  2. 3. das Auffahren der Klägerin an das sich fahrbahnparallel bewegende gegnerische Rad als Folge ihrer Unaufmerksamkeit

    4. ein Rechtslenken des Beklagten aus einer Fahrlinie vom linken Fahrbahnrand.

    Das Berufungsgericht gelangte demnach zur Schlussfolgerung, dass weder ein Fahrfehler der Klägerin noch ein solcher des Beklagten auszuschließen, aber auch nicht nachzuweisen seien. Sicher sei nur, dass die Geschwindigkeitsdifferenz zum Kollisionszeitpunkt nicht größer als 2 bis 3 km/h gewesen sei.

    In der rechtlichen Beurteilung ging das Berufungsgericht von einer Vorrangsituation iSd § 19 Abs 6 StVO zu Lasten des Beklagten aus. Für eine Schutzgesetzverletzung reiche der Nachweis, dass die Schutznorm objektiv übertreten worden sei. Im Fall einer Vorrangsituation nach § 19 Abs 6 StVO habe der Geschädigte nur das Vorrangverhältnis zu beweisen. Dazu gehöre die Klärung, welcher Unfallbeteiligte aus welcher Straße gekommen sei, in welchem Verhältnis die betreffenden Verkehrsflächen zueinander stehen und dass kein Verzicht auf den Vorrang erfolgt sei. Voraussetzung für die abstrakte Übertretung des Schutzgesetzes sei das konkrete Bestehen des Vorrangverhältnisses. Dann sei es Sache des Benachrangten, den Nachweis zu führen, dass ihm dennoch keine „konkrete" Vorrangverletzung als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten sei. Die Klägerin sei im konkreten Fall gegenüber Fahrzeugen, die vom Bereich des Zugangs zum Wehr bzw vom links neben der Fahrbahn befindlichen Schotterstreifen in die Grubbachstraße eingefahren seien, bevorrangt gewesen, weshalb grundsätzlich von einer Vorrangsituation auszugehen sei. Ein Vorrangfall sei so lange anzunehmen, als sich für den Vorrangberechtigten die Notwendigkeit eines unvermittelten Bremsens oder eines Auslenkens unmittelbar aus dem Einbiegen des Wartepflichtigen ergebe. Für die Frage, ob bei einem Einbiegen des Wartepflichtigen schon ein Vorrangfall vorliege, komme es einerseits auf die Entfernung des Punktes an, an dem einander die Fahrzeuge des Vorrangberechtigten und des Wartepflichtigen gefährlich näher kommen würden, und andererseits auf die Geschwindigkeit der Beteiligten. Der Beklagte hätte daher im konkreten Fall nachweisen müssen, dass sein Einfahrmanöver aufgrund der weiten Entfernung zu der Vorrangberechtigten diese weder zu einem unvermittelten Bremsen noch zu einem Ablenken ihres Fahrzeuges iSd § 19 Abs 7 StVO genötigt hätte. Die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes in diesem Punkt gehe zu Lasten des Beklagten.

    Den Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht mit Zweifeln, ob die bisherige Judikatur (insbesondere die Entscheidung 2 Ob 181/97z) zur Beweislast bei einer Vorrangsituation auch für einen derartigen Fall gelte, zumal ein unvermitteltes Bremsen oder Auslenken des bevorrangten Fahrzeuges als Reaktion auf ein Einbiegemanöver (§ 19 Abs 7 StVO) Teil des objektiven Tatbestandes des zitierten Schutzgesetzes sei. Der Beklagte beantragt in seiner wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision die Abänderung der Entscheidung der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

    Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, das gegnerische Rechtsmittel zurückzuweisen, hilfsweise diesem nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch teilweise berechtigt, weil das Berufungsgericht im konkreten Fall die Regeln über die Beweislast nicht richtig angewendet hat.

1. Die geltend gemachte Nichtigkeit liegt nicht vor. Das Berufungsgericht hat weder gegen das Verschlechterungsverbot verstoßen noch ein nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO unüberprüfbares Urteil gefällt.

Eine reformatio in peius sieht der Revisionswerber darin, dass das Berufungsgericht zum Nachteil des Beklagten den erstinstanzlichen Sachverhalt geändert hat, obwohl nur der Beklagte eine Beweisrüge erhoben hatte. Es begründet aber keinen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot, wenn - wie hier - bei Anfechtung durch beide Parteien nur einer Berufung Folge gegeben wird (Fasching in Fasching/Konecny² IV Einleitung Rz 135).

Der Tatbestand des in § 477 Abs 1 Z 9 ZPO normierten Nichtigkeitsgrundes betrifft nur das Urteil selbst und umfasst drei Fälle: a) die Fassung des Urteils ist so mangelhaft, dass dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann; b) das Urteil steht sich mit selbst in Widerspruch (was nur den Spruch selbst betrifft; ein Widerspruch in den Gründen ist nicht ausreichend); c) für die Entscheidung sind keine Gründe angegeben (Kodek in Rechberger, ZPO³ § 477 Rz 12).

Die in der Revision aufgezeigten Widersprüche beziehen sich ausschließlich auf den festgestellten Sachverhalt, nicht auf den Spruch, und können daher keine Nichtigkeit begründen. Ob die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, bereits das festgestellte Verhältnis der Verkehrsflächen zueinander begründe bei dem ansonsten ungeklärt gebliebenen Unfallhergang zu Lasten des Beklagten ein Vorrangverhältnis und damit sein Verschulden an der Kollision mit der Vorrangberechtigten, einer Überprüfung standhält, ist bei Erledigung der Rechtsrüge zu beurteilen. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes mag vom Revisionswerber nicht geteilt werden, überprüfbar ist das zweitinstanzliche Urteil aufgrund der eindeutigen Ausführungen zur Beweislast jedenfalls.

2. Die unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens erstatteten Ausführungen stellen einen im Revisionsverfahren unzulässigen Versuch dar, die Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes zu bekämpfen (RIS-Justiz RS0043371).

Genauso muss auch der Versuch der Klägerin scheitern, in der Revisionsbeantwortung die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zu bekämpfen.

Soweit die Revision in der Mängelrüge den Vorwurf von Feststellungen zum Nachteil des Beklagten wiederholt, ist sie auf Punkt 1 zu verweisen.

3. Die Ausführungen zum Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit befassen sich grundsätzlich ebenfalls mit der Aussagekraft einzelner Beweisergebnisse, was in das Gebiet der Beweiswürdigung fällt und keine Aktenwidrigkeit begründen kann (RIS-Justiz RS0043347). Es mag sein, dass die Aussagen des Beklagten und seines Freundes bei der Beweiswiederholung durch das Berufungsgericht in gewissen Punkten übereinstimmten; aber insbesondere die - die Grubbachstraße querende - Fahrlinie des Beklagten konnten beide nicht exakt beschreiben. Wertet das Berufungsgericht die Beobachtung der vernommenen Personen als nicht ausreichend für detaillierte Feststellungen zum Unfallhergang, so ist dies ein durch den Obersten Gerichtshof nicht überprüfbarer Akt der Beweiswürdigung.

4. Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB sind abstrakte Gefährdungsverbote, die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen (RIS-Justiz RS0027710; vgl Karner in KBB § 1311 Rz 3). Die Normen der StVO sind grundsätzlich derartige Schutznormen (ZVR 1991/130 mwN; Harrer in Schwimann, ABGB³ VI § 1311 Rz 18).

Nach der Vorrangregel des § 19 Abs 6 StVO haben Fahrzeuge im fließenden Verkehr den Vorrang gegenüber Fahrzeugen, die aus Nebenfahrbahnen, von Parkplätzen, von Haus- oder Grundstückseinfahrten, von Feldwegen, von Tankstellen oder dergleichen kommen. Nach der für sämtliche Vorrangsituationen geltenden Regelung des Abs 7 leg cit darf der Wartepflichtige die Vorrangberechtigten durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen. Lehre und ständige Rechtsprechung stimmen grundsätzlich darin überein, dass der Geschädigte, der seinen Schadenersatzanspruch auf die Verletzung eines Schutzgesetzes stützt, neben dem Schadenseintritt die objektive Übertretung der Schutznorm nachweisen muss (2 Ob 181/97z = ZVR 1999/99 mwN; RIS-Justiz RS0112234; weitere Nachweise bei Koziol, Haftpflichtrecht I³ Rz 16/36 FN 149; Karollus, Praktische Probleme der Schutzgesetzhaftung, insbesondere im Verkehrshaftpflichtrecht, ZVR 1994, 129 f). Den Nachweis, dass die objektive Übertretung des Schutzgesetzes nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist, hat der Schädiger zu erbringen (RIS-Justiz RS0112234 [T2]; RS0027449; Karollus aaO).

Ausgangspunkt der in RIS-Justiz RS0112234 dokumentierten Judikatur zur Beweislastverteilung war die einen Vorrangfall behandelnde Entscheidung 2 Ob 181/97z = ZVR 1999/99, die dem Kläger nur den Beweis der Nichtbefolgung der abstrakten Verhaltenspflicht (die Wartepflicht bei einer Parkplatzausfahrt) auferlegte, dem gegnerischen Lenker hingegen den Nachweis der - bei Einhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt - nicht gegebenen rechtzeitigen Erkennbarkeit des gegnerischen Fahrzeuges. Die Sachverhaltsgrundlage für dieses Ergebnis war jene, dass sich der Vorrangberechtigte auf einer Bundesstraße einer rechts gelegenen Parkplatzausfahrt näherte, als das gegnerische Fahrzeug aus dem Parkplatz kommend nach links in die Bundesstraße einbog. Daraufhin stieß das Klagsfahrzeug auf Höhe der Ausfahrt gegen die linke Seite des Anhängers, der zu diesem Zeitpunkt noch die Fahrbahnhälfte des Klagsfahrzeuges blockierte. Damit stand der örtliche und zeitliche Konnex des Einbiegens mit der Kollision eindeutig fest.

Ein Vorrangfall ist so lange anzunehmen, als sich für den Vorrangberechtigten die Notwendigkeit eines unvermittelten Bremsens oder eines Auslenkens unmittelbar aus dem Einbiegen des Wartepflichtigen ergibt (RIS-Justiz RS0075077; vgl auch die bei Dittrich/Veit, Straßenverkehrsordnung II § 19 Rz 67 wiedergegebenen Materialien). Eine geringfügige Herabsetzung der Geschwindigkeit ist dem Bevorrangten zuzumuten (RIS-Justiz RS0074468). Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Behinderung des Vorrangberechtigten iSd § 19 Abs 7 StVO vorliegt oder nicht, ist grundsätzlich die Beendigung des Einbiegemanövers (RIS-Justiz RS0074457; RS0074832; RS0074800).

Wenn auch in diesem Sinn nicht entscheidend ist, ob der Zusammenstoß der beteiligten Fahrzeuge noch innerhalb oder schon außerhalb des Kreuzungsbereiches erfolgte (RIS-Justiz RS0074513), so steht doch im konkreten Fall der aus § 19 Abs 7 StVO ableitbare geforderte zeitliche und örtliche Zusammenhang zwischen dem Einbiegevorgang und der Kollision nicht ausreichend fest. Damit reichen anders als in dem zu 2 Ob 181/97z entschiedenen Fall die Feststellungen dazu, dass der Beklagte zu irgendeinem Zeitpunkt von einer iSd § 19 Abs 6 StVO benachrangten Verkehrsfläche gekommen ist, nicht aus, um die Übertretung einer Schutznorm nachzuweisen.

Ist daher im konkreten Fall eine Vorrangsituation nicht mit Sicherheit anzunehmen, bleibt als Unfallursache die Unaufmerksamkeit der beiden Radfahrer. Dieses Fehlverhalten rechtfertigt in der konkreten Situation im Ergebnis das vom Erstgericht angenommene gleichteilige Verschulden. Der Revision des Beklagten war daher teilweise Folge zu geben, das erstinstanzliche Urteil war wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte