Spruch:
Beide Revisionen werden zurückgewiesen. Die Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen selbst zu tragen.
Text
Begründung
Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
Am 27. 9. 2000 kam es in der Stadt Salzburg an der Kreuzung Saint-Julien-Straße/Rainerstraße zu einem Verkehrsunfall, an dem der bei der Klägerin pensionsversicherte Slobodan B***** als Radfahrer und der Erstbeklagte als Lenker des bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten LKWs beteiligt waren. Bei der Kollision zwischen dem geradeausfahrenden Radfahrer und dem zunächst in derselben Fahrtrichtung fahrenden und dann rechts abbiegenden LKW wurde Slobodan B***** getötet. Der Erstbeklagte wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 28. 5. 2002, 28 U 370/00s-25, rechtskräftig wegen fahrlässiger Tötung des Slobodan B***** verurteilt.
Die Klägerin bezahlte an die Witwe des Getöteten, Pauline B*****, vom 28. 9. 2000 bis 31. 12. 2002 insgesamt EUR 18.632,36 aus dem Titel Witwenrente, wovon von der Zweitbeklagten EUR 13.948,13 refundiert wurden.
Die Vorinstanzen gingen beim Verkehrsunfall von einer Verschuldensteilung von 3 : 2 zugunsten des getöteten Slobodan B***** aus.
Die Streitteile bekämpfen diese Verschuldensteilung. Die Beklagten meinen, richtigerweise treffe den Getöteten ein Verschulden von 50 %, die Klägerin meint, die Mitverschuldensquote des Getöteten betrage nur 25 %.
Rechtliche Beurteilung
Ob eine bestimmte Verschuldensteilung angemessen ist, ist eine bloße Ermessensentscheidung, bei welcher im Allgemeinen - von einer krassen Verkennung der Rechtslage abgesehen - eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu lösen ist (2 Ob 179/99h = RIS-Justiz RS0042405 [T15]; vgl auch RS0087606).
Von einer derartigen krassen Verkennung der Rechtslage durch die Vorinstanzen kann hier nicht die Rede sein.
Zur Revision der Beklagten:
Die von den Beklagten für ihre Rechtsansicht ins Treffen geführte Entscheidung 2 Ob 10/85, in der in einer an sich vergleichbaren Situation dem nichtalkoholisierten Radfahrer ein Mitverschulden von der Hälfte zugemessen wurde, ist mit dem vorliegenden Fall rechtlich nicht vergleichbar. Damals gelangte der Oberste Gerichtshof aufgrund des § 68 Abs 2 zweiter Satz StVO idF vor der 10. StVO-Novelle zur rechtlichen Beurteilung, der Radfahrer hätte die Fahrbahn der Kreuzung nur unter Vermeidung einer Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer übersetzen dürfen. Im vorliegenden Fall gelangten die Vorinstanzen aufgrund einer inzwischen geänderten Rechtslage zum zutreffenden Ergebnis, der Radfahrer sei gegenüber dem Erstbeklagten gemäß § 38 Abs 4 dritter Satz StVO idF der 15. StVO-Novelle bevorrangt gewesen.
Die Beklagten meinen weiter, im vorliegenden Fall sei keine Vorrangsituation iSd § 19 StVO vorgelegen. Die Judikatur, wonach Vorrangverletzungen in der Regel schwerer wiegen als andere Verkehrsverstöße, sei hier daher nicht anwendbar.
Dem ist zu entgegnen: Den Beklagten ist zuzugestehen, dass nach Ansicht von Pürstl/Somereder, StVO11, § 38 Anm 5 aus dem in § 38 Abs 2 und 4 StVO verwendeten Ausdruck „Vorrang" nicht geschlossen werden dürfe, die erwähnten Bestimmungen seien jenen des § 19 StVO gleichzuhalten. Dies bedeute insbesondere, dass auf den „Vorrang" nach Abs 2 und 4 nicht verzichtet werden dürfe. Die sich aus Abs 2 und 4 ergebenden Vorschriften könnten durch Vereinbarungen unter den Straßenbenützern nicht abgeändert werden (so auch 2 Ob 211/78 = ZVR 1980/42).
Die Autoren führen aaO Anm 10 jedoch aus, da der Fahrzeuglenker beim Einbiegen Radfahrer, welche die Fahrbahn im Sinne der für sie geltenden Regelung überqueren, weder gefährden noch behindern dürfe, habe der die Fahrbahn vom Radweg geradeaus übersetzende Radfahrer auf lichtgeregelten Kreuzungen iSd Abs 4 Vorrang gegenüber dem aus derselben oder der entgegengesetzten Richtung kommenden rechtsabbiegenden Fahrzeuglenker.
In 8 Ob 154/75 = ZVR 1976/217, 2 Ob 211/78 = ZVR 1980/42, 2 Ob 32/86
= ZVR 1988/13 und 2 Ob 92/89 = ZVR 1990/111 sprach der OGH in von §
38 Abs 4 StVO geregelten Situationen vom Vorrang (in der letztzitierten E vom Vorrang des Radfahrers).
Mag auch in Lehre und Rechtsprechung zwischen dem Vorrang gemäß § 19 StVO und demjenigen gemäß § 38 Abs 4 StVO unterschieden worden sein, so besteht dennoch kein Grund, Vorrangverletzungen gemäß § 38 Abs 4 StVO nicht als in der Regel schwerer wiegend als andere Verkehrsverstöße anzusehen (vgl RIS-Justiz RS0026775). In 2 Ob 211/78 = ZVR 1980/42 hatte der Oberste Gerichtshof keine Bedenken, die Vorrangverletzung gemäß § 38 Abs 4 StVO „erheblich schwerer" als das Verschulden des Unfallgegners, der den infolge Verstoßes gegen § 7 Abs 3 letzter Satz StVO und § 13 Abs 1 StVO verursachten Anstoß „leicht vermeiden" hätte können, wiegen zu lassen.
Der Fall 8 Ob 75/78 = ZVR 1979/3, in dem entgegen den Ausführungen der Beklagten kein Radfahrer beteiligt war, ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar.
Die festgestellte Alkoholisierung des unfallbeteiligten Radfahrers haben die Vorinstanzen ohnehin als schulderschwerend bei der Ausmessung der Verschuldensteilung berücksichtigt (vgl 8 Ob 39/75 = ZVR 1976/11 = RIS-Justiz RS0027078 [T1]).
Zur Revision der Klägerin:
Die Revision der Klägerin geht teilweise nicht vom festgestellten
Sachverhalt aus: Das Erstgericht hat zwar festgestellt, die Witwe des beim Unfall Getöteten sei ab dem Unfall immer wieder wegen Depressionen im Krankenstand gewesen und sei aufgrund ihrer Depressionen auch nicht arbeitsfähig gewesen. Dass diese Umstände eine Unfallsfolge darstellten, hat das Erstgericht nicht festgestellt. Im Gegenteil steht unangefochten fest, dass der Antrag der Witwe auf Invaliditätspension von der Klägerin abgelehnt und die Klage vom Gericht abgewiesen wurde.
Ebenso entfernen sich die Revisionsausführungen vom festgestellten Sachverhalt, die von den Ehegatten B***** in Österreich geleisteten Mietkosten seien keinesfalls als dem durchschnittlichen österreichischen Standard entsprechend zu bewerten, sondern lägen erheblich unter den durchschnittlichen Mietkosten.
Die Revision der Klägerin ist daher in diesen Punkten nicht gesetzmäßig ausgeführt. Die rechtliche Überprüfung des Berufungsurteiles kann daher insoweit nicht vorgenommen werden (RIS-Justiz RS0043312).
Da beide Revisionen somit keine erheblichen Rechtsfragen aufwerfen, bedarf es keiner Prüfung mehr, ob das Berufungsgericht in der Begründung des Zulassungsausspruches eine (in den Rechtsmitteln nicht relevierte) erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt hat (RIS-Justiz RS0102059; Zechner in Fasching/Konecny² § 502 ZPO Rz 11 mwN). Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die Parteien haben in ihren Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit der jeweils gegnerischen Revision nicht hingewiesen.
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