Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Prozessgericht erster Instanz zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Kläger war ab 15. 12. 1986 als Angestellter bei der C*****gesellschaft mbH beschäftigt. Im Jahr 1993 übernahmen der Stiefvater des Klägers und dieser selbst je einen Geschäftsanteil von 25 %. Der Gesellschaftsvertrag sah bereits damals vor, dass Beschlüsse der Gesellschafter deren Einstimmigkeit erfordern. Die jeweils 25 %-ige Beteiligung wurde gewählt, damit die Gesellschafter gleichzeitig in einem Angestelltenverhältnis zur Gesellschaft verbleiben könnten. Der Stiefvater des Klägers war bereits seit 1974 Geschäftsführer. Am 8. 6. 1998 hielten der Stiefvater, die Mutter und die Ehegattin des Klägers sowie er selbst je 25 % der Geschäftsanteile. Zugleich wurde der Kläger neben seinem Stiefvater zum weiteren, ebenfalls allein vertretungsbefugten handelsrechtlichen Geschäftsführer bestellt. Im neu gefassten Gesellschaftsvertrag blieb das Einstimmigkeitsprinzip für Gesellschafterbeschlüsse aufrecht.
Mit Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 6. 10. 2005, 40 S 32/05m, wurde der Konkurs über das Vermögen der C*****gesellschaft mbH eröffnet. Anlässlich der Schließung des Unternehmens am 8. 10. 2005 erklärte der Kläger seinen Austritt als Angestellter gemäß § 25 KO. Im Konkursverfahren meldete er Arbeitnehmerforderungen von insgesamt EUR 77.250,-- netto, darin enthalten Abfertigung im Ausmaß von 6 Monatsentgelten in Höhe von EUR 31.656,-- an. Der Masseverwalter bestritt die Forderung zur Gänze. Mit Bescheid vom 18. 1. 2006 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von EUR 73.237,-- netto ab.
Der Kläger begehrte von der beklagten Partei die Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld von EUR 73.237,- -. Ungeachtet seiner Stellung als 25 %-iger Gesellschafter und handelsrechtlicher Geschäftsführer sei er Arbeitnehmer des gemeinschuldnerischen Unternehmens gewesen. Er sei nicht in der Lage gewesen Geschäftsführerentscheidungen zu treffen. Jedenfalls stünden ihm die Beendigungsansprüche zu, da diese erst durch den Austritt entstanden seien.
Die beklagte Partei bestritt, beantragte Klagsabweisung und wendete ein, der Kläger könne als Geschäftsführer, der zugleich 25 % der Geschäftsanteile inne gehabt habe, nicht als Arbeitnehmer angesehen werden. Überdies sei das lange Stehenlassen von Entgelten als sittenwidriges Verhalten zu qualifizieren. Weiters liege nach den Bestimmungen des EKHG ein eigenkapitalersetzendes Gesellschafterdarlehen vor.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Die Tatsache, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft habe, schließe seine Qualifikation als Arbeitnehmer aus. Der Kläger sei an der Gesellschaft seit 1993 mit 25 % beteiligt gewesen und habe damit über eine Sperrminorität verfügt. 1998 sei er zum weiteren selbständigen vertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt worden. Spätestens seit diesem Zeitpunkt sei vom Fehlen einer persönlichen Abhängigkeit des Klägers auszugehen, weshalb ihm mangels Arbeitnehmereigenschaft Insolvenz-Ausfallgeld nicht zustehe. Gehe man davon aus, dass der Kläger mit der Übernahme der Gesellschaftsanteile 1993 oder mit der Bestellung zum Geschäftsführer 1998 sein Arbeitsverhältnis zur Gemeinschuldnerin beendet habe, habe er damals grundsätzlich Anspruch auf Abfertigung gehabt. Der nunmehrigen Geltendmachung dieses Anspruches stehe jedoch die Verjährung entgegen.
Das Berufungsgericht gab der, ausschließlich gegen die Abweisung eines Betrages von EUR 16.411,38 für vier Monatsentgelte Abfertigung gerichteten Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
Es erachtete die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes für zutreffend und führte ergänzend aus, dass die Tätigkeit des Klägers im Rahmen seines Angestelltendienstverhältnisses vom 15. 2. 1986 bis zum Jahr 1993 grundsätzlich einen Abfertigungsanspruch begründet habe, der allerdings bereits mit jenem Zeitpunkt, mit dem der Kläger als Gesellschafter, den beherrschender Einfluss auf die Gesellschaft zustehe, spätestens aber mit seiner Bestellung zum Geschäftsführer entstanden sei. Mit diesem Zeitpunkt habe das Angestelltendienstverhältnis geendet; damit sei auch jener Teil der Abfertigung, der in dieser Zeit erwirtschaftet worden sei, fällig geworden. Im Bereich der Insolvenz-Entgeltsicherung seien die Verjährung und der Verfall von Amts wegen wahrzunehmen.
Die (außerordentliche) Revision des Klägers ist zulässig, da das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes erheblich abgewichen ist; sie ist im auch im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Das Tatbestandsmerkmal des beherrschenden Einflusses im Sinn des § 1 Abs 6 Z 3 (nunmehr: Z 4) IESG ist nicht nur dann erfüllt, wenn der Gesellschafter kraft seines Beteiligungsverhältnisses (Mehrheitsgesellschafter) die Beschlussfassung in der Generalversammlung im Wesentlichen allein bestimmen kann, sondern auch dann, wenn er über einen solchen Anteil verfügt, der ihn in die Lage versetzt, eine Beschlussfassung auch in der Generalversammlung zu verhindern (SZ 62/182; 8 ObS 249/00a ua). Beherrschender Einfluss kommt einem Minderheitsgesellschafter einer GmbH dann zu, wenn ihm durch Festlegung höherer Quoten für im Rahmen der Unternehmensführung wesentliche, andere als die ohnehin nach dem Gesetz nur mit qualifizierter Mehrheit zu beschließenden Angelegenheiten, eine Sperrminorität eingeräumt wird (RdW 1992, 249; 8 ObS 249/00a, Liebeg, WBl 2003, 157 ff mwH). Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, dass dem Kläger auf Grund des im Gesellschaftsvertrag normierten Einstimmigkeitsprinzips seit dem Erwerb des 25 %-igen Geschäftsanteiles an der späteren Gemeinschuldnerin ein „beherrschender Einfluss" auf diese zukam, dies rechtfertigt jedoch nicht die (gänzliche) Abweisung des Begehrens auf Insolvenz-Ausfallgeld für Abfertigung.
Der Oberste Gerichtshof reduziert in ständiger Rechtsprechung die Bestimmungen des § 1 Abs 6 Z 2 und 3 (nunmehr: Z 4) IESG teleologisch dahin, dass Arbeitnehmer, die später eine der im Gesetz genannten Funktionen im Unternehmen übernehmen, für die vor diesem Zeitpunkt liegende unselbständige Tätigkeit ihres Anspruches auf Abfertigung nicht verlustig gehen (SZ 67/43; 8 ObS 17/95; 8 ObS 206/98x; RIS-Justiz RS0028377). Die Vereinbarung, die mit der Bestellung des bisherigen Angestellten zum Organmitglied fällig gewordene Abfertigung nicht auszuzahlen, sondern weiterhin die Abfertigungsregelung nach dem AngG unter Einbeziehung der als Angestellter zurückgelegten Zeiten beizubehalten, ist grundsätzlich wirksam und schiebt die Fälligkeit auch des nach dem IESG gesicherten, aus dem Angestelltenverhältnis erfließenden Abfertigungsanspruches hinaus. Eine solche Vereinbarung kann auch stillschweigend getroffen werden. Dabei ist der Berechnung des gesicherten Anspruches das letzte Entgelt vor Erlangung der Stellung als Organmitglied bzw als beherrschender Gesellschafter zugrundezulegen (SZ 62/90; ecolex 1990, 252; 8 ObS 2/94; RIS-Justiz RS0028377). In diesem Zusammenhang ist das Einfrieren der Entgelthöhe im Zeitpunkt der Erlangung der entsprechenden Gesellschafterstellung spezifisch mit dem Überwechseln eines Arbeitnehmers mit geschützten Ansprüchen in den Kreis der Personen mit nicht geschützten Ansprüchen verknüpft.
Das Vorbringen und der festgestellte Sachverhalt lassen allerdings keine eindeutige Beurteilung zu, ob eine derartige (schlüssige) Vereinbarung zwischen dem Kläger und der späteren Gemeinschuldnerin getroffen wurde, wenn auch die Feststellung, dass „die 25 % Beteiligung gewählt wurde, damit die Gesellschafter gleichzeitig in einem Angestelltenverhältnis zur Gesellschaft verbleiben könnten" darauf hindeutet.
Im Hinblick auf das Überraschungsverbot des § 182a ZPO wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren dem Kläger Gelegenheit zu einem entsprechenden Vorbringen zu geben und Feststellungen zu dieser Frage zu treffen haben.
Sollte eine (schlüssige) Vereinbarung - wie dargestellt - getroffen worden sein, stünde dem Kläger dem Grund nach ein Abfertigungsanspruch für die Zeit bis zur Erlangung seiner Stellung als Gesellschafter mit „beherrschendem Einfluss" im Jahr 1993, somit in Höhe von drei Monatsentgelten zu. Insoweit fehlen Feststellungen zur Höhe seines Entgelts zu diesem Zeitpunkt.
Die Urteile der Vorinstanzen sind daher aufzuheben und ist die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO iVm § 77 ASGG.
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