OGH 6Ob10/07z

OGH6Ob10/07z15.2.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Klaus Weber, Rechtsanwalt in Mittersill, gegen die beklagte Partei H***** KG, *****, vertreten durch die Verlassenschaft nach Herbert H*****, diese vertreten durch Dr. Herbert K*****, dieser vertreten durch Dr. Hans Ambros, Rechtsanwalt in Wien, wegen Herausgabe (Streitwert EUR 72.670) über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 27. Oktober 2006, GZ 2 R 189/06w-9, womit die Berufung der Verlassenschaft nach Herbert H***** gegen das Versäumungsurteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 11. August 2006, GZ 59 Cg 99/06f-3, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Rekursbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen. Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Die Kosten des Rekurses sowie die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens.

Text

Begründung

Die klagende Partei begehrt von der H***** KG die Herausgabe mehrerer im Einzelnen näher angeführter Gegenstände. Der Auftrag zur Erstattung der Klagebeantwortung wurde nach der Aktenlage am 13. 6. 2006 Ingrid H***** zugestellt, bei der es sich nach den Angaben in der Klage und auf dem Rückschein um die Kommanditistin und Prokuristin der beklagten Partei handelte.

Am 11. 8. 2006 fällte das Erstgericht antragsgemäß ein klagsstattgebendes Versäumungsurteil.

Gegen dieses Versäumungsurteil erhob die beklagte Partei, vertreten durch Dr. Hans Ambros, Rechtsanwalt in Wien, fristgerecht Nichtigkeitsberufung. In dieser Nichtigkeitsberufung war die beklagte Partei als „Verlassenschaft nach Herbert H***** als einzigem Komplementäristen der H***** KG, FN *****, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Dr. Herbert K*****" bezeichnet. Hilfsweise wurde ein Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Klagebeantwortungsfrist sowie ein Widerspruch gegen das Versäumungserteil erhoben. Die Nichtigkeitsberufung wurde im Wesentlichen darauf gestützt, dass Ingrid H***** lediglich Kommanditistin sei; ihre Funktion als Prokuristin habe sie zurückgelegt, was am 27. 5. 2006 im Firmenbuch eingetragen worden sei. Dem Geschäftsführer der klagenden Partei sei bekannt, dass Ingrid H***** nicht mehr Prokuristin sei und mit den Angelegenheiten des Hotels nichts zu tun haben wolle. Die vorliegende Klage hätte rechtswirksam nur der Verlassenschaft nach Herbert H*****, zu Handen des Verlassenschaftskurators, zugestellt werden können. Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht die Berufung zurück. Gemäß § 472 Abs 1 ZPO sei die Berufung insbesondere auch dann unzulässig, wenn sie von einer Person eingebracht worden sei, welcher das Rechtsmittel der Berufung nicht zustehe. Die „Verlassenschaft nach Herbert H*****" sei am Verfahren erster Instanz nicht beteiligt gewesen und daher auch nicht rechtsmittellegitimiert. Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige Rekurs der beklagten Partei, in welchem diese wiederum als „Verlassenschaft nach Herbert H***** als einzigem Komplementär der H***** KG" bezeichnet wird.

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Rechtliche Beurteilung

1. Vorweg ist festzuhalten, dass die Zurückweisung der Berufung aus formellen Gründen nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ungeachtet des Werts des Entscheidungsgegenstandes und ungeachtet des Vorliegens erheblicher Rechtsfragen anfechtbar ist („Vollrekurs"; vgl Zechner in Fasching/Konecny2 § 519 ZPO Rz 12 mwN).

2.1. Das Rekursverfahren ist im vorliegenden Fall einseitig (Fasching, Lehrbuch2 Rz 1980; E. Kodek in Rechberger, ZPO3 § 519 Rz 3; 1 Ob 362/97k = SZ 70/246; 2 Ob 245/97m; 4 Ob 2063/96b; 7 Ob 2226/96h; 3 Ob 278/01f; 6 Ob 265/06y uva; RIS-Justiz RS0098745; weitere Nachweise bei Zechner aaO § 519 ZPO Rz 75; ebenso zur Zurückweisung eines Rekurses RIS-Justiz RS0118695).

2.2. Der an dieser Auffassung geäußerten Kritik von Zechner (aaO § 519 ZPO Rz 75) ist der erkennende Senat bereits in der Entscheidung 6 Ob 265/06y nicht gefolgt. Nach Zechner betrifft die Zurückweisung der Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen einen „prozessualen Rechtsschutzanspruch", sodass der Rekurs nach den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Beer gegen Österreich (ÖJZ 2001, 516) entwickelten Grundsätzen zweiseitig sein müsse. Die Kategorie des „prozessualen Rechtschutzanspruches" ist der Bestimmung des Art 6 MRK jedoch fremd. Die Garantien des Art 6 MRK gelten nur für die Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen („civil right"), nicht aber für bloß verfahrensrechtliche Fragen (G. Kodek, Zur Zweiseitigkeit im Rekursverfahren, ÖJZ 2004, 534 und 589; 4 Ob 133/02s; 6 Ob 265/06y; RIS-Justiz RS0116599 und RS0116600 zum Unterbrechungsbeschluss). Die Rekursbeantwortung der klagenden Partei war daher spruchgemäß zurückzuweisen.

3. Nach § 235 Abs 5 ZPO ist es weder eine Änderung der Klage noch eine Änderung der Partei, wenn die Parteibezeichnung auf diejenige Person richtig gestellt wird, von der oder gegen die nach dem Inhalt der Klage in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise, etwa durch die Anführung der Bezeichnung ihres Unternehmens, das Klagebegehren erhoben worden ist. Eine solche Berichtigung ist in jeder Lage des Verfahrens auf Antrag oder von Amts wegen vorzunehmen, gegebenenfalls durch die Anwendung der §§ 84 und 85 ZPO. In diesem Sinne wurde etwa auch eine bloß unrichtige Parteienbezeichnung angenommen, wenn anstelle einer Gebietskörperschaft ein Amt oder eine Behörde angeführt wurden (Schubert in Fasching/Konecny2 Vor § 1 ZPO Rz 79; 3 Ob 543/55; 6 Ob 329/59 ua).

Nach § 85 Abs 2 Satz 2 ZPO ist überdies die unrichtige Benennung eines Rechtsmittels, eines Rechtsbehelfs oder von Gründen unerheblich, wenn das Begehren deutlich erkennbar ist. Unter anderem aus diesen Bestimmungen haben Lehre und Rechtsprechung den Grundsatz der „sacherledigungsfreundlichen Auslegung" abgeleitet (vgl Fasching in Fasching2, I Einleitung Rz 100; G. Kodek in Fasching/Konecny2, §§ 84, 85 ZPO Rz 2 mwN). Nach diesem Grundsatz ist zumindest im Zweifel davon auszugehen, dass ein Rechtsmittel vom tatsächlich rechtsmittellegitimierten erhoben wurde (G. Kodek/G. Nowotny, Zur Parteistellung der Gesellschaft im Zwangsstrafenverfahren, NZ 2004/51, 165 [170 f]).

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Klage in einer jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit, dass der Beklagte nicht die Einzelperson Herbert H***** oder die Verlassenschaft nach Herbert H***** ist, sondern die H***** KG als von den Vorgenannten rechtlich verschiedenes Rechtssubjekt in Anspruch genommen wird. Damit liegt kein unmittelbarer Anwendungsfall des § 235 Abs 5 ZPO vor, ist die Parteienbezeichnung in der Klage doch zweifelsfrei vorgenommen worden. Hingegen handelt es sich bei der Bezeichnung der beklagten Partei in der Berufung und im Rekurs gegen die Zurückweisung der Berufung ersichtlich um eine nach dem Gesagten unschädliche bloße Fehlbezeichnung, streben die genannten Rechtsmittel doch ersichtlich nicht die Zuerkennung von Verfahrensrechten an eine am Verfahren nicht beteiligte dritte Person, sondern die Bekämpfung des gegen die beklagte Partei H***** KG erflossenen Versäumungsurteils im eigenen Namen an. Aus dem Gesamtzusammenhang der Berufungsausführungen ergibt sich in einer jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit, dass es sich bei der Bezeichnung „Verlassenschaft nach Herbert H*****" nur um die Anführung des Vertreters der beklagten Partei handelt. Damit liegt aber nicht ein - nach § 472 ZPO unzulässiges - Rechtsmittel eines Dritten, sondern eine unschädliche bloße Fehlbezeichnung vor, die der sachlichen Behandlung des Rechtsmittels der beklagten Partei nicht entgegenstand.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 und 52 ZPO. Dabei war auszusprechen, dass die klagende Partei die Kosten ihrer unzulässigen Rekursbeantwortung selbst zu tragen hat; im Übrigen war mit Kostenvorbehalt vorzugehen (§ 52 ZPO).

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