OGH 4Ob246/06i

OGH4Ob246/06i13.2.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. L***** KG, *****, 2. S***** KG, *****, beide vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterlassung, Beseitigung, Rechnungslegung, Zahlung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 42.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 19. Oktober 2006, GZ 1 R 162/06k-9, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 26. Juli 2006, GZ 41 Cg 6/06g-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung nunmehr zu lauten hat:

„Der Antrag, der beklagten Partei mit einstweiliger Verfügung zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Anspruchs auf Unterlassung von Musterverletzungen und Wettbewerbsverstößen, aufzutragen, es bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, Würste in Verpackungen, die dem Geschmacksmuster AT 58011 sowie den Verpackungen der Erstklägerin [Abbildung in Anlage 1] verwechselbar sind, insbesondere in folgender Gestaltung [Abbildung in Anlage 3] anzubieten und/oder in sonstiger Weise in Verkehr zu bringen, wird abgewiesen.

Die erstklagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.777,87 EUR (darin 462,97 EUR USt) bestimmten Äußerungskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die erstklagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens endgültig selbst zu tragen.

Die erstklagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.065,86 EUR (darin 344,31 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Erstklägerin vertreibt von ihr hergestellte Wurstwaren, unter anderem acht Stück abgepackte Mini-Berner Würstel, denen eine Packung „Original Landhof Berner Sauce" beigelegt ist (Abbildung in Anlage 1). Dabei bedient sie sich des für die Maresi Trade Mark GmbH & Co KG mit Priorität vom 9. 6. 2005 in der Klasse 09-03: Verpackung registrierten österreichischen Musters AT 58011 (Abbildung in Anlage 2). Die Rechteinhaberin hat der Erstklägerin das ausschließliche Lizenzrecht zur Verwendung ihres Musters sowie das Recht, gerichtlich gegen Verletzungen des Musterrechts vorzugehen und alle Ansprüche aus einer Rechtsverletzung im eigenen Namen geltend zu machen, eingeräumt.

Die Beklagte erzeugt und vertreibt Fleisch- und Wurstwaren, darunter acht Stück abgepackte Mini-Berner Würstel mit einer Packung Ketchup der Marke der Zweitklägerin „SENNA" (Abbildung in Anlage 3). Die Abmessungen der Verkaufspackungen Mini-Berner Würstel der Erstklägerin und der Beklagten stimmen nahezu überein.

Soweit im Revisionsrekursverfahren noch von Bedeutung, beantragt die Erstklägerin zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Anspruchs auf Unterlassung von Musterverletzungen und Wettbewerbsverstößen, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, Würste in Verpackungen, die dem Geschmacksmuster AT 58011 sowie den Verpackungen der Erstklägerin verwechselbar sind, insbesondere in folgender Gestaltung [Abbildung in Anlage 3] anzubieten und/oder in sonstiger Weise in Verkehr zu bringen. Die Beklagte greife in Rechte aus dem genannten Geschmacksmuster ein. Nach § 4 MuSchG könne der Inhaber eines registrierten Musters Dritten verbieten, es ohne seine Zustimmung zu benutzen; der Schutz erstrecke sich auch auf ähnliche Muster, die beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck hervorriefen. Gleiche Rechte stünden nach Art 19 Abs 2 Gemeinschaftsgeschmacksmuster-VO dem Inhaber eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters zu. Das Muster AT 58011 sei einzigartig, weil es auf Grund der Zeichnung einer Landschaft an der Oberseite des Musters und der durch die Ausbuchtungen auf der Unterseite bewirkten wellblechartigen Form einen anderen Gesamteindruck als von Mitbewerbern benutzte Kunststoffbehälter für Fleisch oder Wurst erwecke. Die Beklagte verstoße aber auch gegen § 1 UWG: Das von der Erstklägerin verwendete Geschmacksmuster sei wettbewerblich eigenartig und besitze eine gewisse Verkehrsbekanntheit; der Verkehr verbinde mit diesem Muster Gütevorstellungen. Die Beklagte habe bewusst und planmäßig die Produkte der Erstklägerin und die Gestaltung der Verpackung nachgeahmt und so die Gefahr von Verwechslungen herbeigeführt, obwohl ihr eine andersartige Gestaltung zumutbar gewesen wäre. Für die Nachahmung gebe es keinen anderen Grund, als sich eigene Innovationen zu ersparen und vom guten Ruf der Produkte der Klägerin zu profitieren.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Sicherungsantrags. Die von ihr verwendete Verpackung unterscheide sich insbesondere durch seine Erscheinungsform der Vorderseite vom nicht registrierten Gemeinschaftsgeschmacksmuster und vom Muster AT 58011 und greife in diese nicht ein, weil das Merkmal der Umrahmung der Deckfolie fehle und der Aufkleber farblich und grafisch anders gestaltet sei. Die geometrische Form der Verpackung und die sichtbare Anordnung der Waren seien technisch bedingt und nicht so prägend, dass sie den Gesamteindruck der zu vergleichenden Muster wesentlich bestimmten. Die Beklagte ahme weder eine fremde Verpackung nach, noch beute sie den Ruf fremder Produkte aus, weil insbesondere durch die unterschiedlichen Aufkleber für jedermann leicht erkennbar sei, aus welchem Unternehmen die zum Verkauf angebotenen Produkte stammten. Die Verpackung der Erstklägerin unterscheide sich - abgesehen von der Stückzahl - nicht deutlich von jener prioritätsälteren des Unternehmens W*****, die jeweils vier Mini-Berner Würstel nebeneinander enthalte und sei daher nicht neu. Als Beigabe zu den Würsten verwende die Beklagte Ketchup, die Erstklägerin eine „Berner Sauce".

Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag statt. Die Beklagte verwende dieselbe Verpackungsart wie die Erstklägerin, obwohl ihr - wie die Verpackungen anderer Anbieter zeigten - eine andersartige Gestaltung zumutbar und technisch möglich sei. Die Beklagte biete ihre Würstel in der gleichen Anzahl wie die Erstklägerin an und lege ihnen eine Sauce in einer roten Packung bei. Sie gestehe zu, diese Verpackung über ausdrücklichen Wunsch der Handelskette, über die sie ihre Waren vertreibe, gewählt zu haben, was den Schluss nahe lege, dass absichtlich eine Ähnlichkeit mit der Präsentation der gleichartigen Waren der Erstklägerin hergestellt werden solle. Das Motiv eines einsamen Bauernhofs in einer grünen Voralpenlandschaft, ein einprägsames und für Berner Würstel nicht zu erwartendes oder typisches Gestaltungsmerkmal, werde bei der Beklagten durch ein Foto, bei der Erstklägerin grafisch dargestellt. Die bildnerische Gestaltung der Deckfolie präge das Muster mit. Grafisch seien die beiden Verpackungen sehr verschieden gestaltet, die Konnotation (Würstel von einem friedlichen österreichischen Bauernhof im Grünen) sei jedoch bei beiden Packungen dieselbe; insofern bestehe Verwechslungsgefahr. Die Verwendung der Darstellung eines Bauernhofs in der grünen Landschaft ohne sachlichen Bezug zum Produkt lasse darauf schließen, dass eine bewusste Nachahmung erfolge. Die Verwendung einer Verpackung - wie sie von der Beklagten für ihre Mini-Berner Würstel verwendet werde, sei sittenwidrig und als Ausbeutung fremder Leistung iSd § 1 UWG zu beurteilen.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Das der Klägerin übertragene Lizenzrecht schließe auch das Recht ein, gerichtlich gegen Verletzungen des Musterrechts vorzugehen und alle Ansprüche im eigenen Namen geltend zu machen. Bei der Prüfung, ob ein Geschmacksmuster Eigenart besitze und wie weit sein Schutzumfang reiche, sei der Gesamteindruck maßgeblich. Es komme nicht auf Einzelheiten, sondern den Gesamteindruck an; zu fragen sei, ob sich bei einer Gegenüberstellung zweier Formgebungen insgesamt der Eindruck einer Übereinstimmung ergebe. Die Verwendung derselben Anzahl von Würstel in einer wellblechartigen Form der Verpackung samt Beigabe einer auffallend roten Sauce seien hervorstechende Merkmale für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr. Beide Verpackungen wiesen Hochformat mit übereinander angeordneten Würstel auf.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil Rechtsprechung zum nicht registrierten Gemeinschaftsgeschmacksmuster fehlt; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Die Erstklägerin stützt ihren Unterlassungsanspruch kumulativ auf a) einen Eingriff in das von ihr in Lizenz benützte österreichische Muster AT 58011, b) einen Eingriff in ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster und c) einen Verstoß gegen § 1 UWG durch die bewusste und planmäßige Nachahmung der Gestaltung der von ihr benützten Verpackung mit der Folge der Gefahr von Verwechslungen.

1. Behaupteter Eingriff in das österreichische Muster AT 58011

1.1. Auch die Verpackung ist ein musterschutzfähiges Erzeugnis (§ 1 Abs 3 MuSchG).

1.2. Die Eigenart eines Musters sollte danach beurteilt werden, inwieweit sich der Gesamteindruck, den der Anblick des Musters beim informierten Benutzer hervorruft, deutlich von dem unterscheidet, den der vorbestehende Formenschatz bei ihm hervorruft, und zwar unter Berücksichtigung der Art des Erzeugnisses, bei dem das Muster benutzt wird oder in das es aufgenommen wird, und insbesondere des jeweiligen Industriesektors und des Grades der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Musters (Erwägungsgrund 14 der VO (EG) Nr 6/2002 des Rates vom 12. 12. 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster - GGV).

1.3. Der Umfang des Schutzes aus einem Recht an einem Muster erstreckt sich auf jedes Muster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck hervorruft (§ 4 Abs 2 MuSchG). Es kommt nicht auf eine zergliedernde Betrachtung (RIS-Justiz RS0070625) oder einen mosaikartig aufgespaltenen Vergleich von Einzelheiten an. Entscheidend ist der von verschiedenen Merkmalen (Form, grafische Gestaltung, Farbe, Material etc) geprägte Gesamteindruck (Kucsko, Geistiges Eigentum 727 mit Nachweisen ua zu den Gesetzesmaterialien). Der Gesamteindruck eines Musters wird von seinen prägenden Merkmalen bestimmt (Bulling/Langöhrig/Hellwig, Gemeinschaftsgeschmackmuster Rz 37). Maßgeblich ist demnach die Würdigung des Gesamteindrucks unter dem Blickwinkel, ob sich bei einer Gegenüberstellung zweier Formgebungen insgesamt der Eindruck einer Übereinstimmung ergibt (vgl 4 Ob 177/05s zum Gemeinschaftsgeschmacksmuster). An die Eigenart eines Geschmacksmusters von Verpackungen ist generell ein eher strenger Maßstab anzulegen. In aller Regel wird nämlich der informierte Beobachter seine Präferenzentscheidung primär an dem Erzeugnis selbst ausrichten und nicht an dessen Verpackung (Ruhl in Ruhl, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, Art 6 Rz 97).

1.4. Die durch das österreichische Muster AT 58011 geschützte Verpackung besteht aus einem rechteckigen hochgestellten transparenten Behälter, dessen Boden acht parallel untereinander angeordnete ausgewölbte Vertiefungen zur Aufnahme von Würstchen aufweist und dessen durchsichtige Deckfolie im rechten unteren Eck als gelbe Aufreißlasche samt Pfeil in Aufreißrichtung gestaltet ist und mit einer grünen Umrahmung bedruckt ist, die an der oberen Schmalseite die Form eines torartigen Rundbogens besitzt (der einen ungehinderten Blick auf die verpackte Ware ermöglicht) und an der unteren Schmalseite in einer im Wesentlichen in grün gehaltenen Landschaftsdarstellung mit Wiesen, Ackerland, einem Vierkant-Bauernhof und zweitürmiger Kirche ausläuft. Der Gesamteindruck der geschützten Verpackung wird wesentlich vom detaillreichen und bunten Druck auf der Deckfolie geprägt, der die Gestaltung des transparenten Bodens in den Hintergrund treten lässt.

1.5. Die angegriffene Verpackung der Beklagten stimmt in ihren Dimensionen und der Gestaltung als transparenter Behälter mit acht Bodenvertiefungen und durchsichtiger Deckfolie mit dem zuvor beschriebenen Muster überein. Sie weicht in ihrer Gestaltung von Letzterem dadurch ab, dass ihre Deckfolie gänzlich unbedruckt ist und dass in der Mitte der Deckfolie ein rechteckiger hochgesteller Aufkleber angebracht ist, der das verpackte Gut zu fast zwei Drittel verdeckt. Der Aufkleber zeigt vor einem dominierenden blauen Himmel mit weißen Wolken eine Wiesenlandschaft mit Bauernhof und Bergen im Hintergrund, im rechten oberen Eck ein auf der Ecke stehendes Quadrat mit dem Firmenlogo der Beklagten, im linken unteren Eck ein rot-weiß-rotes Band; die zweizeilige Beschriftung in der Mitte des Aufklebers „Mini Berner Würstel mit Ketchup" in blauer Schrift ist vom blauen Hintergrund kaum abgehoben. Der Gesamteindruck dieser Verpackung wird wesentlich durch den Aufkleber geprägt.

1.6. Berücksichtigt man, dass die beiden zu vergleichenden Verpackungen nur in jenen - vorwiegend technisch bedingten, weil zur Aufnahme gleichartiger Waren bestimmten - Gestaltungselementen übereinstimmen, die den jeweiligen Gesamteindruck nicht prägen, sie sich hingegen gerade in jenen Merkmalen deutlich unterscheiden, bei denen ein erhöhter Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers zum Ausdruck kommt (nämlich im Druck auf der Deckfolie der geschützten Verpackung und dem Aufkleber der angegriffenen Verpackung), so ergibt eine Würdigung des Gesamteindrucks beider Verpackungen bei einer Gegenüberstellung beider Formgebungen insgesamt den Eindruck einer fehlenden Übereinstimmung. Ein Eingriff in das von der Erstklägerin in Lizenz benützte österreichische Muster AT 58011 liegt damit nicht vor.

2. Behaupteter Eingriff in ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster

2.1. Gegenstand des Schutzrechts nach der VO (EG) Nr 6/2002 des Rates vom 12. 12. 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGV) ist nicht ein Erzeugnis, sondern die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt (Art 3 lit a GGV). Geschützt sind demnach weder das Original noch die entsprechend hergestellten Erzeugnisse an sich, sondern die sich am Erzeugnis zeigende Gestaltung (4 Ob 177/05s mwN).

Ein komplexes Erzeugnis ist ein Erzeugnis aus mehreren Bauelementen, die sich ersetzen lassen, so dass das Erzeugnis auseinander- und wieder zusammengebaut werden kann (Art 3 lit c GGV). Ein Geschmacksmuster, das in einem Erzeugnis, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, benutzt oder in dieses Erzeugnis eingefügt wird, gilt nur dann als neu und hat nur dann Eigenart, a) wenn das Bauelement, das in das komplexe Erzeugnis eingefügt ist, bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbar bleibt, und b) soweit diese sichtbaren Merkmale des Bauelements selbst die Vorausssetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllen (Art 4 Abs 2 GGV).

Ein Geschmacksmuster, das die Voraussetzungen eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters erfüllt, wird als ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster für eine Frist von drei Jahren geschützt, beginnend mit dem Tag, an dem es der Öffentlichkeit innerhalb der Gemeinschaft erstmals zugänglich gemacht wurde (Art 11 Abs 1 GGV).

2.2. Die Erstklägerin beruft sich auf ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster für die Verpackung von acht Stück abgepackte Mini-Berner Würstel, denen eine Packung „Original Landhof Berner Sauce" beigelegt ist (Abbildung in Anlage 1). Diese Gestaltung einer Verpackung sei erstmals am 14. 3. 2005 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden; ihre Eigenart ergebe sich „insbesondere" aus der rechtwinkelig zu den Würsteln beigelegten Sauce in roter Packung (Stick-Pack).

2.2.1. Die hier maßgebende Verpackung in Kombination mit der beigelegten verpackten Sauce ist ein komplexes Erzeugnis iSd Art 3 lit c GGV, weil es aus mehreren ersetzbaren Bauelementen besteht. Ein komplexes Erzeugnis ist ein Sonderfall eines Erzeugnisses iSd Art 3 lit b GGV (Ruhl aaO Art 3 Rz 141). Schutzfähig nach der GGV ist nicht das komplexe Erzeugnis als Kombination einzelner Bauelemente an sich, sondern seine durch neue und eigenartige gestalterische Elemente gebildete Erscheinungsform als Ganzes. Die Bauelemente eines komplexen Erzeugnisses sind nur dann als Geschmacksmuster geschützt, wenn sie - entsprechend Art 4 Abs 2 GGV - ihrerseits die Voraussetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllen.

Die bisherigen Ausführungen unter 2. sind daher folgendermaßen zusammenzufassen:

Eine Würstelverpackung aus mehreren Bauelementen (Untertasse, Deckfolie, beschriftete Aufkleber, für sich verpackte Beigabe) ist ein komplexes Erzeugnis nach Art 3 lit c GGV. Schutzfähig nach der GGV ist nicht das komplexe Erzeugnis als Kombination einzelner Bauelemente an sich, sondern seine durch neue und eigenartige gestalterische Elemente gebildete Erscheinungsform als Ganzes. Die Bauelemente eines komplexen Erzeugnisses sind nur dann als Geschmacksmuster geschützt, wenn sie - entsprechend Art 4 Abs 2 GGV - ihrerseits die Voraussetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllen.

2.2.2. Dass das Stick-Pack für sich allein die Vorausssetzungen der Neuheit und Eigenart erfülle, hat die Erstklägerin nicht einmal behauptet. Als nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster kommt daher nur die Würstelverpackung insgesamt in Betracht. Eine - nur im Provisorialverfahren zulässige (Art 90 Abs 2 GGV) - Einrede der Nichtigkeit des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters hat die Beklagte nicht erhoben, weshalb von dessen Rechtsbestand auszugehen ist. Im Sinne der Ausführungen unter Punkt 1.3. ist daher vorerst zu prüfen, ob die Gestaltung der von der Beklagten benützten Verpackung (zunächst ohne Bedachtnahme auf die Beigabe des Stick-Pack) ihrem Gesamteindruck nach mit der Formgebung der von der Klägerin benützten Verpackung übereinstimmt.

2.3. Die Verpackung der Erstklägerin weist zusätzlich zu der zuvor unter Punkt 1.4. beschriebenen Gestaltung ein banderolenförmiges Klebeetikett im mittleren Drittel der Deckfolie auf, das die Sichtmöglichkeit auf den Verpackungsinhalt durch den torartigen Rundbogen etwa um die Hälfte verringert. Auf dem in kräftigem Gelb gehaltenen Hintergrund des Etiketts dominiert die rechtwinkelige fotoartige Abbildung von mit Speck umwickelten Grillwürstchen, über dem sich der ins Auge fallende Schriftzug „Mini-Berner" und ganz oben die kleine Abbildung einer Wiesenlandschaft mit Bauernhof und dem Schriftzug „LANDHOF" befindet.

2.4. Eine Würdigung des Gesamteindrucks beider Verpackungen bei einer Gegenüberstellung beider Formgebungen nach Art 6 Abs 1 GGV ergibt wiederum insgesamt den Eindruck einer fehlenden Übereinstimmung, wird doch die Verpackung der Klägerin durch den in Grüntönen gehaltenen torbogenartigen Aufdruck und die sich vor dem gelben Hintergrund des Aufklebers deutlich abhebende Beschriftung samt Abbildung von Grillgut bestimmt, die Verpackung der Beklagten hingegen durch die Landschaftsdarstellung in Blautönen auf dem Aufkleber. Die übereinstimmenden Gestaltungselemente (Dimension, Material des Behälters, Bodengestaltung) sind demgegenüber vorwiegend technisch bedingt und prägen den jeweiligen Gesamteindruck nicht. Das gilt auch für die von der Klägerin hervorgehobene besondere Form der Beigabe des „Stick-Packs", ist es doch eine Selbstverständlichkeit, dass die betroffene Beigabe so in die Gesamtverpackung eingelegt wird, dass sie von oben sichtbar ist und das verpackte Hauptprodukt so wenig wie möglich verdeckt.

Schon aus diesem Grund liegt kein Eingriff der Beklagten in das von der Klägerin benützte nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor. Es stellt sich daher nicht mehr die Frage, ob die angefochtene Benutzung das Ergebnis einer Nachahmung des geschützten Musters oder aber das Ergebnis eines selbständigen Entwurfs eines Entwerfers ist, von dem berechtigterweise angenommen werden kann, dass er das von dem Inhaber offenbarte Muster nicht kannte (Art 19 Abs 2 GGV).

3. Behauptete bewusste und planmäßige Nachahmung der Verpackung der Klägerin

3.1. Sittenwidrig iSd § 1 UWG handelt, wer seinem wettbewerblich eigenartigen Produkt bewusst die Form eines fremden - sonderrechtlich nicht geschützten (4 Ob 23/00m = ÖBl 2001, 22 - JOBSERVICE mwN) - Erzeugnisses gibt, obwohl eine andersartige Gestaltung zumutbar gewesen wäre, und dadurch die Gefahr von Verwechslungen über die betriebliche Herkunft hervorruft (vgl RIS-Justiz RS0078130, RS0078184). Bei Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist auf den Gesamteindruck abzustellen (RIS-Justiz RS0078361 [T12]).

3.2. Der zuvor unter Punkt 2.4. angestellte Vergleich des Gesamteindrucks der von der Erstklägerin und der Beklagten verwendeten Verpackungen führt auf Grund der schon dort angeführten Überlegungen zu dem wettbewerbsrechtlich relevanten Ergebnis, dass die Verpackungen einander nicht so ähnlich sind, dass die angesprochenen Verbraucherkreise in beachtlichem Umfang einem Irrtum über die betriebliche Herkunft der jeweiligen Produkte unterliegen können. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die übereinstimmenden funktionsbedingten Gestaltungselemente (Dimensionen, Material des Behälters und der Deckfolie, Bodengestaltung) angesichts der Fülle ähnlicher Lebensmittelverpackungen kaum oder überhaupt nicht zur wettbewerblichen Eigenart des jeweiligen Erzeugnisses beitragen, und dass bei geringer wettbewerblicher Eigenart schon geringe Abweichungen die Gefahr von Verwechslungen beseitigen können (RIS-Justiz RS0078676 [T2]). Umso mehr führen dann aber die aufgezeigten deutlichen Unterschiede in den prägenden Gestaltungselementen (Aufdruck der Deckfolie bei der Verpackung der Klägerin; Klebeetiketten) dazu, dass die Verwechslungsgefahr zu verneinen ist. Einer näheren Auseinandersetzung mit dem Tatbestandselement der bewussten Nachahmung bedarf es unter diesen Umständen nicht.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 393 Abs 1 EO iVm § 41 Abs 1 ZPO, für das Rechtsmittelverfahren - bei einer Bemessungsgrundlage von 21.000 EUR - iVm § 50 Abs 1 ZPO.

(Abbildungen nur in Originalentscheidung ersichtlich.)

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