OGH 4Ob204/06p

OGH4Ob204/06p16.1.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei p***** HandelsgesmbH, *****, vertreten durch Bartl & Partner Rechtsanwalts-KEG in Graz, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Gewolf und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Unterlassung (Streitwert 30.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 14. Juni 2006, GZ 6 R 92/06f-10, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 21. April 2006, GZ 25 Cg 55/06p-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wie folgt zu lauten hat:

„Der Antrag, der beklagten Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei mit einstweiliger Verfügung für die Dauer dieses Rechtsstreites aufzutragen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr die Bezeichnung 'pur Reinstoffkapseln' zur Kennzeichnung von Produkten der Warenklassen 1, 3, 5, 29, 30 und 44 der Nizzaer Klassifikation, insbesondere von Nahrungsergänzungsmitteln zu verwenden, sowie die Bezeichnung 'pur Reinstoffkapseln' zu Werbezwecken hinsichtlich der genannten Produkte zu benutzen, wird abgewiesen.

Die Antragstellerin ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit 1.003,32 EUR (darin 167,22 EUR USt) bestimmten Äußerungskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die Antragstellerin ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit 2.757,06 EUR (darin 459,51 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen. Die Revisionsrekursbeantwortung der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin und gefährdete Partei (im Folgenden nur: Klägerin) vertreibt im Inland seit rund zehn Jahren unter dem markenrechtlich nicht geschützten Zeichen „pure encapsulations - Reinsubstanzen" Produkte der Warenklasse 1, 3, 5, 29, 30 und 44 der Nizzaer Klassifikation, insbesondere Nahrungsergänzungsmittel wie Selen und Vitamin B. Der Vertrieb erfolgt ausschließlich über Apotheken und Ärzte. Die Beklagte vertreibt im Inland seit 2005 unter dem Zeichen „pur Reinstoffkapseln" Nahrungsergänzungsmittel über Drogeriemärkte. Zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragte die Klägerin, der Beklagten und Gegnerin der gefährdeten Partei (im Folgenden nur: Beklagte) mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, die Bezeichnung „pur Reinstoffkapseln" zur Kennzeichnung von Produkten der Warenklassen 1, 3, 5, 29, 30 und 44 der Nizzaer Klassifikation, insbesondere von Nahrungsergänzungsmitteln zu verwenden, sowie die Bezeichnung „pur Reinstoffkapseln" zu Werbezwecken hinsichtlich der genannten Produkte zu benutzen. Name und Produktdesign für die von der Beklagten vertriebenen Nahrungsergänzungsmittel seien mit jenen der Klägerin zum Verwechseln ähnlich; die Beklagte verstoße gegen §§ 9, 1 UWG. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Sicherungsantrags. Dem Zeichen „pur" fehle die Unterscheidungskraft und damit die Schutzfähigkeit. Verwechslungsfähigkeit bestehe nicht, weil sich die Produkte der Streitteile hinreichend unterschieden; auch würden sie über andere Wege vertrieben. Die Klägerin habe den Bekanntheitsgrad ihrer Produkte nicht nachgewiesen.

Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag statt. Das Zeichen der Beklagten sei jenem der Klägerin nach Bild und Aussprache ähnlich. Auch eine Warenausstattung falle unter den Schutz des § 9 Abs 3 UWG. Der Nachweis der Verkehrsgeltung sei dadurch erbracht, dass die Klägerin ihre Produkte seit rund zehn Jahren vertreibe; sie seien daher dem Kreis der Nutzer bekannt.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Das Zeichen „pur/pure" sei beschreibend, daher nicht unterscheidungskräftig und auch nicht schutzfähig. Gleiches gelte für das Zeichen „Reinsubstanzen". Die von der Klägerin für ihre Produktbezeichnung „pure encapsulations - Reinsubstanzen" angestrebte Schutzwirkung wegen Unterscheidungskraft setzte voraus, dass es sich um ein Wort handle, das zwar dem allgemeinen Sprachgebrauch angehöre, jedoch mit der Ware oder Dienstleistung, für das es bestimmt sei, in keinem Zusammenhang stehe. Die Klägerin verwende die der englischen Sprache entnommene Produktbezeichnung „pure" für pur oder unverfälscht und das Wort „encapsulations" für Verkapselungen; nach dem allgemeinen Sprachgebrauch handle es sich dabei um keine Gattungsbezeichnung für Nahrungsergänzungsmittel. Die Klägerin vertreibe ihre Produkte bereits seit zehn Jahren, während die Beklagte erst seit rund einem Jahr mit ihren Produkten auf dem Markt sei; daraus folge die Priorität der Produktbezeichnung der klägerischen Produkte. Das Erstgericht habe deshalb zutreffend Verkehrsgeltung bei den abnehmenden Ärzten und Apothekern angenommen. Wegen der Branchengleichheit der Produkte der Streitteile beseitige die für die Produkte der Beklagten gewählte deutsche Übersetzung „pur Reinstoffkapseln" anstatt „pure encapsulations" die Verwechslungsgefahr nicht. Eine Sicherheitsleistung sei entbehrlich, weil der Anspruch der Klägerin ausreichend bescheinigt sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zum Nachweis der Verkehrsgeltung abgewichen ist; das Rechtsmittel ist auch berechtigt. Die Beklagte macht geltend, dass mangels Vorlage eines Kammergutachtens oder mangels Anbots eines sofort durchführbaren Sachverständigen-Beweises die Verkehrsgeltung des von der Klägerin verwendeten Kennzeichens nicht bescheinigt sei.

Nicht registrierte Kennzeichen von Waren - wie die hier strittige Produktbezeichnung der Klägerin - können unter den Begriff der „sonstigen Einrichtungen" iSd § 9 Abs 3 UWG fallen; sie werden, sofern sie innerhalb beteiligter Verkehrskreise als Kennzeichen des Unternehmens gelten, den besonderen Unternehmensbezeichnungen iSd § 9 Abs 1 UWG gleichgestellt. Voraussetzung für einen Schutz nach dieser Bestimmung ist aber, dass das Zeichen Verkehrsgeltung erlangt hat (4 Ob 55/01v = ÖBl 2002, 87 - Studioline mwN).

Die Klägerin hat in der Klage nur behauptet, schon „seit ca zehn Jahren unter dem Namen 'pure encapsulations - Reinsubstanzen' Produkte der Warenklassen 1, 3, 5, 29, 30 und 44 der Nizzaer Klassfikation, insbesondere Nahrungsergänzungsmittel wie zB Selen und Vitamin B" zu vertreiben. Dass sie damit Verkehrsgeltung erreicht habe, hat sie - trotz der sie für dieses Tatbestandselement treffenden Behauptungs- und Bescheinigungslast - nicht einmal erwähnt, geschweige denn bescheinigt. Die Beklagte hat zutreffend darauf verwiesen, dass die Klägerin kein Bescheinigungsmittel für einen „gewissen Bekanntheitsgrad" von 'pure encapsulations'-Produkten vorgelegt hat. Dass Verkehrsgeltung notwendig ist, wurde von der Klägerin nicht erkannt.

Ein Zeichen besitzt Verkehrsgeltung, wenn es in den beteiligten Verkehrskreisen als Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen oder dessen Waren oder Dienstleistungen angesehen wird; maßgeblich ist, dass die beteiligten Verkehrskreise an ein und dasselbe Unternehmen bzw die Herkunft der Waren oder Dienstleistungen aus demselben Unternehmen denken, wenn sie mit dem Zeichen konfrontiert werden (4 Ob 45/04b = ÖBl 2004, 271 - St. Zeno mwN).

Auch wenn es zutrifft, dass die Klägerin schon seit rund zehn Jahren mit ihren Produkten auf dem Markt ist, folgt allein daraus noch nicht, dass sie mit deren Warenbezeichnung Verkehrsgeltung erreicht hat. Nicht beizutreten ist der Ansicht des Erstgerichts, Verkehrsgeltung sei bereits erreicht, wenn ein Produkt eine gewisse Zeit hindurch vertrieben wird und „dem Kreis derer, die dieses Produkt verwenden, bekannt" ist. Wäre dies richtig, so hätte jedes Produkt mit seinem Vertrieb auch Verkehrsgeltung erreicht, denn dem Kreis derer, die ein Produkt verwenden, ist es immer bekannt. Unzutreffend ist auch die Auffassung des Rekursgerichts, schon aus der Priorität der Produktbezeichnung der Klägerin folge die Verkehrsgeltung „bei den abnehmenden Ärzten und Apothekern", steht doch die Frage, wer ein bestimmtes Zeichen zuerst als Produktbezeichnung benützt hat, in keinem Zusammenhang damit, ob dieses Zeichen in den beteiligten Verkehrskreisen als Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen oder dessen Waren oder Dienstleistungen angesehen wird.

Ob ein Zeichen Verkehrsgeltung besitzt, ist eine auf Grund der entsprechenden tatsächlichen Grundlagen zu lösende Rechtsfrage (4 Ob 12/05a = ÖBl 2005, 269 - Vital Hotel II mwN; RIS-Justiz RS0043586).

Zwar ist das Bestehen der Verkehrsgeltung eines

Unternehmenskennzeichens iSd § 9 Abs 3 UWG in erster Linie durch

Kammergutachten oder Sachverständigenbeweis, allenfalls auch durch

demoskopische Gutachten nachzuweisen, doch kann der Beweis (die

Bescheinigung) durch andere Beweismittel nicht von vornherein

abgelehnt werden (4 Ob 253/03i = EvBl 2004/148 - Vital Hotel mwN:

Vernehmung von Auskunftspersonen oder Parteien; 4 Ob 25/05p = ÖBl

2005, 270 - Zorr: Umsatz mit markierter Ware als

Beurteilungsgrundlage für die Bekanntheit der Marke).

Es wurde schon erörtert, dass die von den Vorinstanzen für bescheinigt gehaltene Verwendungsdauer allein die Annahme einer Verkehrsgeltung nicht rechtfertigen kann. Im Anlassfall fehlt es daher bereits an den gemäß § 389 Abs 1 EO erforderlichen Tatsachenbehauptungen, die einen rechtlichen Schluss auf eine Verkehrsgeltung für die maßgebende Produktbezeichnung zuließen, hat doch die Klägerin nur das zuvor referierte, auf die Verwendungsdauer bezogene Vorbringen erstattet. Das Vorbringen der gefährdeten Partei zum behaupteten Anspruch bildet aber die Grenze, innerhalb deren die Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung zu prüfen sind. Insoweit ist es nicht Aufgabe des Gerichts, von Amts wegen auf ein ergänzendes Vorbringen zur Schlüssigstellung eines Sicherungsbegehrens zu dringen. Als Folge dessen sind unschlüssige Anträge sogleich abzuweisen (RIS-Justiz RS0005452). Demnach kann aber dem Mangel eines - wie hier - unschlüssig behaupteten Anspruchs auch nicht durch die Auferlegung einer Sicherheitsleistung nach § 390 EO abgeholfen werden. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung setzt eine schlüssige Behauptung des zu sichernden Anspruchs voraus. Im Übrigen sei noch angemerkt, dass die Fassung des Sicherungsbegehrens verfehlt ist. Die Klägerin hat gar nicht behauptet, dass die Beklagte etwas anderes als Nahrungsergänzungsmittel unter der beanstandeten Bezeichnung vertreibe. Selbst wenn daher das Vorbringen der Klägerin, Produkte der verschiedenen Warenklassen zu vertreiben, ausreichte, kann der Beklagten - alle Anspruchsvoraussetzungen unterstellt - doch nur das verboten werden, was sie macht, nämlich Nahrungsergänzungsmittel unter der beanstandeten Bezeichnung zu vertreiben. Ein berechtigtes Begehren kann aber jedenfalls nicht umfassen, was die Beklagte bisher nicht getan hat und von dem auch gar nicht behauptet wird, dass sie es künftig tun wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 393 Abs 1 EO iVm § 41 Abs 1 ZPO, für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO. Das Begehren der Beklagten, ihr die Kosten des mitbeteiligten Patentanwalts im Verfahren erster Instanz gem § 16 PatentanwaltsG und § 147 PatG zuzusprechen, findet in den genannten Bestimmungen keine Deckung; es liegt ein auf einen Wettbewerbsverstoß gegründetes Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof vor. Der Ansatz nach TP 3A RATG beträgt bei einer Bemessungsgrundlage von 30.000 EUR im Sicherungsverfahren 557,40 EUR, jener nach TP 3C RATG 835,30 EUR.

Der Beschluss auf Freistellung der Revisionsrekursbeantwortung wurde der Kanzlei des Klagevertreters am 23. 11. 2006 zugestellt. Die Frist für die Revisionsrekursbeantwortung beträgt 14 Tage (§ 402 Abs 3 EO); sie endete daher mit Ablauf des 7. 12. 2006. Der am 20. 12. 2006 zur Post gegebener Schriftsatz der Klägerin ist deshalb verspätet.

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