OGH 10ObS164/06z

OGH10ObS164/06z14.11.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Dr. Manfred Engelmann (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann F*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Thomas Brückl und Mag. Christian Breit, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, vertreten durch Rechtsanwälte Bachmann & Bachmann, Wien, wegen Aufrechnung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Juli 2006, GZ 12 Rs 61/06m-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. November 2005, GZ 14 Cgs 267/04f-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung

Mit Beschluss des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 29. 4. 2002 wurde über das Vermögen des Klägers der Konkurs eröffnet. Die Sozialversicherungsanstalt der Bauern meldete an Beitragsrückständen für die Zeiträume 1. 10. bis 31. 12. 2001 und 1. 1. bis 29. 4. 2002 zwei Forderungen von zusammen EUR 1.996,40 an. Diese Konkursforderungen wurden auch anerkannt. Am 28. 8. 2002 wurde der Zwangsausgleich mit einer 20 %-igen Quote (10 % innerhalb von 30 Tagen, 5 % innerhalb von 12 Monaten und weitere 5 % innerhalb von 24 Monaten) bestätigt. Am 7. 11. 2002 hob das Landesgericht Ried im Innkreis das Konkursverfahren auf. Der Kläger bezahlte die Quote von EUR 399,28 bis 28.8.2004.

Der Kläger bezieht seit 1. 1. 2003 von der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft eine Alterspension von EUR 1.787,81. Über die noch offenen Beiträge für die Zeit von 1. 11. 2001 bis 29. 4. 2002 von EUR 1.559,07 erließ die Sozialversicherungsanstalt der Bauern am 13. 9. 2004 einen Rückstandsausweis und ersuchte die beklagte Partei um Aufrechnung. Mit Bescheid vom 27. 9. 2004 ordnete die beklagte Partei die Aufrechnung ab 1. 10. 2004 an.

In seiner dagegen erhobenen Klage brachte der Kläger im Wesentlichen vor, dass er keine Sozialversicherungsbeiträge (mehr) schulde. Die die Zeit von 1. 11. 2001 bis 29. 4. 2002 betreffenden Beitragsforderungen seien im Konkurs angemeldet und mit der Quote bereinigt worden. Da ihm erst seit 1. 10. 2004 eine Pension zukomme, habe im Zeitpunkt des Konkurses noch keine Aufrechnungslage bestanden.

Die beklagte Partei wandte ein, dass der Kläger tatsächlich bereits ab 1. 1. 2003 eine Pension beziehe; dieses Datum stelle auch den Aufrechnungszeitpunkt dar. Der Rückstandsausweis der Sozialversicherungsanstalt der Bauern vom 13. 9. 2004 sei ein Exekutionstitel und unterliege keiner gerichtlichen Prüfung. Die beklagte Partei habe von der Richtigkeit des ausgewiesenen Beitragsrückstandes auszugehen. Sie habe ohnehin nur mit EUR 362,10 monatlich aufgerechnet. Eine Aufrechnung in die unpfändbaren Bezugsteile sei unabhängig vom Konkursverfahren zulässig, da das Existenzminimum nicht in die Konkursmasse falle; für die unpfändbaren Teile gelte die Zwei-Jahresfrist des § 12a Abs 2 KO nicht. Die Festsetzung der Höhe der Raten bleibe dem Ermessen des Sozialversicherungsträgers überlassen. Somit entspreche die vorgenommene Aufrechnung dem § 71 GSVG. Die beklagte Partei beantragte zudem die Feststellung, dass der Kläger die vorgenommene Aufrechnung zu dulden habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und erkannte die beklagte Partei schuldig, die Aufrechnung der offenen Beitragsforderung der Sozialversicherungsanstalt der Bauern in Höhe von EUR 1.559,07 ab 1. 10. 2004 auf die Pension des Klägers zu unterlassen. In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht unter Hinweis auf die Entscheidung 10 ObS 233/02s davon aus, dass ein Insolvenzverfahren die Möglichkeit der Aufrechnung unberührt lasse, sofern die Forderungen einander bei Verfahrenseröffnung aufrechenbar gegenüber stehen. Entstehe eine der Forderungen erst nach Konkurseröffnung, fehle es an der Aufrechenbarkeit. Im vorliegenden Fall sei der Pensionsanspruch des Klägers gegen die nunmehr beklagte Partei erst mit 1. 1. 2003 entstanden, sodass einander die Forderungen bei Verfahrenseröffnung am 29. 4. 2002 (noch) nicht aufrechenbar gegenüber gestanden seien; die rückständigen Beträge könnten daher nicht im Wege der Aufrechnung geltend gemacht werden. Durch Bezahlung der 20 %-igen Quote sei der Kläger von der Verbindlichkeit befreit worden, den darüber hinausgehenden Beitragsrückstand zu bezahlen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Die sozialversicherungsrechtliche Aufrechnungsbestimmung des § 71 Abs 1 Z 1 GSVG gehe den Pfändungsbeschränkungen des Exekutionsrechts vor und werde auch vom Insolvenzrecht nur zum Teil berührt. Stünden einander die beiden Forderungen (Beitragsrückstand/Pensionsbezug) schon bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufrechenbar gegenüber, lasse die Eröffnung des Verfahrens die bereits bestandene Möglichkeit der Aufrechnung unberührt (§ 19 Abs 1 KO). Das Aufrechnungsrecht überdauere in diesem Fall auch den Abschluss eines Zwangsausgleiches oder eines Zahlungsplanes, weil die Aufrechnungsmöglichkeit dem Konkursgläubiger eine besondere, einem Absonderungsrecht (Pfand) vergleichbare Deckung verleihe. Durch die Anmeldung einer Konkursforderung gehe diese Aufrechnungsmöglichkeit nicht verloren. Entstehe die Befugnis zur Aufrechnung aber erst nach Konkurseröffnung, komme dem Versicherungsträger dagegen die einem Absonderungsgläubiger vergleichbare Stellung nicht zu.

Aus der höchstgerichtlichen Rechtsprechung lasse sich zwar ein Vorrang der sozialversicherungsrechtlichen Aufrechnungsbestimmungen gegenüber dem Exekutionsrecht entnehmen, nicht aber ein Vorrang auch gegenüber dem Insolvenzrecht. So gehe hinsichtlich der zur Konkursmasse gehörigen, pfändbaren Bezugsteile § 12a KO als lex specialis den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen vor. Wenn aber bei Konkurseröffnung keine Aufrechnungslage bestanden habe, komme dem Sozialversicherungsträger insbesondere keine einem Absonderungsgläubiger vergleichbare Stellung zu, die durch die Konkurseröffnung nicht tangiert werden konnte.

Im vorliegenden Fall sei die der Aufrechnung zugrunde liegende Forderung des Klägers erst nach Konkursaufhebung entstanden und habe daher nie (auch nicht anteilig im pfändbaren Umfang) einen Teil der Konkursmasse gebildet. Die vom Obersten Gerichtshof vorgenommene Differenzierung in pfändbare und unpfändbare Bezugsteile, auf die die Argumentation der beklagten Partei primär aufbaue, sei daher auf die konkrete Sachverhaltskonstellation nicht übertragbar. Es gebe keinen unpfändbaren Pensionsteil, der das Konkursverfahren als nicht im Sinn des § 1 Abs 1 KO zur Masse gehörig „überlebt" habe und von den Wirkungen des Zwangsausgleiches nicht erfasst worden wäre. Für diese Ansicht spreche auch der zwar nicht im vorliegenden Fall, sondern erst für Konkurseröffnungen nach dem 30. 6. 2002 anwendbare, in seinen Wirkungen mit § 12a KO vergleichbare § 113a KO (Vorverlegung des Zeitpunktes des Rechtsverlustes), wonach Absonderungsrechte an Einkünften aus dem Arbeitsverhältnis oder sonstigen wiederkehrenden Leistungen mit Einkommensersatzfunktion bei sonstigem Erlöschen bis zur Abstimmung über einen Zahlungsplan beim Konkursgericht geltend zu machen seien. Einen Absonderungsanspruch an einem Pensionsbezug (die Aufrechnungsbefugnis habe vergleichbare Wirkung) könne man aber nur anzeigen, wenn der Pensionsbezug schon während des Konkursverfahrens (bis zur Abstimmung über einen Zahlungsplan) bestehe.

Forderung und Gegenforderung stünden einander ab 1. 1. 2003 aufrechenbar gegenüber. Da die Aufrechnung nicht gegen die Konkursmasse erfolgt sei (§ 1439 Satz 2 ABGB), würden die normalen zivilrechtlichen Bestimmungen gelten (§§ 1438 ff ABGB). Die Aufrechnung vollziehe sich nicht ipso iure mit Eintritt der Aufrechnungslage, sondern es bedürfe einer Aufrechnungserklärung. Die Aufrechnungsvoraussetzungen müssten im Zeitpunkt der Abgabe der Aufrechnungserklärung gegeben sein, wobei die normative Regelung im Bescheid über die Aufrechnung die Geltendmachung der Aufrechnung sei und der Aufrechnungserklärung entspreche. Im Zeitpunkt der Bescheiderlassung am 27. 9. 2004 habe allerdings - wie im Zeitpunkt des erstmaligen Gegenübertretens von Beitragsschuld und Pensionsbezug am 1. 1. 2003 - die offene Beitragsforderung durch den Zwangsausgleich bereits eine Änderung erfahren. Durch die rechtskräftige Bestätigung des Zwangsausgleiches (28. 8. 2002) und die Zahlung der Quote an die beklagte Partei (bis 28. 4. 2004) sei der Kläger gemäß § 156 Abs 1 KO von der Verbindlichkeit befreit worden, den Ausfall an Sozialversicherungsbeiträgen zu ersetzen. Damit bestehe die offene Beitragsforderung nicht mehr, mit welcher die beklagte Partei aufzurechnen versuche.

Die ordentliche Revision sei zulässig, da der Oberste Gerichtshof mit den Auswirkungen eines Insolvenzverfahrens (Zwangsausgleich, Zahlungsplan) auf einen erst nach Konkursaufhebung entstehenden Pensionsanspruch im Zusammenhang mit den sozialversicherungsrechtlichen Aufrechnungsbestimmungen noch nicht befasst gewesen sei. Da es auf eine Gegenseitigkeit der Forderungen bei Konkurseröffnung für eine Aufrechnung in das Existenzminimum nicht ankomme, könnte man allenfalls auch - der Argumentation der Berufungswerberin folgend - die Meinung vertreten, dass sich Zwangsausgleich oder Zahlungsplan nie auf unpfändbare Bezugsteile (Existenzminimum) auswirken könnten, unabhängig davon, ob ein der Aufrechnung zugrunde gelegter Pensionsbezug schon während des Insolvenzverfahrens bestanden habe oder erst nachträglich entstanden sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsabweisenden Sinn samt dem Ausspruch, dass der Kläger die Aufrechnung eines Beitragsrückstandes von EUR 1.559,07 ab 1. 10. 2004 zu dulden habe.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen berechtigt.

Nach § 64 Abs 2 ASVG hat der Versicherungsträger, der nach § 58 Abs 6 berufen ist, eine Beitragsforderung rechtlich geltend zu machen, zur Eintreibung nicht rechtzeitig entrichteter Beiträge einen Rückstandsausweis auszufertigen. Dieser Ausweis hat unter anderem den Vermerk des Versicherungsträgers zu enthalten, dass der Rückstandsausweis einem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug nicht unterliegt. Vor Ausstellung eines Rückstandsausweises ist der rückständige Betrag einzumahnen (siehe § 64 Abs 3 ASVG). Für den Fall, dass der Beitragsschuldner trotz Mahnung und Ablauf der in der Mahnklausel angegebenen zweiwöchigen Zahlungsfrist die Beitragsschuld nicht beglichen hat, ist über die nicht rechtzeitig entrichteten Beiträge der Rückstandsausweis auszufertigen, der die Grundlage für die zwangsweise Eintreibung der Beitragsforderung bildet. Eine Zustellung des Rückstandsausweises an den Beitragsschuldner ist nicht vorgesehen und auch nicht erforderlich, weil dem Beitragsschuldner die Höhe der Forderung schon durch die Mahnung bekannt ist und - unbeschadet der Verpflichtung des Versicherungsträgers, über Einwendungen gegen die Richtigkeit zu entscheiden - ein Rechtsmittel gegen den Rückstandsausweis nicht ergriffen werden kann (Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG, 53. ErgLfg § 64 Anm 1). Rückstandsausweise stellen nämlich nach herrschender Lehre und Rechtsprechung keine anfechtbaren Bescheide dar. Vielmehr handelt es sich dabei um „Auszüge aus den Rechnungsbehelfen", mit denen die Behörde den Stand der offenen Zahlungsverbindlichkeiten eines Beitragsschuldners bekannt gibt (10 ObS 146/93 = SZ 66/134 = SSV-NF 7/100; Krejci/Marhold/Karl in Tomandl, SV-System 18. ErgLfg 108); diese wiederum ergeben sich bereits aus dem Gesetz oder aus früher erlassenen Bescheiden (8 Ob 632/92 = ecolex 1993, 305 ua; RIS-Justiz RS0053380).

Wegen des fehlenden Bescheidcharakters des Rückstandsausweises kommt auch eine Bindung der Gerichte in dem Sinn, dass endgültig und bindend über eine Vorfrage abgesprochen wird, nicht in Frage (10 ObS 150/03m = SZ 2004/38 = SSV-NF 18/17; RIS-Justiz RS0037038). Dies gilt jedoch nicht für einen dem Rückstandsausweis allenfalls zugrunde liegenden Bescheid oder für die Entscheidung der Behörde über die Berechtigung von Einwendungen gegen die im Rückstandsausweis ausgewiesene Beitragsforderung (3 Ob 17/89 = AnwBl 1989/3306, 758 mwN).

Über Einwendungen gegen die Richtigkeit des Rückstandsausweises hat der Sozialversicherungsträger gemäß den §§ 409 und 355 Z 3 ASVG bescheidmäßig abzusprechen; dagegen kann gemäß § 412 Abs 1 ASVG Einspruch an den zuständigen Landeshauptmann erhoben werden (Oberndorfer/Muzak in Tomandl aaO 18. ErgLfg 683). Einwendungen gegen die Vollstreckung oder ein Antrag auf Feststellung der Beitragspflicht gemäß § 410 Abs 1 Z 7 ASVG verpflichten somit den Versicherungsträger, über die Beitragsschuld bescheidmäßig abzusprechen. Angelegenheiten der Beiträge der Versicherten und ihrer Dienstgeber sind keine Leistungssachen, sondern Verwaltungssachen nach § 355 Z 3 ASVG, sodass hiefür der Rechtsweg unzulässig ist (10 ObS 146/93 = SZ 66/134 = SSV-NF 7/100 mwN).

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen kann aus diesem Grund vom Arbeits- und Sozialgericht auch über die Aufrechnung von geschuldeten Beiträgen auf die vom Versicherungsträger zu erbringenden Leistungen gemäß § 103 Abs 1 Z 1 ASVG nur dann entschieden werden, wenn die Beitragsschuld entweder unbestritten ist oder rechtskräftig festgestellt wurde (10 ObS 35/99s = SSV-NF 13/33 mwN; Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen 111 mwN). Eine Beitragsschuld ist dann rechtskräftig festgestellt, wenn die der Rechtskraft fähige Entscheidung im administrativen Instanzenzug unanfechtbar ist. Wenn über vom Versicherten geschuldete Beiträge bereits ein rechtskräftiger Verwaltungsbescheid vorliegt, sind die Gerichte daran gebunden (10 ObS 35/99s = SSV-NF 13/33 mwN); demgegenüber sind, wie bereits dargelegt, Rückstandsausweise nicht der Rechtskraft fähig.

Im vorliegenden Fall kann schon deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die Beitragsschuld unbestritten ist, weil der Kläger vorbrachte, als Beitragsschuldner schon durch den rechtskräftig bestätigten Ausgleich von der Verbindlichkeit befreit worden zu sein, seinen Gläubigern den Ausfall nachträglich zu ersetzen (§ 156 Abs 1 KO). Im Sinne der dargelegten Erwägungen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass durch den vollstreckbaren Rückstandsausweis der Sozialversicherungsanstalt der Bauern vom 13. 9. 2004 mit Rechtskraftwirkung über Bestand und Höhe der Beitragsschulden des Klägers abgesprochen worden wäre.

Es wird daher mit den Parteien im fortzusetzenden Verfahren zu erörtern sein, ob und gegebenenfalls in welcher betragsmäßigen Höhe diesem Rückstandsausweis rechtskräftige (Beitrags-)Bescheide der Sozialversicherungsanstalt der Bauern zugrunde liegen. Erst nach ergänzender Beweisaufnahme und nach Vorliegen entsprechender Feststellungen wird die Frage beurteilt werden können, ob die Beitragsschuld des Klägers im Sinne der dargelegten Ausführungen „rechtskräftig festgestellt" ist.

Sollte demnach die Voraussetzung für die richterliche Entscheidungsbefugnis, dass die Beitragsschuld unbestritten oder im Verwaltungsverfahren bereits rechtskräftig festgestellt ist, nicht vorliegen, wird das Erstgericht sein Verfahren in analoger Anwendung des § 74 ASGG zur Klärung der Beitragsschuld des Klägers bei der Sozialversicherungsanstalt der Bauern zu unterbrechen haben (Fink aaO 111). Bei der gegenständlichen Sozialrechtssache handelt es sich um eine solche über den Bestand und Umfang des Anspruches auf

Versicherungsleistung nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG (10 ObS 150/03m = SZ

2004/38 = SSV-NF 18/17; Neumayr in ZellKomm § 65 ASGG Rz 11 mwN). § 74 Abs 1 ASGG nennt unter anderem für derartige Rechtsstreitigkeiten in grundsätzlich taxativer, aber analogiefähiger Aufzählung fünf Arten von Vorfragen, und zwar jene, die in den bisherigen Leistungsstreitverfahren am häufigsten auftraten (Kuderna, ASGG² § 74 Anm 2). Es sind dies die Fragen der Versicherungspflicht, Versicherungsberechtigung, des Beginnes oder des Endes der Versicherung (§ 355 Z 1 ASVG), der maßgeblichen Beitragsgrundlage und schließlich der Angehörigeneigenschaft (§ 410 Abs 1 Z 7 ASVG). Stellt sich eine der aufgezählten Vorfragen, so hat das Gericht - da hierüber als Verwaltungssache der zuständige Versicherungsträger (§ 409 ASVG) mit Bescheid zu entscheiden hat - sein Verfahren zu unterbrechen, bis im Verfahren der zuständigen Verwaltungsbehörde (einschließlich jenem des Verwaltungsgerichtshofes) über diese Frage als Hauptfrage abgesprochen ist. Voraussetzung ist, dass die Entscheidung über die Klage ganz oder zum Teil von der Beurteilung einer solchen Vorfrage abhängt und dass die betreffende Vorfrage zwischen den Prozessparteien strittig ist (10 ObS 2142/96i = SSV-NF 10/82 mwN). Sollte eine andere, im § 74 Abs 1 ASGG nicht genannte, jedoch gleichartige Vorfrage bestehen, sind zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen und zur Gewährleistung einer verfassungskonformen Auslegung die Bestimmungen des § 74 ASGG analog anzuwenden (RIS-Justiz RS0037262 [T2] und [T3]).

Fink (aaO 111 und 437) vertritt dazu die Auffassung, dass eine analoge Anwendung des § 74 Abs 1 ASGG auf wenige Ausnahmefälle beschränkt sei. Bei der Aufrechnung gemäß § 103 Abs 1 Z 1 ASVG habe aber das Arbeits- und Sozialgericht sein Verfahren in analoger Anwendung des § 74 ASGG zu unterbrechen, sofern die Beitragsschuld nicht unbestritten oder rechtskräftig festgestellt ist. Der Oberste Gerichtshof hat sich dieser Auffassung bereits in der Entscheidung 10 ObS 150/03m (SZ 2004/38 = SSV-NF 18/17) angeschlossen. Die Prüfung der Frage der Beitragsschuld ist daher als Verwaltungssache den Gerichten auch im Vorfragenbereich entzogen und es ist hierüber die Entscheidung im Verwaltungsverfahren abzuwarten bzw zu veranlassen und deren Ergebnis dem gerichtlichen Verfahren zugrunde zu legen. Da es somit offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung aufzuheben. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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