OGH 9ObA86/06x

OGH9ObA86/06x11.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Helmut Szongott und Herbert Bernold als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. Felicitas U*****, Ärztin, *****, vertreten durch Dr. Harald Bisanz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei E***** AG, *****, vertreten durch Burgstaller & Preyer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen „Unzulässigkeit einer Kündigung gemäß § 8 Abs 2 BEinstG", über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Mai 2006, GZ 8 Ra 39/06y-7, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Im vorliegenden Fall geht es nur mehr um die Frage, ob eine Arbeitnehmerin auch dann den besonderen Kündigungsschutz nach § 8 Abs 2 BEinstG für sich in Anspruch nehmen kann, wenn - bezogen auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung - kein Bescheid iSd § 14 BEinstG vorliegt, der ihr die Eigenschaft einer begünstigten Behinderten iSd BEinstG zuerkennt. Die Revisionswerberin meint, es genüge bei „analoger" Anwendung des § 10 MSchG, dass die Behinderteneigenschaft im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung „tatsächlich" vorgelegen sei; auf das Vorliegen eines Bescheids iSd § 14 BEinstG komme es nicht an. Diese Auffassung wurde vom Berufungsgericht, das sich auf das BEinstG und die hiezu ergangene Rechtsprechung stützen konnte, nicht geteilt.

Begünstigte Behinderte nach § 2 Abs 1 BEinstG sind österreichische Staatsbürger - und diesen gleichgestellte Personen - mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 vH. Die Kündigung eines begünstigten Behinderten darf nach § 8 Abs 2 BEinstG von einem Arbeitgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuss (§ 12 BEinstG) zugestimmt hat. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ist rechtsunwirksam, wenn dieser nicht in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt. Beruft sich der gekündigte Arbeitnehmer auf den Kündigungsschutz nach § 8 Abs 2 BEinstG, dann ist das Klagebegehren nicht wie im vorliegenden Fall auf den Ausspruch der Unzulässigkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung, sondern auf die Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses zu richten (Ernst/Haller, BEinstG6 § 8 Erl 2; 9 ObA 179/90 ua). Als Nachweis für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gilt nach § 14 Abs 1 BEinstG der letzte rechtskräftige Bescheid über die Einschätzung des Grads der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mindestens 50 vH einer der in lit a bis d genannten Stellen. Die Feststellung des Grads der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Nachweis gilt zugleich als Feststellung des Grads der Behinderung. Liegt ein Nachweis iSd Abs 1 nicht vor, hat nach § 14 Abs 2 BEinstG auf Antrag des Behinderten das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs 1 BEinstG angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach dem BEinstG begünstigten Behinderten sowie den Grad der Behinderung festzustellen. Die Begünstigungen nach dem BEinstG werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrags beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monats wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung gestellt wird (§ 14 Abs 2 BEinstG). Wie der Oberste Gerichtshof in mehreren Entscheidungen ausgesprochen hat (4 Ob 21/84; 14 Ob 196/86; 9 ObA 304/88 ua), wurde mit der Ergänzung des § 14 Abs 2 Invalideneinstellungsgesetzes 1969 (InvEG; seit der Novelle BGBl 1988/721 Behinderteneinstellungsgesetz bzw BEinstG) im Rahmen der Novelle BGBl 1979/111 klargestellt, dass der Bescheid, mit dem über die Zugehörigkeit einer Person zum Kreis der nach § 2 Abs 1 InvEG begünstigten Invaliden (seit BGBl 1988/721 „Behinderten") abgesprochen wird, nicht rechtsgestaltend wirkt, aber feststellenden Charakter in Bezug auf das Bestehen der Invalideneigenschaft (seit BGBl 1988/721 „Behinderteneigenschaft") ab dem im Bescheid genannten Zeitpunkt hat und dem Nachweis der Begünstigung dient. Nach den Gesetzesmaterialien sollte hiedurch die bis dahin feststellbare Rechtsunsicherheit über den Zeitpunkt des Anfalls bei Zivilbehinderten beseitigt werden (RV 1158 BlgNR 14. GP 15). Das Gesetz stellte im Übrigen klar, dass seine Begünstigungen (erst) mit dem Zutreffen der Voraussetzungen - „frühestens" jedoch mit dem Ersten des Monats, in dem der Antrag eingebracht worden ist - wirksam werden. Das Wort „frühestens" kann bei Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem es vom Gesetzgeber gebraucht wird, nur auf das Zutreffen der Voraussetzungen bezogen werden (9 ObA 304/88 ua). Daraus folgt aber, dass sich die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten - entgegen der Annahme der Revisionswerberin - nicht schon aus der bloßen Tatsache des Vorliegens eines bestimmten Grads der Behinderung ergibt, sondern eines Nachweises durch einen rechtskräftigen Bescheid iSd § 14 Abs 1 BEinstG bzw, wenn ein solcher nicht vorliegt, eines Bescheids des Bundessozialamts nach § 14 Abs 2 BEinstG bedarf, mit dem die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten und der Grad der Behinderung festgestellt werden (Ernst/Haller aaO § 14 Erl 1; Weiß, Der besondere Bestandschutz FN 533; 9 ObA 188/98g; VwGH 25. 9. 1985, 84/09/0035, Arb 10.575; VwGH 21. 11. 2000, 2000/11/0266, ARD 5210/13/2001 ua).

Richtig ist der Hinweis der Revisionswerberin, dass der Kündigungsschutz von der Kenntnis des Arbeitgebers von der Behinderung unabhängig ist (Ernst/Haller aaO § 8 Erl 49; Weiß aaO Rz 242; RIS-Justiz RS0037786, RS0077684 ua). Dies bedeutet jedoch nicht, dass es nur auf das „tatsächliche" Vorliegen der Behinderung ankäme. Die Entscheidung, ob eine Behinderung gegeben ist, ist ausschließlich den Verwaltungsbehörden übertragen (RIS-Justiz RS0052584 ua). Die Feststellung der Behinderteneigenschaft iSd BEinstG ähnelt in ihrer Funktion einer Statusentscheidung (Ernst/Haller aaO § 14 Erl 14; 9 ObA 188/98g ua); der Bescheid entfaltet Tatbestandswirkung (RIS-Justiz RS0110351 ua). Der Schutz eines begünstigten Behinderten nach dem BEinstG beginnt grundsätzlich mit jenem Zeitpunkt, für den das Vorliegen einer Behinderung festgestellt wurde (Weiß aaO Rz 241; 9 ObA 30/06m ua).

Ein bescheidmäßiger Nachweis iSd § 14 BEinstG lag zugunsten der Klägerin für den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht vor. Da das BEinstG für die Anwendung seiner Begünstigungen ausdrücklich auf das Vorliegen dieses Nachweises abstellt, liegt entgegen der Auffassung der Revisionswerberin keine ungewollte Regelungslücke vor, die erst durch Analogie zum MSchG geschlossen werden müsste. Der Klägerin fehlte bezogen auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Eigenschaft einer begünstigten Behinderten iSd BEinstG, weshalb die Arbeitgeberkündigung zu ihrer Wirksamkeit nicht der Zustimmung des Behindertenausschusses bedurfte.

Dieses Resümee ergibt sich eindeutig aus dem BEinstG und der dazu ergangenen Rechtsprechung. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird von der Revisionswerberin zu diesem Thema nicht aufgezeigt. Ihre außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.

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