OGH 7Ob306/05h

OGH7Ob306/05h31.5.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Vogel, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eberhardt B*****, vertreten durch Dr. Hannes Paulweber, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Barbara R*****, vertreten durch Dr. Rudolf Kathrein, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen EUR 240 sA und Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 11. Oktober 2005, GZ 1 R 364/05v-29, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 3. Mai 2005, GZ 11 C 627/03b-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden, soweit sie nicht in ihrem Punkt 1 (Zahlungsbegehren) bereits in Rechtskraft erwachsen sind, in ihrem Punkt 2 (Räumung) und im Kostenpunkt aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger ist Wohnungseigentümer, die Beklagte Mieterin. Der monatliche Mietzins betrug EUR 128,60, ab Jänner 2004 EUR 133,80. Die Beklagte bezahlte von Oktober 2003 bis Mai 2004 einen um EUR 30 verminderten Mietzins und machte geltend, dass ein anderer Mieter im Haus ortsunüblich und unzumutbar Lärm erzeuge, sodass sie im Gebrauch ihrer Wohnung gestört werde, sodass sie zur Mietzinsminderung berechtigt sei. Bereits im August 2001 richtete sie eine schriftliche Beschwerde an die Hausverwaltung wegen ungebührlichen Lärms aus der Nachbarwohnung. Sie verständigte mehrmals die Polizei. Im Mai 2003 erging ein Erkenntnis des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol, mit dem zwar erkannt wurde, dass der Beschuldigte (d.h. der andere Mieter) sowohl in objektiver als auch subjektiver Hinsicht die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs 1 der Verordnung zur Lärmbekämpfung im Bereich der Landeshauptstadt Innsbruck durch Stören in der Nachtruhe zu vertreten habe, dass aber gemäß § 21 VStG die Behörde von der Verhängung einer Strafe deshalb absehe, weil das Verschulden des Beschuldigten geringfügig und die Folgen der Übertretung unbedeutend gewesen seien. Der Beschuldigte habe sein Bemühen dargelegt und durch den Einbau eines Lautstärkenreglers sowie durch Anbringen einer Schaumstoffunterlage dokumentiert.

Bei „normalem Wohnverhalten" in der Nachbarwohnung können keine Störungen (wie durch laute Gespräche oder Streitigkeiten) in der Wohnung der Beklagten wahrgenommen werden. Bei der Verwendung von Verstärkungsanlagen und großen Lautsprechern ist es aus lärmtechnischer Sicht möglich, einen Raumschallpegel zu erzeugen, der „störende Lärmimmissionen in angrenzende Wohnungsbereiche" übertragen kann. Bei Abspielen der Stereoanlage „in Zimmerlautstärke" ist in der Wohnung der Beklagten „nichts" zu hören. Erst bei „voller Lautstärke" sind die Bässe gedämpft wahrzunehmen. „Nicht feststellbar ist daher, ob in dem von der Beklagten angegebenen Zeitraum eine dermaßen überhöhte Lärmbelästigung durch den Mieter .... vorlag, die den bedungenen Gebrauch in dem Ausmaß eingeschränkt hat, dass eine Mietzinsreduktion gerechtfertigt wäre." Im Gutachten vom 2. 12. 2004 heißt es in der Zusammenfassung: „Beim Abspielen lauter Musik mit einer elektroakustischen Anlage mit großen, leistungsfähigen Basslautsprechern sind jedoch Lärmstörungen trotz erhöhtem Schallschutz zu erwarten."

Der Kläger stellt ein Mietzinszahlungs- und ein Räumungsbegehren gestützt auf § 1118 ABGB. Er habe unmittelbar auf die schriftlichen Beschwerden der Beklagten reagiert. Es seien zahlreiche Schlichtungsversuche vorgenommen worden. Es liege kein entsprechender Nachweis einer ungebührlichen oder ortsunüblichen Lärmerregung vor, die die Beklagte zu einer Mietzinsreduktion berechtigen würde. Der bedungene Gebrauch der Wohnung sei im vollen Umfang gegeben gewesen.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Zahlungs- und des Räumungsbegehrens. Sie sei gemäß § 1096 ABGB berechtigt, wegen der ortsunüblichen und unzumutbaren Lärmbelästigung den Mietzins zu mindern, da der bedungene Gebrauch der Wohnung nicht gewährleistet sei. Sie werde durch Technomusik, Streitgespräche und Betrieb des Fernsehers beeinträchtigt.

Das Erstgericht gab dem Mietzinszahlungs- und dem Räumungsbegehren statt. Es vertrat die Rechtsansicht, dass ein wichtiger Grund für die Aufkündigung des Mietvertrages gemäß § 30 Abs 2 Z 1 MRG vorliege, wenn der Mieter ohne Vorliegen eines erheblichen Mangels und trotz des Eintritts der Fälligkeit mit der Bezahlung des Mietzinses über die ihm zugestandene Frist hinaus im Rückstand sei. Dies könne der Mieter dadurch abwenden, dass ihn am Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden treffe und er vor Schluss der mündlichen Verhandlung den geschuldeten Betrag entrichte. Der Mieter habe zu beweisen, dass ihn an der verspäteten Zahlung kein grobes Verschulden, wie Willkür, Leichtsinn oder Rechthaberei, treffe. Die Beklagte habe die Interessen des Klägers aus Rechthaberei verletzt, da sie ohne bedeutsame Gebrauchseinschränkung und ohne Bestehen einer Gegenforderung auf einem bei nüchterner Überlegung als unrichtig erkennbaren Standpunkt beharrt habe, der keinesfalls zu einer Zinsbefreiung gemäß § 1096 Abs 1 ABGB habe führen können. Trotz Kenntnis des Gutachtens vom 2. 12. 2004 habe die Beklagte auf ihrem Standpunkt beharrt. Sie habe auch weit über die in der gängigen Judikatur vorgesehene 10 %ige Mietzinsreduktion ein Zinsminderungsrecht behauptet. Es lägen keine Rechtfertigungsgründe auf Seiten der Beklagten vor, warum sie in den vier Monaten zwischen dem ihren Angaben widersprechenden Gutachten und dem Schluss der Verhandlung den Mietzins trotzdem nicht nachbezahlt habe. Möge es auch nicht eindeutig bewiesen worden sein, so ginge ein Zweifel hinsichtlich des Nichtbestehens eines Verschuldens immer zu Lasten des Beklagten.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil. Es führte aus, dass eine Beschlussfassung nach § 33 Abs 2 MRG deshalb nicht zu erfolgen habe, weil die Höhe des Mietzinsrückstandes insbesondere auch im Hinblick auf die Außerstreitstellung der Beklagten nicht strittig sei. Dem erstinstanzlichen Verfahren hafte der relevierte Mangel nicht an. Zur Beurteilung, dass der Beklagten ein grobes Verschulden am Zahlungsrückstand anzulasten sei, schloss es sich den Ausführungen des Erstgerichtes an.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, da über keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO abgesprochen worden sei.

Lediglich gegen die Stattgebung des Räumungsbegehrens richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit einem Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch berechtigt.

Die Ansicht des Berufungsgerichtes, dass im vorliegenden Fall kein Beschluss nach § 33 Abs 2 MRG zu fassen sei, ist nur im Ergebnis richtig. Es entspricht nämlich ständiger Rechtsprechung, dass bei einer Verbindung von Mietzins- mit Räumungsbegehren über den behaupteten Zahlungsrückstand zwingend mit Teilurteil zu entscheiden ist (9 Ob 61/04t, 1 Ob 11/04f, 3 Ob 306/04b, 7 Ob 46/01t, 8 Ob 120/99a; RIS-Justiz RS0111942). Ein Wahlrecht des Richters, entweder ein Teilurteil oder einen Beschluss nach § 33 Abs 2 MRG zu fassen, besteht nicht (z Ob 46/01t, 8 Ob 120/99a, 1 Ob 253/98g; RIS-Justiz RS0111942). Dieses Wahlrecht wurde unter anderem mit der bloß eingeschränkten Anfechtbarkeit des Beschlusses nach § 33 Abs 2 MRG abgelehnt (1 Ob 253/98g, 3 Ob 583/90 = wobl 1991, 125/77).

§ 33 Abs 2 Satz 2 MRG, der die Beschlussfassung über den Mietzinsrückstand anordnet, wird als reine Verfahrensvorschrift beurteilt, deren Nichtbeachtung mit dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens zu rügen ist (9 Ob 14/04f, 7 Ob 46/01t, 1 Ob 11/04f, 10 Ob 325/99p; RIS-Justiz RS0043204). Im vorliegenden Fall war aber, da eine Mietzins- und Räumungsklage erhoben wurde, jedenfalls kein Beschluss nach § 33 Abs 2 MRG zu fassen, sondern, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen zwingend ein Teilurteil zu fällen, das naturgemäß zu anderen Anfechtungsmöglichkeiten als bei einem Beschluss führt (vgl 1 Ob 253/98g, 10 Ob 325/99p).

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass ein Beschluss nach § 33 Abs 2 MRG, und damit bei Verbindung von Mietzins- und Räumungsbegehren auch ein Teilurteil, zwingend dann zu erlassen sind, wenn zwar die Höhe des qualifizierten Mietzinsrückstandes im darauf gestützten Räumungsprozess nicht strittig ist, aber der Mieter behauptet, er sei nach § 1096 ABGB von der Mietzinszahlung ganz oder teilweise befreit (4 Ob 248/01a, 3 Ob 113/98z; RIS-Justiz RS0070416, RS0070404). Auch wenn die Beklagte den Mietzinsrückstand naturgemäß der Höhe nach außer Streit stellte (sie machte eine Minderung von EUR 30 pro Monat geltend), so war die Mietzinsforderung des Klägers dennoch dem Grunde nach strittig, da eben zu entscheiden war, ob und in welchem Ausmaß die Beklagte den Mietzins im Sinne des § 1096 ABGB mindern durfte oder nicht. Die Frage des Mietzinsrückstandes hing daher vom Beweisverfahren und den vom Erstgericht zu treffenden Feststellungen zur behaupteten Störung durch einen anderen Mieter, der nach der Darstellung der Beklagten die Stereoanlage über Zimmerlautstärke verwendete, ab. Diese Frage kann ein Gutachten allein nicht abklären und sie wurde auch vom Sachverständigen offen gelassen. Die Beklagte konnte vor der Entscheidung des Erstgerichtes über den Mietzinsrückstand nicht absehen, welche Feststellungen das Erstgericht treffen werde. Der Ausgang der Beweiswürdigung lag durch das Gutachten nicht so nah, dass kein vernünftiger Mensch daran zweifeln konnte. Von einer schikanösen Rechtsausübung kann nicht gesprochen werden, konnte doch das Erstgericht nur „nicht feststellen, ob" eine Lärmbelästigung vorlag, sodass dies im Rahmen der die Beklagte treffenden Beweislast zu ihrem Nachteil ausschlug. Das Erstgericht gelangte nicht einmal zur Überzeugung, dass überhaupt keine Lärmbelästigung gegeben war. Die Fehleinschätzung der Beweislage begründet grundsätzlich kein grobes Verschulden (vgl 5 Ob 512/78 = MietSlg 30.474/12). Es liegen daher die Voraussetzungen des § 33 Abs 2 MRG vor, sodass das Erstgericht nur das diesen Beschluss ersetzende Teilurteil über das Mietzinsbegehren hätte fällen dürfen. Hier wurde aber zu Unrecht vor Rechtskraft des Teilurteils über das Räumungsbegehren selbst (verfrüht) entschieden, was als unrichtige rechtliche Beurteilung in der Revision zu Recht releviert wurde.

Der Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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