OGH 3Ob9/06d

OGH3Ob9/06d29.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Dr. Prückner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Inge W*****, vertreten durch Dr. Walter Holme, Mag. Stefan Weidinger, Rechtsanwälte OEG in Wels, wider die beklagte Partei G***** Gen.m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Peter Keul und Dr. Alexander Burkowski, Rechtsanwälte in Linz, wegen 19.490,80 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 24. Oktober 2005, GZ 21 R 281/05f-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Wels vom 21. Juni 2005, GZ 6 C 342/04a-19, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Rekursbeantwortung sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die beklagte Partei ist Eigentümerin des Hauses, in dem die Klägerin auf Grund des Nutzungsvertrags vom 16. November 1970 berechtigt ist, eine Wohnung samt den Allgemeinflächen zu benutzen. Am 16. Dezember 2003 stürzte die Klägerin im Bereich der letzten Stufe der Kellerstiege beim Hinabsteigen, wodurch sie einen offenen Bruch des rechten Sprunggelenks erlitt.

Die aus Steinstufen bestehende Kellerstiege hat eine Durchgangsbreite von 87 cm. Die letzte Steinstufe liegt 19,5 cm über dem Niveau des Kellerbodens, etwa 5,5 cm unter dieser letzten Steinstufe befindet sich eine Stufe aus Holz, die gleichzeitig den Türstaffel zu einem hölzernen Türstock bildet. Diese Holzstufe war zum Unfallszeitpunkt mangelhaft, weil sie mit teilweise bereits aufgelösten Metallbändern eingefasst war. Die aus altem abgenützten Holz bestehende Oberfläche wies quer verlaufende Furchen und Rillen auf, eine Vermorschung war aber nicht feststellbar. Zwischen der letzten Steinstufe und der Holzstufe bestand ein 3 bis 4 cm breiter Spalt mit wechselnder Tiefe von bis zu mehreren Zentimeter. Diese Vertiefung war von oben ersichtlich. Die Treppe war zum Unfallszeitpunkt ausreichend beleuchtet.

Nicht feststellbar ist, wodurch der Sturz der Klägerin ausgelöst wurde, insbesondere, ob die Mangelhaftigkeit der Kellerstiege der Grund für den Sturz war.

Die Klägerin begehrte insgesamt 19.490,80 EUR sA an Schmerzengeld, Kosten für eine Haushaltshilfe, Heilbehandlungskosten und sonstige unfallkausale Spesen sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle noch nicht bekannten Schäden, die mit dem Unfall vom 16. Dezember 2003 im Zusammenhang stehen.

Die beklagte Partei wendete ein, der Sturz sei der eigenen Unachtsamkeit und Unvorsichtigkeit der Klägerin zuzuschreiben, zumal sie als langjährige Nutzungsberechtigte um die Mangelhaftigkeit der betreffenden Stufe gewusst habe.

Das Erstgericht wies das Leistungs- sowie das Feststellungsbegehren der Klägerin ab. Diese habe den Beweis der Kausalität der Schadhaftigkeit der Stiege für ihren Sturz nicht erbracht. Das Berufungsgericht hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurück. Die Negativfeststellung des Erstgerichts sei unbedenklich, doch seien im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Anwendung des Anscheinsbeweises gegeben, welcher gerade im Bereich der Kausalität Anwendung finde. Der Beweisbelastete müsse nach dem Wesen des Anscheinsbeweises nur bestimmte Tatsachen beweisen, aus denen sich aus der Lebenserfahrung mit erheblicher Wahrscheinlichkeit auf andere Tatsachen schließen lasse, für die er die Beweislast trage. Dies finde dann Anwendung, wenn konkrete Beweise von Beweispflichtigen billigerweise nicht erwartet werden könnten. Weiters gehe es bei der schadenersatzrechtlichen Kausalitätsprüfung darum, ob ein bestimmtes Ereignis mitursächlich für den Schadenseintritt gewesen sei. Nach den getroffenen Feststellungen spreche im vorliegenden Fall der Anschein dafür, dass die Mangelhaftigkeit der Stufe für den Sturz zumindest mitursächlich gewesen sei, zumal die Klägerin die Treppe ohne diese Schadhaftigkeit ohne Sturz hätte begehen können. Der Anscheinsbeweis sei daher insoweit erbracht, als das Hinuntergehen über eine teilweise mangelhafte Kellerstiege und der Sturz auf deren unterster Stufe ein typischer Geschehensablauf sei. Zum Antritt des Gegenbeweises der beklagten Partei, zur Aufnahme der Beweise zum Schaden und dessen Höhe sowie zur Prüfung des Mitverschuldens der Klägerin sei das Verfahren aber noch ergänzungsbedürftig.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil die Bejahung der Zulässigkeit des prima facie-Beweises im vorliegenden Fall recht weitgehend erscheine, zumal die festgestellte Mangelhaftigkeit der Kellerstiege im Vergleich zu dem der E 3 Ob 18/00v zugrundeliegenden Sachverhalt nicht sehr gravierend sei. Da vergleichbare Unfälle im Zusammenhang mit Bestandverhältnissen häufig möglich seien, liege eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung vor.

Der Rekurs der beklagten Partei, mit dem sie die Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Erstgerichts anstrebt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts (§ 526 Abs 2 zweiter Satz ZPO) nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Frage, ob in einem konkreten Fall ein Tatbestand vorliegt, der nach den Regeln des Anscheinsbeweises eine Verschiebung des Beweisthemas und der Beweislast zulässt, ist zwar nach hA eine revisible Rechtsfrage (stRsp; RIS-Justiz RS0022624, RS0022549; Rechberger in Fasching/Konecny2, vor § 266 ZPO Rz 67 mwN), der Lösung dieser Frage kommt allerdings im Hinblick auf die Vielzahl denkbarer Fälle keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu. Es kann nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs sein, in jedem Einzelfall dazu Stellung zu nehmen (2 Ob 151/03z; 7 Ob 291/04a; 6 Ob 83/05g; RIS-Justiz RS0022624 [T 4, 5]).

Dass das Berufungsgericht seinem Aufhebungsbeschluss die Ansicht zugrunde gelegt hat, die Mangelhaftigkeit der Stiege sei prima facie mitkausal für den Sturz der Klägerin, entspricht den Grundsätzen der Rsp des Obersten Gerichtshofs. Dieser hat sich in der E 3 Ob 18/00v (= ZVR 2002/2) bereits ausführlich in einem ähnlichen Fall mit der Frage des Anscheinsbeweises bei einem Sturz auf einer Stiege befasst. Das Berufungsgericht verlässt mit seiner Argumentation den bei der an den konkreten Umständen des Einzelfalls orientierten Beurteilung der Mitursächlichkeit einer schadhaften Stiege für einen Sturz den bestehenden Ermessensbereich nicht. Eine aufgreifbare Fehlbeurteilung des Sachverhalts, die vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigieren wäre, liegt hier nicht vor. Der Rekurs der beklagten Partei ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung in Ansehung der Kosten der Klägerin für ihre Rekursbeantwortung, in der sie auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rekurses hingewiesen hat, gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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