OGH 6Ob83/05g

OGH6Ob83/05g6.10.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria K*****, vertreten durch Dr. Hans Otto Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei L*****gesellschaft (K*****), *****, vertreten durch Klaus und Quendler Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt, wegen 65.400 EUR und Feststellung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 16. Dezember 2004, GZ 4 R 226/04v-77, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 20. Juli 2004, GZ 20 Cg 91/02p-69, aufgehoben wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Hält der Oberste Gerichtshof entgegen dem ihn nicht bindenden (RIS-Justiz RS0042544) Ausspruch des Berufungsgerichts den Rekurs gegen den aufhebenden Beschluss des Berufungsgerichts (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 519 Abs 2 iVm § 502 Abs 1 ZPO für nicht zulässig, kann sich die Zurückweisung des Rekurses auf die Ausführungen der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO). Das Berufungsgericht begründete seinen Zulässigkeitsausspruch damit, dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Zulässigkeit des Anscheinsbeweises einer Hepatits-C-Infektion durch Bluttransfusionen und zum Umfang einer Aufklärungspflicht über die Möglichkeit einer Bluttransfusion im Zusammenhang mit einer Operation fehle.

Ob nach den festgestellten Umständen ein Tatbestand vorliegt, der eine Verschiebung des Beweisthemas und der Beweislast im Sinn des sogenannten Anscheinsbeweises zulässt, ist zwar nach herrschender Ansicht (auch) eine (revisible) Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0022549; RS0022624; SZ 70/179; Fasching, ZPR2 Rz 897; Rechberger in Rechberger ZPO2 vor § 266 Rz 22). Der Lösung dieser Frage kommt allerdings im Hinblick auf die Vielzahl denkbarer Fälle keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu (2 Ob 173/98z; 3 Ob 293/00h; 7 Ob 262/04m ua). Dass die Vorinstanzen hier den Anscheinsbeweis hinsichtlich der Kausalität der Bluttransfusionen für die Erkrankung der Klägerin als sachgerecht ansahen, entspricht der ständigen, vom Berufungsgericht zutreffend zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass von der Beweispflicht des Klägers hinsichtlich der Kausalität insbesondere der ärztlichen Behandlungsfehlern abzugehen ist, weil hier nicht dem Patienten, sondern dem zur Haftung herangezogenen Arzt die Mittel und die Sachkunde zum Nachweis zur Verfügung stehen (6 Ob 3/98d mwN; vgl RIS-Justiz RS0106890). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen sind die Bluttransfusionen und die Verabreichung des Blutgerinnungspräparats im Februar 1983 im Hinblick auf den Ausbruch der Erkrankung im März 1983 mit der Inkubationszeit zu vereinbaren und in hohem Maß als Infektionsquelle anzusehen. Da die Verabreichung von Bluttransfusionen Anfang der 80er Jahre, als die Blutkonserven noch nicht auf den Erreger der Hepatitis C-Erkrankung untersucht werden konnten, mit einem entsprechenden Infektionsrisiko einhergingen und der Oberste Gerichtshof den Anscheinsbeweis auch schon im Fall einer Blutspende (in den 70er Jahren) für deren Kausalität für eine nachfolgende Hepatitis C-Erkrankung bejahte (6 Ob 145/03x), bedarf es keiner (nochmaligen) Klarstellung, dass in derartigen Fällen typische Geschehensabläufe vorliegen, die grundsätzlich für die Verschiebung von Beweisthema und Beweislast zugunsten des Geschädigten sprechen. Dass die Vorinstanzen den Anscheinsbeweis im konkreten Einzelfall als erbracht und einen Gegenbeweis als nicht erbracht angesehen haben, fällt in den Bereich der nichtrevisiblen Beweiswürdigung (1 Ob 168/98a; 2 Ob 173/98z ua). Zur ärztlichen Aufklärungspflicht liegt eine umfangreiche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor, die das Berufungsgericht richtig wiedergegeben hat. Eine verfehlte Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ist nicht zu erkennen. Zur Fortentwicklung dieser Rechtsprechung bietet der vorliegende Sachverhalt keinen Anlass. Dass die Risken einer im Zusammenhang mit einer Operation notwendig gewordenen Bluttransfusion zu den Operationsrisken insgesamt zählen, bedarf keiner weiteren Erörterung. Dass über das typische Risiko einer Bluttransfusion aufzuklären ist, ergibt sich aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 3 Ob 123/99f, in der die Aufklärungspflicht (auch) bei Blutplasmaspenden ausdrücklich bejaht wurde. In dieser Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof ausführlich den Umfang der Aufklärungspflicht in solchen Fällen dargestellt und ausgeführt, dass (im Gegensatz zu der von der Beklagten in ihrer Rekursbeantwortung vertretenen Ansicht) die Ärztehaftung bei Fehlen jeglicher Aufklärung auch dann zu bejahen ist, wenn nach dem Wissensstand zur fraglichen Zeit der Eingriff in die körperliche Integrität auch nur irgendein typisches Risiko (etwa das einer Hepatitis B-Infektion) angehaftet hat, selbst wenn damals noch nicht über das Hepatitis C-Risiko aufgeklärt hätte werden müssen.

Ist das Berufungsgericht der Ansicht, dass der Sachverhalt in der von ihm dargelegten Richtung noch nicht genügend geklärt ist, dann kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüfen, ob eine Verfahrensergänzung notwendig ist, sofern die dem Aufhebungsbeschluss zugrundeliegende Rechtsansicht des Berufungsgerichts zutrifft. Zweck des Rekurses ist nur die Überprüfung der Rechtsansicht des Berufungsgerichts (RIS-Justiz RS0042179). Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die bisherigen Ausführungen des Erstgerichts zur Frage, ob die Verabreichung von Blutkonserven medizinisch indiziert oder nicht unbedingt notwendig gewesen sei, nicht hinreichend präzise seien, lässt einen Widerspruch zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs über die Voraussetzungen der Haftung für einen Verstoß gegen die ärztlichen Aufklärungspflichten nicht erkennen. Dies gilt auch für die Frage, ob die Klägerin der lebensrettenden Tumoroperation und der Gabe von Blutkonserven zugestimmt hätte oder nur der lebensrettenden Tumoroperation, nicht aber der Gabe von Blutkonserven, es sei denn auch, diese Gabe wäre zur Erhaltung ihres Lebens erforderlich gewesen. Der in diesem Zusammenhang missverständlich formulierte Satz über eine Einwilligung der Klägerin zur medizinisch indizierten Bluttransfusion vermag am Auftrag des Berufungsgerichts an das Erstgericht, Umfang und Voraussetzungen der Zustimmung der Klägerin zur Bluttransfusion bei entsprechender Aufklärung zu erheben und präziser festzustellen, nichts zu ändern. Dem Berufungsgericht ist auch insofern kein Fehler unterlaufen, als es meint, dass aus der Tatsache, dass eine bestimmte medizinische Behandlung „vorsorglich" erfolgt sei, noch nicht der rechtliche Schluss zu ziehen sei, diese Maßnahme sei wegen allfälliger Risken ein „Kunstfehler" gewesen. Ebensowenig bedeutet die Feststellung des Erstgerichts, dass die Nachblutung eine mögliche Komplikation einer Darmoperation sei, nicht zwingend, dass aufgrund der Art der tatsächlich durchzuführenden Operation nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft zur Zeit der Operation im Jahr 1983 mit einer solchen, eine Bluttransfusion indizierenden Blutung als typisches Risiko gerechnet hätte werden müssen. Zur Frage, ob alternative Behandlungsmethoden (Eigenblutgabe) in Betracht gekommen wäre, trug das Berufungsgericht ohnehin Ergänzungen auf, sodass die Rüge der Klägerin, die Vorinstanzen hätten ihr diesbezügliches Vorbringen unbeachtet gelassen, unberechtigt ist.

Im Rechtsmittel wird auch kein Abweichen des Berufungsgerichts von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Verjährung von Schadenersatzforderungen aufgrund der Verletzung ärztlicher Aufklärungspflichten aufgezeigt. Ob rechtliche Schlüsse auf das Vorliegen von Schadenersatzansprüchen und deren Verfolgung gezogen werden müssen, gehört nicht zum Tatsachenbereich, dessen Kenntnis für die erfolgreiche Einklagung von Schadenersatzansprüchen erforderlich ist und durch die gemäß § 1489 ABGB der Beginn des Laufs der Verjährungsfrist ausgelöst wird (SZ 60/204). Es genügt die objektive Möglichkeit der Klageeinbringung (RIS-Justiz RS0034366). Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass es nicht darauf ankommt, wann die Klägerin von der rechtlichen Relevanz der unterlassenen Aufklärung erfahren hat, steht mit dieser Rechtsprechung in Einklang. Wann dem Geschädigten der Sachverhalt, der den Grund des Entschädigungsanspruchs darstellt, soweit bekannt wurde, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg einbringen hätte können, hängt ebenso von den Umständen des Einzelfalls ab wie die Frage der Erkundungspflicht des Geschädigten zur Erforschung dieses Sachverhalts (SZ 69/251; 5 Ob 2101/96y; 9 Ob 76/00t; 5 Ob 32/01v ua). Das Berufungsgericht hat sich um Übrigen an den Ausführungen des Obersten Gerichtshofs zur Frage des Verjährungsbeginns in der Entscheidung 10 Ob 1/03z orientiert, der ein vergleichbarer Fall zugrundelag (behauptete Verletzung der Aufklärungspflicht über die Risken einer im Jahr 1989 durchgeführten Bluttransfusion in einer 2001 eingebrachten Schadenersatzklage einer seit Jahren an Hepatitis C leidenden Klägerin). Es ist daher auch bezüglich der Verjährungsfrage keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zu erkennen.

Die Entscheidung über die Kosten der Rekursbeantwortung beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die Rekursbeantwortung enthält keine Ausführungen zur Unzulässigkeit des Rekurses und war daher zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht notwendig.

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