OGH 4Ob251/05y

OGH4Ob251/05y14.2.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) AB H*****, 2) A*****, beide vertreten durch Gassauer-Fleissner, Rechtsanwälte GmbH in Wien, unter Mitwirkung von Dr. Albin Schwarz, Patentanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H*****, vertreten durch Schwarz Schönherr Rechtsanwälte OEG in Wien, unter Mitwirkung von DI Manfred Beer, Patentanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung, Rechnungslegung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 1 Mio EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 18. Oktober 2005, GZ 4 R 67/05k-37, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 26. Jänner 2005, GZ 17 Cg 21/03z-32, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird aufgetragen, über den Sicherungsantrag der Klägerinnen unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund neuerlich zu entscheiden.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Erstklägerin hat den Wirkstoff Omeprazol entwickelt. Sie ist Inhaberin des österreichischen Patents AT 374 471 sowie des zugehörigen Schutzzertifikats SZ 73/94, das ein - durch die Ansprüche näher gekennzeichnetes - Verfahren zur Herstellung von neuen 2-Pyridylalkyl-Sulfinyl-Benzimidazolen sowie von deren Hydraten, Stereoisomeren und Salzen schützt. Die Erstklägerin ist überdies Inhaberin des österreichischen Patents AT 389 995, angemeldet am 12. 4. 1979 und erteilt am 26. 2. 1990. Es erfasst die Verwendung neuer 2-Pyridylalkyl-Sulfinyl-Benzimidazolen zur Herstellung von die Magensäuresekretion beeinflussenden pharmazeutischen Präparaten.

Die Zweitklägerin ist exklusive Lizenznehmerin der Erstklägerin und verkauft deren - den Wirkstoff Omeprazol enthaltende - Produkte in Österreich unter dem Markennamen LosecR.

Die Beklagte verfügt über arzneimittelrechtliche Zulassungen für die Produkte "Omec 10 mg-Kapseln", "Omec 20-mg-Kapseln" und "Omec 40 mg-Kapseln", die den Wirkstoff Omeprazol enthalten. Sie vertreibt diese Produkte in Österreich. Der darin enthaltene Wirkstoff (Omeprazol) wird von einer dänischen Gesellschaft nach einem bestimmten Verfahren synthetisiert, wobei sich dieses Verfahren grundlegend von dem durch das Patent der Erstklägerin AT 374 471 und das Schutzzertifikat geschützte Verfahren unterscheidet. Der synthetisierte Wirkstoff wird in der Türkei zu Mikropellets verarbeitet und in Kapselform nach Deutschland geliefert, wo - nach Überprüfung und Analyse - die Verpackung und schließlich die Auslieferung der Arzneien (nach Österreich) erfolgt.

Die Kläger erblicken darin eine Verletzung ihrer Patentrechte. Sie beantragen zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs - neben der bereits rechtskräftig abgewiesenen Sicherung ihrer aus dem Patent AT 374 471 und dem Schutzzertifikat SZ 73/94 abgeleiteten Ansprüche -, der Beklagten bis zur Rechtskraft der über die Unterlassungsklage ergehenden Entscheidung mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, in Österreich betriebsmäßig die näher beschriebenen Verbindungen und/oder aufgrund der Verwendung dieser Verbindungen jeweils unmittelbar hergestellte Gegenstände für die näher beschriebenen Zwecke feilzuhalten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen, einzuführen oder zu besitzen. Die Beklagte verletze das Patent der Kläger. Sie bringe pharmazeutische Erzeugnisse, die den aktiven Wirkstoff Omeprazol enthielten, in Verkehr, halte sie feil, gebrauche, besitze und führe sie zu diesem Zweck ein.

Die Beklagte wendete ein, das zur Herstellung ihrer Produkte verwendete Verfahren falle nicht in den Schutzbereich des Verfahrenspatents AT 374 471 und des Schutzzertifikats SZ 73/94. Das am 12. 4. 1979 angemeldete Patent AT 389 995 verstoße gegen das „Stoffschutzverbot" des Art IV Abs 1 PatRNov 1984. Seine Ansprüche umfassten (lediglich) die Verwendung eines neuen Stoffs zur Herstellung eines die Magensäuresekretion beeinflussenden pharmazeutischen Präparats zur Behandlung von Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren und die Verwendung von Omeprazol zu diesem Zweck. Auf ein Verfahren zur Herstellung eines Arzneimittels werde darin nicht Bezug genommen. Das Patent hätte daher nicht erteilt werden dürfen. Ein Verfahren zur Nichtigerklärung sei anhängig. Im Übrigen beruhe das Patent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Ein Patentverstoß sei auch deshalb nicht verwirklicht, weil Omeprazol ausschließlich im Ausland und somit außerhalb des österreichischen Geltungsbereichs des Patents zur Herstellung ihrer Produkte verwendet werde. Unter Hinweis auf den ihr drohenden Verdienstentgang (die Beklagte beziffert diesen mit 350.000 EUR monatlich) und die zu erwartende Verfahrensdauer stellte die Beklagte den Antrag, eine allenfalls zu erlassende einstweilige Verfügung von einer Sicherheitsleistung von 8,4 Mio EUR abhängig zu machen.

Das Erstgericht wies das Sicherungsbegehren am 20. 10. 2003 zur Gänze ab. Mit Beschluss vom 21. 1. 2004, N 24/2002, setzte die Nichtigkeitsabteilung das auf Antrag des Österreichischen Generikaverbands eingeleitete Verfahren auf Nichtigerklärung des Patents AT 389 995 nach Zurückziehung des Antrags gemäß § 112 Abs 1 PatG von Amts wegen fort und wies den Antrag auf Nichtigerklärung ab.

Am 25. 2. 2004 beantragten die Kläger unter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen und unter Hinweis auf die zwischenzeitig ergangene (noch nicht rechtskräftige) Entscheidung des Patentamts vom 21. 1. 2004 in Ansehung des Patents AT 389 995 neuerlich die Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Das Sicherungsbegehren ist mit jenem des ersten Sicherungsantrags identisch.

Mit Beschluss vom 31. 3. 2004, 4 R 231/03z, gab das Rekursgericht dem Rekurs der Kläger gegen die Abweisung des ersten Sicherungsantrags Folge und erließ die einstweilige Verfügung.

Der Oberste Gerichtshof stellte mit Beschluss vom 28. 9. 2004, 4 Ob 134/04s, die den ersten Sicherungsantrag abweisende Entscheidung des Erstgerichts wieder her.

In ihrer Äußerung zum zweiten Sicherungsantrag wies die Beklagte darauf hin, dass die Entscheidung des Patentamts vom 21. 1. 2004 noch nicht rechtskräftig sei. Ihren Nichtigkeitseinwand hielt sie gestützt auf die Begründung zu 4 Ob 134/04s aufrecht.

Das Erstgericht wies den zweiten Sicherungsantrag am 26. 1. 2005 wegen rechtskräftig entschiedener Sache zurück. Die Klägerin mache keine neue anspruchsbegründende Tatsache geltend, sondern berufe sich lediglich auf eine nicht rechtskräftige und damit das Gericht nicht bindende Rechtsansicht des Patentamts.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung am 18. 10. 2005 und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache gelte auch im Provisorialverfahren. Ein neuer Antrag könne nur bei Änderungen des Anspruchs oder des Gefährdungssachverhalts gestellt werden. Die nicht rechtskräftige Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung sei keine neue anspruchsbegründende Tatsache, auf die der zweite Sicherungsantrag gestützt werden könne. Auch als neues Bescheinigungsmittel könne sie den neuerlichen Antrag nicht legitimieren. Neue Bescheinigungsmittel rechtfertigten nur dann einen neuen Antrag, wenn sie die tatsächlichen Gesichtspunkte der Anspruchs- oder Gefahrenbescheinigung beträfen. Die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents sei aber hier nicht von tatsächlichen Umständen, sondern ausschließlich von einer Rechtsfrage abhängig. Selbst wenn das Begehren der Kläger formell zulässig sein sollte, wäre es inhaltlich nicht berechtigt. Der Oberste Gerichtshof habe nämlich in seiner Entscheidung 4 Ob 134/04s bindend ausgesprochen, dass das Klagepatent mangels Beschreibung eines technischen Herstellungsverfahrens gegen das Stoffschutzverbot des Art IV PatRNov 1984 verstoße.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Kläger ist zulässig und im Sinne seines Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Die Rechtsbeständigkeit des Patents ist eine Vorfrage, die das Gericht im Provisorialverfahren selbstständig zu beurteilen hat; im Hauptverfahren ist seine Befugnis insoweit eingeschränkt, als es das Verfahren zu unterbrechen hat, wenn es die Nichtigkeit eines Patents für wahrscheinlich hält. Das Verfahren ist auf Antrag des Klägers fortzusetzen, wenn der Beklagte nicht binnen einem Monat beweist, dass er einen Nichtigkeitsantrag eingebracht hat, dass ein Nichtigerklärungsverfahren zwischen den Parteien anhängig ist oder dass er sich einem solchen Verfahren als Nebenintervenient angeschlossen hat. Erbringt der Beklagte diesen Nachweis nicht, so hat das Gericht ohne Rücksicht auf den Einwand der Nichtigkeit zu entscheiden (§ 156 Abs 1, 3 PatG). Ist die Gültigkeit oder Wirksamkeit eines Patents vom Patentamt oder vom Obersten Patent- und Markensenat anders beurteilt worden als vom Gericht im Verletzungsstreit, so kann darauf eine Wiederaufnahmsklage gestützt werden (§ 156 Abs 6 PatG).

Im vorliegenden Fall hat der erkennende Senat das Patent AT 389 995 im Verletzungsstreit als nichtig erachtet (4 Ob 134/04s); in der Folge haben die Nichtigkeitsabteilung und auch der Oberste Patent- und Markensenat das verfahrensgegenständliche Patent als gültig beurteilt. Am Verfahren vor der Nichtigkeitsabteilung und vor dem Obersten Patent- und Markensenat war die Beklagte nicht beteiligt; die in diesen Verfahren ergangene Entscheidung, wonach die Rechtsbeständigkeit des Patents AT 389 995 festgestellt wird, ist daher für sie nicht bindend. Sie könnte demnach auch keinen Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 156 Abs 6 PatG bilden. Der (zweite) Sicherungsantrag der Klägerin kann damit nicht im Sinne der Entscheidung 4 Ob 43/95 (= JBl 1996, 327 - BAD + MAD) als Ersatz für den im Provisorialverfahren nicht vorgesehenen Wiederaufnahmeantrag gesehen werden.

2. Ein neuer Sicherungsantrag ist - wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben - nur zulässig, wenn sich die Sachlage gegenüber dem ersten Sicherungsantrag geändert hat. Im Zusammenhang mit Beschlüssen in Unterhaltssachen hat der Oberste Gerichtshof schon wiederholt ausgesprochen, dass auch eine Änderung der Gesetzeslage eine Änderung der Sachlage bildet, die einen neuen Antrag rechtfertigt. Einer Änderung der Gesetzeslage wird eine tiefgreifende Änderung der Rechtsprechung gleichgehalten (1 Ob 321/71 = SZ 44/180; 8 Ob 596/93 = EFSlg 71.470; 2 Ob 541/94 = EvBl 1995/56; 4 Ob 42/05p ua).

Für die Entscheidung über den ersten Sicherungsantrag der Klägerin war die Auffassung des erkennenden Senats bestimmend, dass Swiss Claims mit dem Stoffschutzverbot des Art IV Abs 2 PatRNov 1984 unvereinbar seien. Zeitlich danach haben die für die Entscheidung über die Nichtigkeit von Patenten zuständigen Behörden, die Nichtigkeitsabteilung des Patentamts und der Oberste Patent- und Markensenat, eine davon abweichende Ansicht vertreten. Der Oberste Patent- und Markensenat hat mit der die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung bestätigenden Entscheidung vom 28. 9. 2005, Op 3/04, festgestellt, dass das österreichische Patent AT 389 995 rechtsbeständig ist. Als zweckgebundene Verfahrensansprüche seien Swiss Claims mit dem Stoffschutzverbot vereinbar, weil sie nicht das Arzneimittel als solches, sondern ein Verfahren zur Herstellung eines Arzneimittels schützten, das durch die Verwendung eines bestimmten Wirkstoffs für eine bestimmte medizinische Indikation definiert sei.

Die Entscheidungen der Nichtigkeitsabteilung und des Obersten Patent- und Markensenats haben eine Situation geschaffen, die einer tiefgreifenden Änderung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gleichzuhalten ist. Die Beurteilung der Gültigkeit und Wirksamkeit eines Patents fällt in die Zuständigkeit des Patentamts und des Obersten Patent- und Markensenats; die Gerichte können sie nur als Vorfrage beurteilen. Soweit die Parteien des Verletzungsstreits auch am Nichtigkeitsverfahren beteiligt sind, ist eine die Rechtsbeständigkeit bejahende Entscheidung für sie bindend (s § 156 Abs 5 PatG); eine Entscheidung, die das Patent für nichtig erklärt, hat als rechtsgestaltende Entscheidung allseitige Bindungswirkung.

Dass bei Einbringung des (neuen) Sicherungsantrags nur die (nicht rechtskräftige) Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung vorlag und die Entscheidung des Obersten Patent- und Markensenats erst während des Rechtsmittelverfahrens ergangen und rechtskräftig geworden ist, steht der Berücksichtigung der neuen Sachlage nicht entgegen. Die neue Sachlage besteht nicht in beweisbedürftigen Tatsachen, sondern bedarf als Änderung der Rechtslage keines Beweises. Auf sie ist auch noch in dritter Instanz Bedacht zu nehmen.

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung über den Sicherungsantrag aufzutragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 52 Abs 1 ZPO.

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