OGH 1Ob321/71

OGH1Ob321/7125.11.1971

SZ 44/180

Normen

Außerstreitgesetz §5
Außerstreitgesetz §9
Außerstreitgesetz §5
Außerstreitgesetz §9

 

Spruch:

Bei gleichzeitiger Überreichung zweier Rechtsmittel, eines der Partei, eines deren bevollmächtigten Rechtsanwaltes, ist im Zweifel das nicht weitergehende Rechtsmittel der Partei zurückzuweisen

OGH 25. 11. 1971, 1 Ob 321/71 (LG Linz 13 R 266/71; BG Linz 3 P 88/70)

Text

Die vier Minderjährigen entstammen der am 3. 8. 1957 geschlossenen Ehe des Zollbeamten Hermann H mit Sieglinde, geborenen K. Seit 8. 5. 1969 ist über Klage der Mutter ein Ehescheidungsverfahren anhängig, seit April 1970 wohnen die Ehegatten getrennt. Die Töchter Sieglinde und Beate befinden sich bei der Mutter bzw den mütterlichen Großeltern, die beiden anderen Kinder beim Vater. Mit dem nach einem Rechtszug bis zum Obersten Gerichtshof (1 Ob 70/71) rechtskräftigen Beschluß des BG Linz vom 28. 9. 1970 wurden alle vier Kinder dem Vater in Pflege und Erziehung überlassen. Auf Grund einer Eingabe, mit der die Mutter teilweise neue, zum Teil in der Zeit vor der Beschlußfassung durch das BG Linz liegende Umstände vorbrachte und schwerwiegende Vorwürfe gegen den Vater, insbesondere auch in Richtung einer sittlichen Gefährdung der Mädchen, erhob, stellte das Erstgericht ergänzende Erhebungen an, die noch nicht abgeschlossen sind. Der Vater beantragte inzwischen, die rechtskräftige Entscheidung, mit der auch die Kinder Sieglinde und Beate in seine Pflege und Erziehung überlassen wurden, im Zwangswege durchzusetzen.

Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters derzeit ab. Da die neuen Beweise im Gegensatz zu den früheren Verfahrensergebnissen eine fürsorgliche Haltung der Mutter gegenüber den Kindern bescheinigten und zum Teil deren Behauptung unterstützten, daß die beim Vater lebende minderjährige Margit ihr Schicksal beklagt und die Unterbringung bei der Mutter angestrebt habe, liege es im Interesse der Wahrung des Wohlergehens der Kinder, vorerst die einerzeitige Entscheidung nicht in Vollzug zu setzen, sondern die weiteren Verfahrensergebnisse abzuwarten. Insbesondere solle dem Vater Gelegenheit geboten werden, die neuen Behauptungen, die ua auch eine mögliche sittliche Gefährdung der Kinder unterstellten, durch Beweise zu entkräften; auch eine weitere Stellungnahme des Jugendamtes sei nicht zu umgehen.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes.

Der Oberste Gerichtshof wies beide Revisionsrekurse des ehelichen Vaters Hermann H zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Gegen den rekursgerichtlichen Beschluß richten sich zwei am gleichen Tage beim Erstgericht überreichte Revisionsrekurse des ehelichen Vaters, von denen einer von seinem ausgewiesenen Rechtsanwalt Dr Max H unterzeichnet ist, wogegen der andere vom Vater persönlich verfaßt und überreicht wurde. Im Revisionsrekurs, der von Dr Max H verfaßt wurde, wird beantragt, die Beschlüsse der Unterinstanzen aufzuheben und dem Antrag, dem Vater die Kinder Sieglinde und Beate in Pflege und Erziehung zu übergeben, stattzugeben, in eventuell den Untergerichten die neuerliche Entscheidung aufzutragen. Der Vater selbst beantragte Abänderung des Beschlusses und Stattgebung seines Antrages.

Beide Revisionsrekurse sind unzulässig.

Zunächst ist festzustellen, daß am 20. 9. 1971 zwei Revisionsrekurse eingebracht wurden. Ständige Rechtsprechung ist es jedoch, daß auch im außerstreitigen Verfahren dieselbe Partei innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht mehrere Rechtsmittelschriften gegen die gleiche Entscheidung einbringen darf (EvBl 1970/255; NZ 1969, 89 ua). Mit der Einbringung eines Rechtsmittels ist das Recht auf Bekämpfung der angefochtenen Entscheidung konsumiert, sodaß jedes später einlangende Rechtsmittel unzulässig ist. Im vorliegenden Fall wurden beide Rechtsmittel am selben Tage bei Gericht überreicht, sodaß sich nicht feststellen läßt, welches das spätere war. Bei als gleichzeitig überreicht anzusehenden Rechtsmitteln, von denen das eine vom bevollmächtigten Rechtsanwalt und das andere von der Partei selbst verfaßt wurde, ist die Bestimmung des § 5 AußStrG zu beachten, wonach in nicht streitigen Rechtssachen in der Regel nur niemand schuldig ist, sich eines Rechtsanwaltes zu bedienen. Er ist dazu also nicht verpflichtet, wenn er es aber tut, geht im Zweifel und insbesondere dann, wenn das von der Partei selbst verfaßte nicht das weitergehende ist, das vom rechtskundigen Vertreter eingebrachte Rechtsmittel vor. Der Revisionsrekurs des Vaters, der von ihm selbst eingebracht wurde, ist daher schon wegen der Unzulässigkeit der Überreichung einer zweiten Rechtsmittelschrift zurückzuweisen.

Es ist allerdings auch der vom Anwalt des Vaters eingebrachte Revisionsrekurs unzulässig. Nach nunmehr ständiger, der Auffassung von Heller - Berger - Stix 80 ff folgenden Rechtsprechung eignet sich das Exekutionsverfahren nach der Exekutionsordnung grundsätzlich nicht zur Durchsetzung von Entscheidungen, in denen die Frage der Pflege und Erziehung eines Kindes geregelt wurde, da jede die Person eines Minderjährigen berührende Maßnahme des Außerstreitrichters im Interesse des Kindes getroffen wird, das Objekt der Leistung in Wirklichkeit also der Träger der Rechte ist und die Eltern nicht eigene Rechte an Kindern, so als wären sie Sachen, geltend machen können; die Interessen der Minderjährigen sind daher nicht in einem Zweiparteienverfahren zu wahren, an welchem sie gar nicht beteiligt sind, sondern nur von dem im Interesse der Pflegebefohlenen einschreitenden Außerstreitrichter. Nur dieser hat daher gemäß § 19 Abs 1 AußStrG die angemessene Zwangsmaßnahme zur Verwirklichung seines Beschlusses zu verfügen (EvBl 1969/281; EvBl 1969/267; EvBl 1969/47; RZ 1967, 132 ua). Es sind dann auch auf das Verfahren die Bestimmungen des Außerstreitgesetzes anzuwenden (EvBl 1970/197; SZ 39/89 ua), sodaß die von einem Rechtsmittelwerber einzuhaltende Frist 14 Tage beträgt und ein Revisionsrekurs nicht schon nach § 78 EO, § 528 Abs 1 ZPO unzulässig ist. Es gilt aber doch die Bestimmung des § 16 Abs 1 AußStrG, wonach dann, wenn das Rekursgericht die Entscheidung des Erstgerichtes bestätigte, der sogenannte außerordentliche Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof nur wegen Nullität (Nichtigkeit), Aktenwidrigkeit und offenbarer Gesetzwidrigkeit zulässig ist.

Eine Nullität und offenbare Gesetzwidrigkeit erblickt der Revisionsrekurs nur darin, daß das Erstgericht, obwohl es gemäß § 19 Abs 1 AußStrG ohne weiteres Verfahren von Amts wegen angemessene Zwangsmittel in Anwendung zu bringen gehabt hätte, die Anwendung solcher Zwangsmittel vorläufig ablehnte.

Welche Mängel im Außerstreitverfahren Nullität begrunden, ist im Außerstreitgesetz selbst nicht geregelt. Die Rechtsprechung geht dahin, daß der Nichtigkeitsbegriff im Verfahren außer Streitsachen grundsätzlich der Zivilprozeßordnung zu entnehmen und die Bestimmung des § 477 ZPO sinngemäß anzuwenden ist (RZ 1968, 215; JBl 1967, 39; EvBl 1967/274; SZ 22/107 uva; vgl auch Fasching IV 112; Rintelen, Grundriß des Verfahrens außer Streitsachen, 36; Ott, Rechtsfürsorgeverfahren, 240 ff).

Betrachtet man nun aber die Nichtigkeitsgrunde des § 477 Abs 1 ZPO, ergibt sich einwandfrei, daß die mit Nichtigkeit bedrohten Verletzungen formeller Rechtsvorschriften ganz andere Fälle betreffen als die Ablehnung des vorläufigen Vollzugs der rechtskräftigen Entscheidung über die Pflege und Erziehung von Minderjährigen.

Es ist aber zu beachten, daß das Außerstreitgesetz in seinem § 18 grundsätzlich die materielle Rechtskraft der Verfügungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit anerkennt (vgl EvBl 1968/32 und die dort zitierte Literatur und weitere Rechtsprechung). Diese Rechtskraftwirkung hat allerdings bei einer Entscheidung über die Pflege und Erziehung Minderjähriger nur eingeschränkte Bedeutung, da gemäß § 142 Abs 2 ABGB das Gericht bei geänderten Verhältnissen ohne Rücksicht auf seine früheren Anordnungen die im Interesse der Kinder notwendigen neuen Anordnungen zu treffen hat. Die Entscheidungen des Pflegschaftsgerichtes haben also nur so weit Rechtskraftwirkung, als keine Änderung der Verhältnisse eintritt. Eine solche Änderung liegt nicht nur dann vor, wenn seit der Entscheidung des Gerichtes neue Tatsachen eingetreten sind, sondern auch dann, wenn Tatsachen, die zur Zeit der früheren Entscheidung bereits eingetreten, dem Gericht aber unbekannt waren, erst später bekannt wurden (8 Ob 263/70; Wentzel - Pleßl in Klang[2] I/2 58; in diesem Sinne auch EFSlg 7997). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß die Bestimmung des § 19 Abs 1 AußStrG ausdrücklich nur die Anwendung angemessener Zwangsmittel zuläßt und daher unter Umständen, wenn sie nicht angemessen wären, die Anwendung von Zwangsmitteln zumindest vorübergehend auch ausschließt. Die Rechtsprechung hat daher bereits anerkannt, daß das Gericht auch bei einer Maßnahme nach § 19 Abs 1 AußStrG immer noch selbständig zu prüfen hat, ob sie nunmehr etwa dem Interesse der Kinder, die, wie erwähnt, nicht Objekt, sondern Subjekt des Verfahrens sind, zuwiderlaufe. Das Gericht hat sich also unbeschadet der Rechtskraft des Herausgabebeschlusses immer noch jeweils selbst schlüssig zu werden, ob bzw welche Maßnahmen unter Berücksichtigung des Wohles der Kinder getroffen werden sollen bzw müssen (EvBl 1970/197). Es kann dabei im Interesse der Kinder Zwangsmaßnahmen auch vorläufig verweigern (Heller - Berger - Stix 82).

Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt nun nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn die zur Beurteilung gestellte Frage im Gesetz so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann, und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde (SZ 39/103 uva). Das Gericht kann nun aber eine Entscheidung, ob und welche Maßnahmen nach § 19 Abs 1 AußStrG zu ergreifen sind, nur nach Abwägung aller erheblichen Umstände des Einzelfalles, nicht aber durch Orientierung an einer einschlägigen Gesetzesregelung treffen. Eine derartige Regelung gibt es nicht, weshalb auch ein Verstoß gegen eine solche nicht denkbar ist. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit im Zusammenhang mit der Durchführung oder Ablehnung einer Maßnahme nach § 19 Abs 1 AußStrG kann einem Gericht damit im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung nicht unterlaufen (EvBl 1970/197).

Auch der vom Rechtsanwalt des Vaters verfaßte Revisionsrekurs ist damit aber, da er keinen der Anfechtungsgrunde des § 16 Abs 1 AußStrG aufzeigen konnte, unzulässig. Er ist also ebenfalls zurückzuweisen.

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