OGH 2Ob222/04t

OGH2Ob222/04t2.2.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith und Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** Gebietskrankenkasse, *****, vertreten durch Mag. Albert H. Reiterer, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Johann D*****, vertreten durch Dr. Nikolaus Pitkowitz ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 184.982,62 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 30. Juni 2004, GZ 6 R 121/04p-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 13. April 2004, GZ 9 Cg 64/03t-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 2.156,22 (darin enthalten EUR 359,37 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die J***** D***** D*****W***** GmbH & Co KG schuldet der Klägerin Sozialversicherungsbeiträge von EUR 184.982,62. Der Beklagte, Geschäftsführer der Komplementärin dieser Gesellschaft, übernahm am 9. 3. 1998 vorbehaltlos und unwiderruflich die Haftung als Bürge und Zahler für bereits fällige und künftig fällig werdende Sozialversicherungsbeiträge. Zu diesem Zeitpunkt hafteten keine Beiträge aus.

Die Klägerin begehrt aufgrund des Bürgschaftsvertrages aushaftende Beiträge in der unstrittigen Höhe von EUR 184.982,62.

Der Beklagte bestreitet die Zulässigkeit des Rechtsweges und die Rechtswirksamkeit der Bürgschaftserklärung. Ein gesetzlicher Vertreter der Beitragsschuldnerin hafte nach § 67 Abs 10 ASVG bei schuldhafter Verletzung seiner Verpflichtungen, weshalb der Versicherungsträger nur berechtigt sei, mit Bescheid nach § 410 Abs 1 Z 4 ASVG die Ausfallshaftung auszusprechen, nicht aber - mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung entgegen dem Legalitätsprinzip des Art 18 Abs 1 B-VG - die Haftung durch einen privatrechtlichen Vertrag zu regeln.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und verneinte in den Entscheidungsgründen die Unzulässigkeit des Rechtsweges, indem es auf die privatrechtliche Haftung aus dem Bürgschaftsvertrag verwies.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die vom Erstgericht erkennbar bejahte Zulässigkeit des Rechtsweges ergebe sich schon daraus, dass der Anspruch aus einem Bürgschaftsvertrag abgeleitet werde. Ob eine bestimmte Aufgabe der Hoheitsverwaltung oder der Privatwirtschaftsverwaltung übertragen sei, bestimme sich nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften. Die Wahl der Privatwirtschaftsverwaltung in Angelegenheiten der Hoheitsverwaltung bedeute als Missbrauch der Form einen essentiellen Verstoß gegen die Grundsätze des Rechtsstaates und führe zur Nichtigkeit der privatrechtlichen Vereinbarung. Die in Verwaltungssachen bestehende Verpflichtung des Sozialversicherungsträgers, die Haftung für Beitragsschulden mit Bescheid auszusprechen (§ 410 Abs 1 Z 4, § 67 ASVG) sei nicht anzunehmen, weil die Haftung des § 67 Abs 10 ASVG auf die Fälle des § 111 ASVG (schuldhafte Meldepflichtverletzungen) und § 114 Abs 2 ASVG (Vorenthaltung einbehaltener oder übernommener Dienstnehmer-Beiträge) beschränkt sei und zum Zeitpunkt der Bürgschaftserklärung kein konkreter Rückstand bestanden habe. § 114 Abs 3 ASVG lasse eine vertragliche Regelung zwischen dem Sozialversicherungsträger und dem für die Abfuhr des Dienstnehmeranteils Verantwortlichen ausdrücklich zu, was außerhalb des Anwendungsbereiches des § 67 Abs 10 ASVG einen Anhaltspunkt für die Möglichkeit privatrechtlicher Gestaltung der Beitragshaftung darstelle. Den Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Berufungsgericht mit fehlender höchstgerichtlicher Judikatur zur Nichtigkeit von Bürgschaftsverträgen mit nach § 67 Abs 10 ASVG Haftungspflichtigen.

In der Revision des Beklagten wird beantragt, das Klagebegehren zurück-/abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angegebenen Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges entzieht sich hier nach § 42 Abs 3 JN einer weiteren Beurteilung, weil die Vorinstanzen diese Prozessvoraussetzung übereinstimmend in den Entscheidungsgründen bejaht haben (RIS-Justiz RS0046249 [T1]; RS0039774).

Der Beklagte sieht unter Hinweis auf die von Resch (Sozialrecht und Insolvenz in Feldbauer-Durstmüller/Schlager Krisenmanagement- Sanierung-Insolvenz [2002], 1279 f; GmbH- Geschäftsführerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge, JBl 1996, 218 f) vertretene Meinung das Legalitätsprinzip bei Bürgschaftsverträgen mit nach öffentlichem Recht Haftenden verletzt und leitet daraus die Unwirksamkeit derartiger Verträge ab.

Grundsätzlich kann dazu auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Revision übersieht, dass die Zuständigkeit des Versicherungsträgers in Beiträge der Versicherten und ihrer Dienstgeber betreffenden Verwaltungssachen (§ 355 Z 3 ASVG) durch §§ 409, 410 Abs 1 Z 4 ASVG iVm dem hier maßgeblichen § 67 Abs 10 ASVG eindeutig geregelt ist und damit entsprechend dem Legalitätsprinzip des Art 18 B-VG eine Abgrenzung ermöglicht, ob die Gerichte oder die Verwaltungsbehörden zur Vollziehung berufen sind (vgl VfSlg 11.259 und 13.000). § 410 Abs 1 ASVG verpflichtet den Versicherungsträger in Verwaltungssachen, zu deren Behandlung er nach § 409 berufen ist, einen Bescheid zu erlassen, wenn er die sich aus diesem Bundesgesetz in solchen Angelegenheiten ergebenden Rechte und Pflichten von Versicherten und von deren Dienstgebern oder die gesetzliche Haftung Dritter für Sozialversicherungsbeiträge feststellt, insbesondere wenn er die Haftung für Beitragsschulden gemäß § 67 ausspricht (Z 4). § 67 Abs 10 ASVG schränkt die Haftung der gesetzlichen Vertreter (auch) juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften für die von den Beitragsschuldnern zu entrichtenden Beiträge insoweit ein, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Dabei handelt es sich um eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung (7 Ob 355/98a).

Das sowohl vom Berufungsgericht als auch vom Revisionswerber zitierte Erkenntnis des VwGH vom 12. 12. 2000, 98/08/0191 beschränkte den Anwendungsbereich des § 67 Abs 10 ASVG auf die Fälle des § 111 und des § 114 Abs 2 ASVG. Eine mit Bescheid im Verwaltungsweg durchzusetzende öffentlich-rechtliche Haftung des Beklagten besteht daher nur, wenn er die in den §§ 111, 114 Abs 2 ASVG geregelten Verpflichtungen schuldhaft verletzt hätte. Nur wenn sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der zitierten Bestimmungen (einschließlich des Verschuldens des gesetzlichen Vertreters) erfüllt gewesen wären, was die Revision nicht behauptet, wäre die Klägerin als Trägerin der Krankenversicherung befugt, die ausständigen Beiträge im Verwaltungsweg vorzuschreiben. Trifft dies aber nicht zu, verstößt die Geltendmachung eines privatrechtlichen Verpflichtungsgrundes nicht gegen eine zwingend vorgeschriebene hoheitliche Gestaltungsform. Das Problem einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung zum Abschluss eines verwaltungsrechtlichen (subordinationsrechtlichen) Vertrages stellt sich nur dann, wenn dieser als Instrument der Hoheitsverwaltung dient und einem hoheitlichen Verwaltungsakt gleichsteht, für den das Legalitätsprinzip gilt. Bei der Zuordnung von Verwaltungsakten zum hoheitlichen Bereich kommt es allein auf die verwendete Rechtsform an. Der verwaltungsrechtliche Vertrag ist - abgesehen von einer gesetzlichen Ermächtigung - nur zulässig, wenn die Streiterledigung aus dem Rechtsverhältnis letztlich durch Bescheid erfolgt (Antoniolli/Koja, Verwaltungsrecht³, 535f, 540). Fehlt die Grundlage für die Erlassung eines Bescheides nach § 67 Abs 10 ASVG, der die grundsätzliche Beitragspflicht des gesetzlichen Vertreters regelt, scheidet ein hoheitlicher Verwaltungsakt als Erledigungsform aus.

Sogar Resch (Sozialrecht und Insolvenz aaO, 1280) hält privatrechtliche Haftungserklärungen dritter, nicht nach öffentlichem Recht Haftender für unproblematisch. Zur Frage der Abgrenzung zwischen der öffentlich-rechtlichen Ausfallshaftung nach § 67 Abs 10 ASVG und einem privatrechtlichen Verpflichtungsgrund (Schadenersatz) hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 1 Ob 50/99f (SZ 72/76) Stellung genommen; dies mit dem Ergebnis, dass entgegen der Meinung Reschs (JBl 1996, 218 f) die Geltendmachung von Schadenersatzforderungen wegen Verletzung von Gläubigerschutzbestimmungen mangels Identität der jeweiligen Schädigungshandlung rechtsstaatliche Prinzipien nicht verletze. Dem Argument Reschs (aaO), eine unbeschränkte, privatrechtliche Haftung als Bürge und Zahler enthalte dem Beklagten „verfahrensrechtliche Schutzregelungen" des ASVG vor, ist die Geltung der privatrechtlichen Schutzinstrumente entgegenzuhalten, insbesondere die auch bei Sicherung fälliger oder künftiger Sozialversicherungsbeiträge geltende (6 Ob 117/00z; 10 Ob 80/00p) Sittenwidrigkeitskontrolle von Bürgschaften (RIS-Justiz RS0113937). Ein Rechtsschutzdefizit, das eine Nichtigkeitssanktion rechtfertigen könnte (vgl Rummel in Rummel ABGB³ § 867 Rz 6), ist nicht zu erkennen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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