OGH 6Ob117/00z

OGH6Ob117/00z28.6.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Baumann, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Salzburger Gebietskrankenkasse, 5020 Salzburg, Faberstraße 19-23, vertreten durch Dr. Rudolf Bruckenberger, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Binnaz K*****, vertreten durch Dr. Fritz Krissl, Rechtsanwalt in Bischofshofen, wegen 111.923,41 S über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 19. Jänner 2000, GZ 22 R 346/99g-15, womit das Urteil des Bezirksgerichtes St. Johann im Pongau vom 8. September 1999, GZ 3 C 765/99i-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen Teiles wie folgt zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 41.453 S samt 4 % Zinsen seit 17. 7. 1999 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 82.906,41 S samt 4 % Zinsen seit 17. 7. 1999 und 6,87 % Zinsen aus 124.359,41 vom 1. 6. bis 16. 7. 1999 und weitere 2,87 % Zinsen aus 41.453 S seit 17. 7. 1999 zu zahlen, wird abgewiesen."

Die klagende Partei hat der beklagten Partei binnen 14 Tagen die wie folgt bestimmten anteiligen Verfahrenskosten zu ersetzen: an Kosten des Verfahrens erster Instanz 5.072,40 S (darin 845,40 S Umsatzsteuer), an Kosten des Berufungsverfahrens 4.788,55 S (darin 798,09 S Umsatzsteuer) und an Kosten des Revisionsverfahrens 2.535 S (darin 422,50 S Umsatzsteuer).

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei anteilige Barauslagen im Gesamtbetrag von 10.246,64 S binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist türkische Staatsangehörige, hält sich jedoch seit ihrer Geburt in Österreich auf. Sie ist der deutschen Sprache in Wort und Schrift mächtig und beendete 1997 eine kaufmännische Lehre mit Lehrabschluss. Danach war sie in den Jahren 1997 bis 1999 jeweils etwa zwei Monate pro Jahr bei der Havva K***** Lebensmittel KEG halbtags als Dienstnehmerin beschäftigt und verdiente rund 6.000 S monatlich. In Zeiten ihrer Arbeitslosigkeit erhielt sie eine Arbeitslosenunterstützung von monatlich etwa 3.000 S. Seit 19. 5. 1999 ist sie als Büglerin mit einem Nettoeinkommen von 10.000 S monatlich beschäftigt. Sie lebte bis Mai 1998 im Haushalt ihrer Eltern, seither bei einem Freund. Der Vater der Beklagten ist persönlich haftender Gesellschafter der Havva K***** Lebensmittel KEG (im Folgenden nur KEG), die Mutter war zunächst gleichfalls persönlich haftende Gesellschafterin, seit 1998 ist sie Kommanditistin mit einer Vermögenseinlage von 10.000 S. Die KEG kam bereits 1998 mit Beiträgen zur klagenden Gebietskrankenkasse in Verzug. Die beiden ersten von der Klägerin 1998 eingeleiteten Fahrnisexekutionsverfahren wurden wegen Zahlung eingestellt, die weiteren vier Exekutionen blieben erfolglos. Als der Rückstand auf dem Beitragskonto der KEG 70.792,70 S betrug, stellte die Klägerin am 19. 1. 1999 einen Konkursantrag. Der Vater der Beklagten ersuchte um Ratenzahlungen, die die Klägerin von einer Besicherung durch Bürgschaftsvertrag abhängig machte. Der Beitragsrückstand betrug zu diesem Zeitpunkt 90.924,01 S. Die Klägerin übermittelte dem Vater der Beklagten einen vorformulierten Bürgschaftsvertrag, worin der Bürge erklärt, aus freien Stücken gegenüber der Klägerin für die am Tag des Vertragsabschlusses von der Beitragsschuldnerin geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge inklusive aller Nebengebühren, sowie für alle künftig fällig werdenden Sozialversicherungsbeiträge, Beitragsnachträge, Beitragszuschläge, Verzugszinsen und andere Nebengebühren im Sinn des § 1357 ABGB vorbehaltlos und unwiderruflich die Haftung als Bürge und Zahler zu übernehmen. Über Ersuchen ihres Vaters unterfertigte die Beklagte den Bürgschaftsvertrag, nachdem sie ihn durchgelesen hatte, um der KEG eine Ratenzahlung zu ermöglichen. Das Institut der Bürgschaft war der Beklagten bekannt, sie war davor noch keine derartige Verpflichtung eingegangen. Sie wusste im Zeitpunkt der Unterfertigung, dass die KEG in finanziellen Schwierigkeiten war, ging jedoch davon aus, dass diese bewältigt werden könnten. Der Vater der Beklagten übte keinen Zwang aus, um die Unterfertigung des Bürgschaftsvertrages zu erreichen. Nach Bewilligung der Ratenvereinbarung langten nur mehr zwei Zahlungen über 10.724,80 S und 400 S auf dem Beitragskonto der Klägerin ein.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus dem Bürgschaftsvertrag für die am 1. 6. 1999 aushaftenden Beitragsschuld von 124.359,41 S in Anspruch.

Die Beklagte wendete ein, sie habe den Bürgschaftsvertrag in einer Zwangslage und aus Unerfahrenheit unterfertigt; sie sei türkische Staatsbürgerin und der deutschen Sprache nur äußerst mangelhaft mächtig und habe nach türkischen Gepflogenheiten keine Wahl gehabt, den Wunsch des Vaters abzulehnen.

Das Erstgericht verhielt die Beklagte zur Zahlung von 10 % der aushaftenden Beitragsschulden und wies das Mehrbegehren ab. Es stellte noch fest, dass die Beklagte entweder am Tag der Unterfertigung als Dienstnehmerin bei der Klägerin angemeldet worden oder dass es zu diesem Zeitpunkt jedenfalls absehbar gewesen sei, dass sie bei der Beitragsschuldnerin beschäftigt werde. 1998 seien der KEG Sozialversicherungsbeiträge von durchschnittlich 8.000 S bis 10.000 S monatlich vorgeschrieben worden.

In rechtlicher Hinsicht wendete das Erstgericht die Kriterien des § 25d KSchG iVm § 879 ABGB an und kam zur Auffassung, die Bürgschaftsverpflichtung sei teilnichtig. Die Übernahme einer Haftung für die damals bestehenden Beitragsrückstände sowie für künftig zu erwartende Beiträge stehe in grobem Missverhältnis zur Leistungsfähigkeit der Beklagten. Die Klägerin hätte diese Umstände durch Nachforschungen leicht ermitteln können, habe dies jedoch unterlassen, sodass ihr Vertrauen in die Haftung der Beklagten nicht schutzwürdig sei. Die Beklagte sei die Verpflichtungen leichtsinnig, unerfahren und beeinflusst durch die Abhängigkeit von der Beitragsschuldnerin eingegangen. Nicht nur die Solidarität zu den Eltern, sondern auch ihr eigenes berufliches Fortkommen habe den Willensentschluss beeinflusst. Die Gesamtwürdigung der objektiven und subjektiven Umstände führe zu einer Teilnichtigkeit der Haftungserklärung in dem 10 % der übernommenen Verpflichtung übersteigenden Ausmaß. Die Verbindlichkeit der Beklagten sei somit auf 10 % des aushaftenden Beitragsrückstandes zu mindern.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Das richterliche Mäßigungsrecht des § 25d KSchG erfasse jene Fälle eines unbilligen Missverhältnisses zwischen der Verbindlichkeit des Interzedenten und seiner Leistungsfähigkeit, in denen - unter Berücksichtigung aller Umstände - eine Herabsetzung der Forderung angezeigt sei, ohne dass diese Umstände schon zur gänzlichen Sittenwidrigkeit der Haftungsübernahme führten. Sei die Entscheidungsfreiheit darüber hinaus beeinträchtigt, könne dies im Einzelfall auch zur gänzlichen Sittenwidrigkeit führen. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falles vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, der Bürgschaftsvertrag sei sittenwidrig. Dass das Erstgericht über eine Teilnichtigkeit zu einer Mäßigung der Verbindlichkeit gelangt sei, beschwere die Klägerin nicht. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob das Mäßigungsrecht des § 25d KSchG auch auf Bürgschaftsverpflichtungen für Beitragsschulden zur Sozialversicherung Anwendung finde.

Die von der zweiten Instanz zugelassene Revision der Klägerin ist zulässig und teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionswerberin macht geltend, die zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaftsverpflichtungen einer Bank gegenüber entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung seien nicht ohne weiteres auch auf die hier gegenüber einem Sozialversicherungsträger eingegangene Verpflichtung übertragbar. Zum einen unterliege der Sozialversicherungsträger (anders als eine Bank) dem Kontrahierungszwang, er habe Leistungen für die Angestellten seines Beitragsschuldners zu erbringen, sobald diese angemeldet seien. Demgegenüber könne eine Bank die Einräumung eines Kredites unter Hinweis auf die fragliche Bonität des Hauptschuldners ablehnen. Zum anderen habe die Beklagte mit ihrer Bürgschaft nicht nur eine Verpflichtung übernommen, sondern auch Vorteile erzielt, indem sie den Bestand ihres Arbeitgebers und damit ihren Arbeitsplatz gesichert habe. sie habe daraus eine Krankenversicherung erhalten und Pensionsanwaltschaftszeiten, sowie Forderungen nach dem Insolvenzentgeltsicherungsgesetz (IESG) erworben. Angesichts ihres Einkommens im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz könne auch von einem Missverhältnis zur eingegangenen Verpflichtung keine Rede sein. Sie sei auch nicht aus Unerfahrenheit oder Unwissenheit ausgenützt worden. Die in der Rechtsprechung zur Begründung der Sittenwidrigkeit einer Bürgschaftserklärung entwickelten Kriterien seien somit im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Der Oberste Gerichtshof hat sich in seiner Entscheidung SZ 68/64 erstmals mit der Inhaltskontrolle von Interzessionsgeschäften vermögensschwacher Familienange- höriger für Verbindlichkeiten des Hauptschuldners auseinandergesetzt. Eine Reihe von Folgenentscheidungen haben mittlerweile eine gefestigte Rechtsprechung entwickelt. Danach sind Kriterien der Sittenwidrigkeit von Bürgschaften erwachsener Familienangehöriger des Schuldners die inhaltliche Missbilligung des Bürgschaftsvertrages, die Missbilligung der Umstände seines Zustandekommens infolge verdünnter Entscheidungsfreiheit, sowie die Kenntnis bzw fahrlässige Unkenntnis dieser Faktoren durch den Kreditgeber (vgl Graf, ÖBA 1995, 776). Maßgebliche Gesichtspunkte für die Beurteilung einer allfälligen Sittenwidrigkeit der eingegangenen Verpflichtung sind ein grobes Missverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit des Bürgen und seiner Mithaftung, deren konkrete vertragliche Ausgestaltung, eine hoffnungslose Überschuldung des Hauptschuldners, die Verharmlosung des Risikos oder der Tragweite der Verpflichtung durch einen Mitarbeiter der klagenden Partei, die Überrumpelung des Angehörigen durch den Kreditgeber, die Ausnutzung seiner seelischen Zwangslage infolge seiner gefühlsmäßigen Bindung an den Hauptschuldner oder seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit von diesem, die geschäftliche Unerfahrenheit des Bürgen, das Fehlen eines wesentlichen Eigeninteresses am Zustandekommen des Vertrages, die Sinnlosigkeit der Bürgschaft für die Bank, sowie Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Haftenden auf Seiten des Kreditgebers (SZ 68/64; ÖBA 1998, 723; ÖBA 1999, 647 uva, zuletzt 8 Ob 320/99p; 8 Ob 253/99k). Steht ein krasses Missverhältnis des Haftungsumfanges und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Interzedenten fest, bilden die für die Inhaltskontrolle sonst rechtserheblichen Gesichtspunkte ein bewegliches Beurteilungssystem (ÖBA 1997, 1027; ÖBA 1998, 967 [Graf];

JBl 1998, 36; ecolex 1999, 177 [Rabl]; RIS-Justiz RS0048312;

RS0048309; RS0048300). Dazu hat der Oberste Gerichtshof bereits klargestellt (SZ 71/117; 8 Ob 253/99h; 8 Ob 320/99p), dass erst das Vorliegen eines krassen Missverhältnisses des Haftungsumfanges zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Interzedenten die Inhaltskontrolle unter Berücksichtigung der weiteren Faktoren auslöst und es auf die im Zeitpunkt des Eingehens der Bürgschaftsverpflichtung gegebenen und in absehbarer Zeit zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Interzedenten ankommt.

Diese zur Inhaltskontrolle von Interzessionsgeschäften vermögensschwacher Familienange- höriger für Verbindlichkeiten des Hauptschuldners entwickelten Grundsätze hat der Oberste Gerichtshof auch schon auf Interzessionsverhältnisse angewendet, bei denen Gläubiger keine Bank war (3 Ob 214/97k; ecolex 1998, 470 [Rabl]; ecolex 1999, 177 [Rabl]). Sie sind daher auch für Interzessionsgeschäfte zur Besicherung von Forderungen eines Sozialversicherungsträgers relevant. Es entspricht auch ständiger Rechtsprechung, dass von einer Körperschaft öffentlichen Rechts zur Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen abgeschlossene Bürgschaftsverträge den Normen des Privatrechts unterworfen sind (EvBl 1992/51).

Die Anwendung der dargelegten Kriterien führt im vorliegenden Fall zur Verneinung der Sittenwidrigkeit der eingegangenen Bürgschaftsverpflichtung. Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass die Beklagte in den Jahren 1997 bis 1999 nur über ein sehr geringes Einkommen von 6.000 S monatlich für jeweils zwei Monate pro Jahr verfügte und in Zeiten der Arbeitslosigkeit eine Unterstützung von monatlich etwa 3.000 S erhielt. Sie verpflichtete sich als Bürgin und Zahlerin für einen schon damals bestehenden Beitragsrückstand von über 90.000 S, wie auch für alle künftig fällig werdenden Sozialversicherungsbeiträge (monatlich waren dies weitere 8.000 bis 10.000 S), Beitragsnachträge, Zuschläge, Verzugszinsen und Nebengebühren. Das geforderte krasse Missverhältnis zwischen dem Haftungsumfang und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Interzedentin ist somit nicht zweifelhaft. Allerdings bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte ihre Verpflichtungen leichtsinnig, unerfahren oder in einer seelischen Zwangslage eingegangen oder dass sie durch den Hauptschuldner oder die Klägerin überrumpelt worden wäre. Auch für eine Verharmlosung des eingegangenen Risikos durch Hauptschuldner oder Klägerin ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte. Die Verwandtschaftsbeziehung zu ihrem Vater als persönlich haftenden Gesellschafter der Beitragsschuldnerin vermag eine seelische Zwangslage schon deshalb nicht zu begründen, weil die Beklagte zum Zeitpunkt der Haftungsübernahme nicht mehr in seinem Haushalt lebte, und ihr Vater nach den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen auch keinen Zwang ausübte, um die Unterfertigung des Bürgschaftsvertrages zu erreichen. Im Übrigen bestand ein wesentliches Eigeninteresse der Beklagten an der Besicherung der Beitragsschulden, zumal sie damit den Bestand des Unternehmens (in dem sie dann unmittelbar danach auch als Angestellte beschäftigt war) zunächst sichern konnte. Ihre Verpflichtung diente somit der Beschaffung eines Arbeitsplatzes und dem Weiterbestand des Arbeitgebers; die Beklagte selbst erwarb durch die erfolgte Anstellung Ansprüche auf Krankenversicherung, Pensionsanwartschaftsrechte und - für den Fall des Konkurses - auch Ansprüche nach dem IESG.

Die von der Beklagten eingegangene Bürgschaftsverpflichtung erfüllt somit entgegen der Auffassung der zweiten Instanz nicht die für die Annahme einer Sittenwidrigkeit erforderlichen Kriterien, weil das für die Annahme des Sittenwidrigkeitsurteiles unerlässliche Element einer der Klägerin anzulastenden verdünnten Entscheidungsfreiheit der Beklagten fehlt.

§ 25d KSchG (anzuwenden auf - wie hier - nach dem 1. 1. 1997 geschlossene Interzessionsvereinbarungen) ermöglicht die richterliche Mäßigung der von einem Verbraucher eingegangenen Verbindlichkeit in Fällen, in denen die Sittenwidrigkeit der Interzessionsvereinbarung nach den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zu verneinen ist (Kosesnik-Wehrle/Lehofer/Mayer/Langer, KSchG Rz 8 zu § 25d, in denen jedoch ein unbilliges Missverhältnis zwischen Leistungsfähigkeit und eingegangener Verbindlichkeit besteht, welches unter Berücksichtigung der Umstände des jeweils zu beurteilenden Falles eine Herabsetzung der Forderung angemessen erscheinen lässt (Kosesnik-Wehrle ua aaO Rz 8; Apathy in Schwimann, ABGB2, Rz 2 zu § 25d KschG). Für die Anwendung des richterlichen Mäßigungsrechts ist maßgeblich, dass die Verbindlichkeit des Interzedenten in einem unbilligen Missverhältnis zu seiner Leistungsfähigkeit steht und die dieses Missverhältnis begründenden Umstände dem Gläubiger erkennbar waren. Die richterliche Mäßigung hat insbesondere zu berücksichtigen (§ 25d Abs 2 lit 1 bis 4 leg cit): das Interesse des Gläubigers an der Begründung der Haftung des Interzedenten (Z 1), das Verschulden des Interzedenten an den Umständen, die das angeführte Missverhältnis begründet oder herbeigeführt haben (Z 2), den Nutzen des Interzedenten aus der Leistung des Gläubigers (Z 3) sowie den Leichtsinn, die Zwangslage, die Unerfahrenheit, die Gemütsaufregung oder die Abhängigkeit des Interzedenten vom Schuldner bei Begründung der Verbindlichkeit (Z 4).

Der Gesetzgeber hat diese Regelung in Kenntnis der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Sittenwidrigkeit der Haftung mittelloser Angehöriger des Hauptschuldners ausdrücklich aus der Überlegung geschaffen, es lasse sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit sagen, dass das Höchstgericht diese Rechtsprechung auch in Hinkunft aufrechterhalten werde (RV, 311 BlgNR 20. GP, 26). Das Mäßigungsrecht ermöglicht "flexible Lösungen" (RV aaO 27), die dem Gesetzgeber durch die zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaftserklärungen vermögensschwacher Personen entwickelte Rechtsprechung noch nicht ausreichend gewährleistet erschien. Daraus ist mit der herrschenden Lehre der Schluss zu ziehen, dass die Regelung des § 25d KSchG es nicht ausschließt, Interzessionen im Einzelfall bei Vorliegen der in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien als sittenwidrig anzusehen (Apathy aaO Rz 2 zu § 25d; vgl Graf in ÖBA 1995, 787; Kosesnik-Wehrle ua aaO Rz 8 zu § 25d; RV aaO 28). So weist die Regierungsvorlage zu § 25d (aaO 28) ausdrücklich darauf hin, dass die dort vorgeschlagene Regelung an die von der Rechtsprechung (zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften vermögensschwacher Angehöriger) entwickelten Wertungen anknüpft und "diese Judikatur im Übrigen - vor allem außerhalb des Anwendungsbereiches des vorgeschlagenen § 25d KSchG - weiter zu beachten sein" wird.

Dass § 25d KSchG auch im Verhältnis zwischen einer juristischen Person öffentlichen Rechts und einem Verbraucher in Ansehung eines zwischen ihnen geschlossenen privatrechtlichen Vertrages anzuwenden ist, unterliegt keinem Zweifel (EvBl 1992/51; § 1 Abs 2 KSchG). Der Anwendungsbereich des § 25d KSchG beschränkt sich auch nicht auf Interzessionen, die der Besicherung von Bankenforderungen dienen (RV aaO 25), ermöglicht daher ein richterliches Mäßigungsrecht unter den dort genannten Voraussetzungen auch für Verbindlichkeiten gegenüber anderen Rechtsträgern (Kosesnik-Wehrle aaO Rz 5 zu § 25c; vgl Apathy aaO Rz 5 zu § 25c), somit auch gegenüber einem Sozialversicherungsträger.

Die Anwendung der in § 25d Abs 2 KSchG enthaltenen Kriterien führt im vorliegenden Fall zu einer Mäßigung der Verbindlichkeit der Beklagten, wie sie das Erstgericht de facto und unbekämpft - allerdings bis auf 10 % - vorgenommen hatte, wobei die Entscheidung über die richterliche Mäßigung durch die im Einzelfall zu treffenden Billigkeitserwägungen bestimmt wird (Deixler/Hübner, Konsumentenschutz2 Rz 111; RV aaO 27). Das legitime Interesse der klagenden Sozialversicherungsanstalt an der Begründung der Haftung der Interzedentin als einer jener Personen, die aus der Aufrechterhaltung des Betriebes ihres Arbeitgebers Nutzen zieht, ist im vorliegenden Fall evident. Ihre Mithaftung konnte einer ordnungsgemäßen Befriedigung der Beitragsforderungen auch dienlich sein. Der Nutzen der Beklagten aus der durch die Haftungserklärung ermöglichten Aufrechterhaltung des Betriebes ihres Arbeitgebers durch die Möglichkeit, eigener Beschäftigung, der dadurch erlangten Krankenversicherung, Pensionsanwartschaft und für den Fall des Konkurses) Insolvenzentgeltsicherung ist gleichfalls offenkundig. Wenngleich die hier vorliegenden Umstände keine Berücksichtigung von Leichtsinn, Zwangslage, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung der Interzedentin zulassen, kann eine gewisse, im Rahmen der hier anzustellenden Billigkeitserwägungen zu berücksichtigende - Beeinflussung der Beklagten durch den Wunsch ihres Vaters nicht ganz von der Hand gewiesen werden. Mag diese Beeinflussung auch nicht ausreichen, um die Sittenwidrigkeit der Haftungserklärung zu begründen, so kann doch im Rahmen der nach § 25d Abs 2 Z 4 KSchG anzustellenden Überlegungen nicht ganz außer Acht gelassen werden, dass im Kulturkreis der Beklagten den Bindungen an die Familie und den Wünschen des Vaters als Familienoberhaupt (auch ohne Zwang) besondere Bedeutung zukommt.

Auf das Missverhältnis zwischen der eingegangenen Verbindlichkeit und der Leistungsfähigkeit der Beklagten wurde bereits hingewiesen. Zur Frage, ob die Beurteilung dieses Missverhältnisses auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses oder auf jenen der Inanspruchnahme des Interzedenten abstellt, vertritt ein Teil der Lehre die Auffassung, § 25d KSchG ordne im Gegensatz zu § 879 ABGB eine Vertragskontrolle ex post an (Kosesnik-Wehrle aaO Rz 11 zu § 25d; Apathy aaO Rz 4 zu § 25d KSchG). Nach der Regierungsvorlage (aaO 27) ist nicht allein auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem Interzedenten abzustellen, sondern auch darauf, wie sich die Umstände bei der Inanspruchnahme des Mitschuldners oder Bürgen darstellen, sollen doch diejenigen Fälle, in denen ein ursprünglich einkommens- und vermögensloser Mithaftender später doch zu Einkommen oder Vermögen gelangt, nicht erfasst werden, weil kein sozialer Bedarf nach einer Schutzbestimmung in diesen Fällen besteht. Andererseits setzt § 25d KSchG für die Anwendung des richterlichen Mäßigungsrechtes aber voraus, dass die für das Missverhältnis verantwortlichen Umstände bei Begründung der Verbindlichkeit für den Gläubiger erkennbar sein müssen, was bedeutet, dass diese Umstände schon zu diesem Zeitpunkt vorhanden sein müssen. So wies schon Graf (verbesserter Schutz vor riskanten Bürgschaften in ÖBA 1995, 776 ff [784 f]) auf eine Widersprüchlichkeit der damals erst im Entwurf vorliegenden Bestimmung hin und forderte eine Klarstellung des Gesetzgebers, die in dem von ihm gewünschten Sinn jedoch nicht erfolgte. Der Gesetzgeber hat in den Materialien (RV aaO 27) vielmehr ausdrücklich ausgeführt, die getroffene Regelung berücksichtige, dass die Interzession auch wirtschaftlich schwacher Personen grundsätzlich sinnvoll sein könne, weil auch zum Zeitpunkt der Vertragsschließung mit dem Interzedenten nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse künftig bessern werden. Der Entwurf wolle dem Richter die Möglichkeit geben, anhand differenzierter Kriterien die Verbindlichkeit des Interzedenten insoweit zu mäßigen oder auch ganz zu erlassen, als ein unbilliges Missverhältnis zu dessen Leistungsfähigkeit besteht. Dabei werde nicht allein und einseitig auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem Interzedenten abgestellt, könne doch dieser schon Jahre zurückliegen, sondern auch darauf, wie sich die Umstände bei der Inanspruchnahme des Interzedenten darstellen. Dabei sollen jene Fälle, in denen der ursprünglich einkommens- und vermögenslose Mithaftende später zu Einkommen oder Vermögen gelange, nicht erfasst werden, weil hier kein sozialer Bedarf nach einer Schutzbestimmung bestehe. Allerdings komme eine Mäßigung nur dann zum Tragen, wenn die Umstände, die letztlich zum Missverhältnis zwischen der Verbindlichkeit des Mithaftenden und seiner Leistungsfähigkeit geführt haben (oder es vornherein begründet haben), bei Vertragsabschluss dem Gläubiger "erkennbar" gewesen seien. Damit sollten diejenigen Fälle eliminiert werden, in denen sich die ursprünglich guten wirtschaftlichen Verhältnisse eines Mithaftenden durch unvorhersehbare nachträgliche Entwicklungen deutlich verschlechtert hätten. Dem Gläubiger solle nämlich nicht von vornherein das Risiko des wirtschaftlichen Unterganges seines Vertragspartners aufgebürdet werden. Das Element der Erkennbarkeit mache auch deutlich, dass § 25d KSchG präventive Funktionen erfüllen solle.

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner bisher einzigen zu dieser Frage ergangenen Entscheidung 7 Ob 261/99d (zustimmend Rabl in ecolex 2000, 271 ff, 273) die Verhältnisse im Zeitpunkt des Eingehens der Verbindlichkeit des Interzedenten zugrunde gelegt und das Vorliegen eines unbilligen Missverhältnisses verneint. Damals hatte der Interzedent eine Verbindlichkeit von 250.000 S bei einem im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gegebenen Einkommen von 15.000 S netto übernommen. Zum Zeitpunkt seiner Inanspruchnahme verdiente er 13.000 S netto.

Unter Berücksichtigung der Ausführungen der Materialien vertritt der erkennende Senat die Auffassung, dass die zur Mäßigung im Sinn des § 25d KSchG führenden Umstände im Zeitpunkt des Abschlusses der Interzessionsvereinbarung soweit vorhanden sein müssen, dass sie für den Gläubiger bei entsprechender Aufmerksamkeit bereits erkennbar wurden oder werden mussten. Ein späteres, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht vorhandenes Missverhältnis zwischen eingegangener Verpflichtung und Leistungsfähigkeit des Interzedenten löst mangels Erkennbarkeit für den Gläubiger im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eine Mäßigung im Sinn dieser Bestimmung nicht aus. Es widerspräche auch den Grundsätzen des § 1311 ABGB, wollte man dem Gläubiger das Risiko des wirtschaftlichen Unterganges seines Vertragspartners auf diesem Weg aufbürden und ein erst im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Interzedenten gegebenes Missverhältnis zur Begründung des Mäßigungsrechtes heranziehen (RV aaO 27; Kosesnik-Wehrle ua aaO Rz 12). Dem Richter ist daher nicht das Recht gegeben, in einen inhaltlich nicht zu beanstandenden Vertrag einzugreifen, wenn sich die Lage des Schuldners im Nachhinein verschlechtert.

Allerdings sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Interzedenten zum Zeitpunkt seiner Inanspruchnahme insoweit beachtlich, als sie den Umfang der Mäßigung maßgeblich beeinflussen. In diesem Sinn weist auch die Regierungsvorlage (aaO 27) darauf hin, dass § 25d KSchG diejenigen Fälle, in denen der ursprünglich einkommens- und vermögenslose Mithaftende später doch zu Einkommen oder Vermögen gelangt ist, nicht erfassen solle, weil hier kein sozialer Bedarf nach einer Schutzbestimmung bestehe. Eine entsprechende teleologische Reduktion der Bestimmung ist daher entgegen der Auffassung von Rabl (in ecolex 2000, 273) geboten.

Im vorliegenden Fall besteht im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses das vom Gesetz geforderte Missverhältnis zwischen eingegangener Verpflichtung und Leistungsfähigkeit des Interzedenten. Dass die zum Missverhältnis führenden Umstände der Klägerin auch erkennbar waren, ist nicht zu bezweifeln, musste sie doch aufgrund ihrer Geschäftsbeziehungen zur Beitragsschuldnerin sowohl über die offenen und zu erwartenden künftigen Forderungen wie auch das geringfügige Einkommen der bei ihr angemeldeten Beklagten Bescheid wissen.

Bei Berücksichtigung der hier vorliegenden Umstände entspricht eine Mäßigung der übernommenen Verbindlichkeit auf ein Drittel (das sind 41.453 S) der Billigkeit. Angesichts des von der Beklagten seit Mitte 1999 erzielten Nettoeinkommens von etwa 10.000 S monatlich ist es ihr zumutbar, diese gemäßigte Verbindlichkeit in absehbarer Zeit auch unter Berücksichtigung des Existenzminimums zu erfüllen. Diese Verpflichtung scheint auch in Anbetracht der ihr durch die Interzession zugeflossenen bereits oben dargestellten Vorteile billig. Auf § 25c KSchG hat sich die Beklagte in ihrem Vorbringen nicht berufen.

Der Revision der Klägerin wird teilweise Folge gegeben und die Beklagte zur Zahlung von einem Drittel der übernommenen Beitragsschuld unter Einbeziehung der bereits zugesprochenen 10 % verpflichtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 1 und § 50 Abs 1 ZPO.

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