OGH 1Ob204/05i

OGH1Ob204/05i31.1.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alex R*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen EUR 7.833,94 sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse EUR 6.767,73 sA), gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. März 2005, GZ 14 R 213/04b-20, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 27. August 2004, GZ 32 Cg 11/02a-16, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 416,16 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger, der sich als rumänischer Staatsbürger bezeichnet, wurde am 4. November 1996 wegen unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet vorläufig festgenommen und in Schubhaft überstellt. In der Folge wurde über ihn rechtskräftig ein Aufenthaltsverbot verhängt.

In der Schubhaft trat er am 10. November 1996 in Hungerstreik und wurde deshalb nach amtsärztlicher Untersuchung am 27. 11. 1996 um 12.00 Uhr als haftunfähig entlassen. Schon um 17.00 Uhr des selben Tages wurde er neuerlich festgenommen und um 20.20 Uhr wieder in Schubhaft genommen, worauf er neuerlich in den Hungerstreik trat. Am 16. 12. 1996 wurde er deshalb wieder als haftunfähig entlassen.

Am 27. 1. 1997 wurde er neuerlich in Schubhaft genommen, trat wieder in den Hungerstreik und musste am 12. 2. 1997 um 14.00 Uhr als haftunfähig entlassen werden. Schon am nächsten Tag, dem 13. 2. 1997, wurde er erneut in Schubhaft genommen und setzte seinen Hungerstreik bis zu seiner abermaligen Entlassung wegen Haftunfähigkeit am 28. 2. 1997 fort.

Gegen seine Anhaltung in Schubhaft vom 27. 11. 1996 bis 16. 12. 1996 sowie vom 13. 2. bis 28. 2. 1997 erhob der Kläger Beschwerden an den Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) Wien, die jeweils abgewiesen wurden. Gegen diese Bescheide des UVS Wien erhob der Kläger Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof sowie an den Verwaltungsgerichtshof. Beide Gerichtshöfe lehnten die Behandlung der Beschwerden ab. Der Verfassungsgerichtshof ging davon aus, dass spezifische verfassungsrechtliche Überlegungen nicht anzustellen seien; weiters seien Rechtsverletzungen so wenig wahrscheinlich, dass die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Der Verwaltungsgerichtshof verwies auf § 33a VwGG. Die ablehnenden Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs wurden dem Kläger am 17. 5. 2001 bzw am 6. 6. 2001 zugestellt.

Der Kläger begehrte für die beiden Anhaltungen vom 27. 11. bis 16. 12. 1996 und vom 13. bis 28. 2. 1997 unter Einräumung eines 50 %-igen Mitverschuldens eine Haftentschädigung von EUR 3.600,-- sowie den Ersatz seiner Verfahrenskosten vor dem UVS, dem VfGH und dem VwGH in Höhe von EUR 4.967,73, abzüglich einer anerkannten Gegenforderung von EUR 733,79, somit insgesamt EUR 7.833,94 sA. Seine Anhaltung in den beiden klagsgegenständlichen Perioden habe Art 3 EMRK widersprochen, weil er auf Grund des jeweils vorangegangenen Hungerstreiks haftunfähig gewesen sei. Dies begründe einen Entschädigungsanspruch nach Art 5 Abs 5 EMRK. Der Ersatz der Verfahrenskosten stehe ihm als Aufwand zur - letztlich nicht eingetretenen - Rechtswidrigerklärung der beiden Anhaltungen zwecks Anspruchstellung zu.

Die beklagte Partei bestritt und wendete eine Gegenforderung von insgesamt EUR 2.945,74 - wovon EUR 733,79 bereits durch Abzug von der Klagsforderung anerkannt wurden - an (rechtskräftig bestimmten) Kosten der Schubhaft ein. Der Kläger sei haftfähig gewesen und angemessen medizinisch überwacht und betreut worden. Im Übrigen sei der Klagsanspruch verjährt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Seiner Entscheidung legte es außer dem eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt folgende Feststellungen zu Grunde:

Nach seiner neuerlichen Festnahme am 27. 11. 1996 wurde der Kläger am 28. 11. 1996 amtsärztlich auf seine Haftfähigkeit hin untersucht. Er war zu diesem Zeitpunkt haftfähig. So wog er bei der Untersuchung am 29. 11. 1996 72 kg und begann an diesem Tag einen neuerlichen Hungerstreik. Zur vorgesehenen Untersuchung am 2. 12. 1996 erschien der Kläger nicht, die nächste Untersuchung erfolgte am 3. Dezember. Da der Kläger den Hungerstreik fortsetzte, wurden am 4., 5., 6. 9. 10., 11., 12. und 13. 12. 1996 weitere Untersuchungen durchgeführt, wobei der Kläger trotz einer Gewichtsabnahme auf 60 kg jeweils noch haftfähig war. Neben den Gewichtsmessungen, die vom Sanitäter in Anwesenheit des Amtsarztes durchgeführt wurden, wurden bei den Untersuchungen die Schleimhäute auf Austrocknung hin kontrolliert. Am 12. 12. 1996 wurde erstmals auch der Blutdruck des Klägers gemessen, sein Allgemeinzustand war noch ein guter. Bei der nächsten Untersuchung des Klägers am 16. 12. 1996 wurde ein schlechter gesundheitlicher Allgemeinzustand und damit seine Haftunfähigkeit festgestellt; er wurde an diesem Tag aus der Haft entlassen.

Nachdem der Kläger (nach seiner Enthaftung am 12. 2. 1997) am 13. 12. 1997 neuerlich festgenommen worden war, erfolgte um 11.35 Uhr eine amtsärztliche Untersuchung am Polizeikommissariat und um 20.40 Uhr eine weitere amtsärztliche Untersuchung im Polizeigefangenenhaus. Bei beiden Untersuchungen wurde die Haftfähigkeit des Klägers festgestellt. Am 14. 2. 1997 begab er sich wieder in Hungerstreik. Zur vorgesehenen Untersuchung am 17. 2. 1997 erschien er nicht. Weitere Untersuchungen erfolgten am 18., 19., 20. und 21. 2., wobei der gesundheitliche Allgemeinzustand des Klägers jeweils als gut festgestellt wurde. Zur vorgesehenen Untersuchung am 24. 2. 1997 erschien der Kläger nicht, weitere Untersuchungen erfolgten am 25., 26., 27. und 28. 2. 1997. Bis zur Untersuchung am 27. 2. 1997 war der gesundheitliche Allgemeinzustand des Klägers weiterhin ein guter, obwohl er seit seiner neuerlichen Inhaftierung am 13. 2. von 72 kg Körpergewicht auf 63 kg abgenommen hatte. Erst bei der Untersuchung am 28. 2. 1997 war der Gesundheitszustand des Klägers so weit verschlechtert, dass er haftunfähig war. Er wurde am selben Tag aus der Haft entlassen.

Die Gewichtskontrollen während der Haft und auch bei der Entlassungsuntersuchung werden in Unterbekleidung durchgeführt. Es ist möglich, dass die Gewichtsmessungen bei der Einstandsuntersuchung „mit dem ganzen Gewand" erfolgen. Durch diverse Fußtechniken ist es weiters möglich, ein niederes Entlassungsgewicht zu erreichen, indem man die Waagenplattform nicht voll belastet. So sind bei Gewichtsmessungen im Abstand von wenigen Tagen, wenn dazwischen Flüssigkeitszufuhr und Nahrungsaufnahme erfolgt, auch Differenzen von bis zu 10 kg gemessenem Körpergewicht erklärbar.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass der Kläger sowohl bei der Aufnahme in die als auch während der Schubhaft jeweils sorgfältig untersucht worden sei, Haftfähigkeit bestanden habe, und die klagsgegenständlichen Anhaltungen daher rechtmäßig und „konventionsgemäß" gewesen seien.

Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung eines Teilbegehrens von EUR 6.767,73 sA mittels Teilurteil; hinsichtlich des restlichen Klagebegehrens hob es das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Die (ordentliche) Revision gegen das Teilurteil ließ das Berufungsgericht letztlich zu.

Auf die teilweise Aufhebung des Ersturteils ist hier nicht einzugehen, da hinsichtlich des Aufhebungsbeschlusses der Rekurs an den Obersten Gerichtshof nicht für zulässig erklärt wurde.

Zum klagsabweisenden Teilurteil führte das Berufungsgericht aus, dass dem Kläger maximal eine Haftentschädigung von EUR 100 pro Tag, somit unter Berücksichtigung des vom Kläger selbst zugestandenen 50 %-igen Mitverschuldens von maximal EUR 1.800,-- abzüglich des vom Kläger selbst vorgenommenen Abzugs eines Teils der Gegenforderung in der Höhe von EUR 773,79 zustehen könne. Ersatzfähig seien nach ständiger Rechtsprechung nur Kosten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung gedient hätten. Weder die Kosten erfolgloser Rechtsmittel - wie hier der Beschwerden an den UVS - noch jene von Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, die zu keiner sachlichen Erledigung, sondern zur Zurückweisung führten, seien ersatzfähig. Das vom Kläger geltend gemachte Begehren auf Ersatz der Verfahrenskosten von EUR 4.967,73 sei daher ebenfalls abzuweisen.

Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Auf die umfangreichen Revisionsausführungen ist aus folgenden Gründen nicht näher einzugehen:

Gegenstand der Amtshaftungsklage ist die nach Auffassung des Klägers infolge Haftunfähigkeit gesetzwidrige Anhaltung in Schubhaft in den klagsgegenständlichen Zeiträumen. Gemäß § 67a Abs 1 Z 2 AVG entscheiden die Unabhängigen Verwaltungssenate (mit hier nicht relevanten Ausnahmen) über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Die unabhängigen Verwaltungssenate entscheiden über die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes mit Bescheid, gegen den die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zulässig ist. Dieser trifft eine Entscheidung die inhaltlich der gemäß § 11 AHG zu treffenden entspricht (Schragel, AHG3, Rz 275). Zwar besteht eine Bindung des Amtshaftungsgerichts an verwaltungsbehördliche Akte bei der Beurteilung ihrer Rechtswidrigkeit schon nach dem Wesen der Amtshaftung grundsätzlich nicht, ausgenommen sind allerdings Bescheide. Ihre Rechtswidrigkeit darf das Amtshaftungsgericht nur dann annehmen, wenn dies der VwGH ausgesprochen hat (Schragel aaO Rz 264). Hier hat der UVS die in den gegenständlichen Zeiträumen verbrachte Schubhaft jeweils mit Bescheid als rechtmäßig beurteilt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Behandlung der Beschwerden unter Hinweis auf § 33a VwGG idF der Novelle BGBl I 88/1997 mit der Begründung abgelehnt, dass die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Damit hat der Verwaltungsgerichtshof aber eine - wenn auch im Sinn des § 33a VwGG eingeschränkte - meritorische Entscheidung getroffen (vgl SZ 67/55; 1 Ob 2191/96d), da eine grob unrichtige Beurteilung des Organverschuldens durch den unabhängigen Verwaltungssenat im Sinn einer „Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung" aufgegriffen hätte werden müssen. Die selbstständige Beurteilung des Organverschuldens ist dem Amtshaftungsgericht somit verwehrt.

Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

Auf den von der Aufhebung erfassten Teil der Entscheidung, kann der Oberste Gerichtshof - wie oben schon ausgeführt - mangels Zulassung des Rekurses gegen den Aufhebungsbeschluss durch das Berufungsgericht nicht inhaltlich eingehen. Allerdings besteht eine Bindung des Erstgerichts an die Rechtsmeinung des Berufungsgerichts im Sinn des § 499 Abs 2 ZPO dann nicht, wenn der Oberste Gerichtshof - wie hier - die Rechtsansicht des Berufungsgerichts auch ohne Zulassung des Rekurses gegen den Aufhebungsbeschluss bereits anlässlich der Behandlung der Revision gegen das Teilurteil des Berufungsgerichts überprüft und nicht gebilligt hat (1 Ob 204/03m; RIS-Justiz RS0042279). Dies wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren zu berücksichtigen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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