OGH 10ObS71/05x

OGH10ObS71/05x27.9.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Leopold Smrcka (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Muhliz Y*****, vertreten durch Dr. Thomas Gratzl, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Integritätsabgeltung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. Juni 2005, GZ 11 Rs 34/05g-49, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 27. 7. 1999 eine Integritätsabgeltung in Höhe von EUR 40.654,87 zu bezahlen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Klagsstattgebung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichts nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Prozessrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die Entscheidung hängt von der Lösung der Rechtsfrage des materiellen Rechts ab, ob der Arbeitsunfall durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde (§ 213a Abs 1 ASVG). Strittig ist nur noch, ob grobe Fahrlässigkeit vorlag. Die Vorinstanzen haben dies übereinstimmend bejaht:

Der vom Kläger bei Reinigungsarbeiten an einer Hobelmaschine - infolge Fehlens eines unfallverhütenden Schutzblechs - erlittene Unfall (schwerste Verletzung des rechten Armes, der mit den Fingern beginnend von der Maschine erfasst wurde) sei durch eine grob fahrlässige Verletzung der Bestimmungen der §§ 29 Abs 2 und 34 Abs 2 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV), BGBl 1983/218 idgF verursacht worden; der Arbeitgeber des Klägers habe nämlich von der Demontage des zur Unfallverhütung unbedingt erforderlichen Schutzblechs gewusst, aber keine Abhilfe geschaffen und auch ein Abschalten der Maschine während der Reinigungsarbeiten nicht „geduldet", obwohl Arbeiten an laufenden, aber nicht gesicherten (Hobel-)Maschinen für jedermann einsichtig ein erhöhtes Verletzungsrisiko mit sich bringen.

Die Vorinstanzen haben dabei die stRsp auch des erkennenden Senats zum Begriff der groben Fahrlässigkeit (SSV-NF 6/61; 8/64; 8/111; 8/122; 9/9; 9/51; 12/30; 12/150; 16/103 uva) berücksichtigt. Es trifft zu, dass nach diesen in der Rsp entwickelten Grundsätzen das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften für sich allein zur Annahme grober Fahrlässigkeit nicht ausreicht. Entscheidende Kriterien für die Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades sind auch nicht die Zahl der übertretenen Vorschriften, sondern die Schwere der Sorgfaltsverstöße und die für den Arbeitgeber erkennbare Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes. Im Wesentlichen ist zu prüfen, ob der Arbeitgeber als Adressat der Arbeitnehmerschutzvorschriften nach objektiver Betrachtungsweise ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat (zuletzt: 10 ObS 174/03s mwN uva).

Bereits in der erstgenannten Entscheidung wurde aber darauf hingewiesen, dass bei der Beurteilung des Verschuldensgrades jeweils die Umstände des Einzelfalles zu prüfen sind. Dieser Rechtssatz wurde in zahlreichen weiteren Entscheidungen wiederholt (vgl RIS-Justiz RS0089215; RS0105331 ua). Das Berufungsgericht hat im angefochtenen Urteil ausführlich begründet, warum nach den hiefür maßgebenden Kriterien der Arbeitsunfall des Klägers vom 27. 7. 1999 durch eine grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde. Darauf geht die Revisionswerberin indes nicht ein. Die außerordentliche Revision macht lediglich geltend, dass hier „keine hinreichenden Anhaltspunkte" für die Annahme grober Fahrlässigkeit gegeben seien und wirft dem Gericht zweiter Instanz vor, sich zu Unrecht auf die Entscheidungen 2 Ob 14/63 = RIS-Justiz RS0066799 und 10 ObS 325/91 gestützt zu haben; da es dort nicht um einen Anspruch auf Integritätsabgeltung gegangen sei, seien diese Fälle mit dem vorliegenden nicht vergleichbar.

Daraus ist für den Standpunkt der beklagten Partei jedoch nichts zu gewinnen: Eine außerhalb der Bandbreite gerichtlicher Entscheidungen liegende und daher vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende grobe Fehlbeurteilung wird im vorliegenden Rechtsmittel nämlich - zu Recht - nicht einmal behauptet und ist auch nicht zu erkennen. Da der hier zu lösenden Rechtsfrage daher keine über diesen Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt, hat das Berufungsgericht zu Recht ausgesprochen, dass die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig ist.

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