OGH 10Ob83/05m

OGH10Ob83/05m6.9.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Adoptionssache Jaswinder S*****, geboren am 16. Oktober 1988, Schüler, *****, über den Revisionsrekurs der Antragsteller 1. Joginder G*****, Marktfierant, *****, 2. Sukhwinder K*****, Hausfrau, *****, und 3. mj. Jaswinder S*****, Schüler, *****, vertreten durch den Vater Surjit S*****, Indien, alle vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 22. März 2005, GZ 45 R 27/05m-16, womit über Rekurs der Antragsteller der Beschluss des Bezirksgerichtes Meidling vom 9. Dezember 2004, GZ 2 P 210/04i-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Mit dem am 14. 9. 2004 eingebrachten Antrag begehrten die Antragsteller unter Vorlage eines am 3./12. 8. 2004 unterfertigten Adoptionsvertrages und verschiedener weiterer Urkunden die Annahme des mj. Jaswinder S***** (leiblicher Sohn des Surjit S***** und der Manjit K*****) durch die Ehegatten Joginder G***** und Sukhwinder K***** als Wahleltern an Kindesstatt zu bewilligen.

Der in Aussicht genommene Wahlvater ist österreichischer Staatsbürger; alle anderen Beteiligten (Wahlmutter, leibliche Eltern, Wahlkind) sind indische Staatsangehörige. Der in Aussicht genommene Wahlvater ist der Bruder des leiblichen Vaters. Die in Aussicht genommenen Wahleltern sind in Österreich wohnhaft, die leiblichen Eltern in Indien.

Das am 16. 10. 1988 geborene Kind kam am 24. 6. 2004 mit einem Touristenvisum aus Indien zu den in Aussicht genommenen Wahleltern nach Österreich (laut Genehmigungsantrag mit der Begründung, dass ein entsprechender innerfamiliärer Beschluss gefasst worden sei, weil sich die leiblichen Eltern nicht genügend um das Kind kümmerten).

Der Adoptionsvertrag wurde von den in Aussicht genommenen Wahleltern am 3. 8. 2004 und von den leiblichen Eltern (vom leiblichen Vater auch als Vertreter des Kindes) am 12. 8. 2004 unterfertigt.

Das Erstgericht wies den Adoptionsantrag zurück. Sowohl Indien als auch Österreich seien Signatarstaaten des Haager Übereinkommens vom 29. 5. 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption (BGBl III 1999/145). Die Adoption eines minderjährigen indischen Staatsbürgers durch österreichische Wahleltern sei demnach nur nach den Bestimmungen des Übereinkommens, nämlich unter zwingender Vollziehung durch die zuständigen Zentralen Behörden beider Staaten zulässig. Da der Adoptionsvertrag und der Antrag auf seine Bewilligung unter Umgehung der zwingenden Bestimmungen des Übereinkommens und ohne Einschaltung der Zentralen Behörden von Österreich und Indien eingebracht worden sei, sei die Bewilligung durch das Gericht, das nicht zentrale Behörde sei, jedenfalls unzulässig.

Das Rekursgericht gab dem dagegen von den Antragstellerin erhobenen Rekurs nicht Folge. Die Frage der Anwendbarkeit des Haager Adoptionsübereinkommens sei aufgrund der im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Beschlussfassung gegebenen Verhältnisse zu prüfen. Aus innerstaatlicher österreichischer Sicht sei Indien seit 13. 8. 2004 (nach der Kundmachung der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde durch Indien, BGBl III 2004/94) als Vertragsstaat des Haager Adoptionsübereinkommens zu betrachten, sodass die Voraussetzung der Wirksamkeit des Übereinkommens zum Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das Erstgericht (9. 12. 2004) grundsätzlich erfüllt sei. Das Übereinkommen sei auch auf vor seinem innerstaatlichen Wirksamwerden geschlossene Adoptionsverträge anzuwenden. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das Erstgericht müsse das nach den Art 14 ff des Übereinkommens durchzuführende Verfahren abgeschlossen sein.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Anwendbarkeit des Haager Adoptionsübereinkommens auf Verträge, die vor dem Inkrafttreten im Verhältnis zu neu hinzukommenden Vertragsstaaten geschlossen worden seien, fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Antragsteller ist nicht berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung hat das Rekursgericht die angefochtene Entscheidung nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihrer Erlassung zu überprüfen (8 Ob 140/03a = ZfRV-LS 2004/39; RIS-Justiz RS0006810). Das gilt auch für die Beschlussfassung in Adoptionssachen (8 Ob 140/03a = ZfRV-LS 2004/39 = RIS-Justiz RS0048768 [T4]). Somit ist die Frage der Anwendbarkeit des Übereinkommens über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption (BGBl III 1999/145), das in seinem Anwendungsbereich gemäß § 53 Abs 1 IPRG dem innerstaatlichen IPR vorgeht, aufgrund der im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Beschlussfassung gegebenen Verhältnisse zu prüfen.

1. Zur zeitlichen Anwendbarkeit des Übereinkommens:

Das Übereinkommen ist für Österreich am 1. 9. 1999 in Kraft getreten. Indien hat die Ratifikationsurkunde am 6. 6. 2003 hinterlegt und ist daher völkerrechtlich seit 1. 10. 2003 als Vertragsstaat anzusehen. Aus innerstaatlicher österreichischer Sicht wurde der Beitritt gemäß Art 49 Abs 1 B-VG iVm § 11 Abs 1 BGBlG (Kundmachungsreformgesetz 2004) mit Ablauf des 12. 8. 2004 wirksam, weil an diesem Tag die entsprechende Kundmachung im Bundesgesetzblatt (BGBl III 2004/94) erfolgte.

Nach dem österreichischen Recht, das nach § 26 Abs 1 IPRG hinsichtlich der Voraussetzungen der Adoption jedenfalls in Bezug auf den in Aussicht genommenen Wahlvater heranzuziehen ist (soweit nicht das Übereinkommen vorgeht), kommt die Annahme an Kindesstatt durch zwei Akte zustande, nämlich

- den Abschluss eines gerichtlichen Vertrages und

- die gerichtliche Bewilligung der Annahme (§ 179a Abs 1 Satz 1 ABGB; 7 Ob 7/03k = EFSlg 104.422; RIS-Justiz RS0048726; Schwimann in Schwimann3 I § 179a Rz 1 mwN). Für den Fall der Bewilligung wird die Adoption gemäß § 179a Abs 1 Satz 2 ABGB rückwirkend mit dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wirksam.

Im vorliegenden Fall ist schon der Bewilligungsantrag erst nach dem Wirksamwerden des Übereinkommens im Verhältnis zwischen Indien und Österreich gestellt worden. Wegen der Maßgeblichkeit der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz über diesen Bewilligungsantrag war auch das ab 13. 8. 2004 geltende Übereinkommen bei der Beurteilung der Bewilligungsvoraussetzungen heranzuziehen, soweit der Adoptionsvorgang in den sachlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens fällt.

2. Zur sachlichen Anwendbarkeit des Übereinkommens:

Gemäß Art 2 Abs 1 des Übereinkommens ist dieses anzuwenden, wenn ein Kind mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Vertragsstaat ("Heimatstaat") in einen anderen Vertragsstaat ("Aufnahmestaat") gebracht worden ist, wird oder werden soll, entweder nach seiner Adoption im Heimatstaat durch Ehegatten oder eine Person mit gewöhnlichem Aufenthalt im Aufnahmestaat oder im Hinblick auf eine solche Adoption im Aufnahmestaat. In den gleichermaßen verbindlichen englischen und französischen Sprachfassungen heißt es „where a child ... has been, is being, or is to be moved to another Contracting State" bzw „lorsqu'un enfant ... a été, est ou doit être déplacé vers un autre État contractant". Entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerber ist damit kein „Verbringen" gefordert (dieses Wort wird in der deutschen Übersetzung des Erläuternden Berichts von Parra-Aranguren, abgedruckt bei RV 1571 BlgNR 20. GP 37 [56], unter Tz 86 in einem anderen Zusammenhang verwendet); vielmehr geht es um eine grenzüberschreitende Bewegung des Kindes im Zusammenhang mit einem Adoptionsvorgang (Rudolf, Das Haager Übereinkommen über die internationale Adoption, ZfRV 2001, 183 [184]). Auch Steiger (Das neue Recht der internationalen Adoption und Adoptionsvermittlung [2002] Rz A 48) nennt als maßgebliches Kriterium, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes im Zusammenhang mit einer Adoption aus dem Gebiet des Heimatstaates in das Gebiet des Aufnahmestaates „verlegt wird". Das dem Übereinkommen zugrunde liegende Schutzbedürfnis des Kindes ergibt sich bereits aus dem Wechsel der Lebensumwelt im Zuge der Adoption, nicht aus einem „Verbringen".

3. Nach Art 2 des Übereinkommens müssen die künftigen Adoptiveltern und das Kind ihren gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen Vertragsstaaten haben bzw ursprünglich gehabt haben (vgl Rz 74 des Erläuternden Berichts von Parra-Aranguren). Das Übereinkommen enthält zwar keine Bestimmung darüber, wann von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in einem Vertragsstaat auszugehen ist (Parra-Aranguren aaO Rz 74). Dieser Aspekt spielt im vorliegenden Fall aber keine Rolle, weil die den Entscheidungen der Vorinstanzen zugrunde liegende Ansicht, das Kind sei „im Hinblick auf eine solche Adoption" in den Aufnahmestaat gekommen (Art 2 Abs 1 des Übereinkommens), wegen der zeitlichen Nahebeziehung zwischen Einreise und Adoptionsantrag nicht zu beanstanden ist.

4. Zusammengefasst ist das Übereinkommen sowohl in zeitlicher als auch sachlicher Hinsicht anwendbar. Der Bewilligung des Adoptionsvertrages steht daher entgegen, dass die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der Art 14 ff des Übereinkommens nicht eingehalten wurden.

Da sich die Antragsteller schon vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens an die Zentralen Behörden wenden hätten müssen (damit deren Berichte dem Gericht schon vorliegen), kommt die Einräumung einer Verbesserungsfrist nicht in Betracht (vgl 2 Ob 263/04x).

Somit ist dem Revisionsrekurs unter den gegebenen Umständen ein Erfolg zu versagen.

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