OGH 2Ob78/05t

OGH2Ob78/05t1.9.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Engelbert H*, vertreten durch Mag. Andreas Germann, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen die beklagten Parteien 1.) Kadir Ö*, 2.) B* GmbH, *, und 3.) U* AG, *, vertreten durch Dr. Rolf Philipp und Dr. Frank Philipp, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen (restliche) EUR 53.002,89 sA und Feststellung (restlicher Streitwert EUR 500,‑‑), über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 10. Februar 2005, GZ 2 R 1/05x‑22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 15. Oktober 2004, GZ 9 Cg 318/03d‑18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2005:E78494

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass diese unter Einschluss der rechtskräftigen Teile zu lauten haben:

„1.) Die restliche Forderung der klagenden Partei besteht mit EUR 13.199,33 zu Recht.

2.) Die von den beklagten Parteien eingewendete Gegenforderung besteht nicht zu Recht.

3.) Die beklagten Parteien sind daher zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei über den mit dem Teilurteil vom 5. 3. 2004 zuerkannten Betrag hinaus weitere EUR 13.199,33 samt 4 % Zinsen aus EUR 16.069,33 seit 1. 11. 2003 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

4.) Es wird festgestellt, dass die beklagten Parteien der klagenden Partei zur ungeteilten Hand für sämtliche zukünftigen, derzeit nicht bekannten Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 1. 7. 2002 zu weiteren 50 % haften, wobei die Haftung der drittbeklagten Partei mit der im KFZ‑Haftpflichtversicherungsvertrag betreffend das von der zweitbeklagten Partei gehaltene KFZ Peugeot Partner Profi, behördliches Kennzeichen *, genannten Versicherungssumme begrenzt ist.

5.) Das Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei weitere EUR 39.803,56 samt 4 % Zinsen seit 1. 11. 2003 zu bezahlen, wird abgewiesen.

6.) Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 4.434,52 (darin EUR 152,27 Barauslagen und EUR 713,72 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 1.019,68 (darin EUR 320,06 Barauslagen und EUR 116,61 USt) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 1. 7. 2002 ereignete sich auf der Reichsstraße in Lustenau ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker seines Motorrades Yahama XV 1000 SE, Kennzeichen *, und der Erstbeklagte als Lenker des von der zweitbeklagten Partei gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs Peugeot Partner Profi, Kennzeichen *, beteiligt waren. Der Kläger fuhr mit einer Geschwindigkeit von ca 50 km/h auf der Reichsstraße Richtung Süden, wobei er einem vor ihm fahrenden PKW mit nicht mehr feststellbarem Tiefenabstand folgte. Während er sich der Unfallstelle näherte, fuhr der Erstbeklagte aus einem - in Annäherungsrichtung des Klagsfahrzeuges betrachtet - rechts von der Fahrbahn befindlichen Parkplatz in engem Bogen rückwärts auf die Fahrbahn aus und hielt zunächst in einer gegen die Fahrtrichtung des Klagsfahrzeuges weisenden Position am (wieder aus der Sicht des Klägers) rechten Fahrbahnrand an, sodass das Beklagtenfahrzeug teilweise auf dem dort angebrachten Radfahrstreifen und teilweise auf dem 3,3 m breiten Richtung Süden führenden Fahrstreifen parallel zum Fahrbahnverlauf stand. Er beabsichtigte, das Beklagtenfahrzeug in den (aus seiner Sicht) rechten, Richtung Höchst führenden Fahrstreifen einzuordnen, wozu es der Querung des in die Gegenrichtung führenden Fahrstreifens sowie einer in der Fahrbahnmitte markierten, 1,4 m breiten „Einordnungsspur" bedurfte. Ob der Erstbeklagte bei Einfahrt in die Reichsstraße bereits Sicht auf das Klagsfahrzeug hatte, kann nicht festgestellt werden. Nach einer nicht näher feststellbaren Zeitspanne, während der er die Verhältnisse auf der Reichsstraße beobachtete, setzte der Erstbeklagte sein Fahrzeug nach vorwärts in Bewegung und erreichte nach 6 bis 7 Sekunden Fahrt und einer Wegstrecke von 19 m die Kollisionsposition, in der sich das Beklagtenfahrzeug - den Richtung Süden führenden Fahrbahnteil zur Gänze blockierend - in einem Schrägrechtszug befand. Er hatte den aus der Gegenrichtung kommenden Kläger, der sich im Zeitpunkt der Losfahrt des Beklagtenfahrzeuges 83 bis 93 m von der Unfallstelle entfernt und schon im Sichtbereich des Erstbeklagten befand, bis zur Kollision nicht bemerkt. Auch der Kläger registrierte das Beklagtenfahrzeug erst kurz vor der Kollision, obwohl er es bei Annäherung an die Unfallstelle aus so großer Entfernung wahrnehmen hätte können, dass er eine Kollision vermeiden hätte können. Voraussetzung für die Wahrnehmbarkeit des Beklagtenfahrzeuges aus großer Entfernung wäre allerdings gewesen, dass der Kläger zum vorausfahrenden PKW einen Mindestnachfolgeabstand von 14 m eingehalten hätte und rechts gefahren wäre. Wo der Kläger in Bezug auf die Fahrbahnbreite tatsächlich fuhr, kann nicht festgestellt werden. Der Kläger erkannte das Beklagtenfahrzeug erst zu einem Zeitpunkt als Gefahr, als er einen Zusammenstoß nicht mehr vermeiden konnte. Es gelang ihm nur noch eine Ausweichbewegung nach links, zu einem Bremseinsatz kam es nicht. Durch den Zusammenstoß kamen beide Fahrzeuge zum Stillstand. Der Kläger stürzte auf die Fahrbahn und zog sich dabei schwere Verletzungen zu.

Im Einzelnen erlitt der 1959 geborene Kläger bei dem Unfall multiple Prellungen und einen Bruch des ersten Lendenwirbels, der operativ behandelt wurde. Bis 15. 9. 2003 musste er fünf Tage starke, fünf Tage mittelstarke und 77 Tage leichte Schmerzen erdulden. Für die Zukunft sind jährlich (komprimiert) 14 Tage leichte Schmerzen prognostiziert. Als Dauerfolgen verbleiben ein mit deutlicher vorderer Kantenerniedrigung verheilter Bruch des ersten Lendenwirbels, eine Versteifung der Wirbelsäule zwischen TH 12 und L 2 mit Gibbusbildung von 15° sowie eine deutlich eingeschränkte Beweglichkeit der Brustwirbelsäule.

Die beklagten Parteien anerkennen ein Verschulden des Erstbeklagten im Ausmaß von 50 %. Auf dieser Basis zahlten sie an den Kläger schon vor Klagseinbringung die Hälfte des Fahrzeugschadens (EUR 1.064,50) und der Abschleppkosten (EUR 67,87) sowie ein anteiliges Schmerzengeld von EUR 3.150,‑‑. Mit Teilanerkenntnisurteil vom 5. 3. 2004 wurden dem Kläger weitere EUR 2.870,‑- (EUR 2.850,‑- Schmerzengeld und EUR 20,‑- pauschale Spesen) zuerkannt; des weiteren wurde die Haftung der beklagten Parteien für alle zukünftigen Schäden im Ausmaß von 50 % festgestellt.

Der das Alleinverschulden des Erstbeklagten behauptende Kläger begehrte zuletzt noch Zahlung von EUR 53.002,89 samt Zinsen und der als „Nebenforderungen im Sinne des § 1333 Abs 3 ABGB" geltend gemachten Kosten für das medizinische Privatgutachten (EUR 610,44) und die Krankengeschichte (EUR 21,70) sowie die Feststellung der Haftung für künftige Schäden im vollen Umfang. Das Zahlungsbegehren gliederte er in den restlichen Fahrzeugschaden (EUR 1.064,50), restliche Abschleppkosten (EUR 67,87), restliche Spesen (EUR 30,‑‑), den Selbstbehalt aus den Behandlungskosten (EUR 46,96), Verdienstentgang (EUR 1.768,54) sowie restliches Schmerzengeld (EUR 50.025,‑‑). Zum Unfallshergang brachte der Kläger vor, der Erstbeklagte habe seinen Vorrang verletzt.

Die beklagten Parteien wandten ein, den Kläger treffe infolge Unaufmerksamkeit, Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit, Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot, Einhaltung eines zu geringen Tiefenabstandes und einer Fehlreaktion ein gleichteiliges Mitverschulden und hielten dem Klagebegehren eine Gegenforderung von EUR 4.816,94 (50 % des mit EUR 9.633,88 behaupteten Schadens) aufrechnungsweise entgegen. Die Schmerzengeldforderung des Klägers bestritten sie als weit überhöht; seine Verletzungen und Beschwerden rechtfertigten ein Schmerzengeld von lediglich EUR 12.000,‑‑.

Das Erstgericht erkannte - ausgehend von einer Verschuldensteilung im Verhältnis 2 : 1 zu Gunsten des Klägers - das Klagebegehren mit EUR 3.748,77 und die Gegenforderung mit EUR 2.666,67 als zu Recht bestehend und verpflichtete die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand zur Zahlung weiterer EUR 1.082,10 samt 4 % Zinsen aus EUR 3.952,10 seit 1. 11. 2003 an den Kläger. Es stellte ferner die Haftung der beklagten Parteien für künftige Schäden im Ausmaß eines weiteren Sechstels fest und wies das mit EUR 52.552,93 (ohne „Nebenforderungen": EUR 51.920,79) bezifferte Mehrbegehren ab. Es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und vertrat die Rechtsansicht, aus seinen Feststellungen ergebe sich zwingend, dass der Kläger entweder unaufmerksam gefahren sei oder den erforderlichen Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden PKW nicht eingehalten oder gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen habe, wobei auch eine Kombination dieser Verstöße möglich sei. Ohne die Ursache für das verspätete Erkennen des Beklagtenfahrzeuges genau aufklären zu müssen, treffe ihn nach jeder der möglichen Varianten ein erhebliches Mitverschulden. Der Höhe nach erachtete es einen Verdienstentgang von EUR 1.000,‑- und unfallsbedingte Spesen von EUR 40,‑- als erwiesen sowie ein Schmerzengeld von (ungekürzt) EUR 13.000,‑- als angemessen. Insgesamt errechnete das Erstgericht einen Schaden des Klägers in Höhe von EUR 16.351,70, wovon ihm zwei Drittel, sohin EUR 10.901,14 zu ersetzen seien. Abzüglich der bereits gezahlten und anerkannten Beträge verbleibe eine berechtigte Forderung von EUR 3.748,77. Die Gegenforderung sei mit einem Drittel des mit EUR 8.000,‑- ermittelten Schadens der zweitbeklagten Partei als berechtigt anzusehen.

Dieses Urteil erwuchs in seinem stattgebenden Teil und hinsichtlich der Abweisung eines Teilbetrages von EUR 21.803,54 (EUR 768,54 Verdienstentgang; EUR 10,‑- Spesen; EUR 21.025,‑- Schmerzengeld) sowie der „Nebenforderungen" unbekämpft in Rechtskraft.

Das vom Kläger mit dem Begehren um Zuerkennung weiterer EUR 27.450,56 (wegen des gleichzeitig angestrebten Entfalles der Gegenforderung inhaltlich jedoch: EUR 30.117,23) sA sowie um die Feststellung der Haftung für künftige Schäden im vollen Umfang angerufene Berufungsgericht gab der Berufung Folge, änderte das erstinstanzliche Urteil im Sinne des Rechtsmittelantrages dahin ab, dass es die Klagsforderung mit insgesamt EUR 31.199,33 als zu Recht, die eingewendete Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend erachtete, die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand verpflichtete, dem Kläger weitere EUR 31.199,33 samt Zinsen zu bezahlen, feststellte, dass die beklagten Parteien - die drittbeklagte Partei begrenzt mit der Höhe der Versicherungssumme - für alle zukünftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 1. 7. 2002 zu weiteren 50 % zu haften hätten und das Mehrbegehren von insgesamt EUR 21.803,‑- samt Zinsen abwies. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht deutete die Feststellungen des Erstgerichtes dahin, dass ein Mitverschulden des Klägers nicht bewiesen und daher vom Alleinverschulden des Erstbeklagten auszugehen sei. Dabei ließ es eine in der Berufungsbeantwortung der beklagten Parteien enthaltene Beweisrüge aus der rechtlichen Überlegung unerledigt, dass die angestrebte Feststellung, der Kläger sei in der Mitte seines Fahrstreifens gefahren, zu keinem anderen Ergebnis führen könne. Angesichts der übersichtlichen Straßenverhältnisse begründe die Einhaltung eines Seitenabstandes von 1,4 m zum rechten Fahrbahnrand kein Mitverschulden. Zur Höhe des Schmerzengeldes führte es aus, das Erstgericht habe die zukünftigen Schmerzen mit nur EUR 3.200,‑- nicht ausreichend berücksichtigt. Insgesamt sei ein Schmerzengeld von EUR 35.000,‑- angemessen (damit folgte es dem in der Berufung nur noch eingeschränkt aufrecht erhaltenen Schmerzengeldbegehren des Klägers).

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag es dahin abzuändern, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragte in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, dem Rechtsmittel der beklagten Parteien nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die beklagten Parteien zeigen zutreffend auf, dass dem Berufungsgericht eine erhebliche Fehlbemessung des Schmerzengeldes unterlaufen ist, weshalb die Revision - abweichend vom Regelfall (RIS‑Justiz RS0042887) - zur Vermeidung einer gravierenden Ungleichbehandlung durch die Rechtsprechung und damit letztlich aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit ausnahmsweise zulässig ist (Danzl in Danzl/Gutiérrez‑Lobos/Müller, Das Schmerzengeld8, 226 f).

Das Rechtsmittel ist auch teilweise berechtigt.

Keine Bedenken bestehen allerdings gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, dass den Erstbeklagten das Alleinverschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalles trifft. Die beklagten Parteien widersprechen dieser Auffassung mit dem Hinweis auf ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach die Einhaltung einer Fahrlinie in der Mitte eines 3,3 m breiten Fahrstreifens durch einen Motorradfahrer nicht dem Rechtsfahrgebot entspreche. Sie rügen in diesem Zusammenhang als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, dass ihre auf die Feststellung einer solchen Fahrlinie des Klagsfahrzeuges abzielende Beweisrüge in der Berufungsbeantwortung auf Grund unrichtiger rechtlicher Beurteilung des Berufungsgerichtes unerledigt blieb.

Unterlässt das Berufungsgericht die inhaltliche Auseinandersetzung mit einer in der Berufung oder der Berufungsbeantwortung enthaltenen Beweisrüge aus rechtlichen Erwägungen, so begründet dies (ua) dann keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, wenn der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt und der davon abweichende, mit der Beweisrüge angestrebte Sachverhalt zum gleichen rechtlichen Ergebnis führen muss (RIS‑Justiz RS0042386; Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 503 Rz 143). Diese Voraussetzung trifft aber auf die bekämpfte und die begehrte Feststellung zur Fahrlinie des Klägers jedenfalls zu, weil ein in die Verschuldensabwägung einfließender Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot aus folgenden Gründen hier überhaupt nicht in Betracht gezogen werden kann:

Das nicht mehr strittige Verschulden des Erstbeklagten resultiert aus einem Verstoß gegen § 19 Abs 6 StVO. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei Prüfung der Frage, ob eine Behinderung des Fließverkehrs vorliegt, nämlich nicht auf den Beginn, sondern auf das Ende des Einordnungsvorganges abzustellen. Das Einordnen in den Fließverkehr ist erst dann als beendet anzusehen, wenn das Fahrzeug zur Gänze auf der für die angestrebte Bewegungsrichtung bestimmten Fahrbahnhälfte in diese Fahrtrichtung fährt (2 Ob 237/2w mwN; RIS‑Justiz RS0074457). Dies war hier noch nicht der Fall. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kommt der Schutzzweck des Rechtsfahrgebotes aber nicht auch den von rechts in den bevorrangten Fließverkehr eindringenden Verkehrsteilnehmern zu (2 Ob 2404/96k = ZVR 1997/131 mit ausdrücklicher Ablehnung älterer gegenteiliger Rechtsprechung; 2 Ob 132/03f). Die beklagten Parteien könnten sich somit schon aus diesem Grund auch bei der gewünschten Feststellung einer Fahrlinie des Klagsfahrzeuges in der Mitte des 3,3 m breiten, Richtung Süden führenden Fahrstreifens nicht erfolgreich auf einen Verstoß des Klägers gegen das Rechtsfahrgebot des § 7 Abs 1 und 2 StVO berufen. Da die in der Berufungsbeantwortung begehrte Feststellung demnach zu keiner abweichenden rechtlichen Beurteilung führen würde, begründet die unterlassene Erledigung der Beweisrüge keinen relevanten Verfahrensmangel.

Auch der Rechtsrüge kommt keine Berechtigung zu, soweit sie auf der Grundlage des festgestellten Sachverhaltes ein Mitverschulden des Klägers releviert. Nach den maßgeblichen Feststellungen des Erstgerichtes hätte der Kläger das Beklagtenfahrzeug nur unter den Prämissen 1.) eines Tiefenabstandes von mindestens 14 m zum vorausfahrenden PKW „und" (also kumulativ) 2.) einer „rechts" gelegenen Fahrlinie aus so großer Entfernung wahrnehmen können, dass ihm die Vermeidung des Unfalles möglich war. Der Unfall war für ihn demnach etwa dann nicht vermeidbar, wenn er zwar mit mindestens 14 m Tiefenabstand zu seinem Vorderfahrzeug, aber nicht „rechts" gefahren ist (und daher keine Sicht auf das Beklagtenfahrzeug hatte). Diese Sachverhaltsvariante ist durch die Negativfeststellungen des Erstgerichtes über den Tiefenabstand und die Fahrlinie des Klagsfahrzeuges gedeckt. In diesem Fall aber lag - wie erörtert - kein Fehlverhalten des Klägers vor. Nach dem Grundsatz, wonach den Beklagten die Behauptungs‑ und Beweislast für ein allfälliges Mitverschulden des Klägers trifft, gehen sämtliche verbleibende Unklarheiten auch hier zu Lasten der beklagten Parteien (ZVR 1976/194; ZVR 1985/32; ZVR 1994/29 uva; RIS‑Justiz RS0022560). Das Berufungsgericht hat somit zutreffend erkannt, dass ein Mitverschulden des Klägers begründende Tatumstände nicht erwiesen sind.

Beizupflichten ist den Revisionsausführungen jedoch insoweit, als in ihnen unter vergleichsweiser Anführung mehrerer Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes eine eklatante Fehlbemessung des Schmerzengeldes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird.

Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzungen und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und die Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzungen und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes abgelten, die durch Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich als Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entgangenen Lebensfreunde auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen. Das Schmerzengeld ist nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles für alles Ungemach, dass der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global festzusetzen (ZVR 2004/43 mwN; 2 Ob 261/04b; 7 Ob 29/05y; RIS‑Justiz RS0031307; Danzl aaO 66 ff und 170 mwN). In die Globalbemessung des Schmerzengeldes sind demnach neben den bereits erlittenen Schmerzen auch künftige, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartende körperliche und seelische Schmerzen einzubeziehen (ZVR 1989/134; ZVR 1999/50; 2 Ob 261/04b; RIS‑Justiz RS0031307 [T4]). Wenngleich bei der Bemessung des Schmerzengeldes auf die Umstände des Einzelfalles Bedacht zu nehmen ist, ist doch zur Vermeidung von Ungleichheiten auch ein objektiver Maßstab anzulegen, wobei der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen nicht gesprengt werden darf (SZ 2002/50; RIS‑Justiz RS0031075). Tendenziell erscheint es dabei geboten, das Schmerzengeld nicht zu knapp zu bemessen (SZ 2002/50; ZVR 2004/43; 2 Ob 12/02g; 7 Ob 29/05y ua).

Der erkennende Senat hat jüngst in der Entscheidung 2 Ob 261/04b einem 47‑jährigen Kläger, der bei einem Verkehrsunfall einen verschobenen Bruch des äußeren Schienbeinkopfes rechts erlitten hatte, mehrere operative Eingriffe ertragen und - gerafft - 12 Tage starke, sieben Wochen mittlere und 19 Wochen leichte Schmerzen erdulden musste, in Zukunft Schmerzen bei diversen Verrichtungen haben wird und dem im Gegensatz zu vorher keine sportlichen Aktivitäten mehr möglich sind, ein Schmerzengeld von EUR 35.800,‑- zugebilligt.

Der Entscheidung 7 Ob 29/05y, in welcher der Senat ein Schmerzengeld von (ungekürzt) EUR 38.000,‑- als angemessen erachtete, lagen schwere Bein‑ und Knieverletzungen eines 12‑jährigen Klägers zugrunde, der komprimiert 16 bis 19 Tage starke, 39 bis 49 Tage mittlere und 162 bis 192 Tage leichte Schmerzen zu erdulden hatte, pro Jahr noch ca 14 Tage leichte Schmerzen ertragen und bei noch nicht absehbarer Entwicklung der Dauerfolgen eine lebenslange starke Einschränkung bei der Sportausübung hinnehmen muss.

In jenen (durchwegs schon älteren) Entscheidungen, in denen sich der Oberste Gerichtshof mit der Überprüfung des angemessenen Schmerzengeldes nach dem Bruch eines Lendenwirbels zu befassen hatte, lagen überwiegend noch weitere schwerwiegende Verletzungen vor (zu den im Folgenden wiedergegebenen und zu weiteren Entscheidungen siehe auch in Manz CD‑Rom Danzl, Schmerzengeld‑Entscheidungen, Ausgabe 1/2005):

In der Entscheidung 2 Ob 46/84 sprach der Oberste Gerichtshof einem Kläger, der einen Abbruch des linken Querfortsatzes des zweiten Lendenwirbels sowie eine Kopfprellung mit Gehirnerschütterung, Rissquetschwunden im Gesicht, einen Kompressionsbruch des fünften Halswirbels mit Verrenkung sowie diverse allgemeine Körperprellungen erlitten hatte, unfallbedingt - komprimiert ‑ 14 Tage starke, 22 Tage mittlere und 100 Tage leichte Schmerzen erdulden musste und bei dem Dauerfolgen zurückgeblieben sind, ein Schmerzengeld von (ungekürzt) S 150.000,‑- (EUR 10.901,‑‑) zu.

In der Entscheidung 3 Ob 583/89 wurde im Falle eines Klägers, der bei einem tätlichem Angriff einen Bruch mehrerer Lendenwirbel und eines Brustwirbels erlitten hatte und gerafft eine Woche starke, vier Wochen mittlere und ein halbes Jahr leichte Schmerzen ertragen musste, unter Berücksichtigung der bei diesem Kläger vorgelegenen psychischen Komponente ein Schmerzengeld von S 200.000,‑- (EUR 14.535,‑‑) als gerechtfertigt angesehen.

Im Lichte dieser Rechtsprechung ist im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des seit den älteren Entscheidungen eingetretenen Geldwertverfalles, aber auch der Tendenz, höheres Schmerzengeld zuzusprechen, angesichts der festgestellten Schmerzperioden, der Schwere der vom Kläger erlittenen Verletzungen, der dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigungen sowie allen sonstigen Ungemachs ein Schmerzengeld von EUR 17.000,‑- angemessen.

In teilweiser Stattgebung der Revision waren daher die Urteile der Vorinstanzen wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 43 Abs 1, 50 ZPO.

Bei der neu zu fassenden Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz kommt in Ansehung der Schmerzengeldforderung des Klägers die Anwendung des § 43 Abs 2 zweiter Fall ZPO nicht in Betracht. Der Kläger begehrte insgesamt mehr als das Dreifache (EUR 56.025,‑‑) des angemessenen Betrages, obwohl ihm vor Einbringung der Klage die beiden den Tatsachenfeststellungen zugrundegelegten Gutachten des medizinischen Sachverständigen bereits zur Verfügung standen. Die Überklagung ist vor allem darin begründet, dass der Kläger das Schmerzengeld nicht in einem Globalbetrag, sondern - wie sich aus der Klagserzählung ergibt - getrennt nach bisherigen (EUR 9.825,‑‑) und „gemäß Sterbetafel 2000/2002" berechneten künftigen Schmerzen (EUR 46.200,‑‑) geltend gemacht hat. Diese Vorgangsweise widerspricht jedoch der bereits zitierten ständigen Rechtsprechung, wonach das Schmerzengeld unter Einbeziehung der künftigen noch zu erwartenden Schmerzen global zu bemessen und nicht in festen Tagessätzen, die lediglich - vor allem bei minderschweren Schädigungen - eine Bemessungshilfe sein können, zu berechnen ist (grundlegend Danzl aaO 90 ff mwN). Die Überklagung um mehr als 70 % muss demnach als erkennbare und offenbare Überforderung (M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/12 § 43 ZPO Rz 19 mwN) beurteilt werden, die vor allem im Hinblick auf die dargestellte ältere Judikatur außerhalb jeder vernünftigen Überlegung liegt (Danzl aaO 229 mwN; RIS‑Justiz RS0035993).

Davon ausgehend ist der Kläger in dem bis zur Fällung des Teilanerkenntnisurteiles in der mündlichen Streitverhandlung vom 5. 3. 2004 währenden ersten Verfahrensabschnitt mit 30 % und im zweiten Verfahrensabschnitt mit 26 % seines Klagebegehrens durchgedrungen, woraus sich sein Anspruch auf anteiligen Ersatz der Pauschalgebühr, aber auch seine Verpflichtung zum Ersatz der anteiligen Barauslagen der beklagten Parteien sowie von 40 % und - im zweiten Abschnitt - 48 % ihrer weiteren Verfahrenskosten ergibt. Daraus errechnet sich nach Saldierung der wechselseitigen Ansprüche auf Ersatz der Barauslagen ein Kostenersatzanspruch der beklagten Parteien in Höhe von EUR 4.434,52 (darin EUR 152,27 Barauslagen und EUR 713,72 USt).

Im Berufungsverfahren ist der Kläger mit EUR 12.450,56, das sind 41 % seines richtig EUR 30.450,56 betragenden Berufungsinteresses durchgedrungen, weshalb ihm der Ersatz der anteiligen Pauschalgebühr (EUR 399,83) gebührt, während die beklagten Parteien Anspruch auf Ersatz von 18 % der Kosten ihrer Berufungsbeantwortung haben. Im Revisionsverfahren haben die beklagten Parteien mit EUR 18.000,‑‑, das sind rund 59 % ihres Revisionsinteresses (richtig wieder: EUR 30.450,56) obsiegt, woraus sich ihr Anspruch auf Ersatz der anteiligen Pauschalgebühr (EUR 719,89) und von 18 % der weiteren Kosten ihres Rechtsmittels ergibt. Nach Saldierung der wechselseitigen Ansprüche auf anteiligen Ersatz der Pauschalgebühr ergibt sich daraus in den beiden Rechtsmittelverfahren ein Kostenersatzanspruch der beklagten Parteien von insgesamt EUR 1.019,68 (darin EUR 320,06 Barauslagen und EUR 116,61 USt).

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