OGH 6Ob87/05w

OGH6Ob87/05w19.5.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Renate D*****, vertreten durch Mag. Andreas Stolz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. Helmut D*****, vertreten durch die Sachwalterin Ingrid S*****, diese vertreten durch Dr. Michael Peschl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalts, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 10. Jänner 2005, GZ 45 R 628/04t-169, womit über die Berufungen beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 21. Juni 2004, GZ 41 C 9/04m-152, aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen wurde,

1. mit

TEILURTEIL

zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird teilweise aufgehoben. Insoweit wird das Urteil des Erstgerichts in seinem Punkt 1. (monatlicher Unterhalt von 540 EUR ab 1. 5. 1995) wiederhergestellt. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

2. den

Beschluss

gefasst:

Im Übrigen (Entscheidung über das Unterhaltsmehrbegehren) wird dem Rekurs nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Streitteile wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 21. 5. 1995 aus dem Alleinverschulden des Mannes geschieden. Die Klägerin begehrt in dem seit 1995 anhängigen Unterhaltsverfahren einen monatlichen Unterhalt von 15.000 S (1.090,09 EUR) mit der wesentlichen Begründung, dass der Beklagte über ein aus mehreren Quellen stammendes Einkommen von 50.000 S (3.633,64 EUR) monatlich und über erhebliches Vermögen verfüge. Sie selbst habe ihren Beruf als Rechtsanwältin wegen der notwendigen Pflege ihres schwerbehinderten 1978 geborenen Sohnes aufgeben müssen. Wegen verschiedener Straftaten des Beklagten sei auch die Klägerin schuldlos über zwei Jahre in Untersuchungshaft genommen worden. Deswegen sei ihr die Ausübung der Rechtsanwaltschaft untersagt worden. Eine Wiederaufnahme der Tätigkeit als Rechtsanwältin sei ihr nicht möglich. Aufgrund ihres Alters (zum Zeitpunkt der Klageeinbringung war die Klägerin 50 Jahre alt) und der langen Zeit ohne Berufsausübung könne sie keinen qualifizierten Arbeitsplatz finden.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Unterhaltsbegehrens. Die Klägerin könne als Rechtsanwältin monatlich 50.000 S (3.633,64 EUR) ins Verdienen bringen. Der Klägerin sei eine Erwerbstätigkeit, etwa als leitende Angestellte in der Privatwirtschaft, zumutbar (§ 66 EheG). Der Beklagte habe im März 1995 einen Gehirnschlag mit irreparablen Folgen erlitten. Er verfüge über kein eigenes Einkommen und Vermögen. Mit einer Berufsunfähigkeitspension könnte sein angemessener Unterhalt nicht gedeckt werden. Er bedürfe ständiger Pflege. Er sei mit rund 13 Mio S überschuldet. Seine Pension werde zur Hereinbringung von Unterhaltsrückständen von der Klägerin und dem gemeinsamen Sohn gepfändet.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 540 EUR monatlich ab 1. 5. 1995 statt und wies das Mehrbegehren von 550,09 EUR monatlich ab. Von seinen Feststellungen ist folgender Sachverhalt als wesentlich hervorzuheben:

Während der Haftzeit der Klägerin (November 1981 bis November 1983) habe der Sohn einen Unfall mit der Folge einer halbseitigen Lähmung erlitten. Am 10. 9. 1979 sei der Klägerin die Ausübung der Rechtsanwaltschaft untersagt worden. Ihre Berechtigung sei gemäß § 34 RAO mit 30. 4. 1985 erloschen. Sie sei seit 1979 Hausfrau und hauptsächlich mit der Pflege ihres behinderten Kindes beschäftigt. Aufgrund ihres Lebensverlaufes, ihres Alters und der Arbeitsmarktsituation habe die Klägerin 1997 ein erhebliches Vermittlungsproblem gehabt. Es könne nicht festgestellt werden, dass sie ihren Beruf als Rechtsanwältin ausüben könnte. Sie könnte nur einen Arbeitsplatz im Rahmen von sozialen Betreuungsdiensten mit monatlichen Verdienstmöglichkeiten von 654 EUR bis 726 EUR finden. Solche Betreuungsdienste würden aber häufig nur als Teilzeittätigkeiten vergeben werden. Der Beklagte habe ab 1. 6. 1995 eine Berufsunfähigkeitspension von zunächst 689,40 EUR monatlich brutto erhalten (das Erstgericht stellte detailliert die Nettoauszahlungsbeträge für die Zeit bis 31. 12. 2003 und die exekutiv einbehaltenen Beträge fest). Der Beklagte beziehe ferner aufgrund eines Notariatsakts vom 26. 6. 1975 eine wertgesicherte Leibrente von 1.090,09 EUR monatlich. Die Klägerin habe bis zum 6. 6. 1997 in verschiedenen Exekutionsverfahren zur Hereinbringung eigener Unterhaltsrückstände sowie derjenigen ihres Sohnes 110.922,44 EUR überwiesen erhalten (beim Unterhaltsrückstand der Klägerin handelt es sich um einen nicht prozessgegenständlichen, vertraglichen Unterhalt aus der Zeit vor 1995).

Zu den von der Klägerin bezogenen weiteren Einkünften und zum behaupteten Vermögen des Beklagten traf das Erstgericht eine Reihe von Negativfeststellungen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass die Unterhaltspflicht des alleinschuldigen Ehegatten primär von seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abhänge. Die Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts habe der Unterhaltspflichtige zu beweisen (§ 67 Abs 1 EheG), weiters auch den Umstand, dass der Unterhaltsberechtigte vom Stamm seines Vermögens leben könne. In die Unterhaltsbemessungsgrundlage sein das gesamte Einkommen des Unterhaltspflichtigen einzubeziehen, nicht jedoch Pflegegebühren, wohl aber die Leibrentenforderung des Beklagten. Der Umstand, dass auf diese Forderung Exekution geführt werde, ändere an der Zuordnung nichts. Die Bemessungsgrundlage setze sich hier aus der jeweiligen Nettopension zuzüglich der Leibrentenforderung von 1.090,90 EUR (wertgesichert) zusammen. Der schuldlos geschiedene Ehegatte müsse sich auf den Unterhaltsanspruch die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit, aber auch im Sinn der „Anspannungstheorie" erzielbare Einkünfte anrechnen lassen. Für die Frage der Zumutbarkeit einer eigenen Erwerbstätigkeit des Unterhaltsberechtigten sei aber nicht abstrakt auf eine am Arbeitsmarkt vorhandene Arbeitsgelegenheit sondern darauf abzustellen, ob es für den Unterhaltsberechtigten konkrete Arbeitsmöglichkeiten gebe. Es sei nicht nachgewiesen worden, dass die Klägerin ihren Beruf als Rechtsanwältin noch ausüben könne. Sie habe ihren Beruf bereits seit mehr als 20 Jahren nicht ausgeübt. Im Hinblick auf ihr Alter und ihre Ausbildung sei ihr die Ausübung einer Berufstätigkeit, wie sie der Sachverständige ausgeführt habe, nicht möglich und zumutbar. Die Klägerin habe einen Unterhaltsanspruch in der Höhe von 33 % des Nettoeinkommens des Beklagten abzüglich von 4 % für dessen Sorgepflicht für den gemeinsamen Sohn. Dies ergäbe hier einen Unterhaltsanspruch von 540 EUR monatlich.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien Folge und hob das erstinstanzliche Urteil zur Verfahrensergänzung auf. Es verneinte die Mängelrüge und die Beweisrügen, hielt aber eine Verfahrensergänzung aus rechtlichen Erwägungen wie folgt für notwendig:

Die Frage der Zumutbarkeit einer eigenen Erwerbstätigkeit der Klägerin könne noch nicht verneint werden. Auch wenn sie ihren Beruf als Rechtsanwältin nicht mehr ausüben könne, könne noch nicht von vornherein gesagt werden, dass ihr die vom Sachverständigen angeführten Hilfstätigkeiten im Rahmen sozialer Betreuungsdienste aufgrund des Arguments eines sozialen Abstieges unzumutbar wären. Für die Klärung dieser Frage fehle es an ausreichenden Feststellungen. Insbesondere sei zu untersuchen, ob die Klägerin ab Klageeinbringung Pflegeleistungen für ihren Sohn erbringen habe müssen. Dabei seien mögliche Veränderungen seit der Klageeinbringung zu berücksichtigen. Auch zur Frage, ob und welche Beschäftigungen die Klägerin mit welchem Entgelt ausüben hätte können, sei eine Ergänzung dahin erforderlich, dass der Beklagte zu entsprechenden Beweisanträgen anzuleiten wäre. Schließlich müssten dessen konkrete Lebensverhältnisse festgestellt werden, insbesondere der Umfang seiner Pflegebedürftigkeit. Letztlich hätte mit der in erster Instanz unvertretenen Klägerin erörtert werden müssen, dass der Beklagte eine wertgesicherte Leibrente von 1.090,09 EUR beziehe und dass das Erstgericht nur von diesem Betrag ohne Berücksichtigung der Indexerhöhung ausgegangen sei. Es sei zu entsprechenden Beweisanträgen hinsichtlich der jeweiligen Höhe der Leibrentenforderung anzuleiten.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wegen der Frage der Zumutbarkeit der eigenen Erwerbstätigkeit der Klägerin („sozialer Abstieg") zulässig sei.

Mit ihrem Rekurs beantragt die Klägerin die Abänderung dahin, dass dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde.

Der Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, im Ergebnis aber nur teilweise berechtigt.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass schon jetzt die Unzumutbarkeit einer eigenen Erwerbstätigkeit feststünde. Auf einen (zu erhebenden) sozialen Abstieg des Beklagten käme es für diese Frage nicht an. Eine Berufstätigkeit der Klägerin sei auch wegen ihrer chronischen Krankheiten (Asthma; Meniskusbeschwerden) und wegen der notwendigen Betreuung ihres Vaters unzumutbar. Die seit 1987 angestellten Bemühungen, einen Arbeitsplatz zu finden, seien erfolglos gewesen. Es käme nur auf die tatsächliche Lage am Arbeitsmarkt und nicht auf theoretische Vermittlungschancen hinsichtlich unattraktiver, „fast ehrenamtlicher Tätigkeiten" an. Eine Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zur Ergänzung des Parteivorbringens zur Höhe der Leibrentenforderung des Beklagten und zu deren Ermittlung sei entbehrlich, weil sich die Indexerhöhung der Leibrente nach dem Verbraucherpreisindex 1966 errechnen lasse. Zu diesem Rekursvorbringen ist Folgendes auszuführen:

1. Zur Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit der Klägerin:

Für die Beurteilung dieser Frage ist nach ständiger Rechtsprechung eine Reihe von Faktoren maßgeblich, insbesondere das Alter, der Gesundheitszustand, die Berufsausbildung, die bisherige, auch länger zurückliegende Berufsausübung, die Pflicht zur Erziehung eines Kindes, die Vermittlungsmöglichkeit am Arbeitsmarkt u.ä. (RIS-Justiz RS0057391). Der Unterhaltsberechtigte hat seine Arbeitskraft insoweit für die Beschaffung des eigenen Unterhalts einzusetzen, als dies nach den Umständen des Einzelfalls zumutbar erscheint (RS0080396). Bei Unterlassung zumutbarer Erwerbstätigkeit sind die erzielbaren Einkünfte, also solche, die nach den konkreten Verhältnissen mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf eine längere Dauer als gesichert angenommen werden können, anzurechnen (RS0057351). Von der Frage der Pflegebedürftigkeit des Sohnes durch die obsorgeberechtigte Mutter abgesehen, steht die Unzumutbarkeit einer Arbeitstätigkeit der Klägerin hier schon fest. Die Unterhaltspflicht des allein oder überwiegend an der Scheidung schuldigen Ehegatten ist gemäß § 66 EheG zwar nur eine subsidiäre. Der Unterhaltsberechtigte hat nachzuweisen, dass er sich seinen Unterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit nicht verschaffen kann. Er hat keinen mit dem Unterhalt eines verheirateten, bloß den Haushalt führenden Ehegatten gleichgestellten Unterhaltsanspruch (8 Ob 210/02v mwN).

Es ist dem Erstgericht aber zuzustimmen, dass die damals schon 50 Jahre alte Klägerin nach den getroffenen Feststellungen schon im Jahr 1995 keinen zumutbaren Arbeitsplatz finden hätte können. Auch zu § 66 EheG wird - ähnlich wie zur Berufsunfähigkeitspension (RIS-Justiz RS0084890) - die Ansicht vertreten, dass der Berechtigte nicht schlechthin jeden Arbeitsplatz annehmen muss. Ein gravierender sozialer Abstieg ist nicht zumutbar (RS0057355). Beispielsweise wurde eine Hilfsarbeitertätigkeit für eine 55jährige Maturantin für unzumutbar erachtet (8 Ob 1576/92). Diesem Fall ist der hier festgestellte Sachverhalt vergleichbar, handelt es sich doch bei der der Klägerin allein offenstehenden Berufstätigkeit im Sozialbereich (wo noch dazu nur Teilzeitbeschäftigung angeboten wird) um schlechtbezahlte, ungelernte Hilfstätigkeiten, die mit denjenigen von Hilfsarbeitern durchaus vergleichbar sind. Die Sache ist daher in diesem Punkt im Sinne des Standpunkts der Klägerin spruchreif, ohne das noch ihr Einwand über eine notwendige Pflege des behinderten Kindes geprüft werden müsste.

2. Auch zur Frage der konkreten Lebensverhältnisse des Beklagten bedarf es keiner Verfahrensergänzung:

Für die schon erörterte Frage der Zumutbarkeit eigener Erwerbstätigkeit der Klägerin bedarf es keiner weitergehenden Feststellungen über die Pflegebedürftigkeit des Beklagten. Letztere kann nur für dessen Einwand nach § 67 EheG von Relevanz sein, weil ein erhöhter Pflegeaufwand seinen eigenen angemessenen Unterhalt gefährden könnte. Für einen solchen Sachverhalt ist jedoch der Beklagte behauptungs- und beweispflichtig. Er ist aber nicht einmal seiner Behauptungslast ausreichend nachgekommen, wurde doch der Einwand nur mit der widerlegten Behauptung, einkommens- und vermögenslos zu sein, begründet und weiters damit, dass die Berufsunfähigkeitspension zur Deckung des angemessenen Unterhalts nicht ausreiche. Der Beklagte stellte also nicht einmal die Behauptung auf, dass mit dem von ihm unstrittig jedenfalls schon 1995 bezogenen Pflegegeld sein erhöhter Aufwand nicht gedeckt werden könnte. Die Sache ist daher auch in diesem Punkt schon spruchreif und dahin zu beurteilen, dass schon aufgrund der Feststellungen über die Einkünfte des Beklagten (Pension und Leibrente) sich sein Einwand nach § 67 EheG als unbegründet erweist.

3. Der festgestellte Sachverhalt ist im zweiten Rechtsgang lediglich zur Frage der Höhe der zutreffend in die Bemessungsgrundlage einbezogenen Leibrentenforderung ergänzungsbedürftig. Diese ist wertgesichert, sodass sich im Laufe des nunmehr schon 10 Jahre anhängigen Unterhaltsverfahrens eine für die Unterhaltsbemessung relevante Erhöhung der Bemessungsgrundlage aus dem Titel der Wertsicherung als wahrscheinlich erweist. Auch wenn die Klägerin ihren Unterhaltsanspruch nicht gestaffelt geltend macht, könnte dieser ab einem gewissen Zeitpunkt in einem höheren Ausmaß berechtigt sein, als dies für das Jahr 1995 zutrifft. In diesem Punkt ist der Ergänzungsauftrag des Berufungsgerichts daher ebensowenig zu beanstanden, wie seine Bestätigung der Ermittlung der Höhe des Unterhaltsanspruchs nach der sogenannten Prozentsatzmethode.

Der Unterhaltsanspruch der Klägerin steht dem Grunde und der Höhe nach zumindest in dem vom Erstgericht festgesetzten Ausmaß fest. Darüber ist mit Teilurteil durch Wiederherstellung des stattgegebenen Teiles des erstinstanzlichen Urteils (ohne die Kostenentscheidung) abzusprechen. Über das Unterhaltsmehrbegehren ist das Verfahren im zweiten Rechtsgang ausschließlich zum Thema der Wertsicherung der Leibrentenforderung des Beklagten zu ergänzen.

Die Aussprüche über die Verfahrenskosten beruhen auf § 52 Abs 1 und 2 ZPO.

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