OGH 2Ob82/05f

OGH2Ob82/05f21.4.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Aloisia P*****, vertreten durch Estermann & Partner KEG, Rechtsanwälte in Mattighofen, gegen die beklagte Partei Herbert H*****, vertreten durch Dr. Ferdinand Rankl, Rechtsanwalt in Micheldorf, wegen EUR 7.000,-- sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 16. November 2004, GZ 6 R 249/04s-24, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Braunau am Inn vom 13. Juli 2004, GZ 2 C 125/04f-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 499,39 (darin EUR 83,23 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte den Zuspruch von EUR 7.000,-- sA. Ihr Ehegatte sei am 14. 8. 2000 auf einer Baustelle als Hilfsarbeiter bei Arbeiten im Dachbereich eingesetzt worden. Der Beklagte, der als Polier für die Abwicklung verantwortlich gewesen sei, habe es unterlassen, den in diesen Arbeiten unerfahrenen Ehegatten der Klägerin in die Sicherheitsbestimmungen einzuweisen und für eine Absturzsicherung Sorge zu tragen. Dadurch habe es passieren können, dass der Ehegatte der Klägerin aus einer Höhe von 10 m zu Boden gestürzt und am 21. 9. 2000 an seinen schweren Verletzungen verstorben sei. Die Klägerin sei durch den Tod ihres Ehegatten psychisch erkrankt, sodass ihr ein Schmerzengeldanspruch in Höhe des Klagsbetrages zustehe. Der Beklagte sei auf Grund des Unfalles rechtskräftig wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung verurteilt worden.

Der Beklagte wendete im Wesentlichen ein, er habe gegenüber dem verunglückten Ehegatten der Klägerin die Stellung eines Aufsehers im Betrieb gemäß § 333 Abs 4 ASVG eingenommen, ihm komme daher das Arbeitgeberhaftungsprivileg nach § 333 ASVG zugute. Dieser Haftungsausschluss, der auch Schmerzengeldansprüche beinhalte, gelte nicht nur gegenüber dem jeweiligen Versicherten, sondern auch gegenüber der Klägerin als hinterbliebene Ehegattin. Selbst wenn der Haftungsausschluss nicht zum Tragen käme, stünde der Klägerin, die keine seelischen Schmerzen mit Krankheitswert erlitten hätte, kein Schmerzengeld zu. Jedenfalls müsste sich die Klägerin aber ein Mitverschulden ihres tödlich verunglückten Ehegatten am Unfall zurechnen lassen, weil diesem die Möglichkeit offen gestanden wäre, die im Montagebus mitgeführte Sicherheitsausrüstung zu verwenden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von EUR 3.250,-- sA statt und wies und Mehrbegehren von EUR 3.750,-- ab. Es ging hiebei im Wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:

Der Verunglückte war ein erfahrener und gesuchter Arbeiter des örtlichen Maschinenringes, der als Spezialist für Dacharbeiten eingesetzt wurde. Am 14. 8. 2000 trafen sich die Arbeiter des Maschinenringes mit dem Beklagten, der Hilfspolier eines Bauunternehmens war, das sich des Maschinenringes für aushilfsweise Dacharbeiten bediente, vereinbarungsgemäß an einer Baustelle. Der Beklagte wies darauf hin, dass einerseits Arbeiten am Dach und andererseits Arbeiten am Boden durchzuführen seien und nur jene, die das auch wollten, auf das Dach hinaufsteigen müssten. Er belehrte sie nicht über die Sicherheitsvorkehrungen. In der Folge begaben sich mehrere Arbeiter des Maschinenringes auf das Dach und begannen die Dachkonstruktion zu lösen. Vorerst war die Dachhaut aufzureißen und die Lattung zu entfernen. Diese Arbeiten waren zum Teil bereits gediehen, als der Beklagte hinzukam und den Arbeitern sagte, sie sollten jetzt aufhören und er würde das Sicherheitszeug holen. Dazu sah sich der Beklagte deshalb veranlasst, weil es jetzt darum ging, die Folie zu lösen und in diesem Zusammenhang nach Entfernung der stützenden Dachlatten ein größeres Risiko des Durchfallens zwischen den relativ weit auseinanderstehenden Dachsparren gegeben war. Während der Beklagte sich zum Firmenfahrzeug begab, um die Sicherungsseile zu holen, stürzte der Ehegatte der Klägerin bei der weiteren Entfernung von Dachlatten zwischen zwei Dachsparren in den Dachraum und von dort durch die abgehängte Decke in den Verkaufsraum, wobei er mit dem Kopf aufprallte und schließlich im Krankenhaus an den hiebei erlittenen Verletzungen verstarb.

Der Beklagte wurde auf Grund dieses Unfalles wegen des Vergehens nach § 80 StGB strafrechtlich verurteilt. Ihm wurde im Wesentlichen angelastet, dass er es entgegen den Bestimmungen der §§ 7 ff Bauarbeiterschutzverordnung unterlassen habe, geeignete Absturzsicherungen zur Verfügung zu stellen und die ihm unterstellten Arbeiter anzuweisen, diese Absturzsicherungen auch tatsächlich zu verwenden.

Nach dem Tod ihres Ehegatten verfiel die Klägerin in einen Trauerzustand, der weit über die normal erwartbare Verarbeitung des Geschehens hinausging und Krankheitswert annahm. Es kam bei der Klägerin zu psychogenen Reaktionen, wie Tremor im Bereich der rechten und oberen Extremität. Weiters leidet die Klägerin an einem multifakturiell begründeten depressiven Syndrom. Der Tod ihres Ehegatten stellt für die Klägerin ein derart belastendes Lebensereignis dar, dass es zur Ausbildung einer Anpassungsstörung gekommen ist. Darunter ist ein Zustand von subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung zu verstehen. Diese Anpassungsstörung zeigt sich in einer depressiven Verstimmung, in dem Gefühl, unmöglich zu Recht zu kommen und in einer Einschränkung der Bewältigung der alltäglichen Routine. Die Klägerin erlitt mittelgradige seelische Schmerzen in der Dauer von gerafft etwa 1 bis 2 Wochen sowie leichte seelische Schmerzen in der Dauer von gerafft 6 bis 8 Wochen.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, die Bestimmung des § 333 Abs 4 ASVG gelange nicht zur Anwendung, weil die Klägerin einen originären eigenen Traueranspruch und nicht einen so genannten abgeleiteten Anspruch nach dem Tod ihres Ehegatten geltend gemacht habe. Die Trauer der Klägerin habe krankheitswertige Zustände angenommen, sodass ihr im Sinne der jüngsten Judikatur ein der Höhe nach mit EUR 6.500,-- zu bemessendes Schmerzengeld zustehe. Weil aber ein zumindest gleichteiliges Mitverschulden des Getöteten, dem die Gefahren bei Dacharbeiten und die Möglichkeiten von Absturzsicherungen bekannt gewesen seien, angenommen werden müsste, käme nur eine 50 %-ige Ersatzpflicht des Beklagten, sohin im Umfang von EUR 3.250,-- in Betracht.

Das Berufungsgericht verwarf die Nichtigkeitsberufung der Klägerin und gab der Berufung des Beklagten Folge. Es änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen wurde, sprach aus, dass die Revision zulässig sei, und führte im Wesentlichen Folgendes aus:

Gemäß § 333 Abs 4 ASVG gelte das so genannte Haftungsprivileg auch gegenüber dem gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertreter des Unternehmers und gegenüber dem Aufseher im Betrieb. Für die Beurteilung, ob jemand als Aufseher anzusehen sei, sei die tatsächliche Funktion zur Unfallszeit maßgebend. Insbesondere sei auch derjenige als Aufseher anzusehen, der vom Unternehmer mit der Funktion des Aufsehers betraut worden sei und diese im konkreten Fall zu versehen gehabt habe, wer sich durch seine Aufsichtsbefugnis von den unter seiner Leitung und Aufsicht Arbeitenden unterscheide oder wer für das Zusammenspiel persönlicher oder technischer Kräfte selbst verantwortlich sei.

Im Sinne der getroffenen Feststellungen sei es der Beklagte gewesen, der vom Unternehmer mit der Funktion des Baustellenleiters betraut worden sei und der für die Einteilung, für die Gestaltung des Arbeitsablaufes und für die Belehrung der über den Maschinenring eingesetzten Arbeiter verantwortlich gewesen sei. Zweifellos habe daher der Beklagte die Stellung eines Aufsehers im Betrieb gemäß § 333 Abs 4 ASVG inne gehabt; auch ihm komme gegenüber den Ersatzansprüchen des Versicherten und gegenüber den Hinterbliebenen des Versicherten, weil dessen Tod auf die körperliche Verletzung infolge eines Arbeitsunfalles zurückzuführen gewesen sei, das Haftungsprivileg zugute. Zweifellos liege auch ein einem Arbeitsunfall gemäß § 176 Abs 1 Z 6 ASVG gleichgestellter Unfall vor, weil der Verunglückte bei einer betrieblichen Tätigkeit, wie sie sonst ein nach § 4 ASVG Versicherter ausübe, zu Tode gekommen sei. Hiefür sei auch nicht das Vorliegen eines persönlichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses erforderlich, sondern genüge die Bereitschaft des Versicherten, sich den Weisungen des Unternehmers oder des von diesem bestellten Aufsehers zu unterwerfen.

Gemäß § 333 Abs 1 iVm Abs 4 ASVG seien der Dienstgeber und der Aufseher im Betrieb dem Versicherten, der bei einem Arbeitsunfall verletzt worden sei, oder beim Tod des Verletzten dessen Hinterbliebenen gegenüber nur schadenersatzpflichtig, wenn sie den Arbeitsunfall vorsätzlich verursacht hätten. In den Materialien zum ASVG werde diese Haftungseinschränkung damit begründet, dass die gesetzliche Unfallversicherung entsprechend ihren historischen Wurzeln gleichzeitig als Ablöse der Unternehmerhaftpflicht konstruiert worden sei. Da die Dienstgeber die Versicherungsbeiträge zur Unfallversicherung alleine zu tragen hätten, sei es gerechtfertigt, sie von nahezu sämtlichen privatrechtlichen Ersatzansprüchen zu befreien. Die allfällige Schlechterstellung der Versicherten hinsichtlich der Entschädigung durch eine geringere Sozialrente im Vergleich zu dem nach bürgerlichem Recht zu leistenden vollen Schadenersatz werde dabei durch die Vorteile aufgehoben, die sich daraus ergeben, dass der Sozialversicherte bei einem Arbeitsunfall die Entschädigung ohne Rücksicht auf die Verschuldensfrage erhalte.

Eine Differenzierung dahin, dass Hinterbliebene eines tödlich Verunglückten besser oder schlechter als der Versicherte selbst gestellt sein sollen, sei der Bestimmung des § 333 ASVG nicht zu entnehmen. Auch die jüngste oberstgerichtliche Rechtsprechung (2 Ob 178/04x) lasse eine unterschiedliche Handhabung nicht erkennen. Bei Ansprüchen der nächsten Angehörigen auf Ausgleich des Seelenschmerzes, wobei es sich um eigenständige Ansprüche handle, dürfe nämlich nicht übersehen werden, dass sie nur deshalb bestünden, weil die Angehörigeneigenschaft vorliege. Sei diese Eigenschaft aber für das Bestehen des Anspruches eine unverzichtbare Voraussetzung, lasse sich also eine Haftung eines Schädigers überhaupt nur deshalb begründen, so dürfe bei der Frage der Haftungsumfanges von diesem Umstand nicht völlig abstrahiert werden. Es widerspräche dem juristischen Gleichgewichtssinn, ein und den selben Umstand zwar als Belastungsnorm in die Betrachtung einzubeziehen, aber als Entlastungsmoment gänzlich auszublenden.

In Anwendung desselben Wertungsmaßstabes könne nicht unterstellt werden, dass in der Bestimmung des § 333 ASVG die Hinterbliebenen, selbst wenn wie im vorliegenden Fall ihre Schmerzengeldansprüche als originäre oder direkte Ansprüche und nicht als vom Getöteten abgeleitete Ansprüche zu qualifizieren seien, besser gestellt sein sollten als der Versicherte selbst.

Durch die Sonderregelung des § 333 ASVG seien alle Schäden, die aus einer Verletzung am Körper oder aus dem Tod des Versicherten resultierten, sohin auch Schmerzengeldansprüche nach § 1325 ABGB ausgeschlossen. Weil dieser Ausschluss nicht nur gegenüber dem Versicherten, sondern auch gegenüber den Hinterbliebenen - ohne Differenzierung zwischen abgeleiteten und originären Ansprüchen - gelte, müsse bereits aus diesen rechtlichen Überlegungen mit einer Abweisung des Klagebegehrens vorgegangen werden.

Die Revision an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil zur Frage, ob auch originäre Ansprüche von Hinterbliebenen von der Bestimmung des § 333 ASVG mitumfasst seien oder nicht, eine oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren bei einer Verschuldensteilung von 1 : 4 zu Lasten des Beklagten mit EUR 5.600,-- stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Rechtslage einer Klarstellung bedarf; sie ist aber nicht berechtigt.

Die Rechtsmittelwerberin macht im Wesentlichen geltend, § 333 ASVG könne nur für vom Arbeitnehmer abgeleitete Ansprüche seiner Hinterbliebenen, nicht aber für deren originäre Ansprüche gelten; ein Mitverschulden des Getöteten wäre im Verhältnis 1 : 4 zu Lasten des Beklagten anzurechnen.

Der erkennende Senat erachtet das Urteil des Berufungsgerichtes und dessen Begründung für zutreffend, weshalb es gemäß § 510 Abs 3 Satz 2 ZPO ausreicht, auf deren Richtigkeit hinzuweisen. Den Rechtsmittelausführungen ist kurz noch Folgendes entgegenzuhalten:

Die Haftungsbeschränkung nach § 333 Abs 1 ASVG schließt nach ständiger Rechtsprechung bei Personenschäden aus Arbeitsunfällen alle Schadenersatzansprüche, auch auf Schmerzengeld aus (RIS-Justiz RS0031306, RS0085236, RS0028584; Neumayr in Schwimann VIII2 § 333 ASVG Rz 14; Danzl ua, Schmerzengeld8 168 ff). Sie erfasst nicht nur in Satz 1 Ansprüche des versicherten Dienstnehmers, sondern in Satz 2 auch Ansprüche von dessen Hinterbliebenen. Schon der Wortlaut des § 333 Abs 1 ASVG spricht also dafür, auch Schmerzengeldansprüche von nahen Angehörigen eines bei einem Arbeitsunfall Getöteten infolge eines so genannten Schockschadens der genannten Vorschrift zu unterstellen.

Dass es sich dabei um originäre Ansprüche des Hinterbliebenen handelt (vgl Reischauer in Rummel3 § 1325 ABGB Rz 5 S 276 mwN; Danzl aaO 142 mwN; Karner zu ZVR 2001/73 bei FN 12), macht hiebei keinen Unterschied. So wird auch der originäre Anspruch gemäß § 1327 ABGB (Reischauer aaO § 1327 ABGB Rz 3 mwN) auf Ersatz der Todfallskosten nach der Rechtsprechung von der Haftungsbeschränkung erfasst (EvBl 1963/91; ZVR 1971/200; Neumayr aaO Rz 14, 16).

Insbesondere wäre es aber bei wertender Betrachtung nicht gerechtfertigt, den Dienstgeber gegenüber Schmerzengeldansprüchen seines Dienstnehmers zu privilegieren, gegenüber solchen Ansprüchen von Angehörigen des Dienstnehmers aber nicht.

Schließlich spricht auch die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung 2 Ob 178/04x = ZVR 2004/105 (vgl auch 2 Ob 233/04k) zumindest tendenziell für dessen Ansicht, weil auch dort - bei der Berücksichtigung des Mitverschuldens des Getöteten - aus der Eigenständigkeit des Anspruches des Angehörigen keine rechtliche Besserstellung abgeleitet wurde.

Die Stellung des Beklagten als Aufseher im Betrieb iSd § 333 Abs 4 ASVG bildet im Revisionsverfahren keinen Streitpunkt mehr.

Da die Klagsforderung gemäß § 333 ASVG nicht zu Recht besteht, ist auf die Mitverschuldensfrage nicht mehr einzugehen.

Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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