Spruch:
Beide Revisionen werden zurückgewiesen. Die Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen selbst zu tragen.
Text
Begründung
Gemäß § 510 Abs 3 ZPO kann sich der Oberste Gerichtshof bei der Zurückweisung einer Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.
Am 9. 11. 1999 ereignete sich ein Verkehrsunfall, an dem die Mutter der Klägerin als Lenkerin eines PKW, sowie Georg A***** als Lenker eines von der erstbeklagten Partei gehaltenen und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten LKW beteiligt waren. Die Mutter der Klägerin und deren auf dem Rücksitz mitfahrende Tochter (Schwester der Klägerin) wurden bei dem Unfall getötet.
Die Klägerin begehrt die Zahlung eines Schmerzengeldes von 4.000 EUR, Betreuungskosten von 25.890 EUR, einer Pflegekostenrente von monatlich 603,33 EUR sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten. Sie brachte vor, den Lenker des bei der erstbeklagten Partei versicherten Fahrzeuges treffe ein Mitverschulden an dem Unfall, weil er mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren bzw verspätet und unrichtig reagiert habe.
Die beklagten Parteien wendeten ein, das Alleinverschulden am Unfall treffe die Mutter der Klägerin, die Klägerin müsse sich dieses Mitverschulden zurechnen lassen.
Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren mit 28.423,06 EUR statt, sprach der Klägerin eine monatliche Pflegekostenrente von 548,33 EUR zu und stellte die Haftung der beklagten Parteien für künftige Schäden fest.
Nach den Feststellungen des Erstgerichtes herrschte zur Unfallszeit Nieselregen, die Fahrbahn war feucht. Die von der Mutter der Klägerin benützte Gemeindestraße ist gegenüber der von Georg A***** benützten Landesstraße durch das Vorschriftszeichen „Vorrang geben“ abgewertet.
Die Mutter der Klägerin hatte auf den Aufbau des von links herannahenden Fahrzeuges der erstbeklagten Partei im Bereich von 15 bis 20 m vor dem Fahrbahnrand der Landesstraße eine Sicht von deutlich mehr als 100 m. A***** fuhr mit einem Betonmischwagen (Lkw über 3,5 t). Er hielt bei Annäherung an die Unfallstelle zunächst eine Geschwindigkeit von 84 km/h ein, welche er dann - noch vor Gefahrerkennung - auf 74 bis 79 km/h reduzierte. Als er sich der Unfallskreuzung näherte, sah er auch den von der Mutter der Klägerin gelenkten PKW, der sich der Kreuzung näherte. Ca 2,4 Sekunden oder 49 m vor der späteren Kollision (ausgehend von einer Annäherungsgeschwindigkeit des Lkw von 79 km/h) bemerkte A*****, dass die Mutter der Klägerin in einem Zug in die bevorrangte Landesstraße einfuhr. Er leitete sofort eine Vollbremsung ein. Wäre A***** nur mit 70 km/h gefahren, dann wären die Folgen für die Mutter der Klägerin eventuell geringer gewesen. Bei Zugrundelegung einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 74 km/h wären die Folgen gleich gewesen.
Das Erstgericht konnte nicht ausschließen, dass der PKW der Mutter der Klägerin zunächst eine geringere Geschwindigkeit aufwies und erst auf den weiteren 13 m bis zur Kollisionsstelle beschleunigt wurde. Bei einer derartigen Konstellation hätte Georg A***** um eine ½ Sekunde verspätet reagiert. Bei einer um 0,5 Sekunden früheren Reaktion hätte sich die Anstossenergie um etwa 50 % verringert.
Bei der Klägerin ist durch den Tod ihrer Mutter und ihrer Schwester eine psychische Beeinträchtigung eingetreten, welche Krankheitswert hat.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die Mutter der Klägerin treffe ein Verschulden an dem Unfall wegen Vorrangverletzung. Die zu Gunsten der Beklagten anzunehmende Geschwindigkeit von 74 km/h sei angesichts der nach § 58 Abs 1 Z 1 lit a KDV zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nur als ganz geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung zu werten, sie sei nicht geeignet ein Mitverschulden zu begründen. Den beklagten Parteien sei aber der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen. Sie seien daher gegenüber der am Unfall nicht beteiligten Klägerin zum Ersatz verpflichtet. Da es sich bei den Ansprüchen der Klägerin um originäre Ansprüche handle, sei das Mitverschulden ihrer Mutter nicht zu berücksichtigen.
Das von der beklagten Partei angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, dass es die beklagten Parteien zur Zahlung von 6.005,56 EUR und einer monatlichen Rente von 97,08 EUR verpflichtete; es sprach aus, die beklagten Parteien hafteten der Klägerin zu einem Viertel für künftige Unfallsfolgen. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen.
Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, die Klägerin müsse sich das Mitverschulden ihrer Mutter anrechnen lassen. Stelle man das Verschulden der Getöteten infolge ihrer krassen Vorrangverletzung der überwiegenden gewöhnlichen Betriebsgefahr des mit 79 km/h fahrenden Lkw der Beklagten gegenüber, sei eine Haftungsteilung von 1 : 3 zu Lasten der Klägerin vorzunehmen.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil eine Judikatur des Obersten Gerichtshofes dazu fehle, ob ein Mitverschulden des Getöteten bei gegebener Gefährdungshaftung auch zur Haftungskürzung beim nahen Angehörigen hinsichtlich einer durch die Todesnachricht bzw Trennung erlittenen krankheitswertigen psychischen Beeinträchtigung führe.
Rechtliche Beurteilung
Diese Rechtsfrage hat der Oberste Gerichtshof aber inzwischen in der Entscheidung 2 Ob 178/04x (ZVR 2004/105 [Danzl]) vom 23. 9. 2004 beantwortet und ausgeführt, dass in einem Fall wie dem vorliegenden, bei dem die Angehörigeneigenschaft für die Begründung eines Anspruches auf Schmerzengeld wegen eines Schockschadens im Sinne der grundlegenden Entscheidung 2 Ob 79/00g (SZ 74/24) eine unverzichtbare Vorraussetzung ist, eine Kürzung des Schmerzengeldanspruches im Falle eines Mitverschuldens des Getöteten zu erfolgen hat. Die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage erfüllt daher (nicht mehr) die Voraussetzung eines § 502 Abs 1 ZPO.
Aber auch in den Rechtsmitteln der Parteien werden keine erheblichen Rechtsfragen dargetan.
Das Rechtsmittel der Klägerin befasst sich nur mit der Frage der Berücksichtigung des Mitverschuldens ihrer Mutter, weshalb insoweit auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann.
Insoweit in der Revision der beklagten Parteien die Feststellungen des Erstgerichtes bekämpft werden, ist darauf nicht einzugehen, weil der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist.
Im Übrigen wenden sich die Beklagten im Wesentlichen gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Schadensteilung und meinen, eine allfällige gewöhnliche Betriebsgefahr müsse gegenüber dem Verschulden der Mutter der Klägerin zurücktreten.
Damit wird aber keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dargetan.
Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass § 11 EKHG anzuwenden ist, weil der Schaden durch mehrere Fahrzeuge verursacht wurde (Schauer in Schwimann 2, ABGB, § 11 EKHG Rz 1). § 7 EKHG ist nicht anzuwenden, weil, wie schon oben ausgeführt, sich die Klägerin das Mitverschulden ihrer Mutter und die von deren Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr zuzurechnen lassen muss. Zu dieser Bestimmung entspricht es an sich der im Rechtsmittel der beklagten Parteien zitierten Rechtsprechung, dass die gewöhnliche Betriebsgefahr durch das Verschulden des Schädigers als Unfallursache in der Regel ganz zurückgedrängt wird (RIS-Justiz RS0058551). Ob und unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise im Einzelfall doch eine erhöhte Betriebsgefahr gegenüber dem Verschulden zu berücksichtigen ist, kann nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles beurteilt werden, weshalb insoweit die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO grundsätzlich nicht gegeben sind. Auszugehen ist davon, dass bei mehreren möglichen Versionen des Unfallgeschehens von der für den Fahrzeughalter jeweils ungünstigsten Voraussetzung auszugehen ist (Danzl, EKHG7, § 9 E 7). Es ist daher bei der Berücksichtigung der Betriebsgefahr des Fahrzeuges der beklagten Parteien von einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von mindestens 74 km/h (diese wurde in der Berufung der beklagten Parteien selbst zugestanden) und auch von der Möglichkeit einer Reaktionsverspätung des Georg A***** von 0,5 Sekunden auszugehen. Die Einhaltung einer Geschwindigkeit von 74 km/h im Zusammenhang mit der (nicht ausschließbaren) Reaktionsverspätung hat aber doch die vom LKW der beklagten Parteien ausgehende Betriebsgefahr erheblich erhöht. Es wäre nämlich im vorliegenden Fall auch eine Geschwindigkeit von 70 km/h (relativ) überhöht gewesen, weil Nieselregen herrschte und die Fahrbahn nass war. Die Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ist aber nach ständiger Rechtsprechung nur unter günstigsten Bedingungen gestattet (RIS-Justiz RS0082747), wovon hier aufgrund der Witterungsverhältnisse keine Rede sein kann. In der Ansicht des Berufungsgerichtes, die vom Fahrzeug der Beklagten ausgehende Betriebsgefahr sei mit einem Viertel zu berücksichtigten, stellt unter diesem Gesichtspunkt keine krasse Fehlbeurteilung, die aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit wahr zu nehmen wäre, dar.
Die Rechtsmittel beider Parteien waren deshalb zurückzuweisen. Da keine der Parteien auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen hat, haben sie die Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen jeweils selbst zu tragen.
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