OGH 8Ob563/90

OGH8Ob563/9021.2.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Graf und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Lenke B*****, vertreten durch Dr. Adolf Kriegler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Helmut B*****, vertreten durch Dr. Winfried Sattlegger und Dr. Klaus Dorninger, Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterhaltes, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Steyr als Berufungsgerichtes vom 9. Jänner 1990, GZ R 113/89-52, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Kremsmünster vom 23. Jänner 1989, GZ C 1004/87-44, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Es wird dem Rekurs Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Klägerin aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Zwischen den seit dem 27.September 1969 verheirateten Streitteilen ist beim Erstgericht ein Scheidungsverfahren anhängig. Zu Ende des Jahres 1986 verließ die Klägerin mit den dieser Ehe entsprossenen drei Töchtern (Sabine, geboren am 29. Jänner 1970, Elisabeth, geboren am 21. Jänner 1971 und Lenke, geboren am 25. Juli 1975) die Ehewohnung in Kremsmünster und bewohnt mit ihnen seither eine dem Beklagten gehörige Eigentumswohnung in Wien. Im Verfahren zur AZ F 2/87 des Erstgerichtes wurde die Rechtmäßigkeit der gesonderten Wohnungnahme der Klägerin rechtskräftig festgestellt. In diesem Verfahren nahmen das Erstgericht und das Berufungsgericht (als Rekursgericht) an, daß die Klägerin an Unterleibsbeschwerden mit Harninkontinenz leide, und daß dieses Leiden zumindest überwiegend auf psychische Ursachen, nämlich eine depressive Reaktion auf den bestehenden Ehekonflikt, zurückzuführen sei; die Klägerin sei "Beschimpfungen, Beanstandungen wegen relativer Geringfügigkeiten, aber auch Vorwürfen wegen zu großer Geldausgaben" durch den Beklagten ausgesetzt gewesen.

Mit der vorliegenden Klage, die am 15. Jänner 1987 eingebracht wurde, begehrt die Klägerin unter Zugrundelegung eines angeblichen Monatsnettoeinkommens des Beklagten von S 400.000 bis S 500.000 dessen Verpflichtung zur Unterhaltszahlung in Höhe von monatlich S 50.000. Sie brachte vor, ein etwaiges ehewidriges Verhalten gegenüber dem Beklagten sei durch sein jahrelanges Fehlverhalten ausgelöst worden und ihr nicht zurechenbar, so daß ihr Unterhaltsanspruch auch nicht verwirkt sei.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, die Klägerin habe ihren Unterhaltsanspruch verwirkt:

sie habe ihn böswillig und grundlos verlassen, einen verschwenderischen Aufwand getrieben und ihm die entsprechenden Belege vorenthalten; überdies habe sie mit einem anderen Mann ein ehebrecherisches Verhältnis. Selbst wenn ihr ein Unterhalt zugebilligt werden sollte, sei ihr Begehren wegen seines wesentlich geringeren Einkommens und der ihn treffenden Fixkosten für die Ehewohnung und für die von der Beklagten und den Töchtern bewohnte Wiener Wohnung sowie wegen der monatlichen Unterhaltsleistung für die Töchter im Ausmaß von S 11.000 weitaus überhöht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Klägerin habe sich am 16. Februar 1987 mit Ronald K***** knapp vier Stunden in einem Wiener Stundenhotelzimmer aufgehalten; auf dem Weg dorthin und von dort weg habe sie mit ihm vielfache Zärtlichkeiten mit Küssen auf den Mund ausgetauscht und dabei habe sie sich weder durch den Einfluß von Alkohol noch durch den von Medikamenten in einem nennenswert eingeschränkten Wahrnehmungszustand befunden. Am 18. Februar 1987 habe sie sich abermals mit Ronald K***** getroffen und mit einem Kuß auf den Mund von ihm verabschiedet; am 25. Februar 1987 habe sie neuerlich mit diesem Mann länger als eine Stunde in einem mit laufendem Motor abgestellten PKW Zärtlichkeiten ausgetauscht und mit ihm sogar Mundverkehr gehabt. Aus diesem Verhalten der Klägerin zog das Erstgericht den Tatsachenschluß, daß zwischen ihr und Ronald K***** spätestens ab Ende des Jahres 1986 bzw. Anfang des Jahres 1987, also ab dem Zeitpunkt der gesonderten Wohnungnahme in Wien, ein ehebrecherisches Verhältnis bestünde. Das Erstgericht sah den Unterhaltsanspruch der Klägerin als verwirkt an, weil ihre schwerwiegenden Eheverfehlungen trotz der gerichtlich als rechtens anerkannten gesonderten Wohnungnahme nicht durch das Verhalten des Beklagten, das gegenüber dem festgestellten grob ehewidrigen Verhalten der Klägerin nicht ins Gewicht falle, verursacht worden sei.

Das Gericht zweiter Instanz hob infolge Berufung der Klägerin das Urteil des Erstgerichtes auf und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Es ließ die Tatsachen- und Beweisrüge der Berufung unerledigt und vertrat die Auffassung, daß selbst bei Zutreffen der erstgerichtlichen Feststellungen das Verfahren noch ergänzungs- und erörterungsbedürftig sei: Da nach der Rechtsprechung nur besonders krasse Fälle von Verstößen gegen eheliche Verhaltenspflichten die Annahme einer Unterhaltsverwirkung rechtfertigten und dabei das Verhalten des anderen (unterhaltspflichtigen) Ehegatten nicht vernachlässigt werden dürfe, komme es auf dieses - erst in einem fortzusetzenden Verfahren näher zu behauptende und sodann

festzustellende - Verhalten des Beklagten ebenso an wie darauf, ob die Klägerin ihr ehebrecherisches Verhältnis mit Ronald K***** erst nach der gesonderten Wohnungnahme aufgenommen oder die schon vorher bestehende Verbindung lediglich fortgesetzt habe. Außerdem sei wesentlich, ob die Aufnahme der ehewidrigen Beziehungen durch die Klägerin darauf zurückzuführen sei, daß sie vom Beklagten wegstrebte, oder ob sie bei der Wahrung der ehelichen Treue gleichgültig gewesen sei oder aus dem (erst festzustellenden) Verhalten des Beklagten auf die schuldhafte Aufgabe der gebotenen ehelichen Gesinnung durch ihn schließen durfte. Von Bedeutung sei auch die Dauer ihres ehebrecherischen Verhältnisses und die Häufigkeit der Verletzungen der ehelichen Treue. Da es auf die Einsicht in die Unrechtmäßigkeit des Handelns ankomme, müsse auch auf den psychischen und geistigen Zustand der Klägerin näher eingegangen werden.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Aufhebungsbeschluß der zweiten Instanz erhobene Rekurs des Beklagten ist zulässig, weil die dem Aufhebungsbeschluß zugrundeliegende Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, es komme für die Beurteilung des ehebrecherischen Verhältnisses der Klägerin als Grund für die Verwirkung ihres Unterhaltsanspruches noch darauf an, ob die Klägerin vom Beklagten wegstrebte oder ob ihr die eheliche Treue gleichgültig war sowie wie lange und wie oft die eheliche Treue durch sie verletzt wurde, die Rechtssicherheit in Frage stellt; der Rekurs ist auch sachlich berechtigt.

Gemäß § 94 Abs 2 ABGB bleibt der Unterhaltsanspruch der den gemeinsamen Haushalt führenden Ehegattin auch nach der Aufhebung der Haushaltsgemeinschaft bestehen, soferne nicht seine Geltendmachung besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, einen Mißbrauch des Rechtes darstellt. In Rechtsprechung und Literatur wurden zur Frage des Rechtsmißbrauches folgende Leitgedanken geäußert: Die Verwirkung des Unterhaltsanspruches bei aufrechter Ehe ist dann anzunehmen, wenn seine Geltendmachung wegen der besonderen Schwere der gegen die Grundsätze der Ehe verstoßenden schuldhaften Eheverfehlung als grob unbillig, ja sittenwidrig erschiene; entscheidend ist dabei, ob auf einen völligen Verlust oder eine ihm nahekommende Verflüchtigung des Ehewillens eines Ehegatten zu schließen und ihm dies auch noch zum Verschulden zuzurechnen ist (für viele:

EFSlg 55.910 = 55.911 = 55.912; Pichler in Rummel ABGB2 Rz 7a f zu § 94 mwH). Wenn der den Unterhalt fordernde Ehegatte durch sein Verhalten erkennen läßt, daß er nicht bloß einzelne aus dem ehelichen Verhältnis entspringende Verpflichtungen mißachtet, sondern sich über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinwegzusetzen bereit ist, dennoch aber vom anderen Ehegatten die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Eheverhältnis verlangt, ist sein Unterhaltsbegehren rechtsmißbräuchlich (EFSlg 55.912 uva). Auch unabhängig davon, daß die gesonderte Wohnungnahme im Sinne des § 92 ABGB ursprünglich mit Zustimmung des Ehepartners erfolgte oder vom Gericht - wie vorliegend - genehmigt wurde, kann Unterhaltsverwirkung angenommen werden, weil § 94 ABGB die als Beurteilungskriterium für den Rechtsmißbrauch heranzuziehenden Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes geführt haben, nur beispielhaft ("besonders .....") nennt. Entfaltet der - berechtigt gesondert wohnende - Ehegatte ein kraß ehewidriges Verhalten der vom Erstgericht festgestellten Art, so stellt dies einen Verwirkungsgrund dar. Zutreffend haben aber schon die Vorinstanzen hervorgehoben, daß das Verhalten des unterhaltspflichtigen Ehegatten bei dieser Beurteilung nicht vernachlässigt werden darf (EFSlg 53.016 uam). Im vorliegenden Unterhaltsprozeß hat die Klägerin außer allgemeinen Hinweisen auf ein für ihre gesonderte Wohnungnahme in Wien als ursächlich bezeichnetes "jahreslanges Verhalten" des Beklagten (im Rekurs gegen die ihren Sicherungsantrag abweisende Entscheidung des Erstgerichtes ON 25 als "ungeheuer" bezeichnet) keine einzige konkrete Handlung oder Unterlassung des Beklagten vorgetragen, die ihre vom Erstgericht festgestellten (in der Berufung allerdings bekämpften) grob ehewidrig und schuldhaften Eheverfehlungen rechtfertigen könnte. Die vom Berufungsgericht aus der Entscheidung im Verfahren über die gesonderte Wohnungnahme (AZ F 2/87 des Erstgerichtes) übernommenen Feststellungen der dem Beklagten vorwerfbaren Eheverfehlungen rechtfertigen nach Ansicht des erkennenden Senates des Obersten Gerichtshofs für die Klägerin nicht die völlige Loslösung von den aus der Ehe entspringenden Verhaltenspflichten und die (auch sexuelle) Zuwendung zu einem neuen Partner. Ehebruch und ein fortgesetztes sexuelles Liebesverhältnis stellen ungeachtet des bereits anhängigen Scheidungsverfahrens grundsätzlich eine so schwerwiegende Verletzung der ehelichen Verhaltenspflichten dar, daß der Unterhaltsanspruch des ehebrecherischen Ehegatten als verwirkt angesehen werden muß; von dieser Regel kann dann eine Ausnahme gerechtfertigt sein, wenn der andere Ehegatte ausdrücklich oder unzweifelhaft schlüssig die Aufgabe seines ernstlichen Willens, die Ehe ihrem Wesen gemäß fortzusetzen, zu erkennen gegeben und dadurch die andernfalls zur Verwirkung des Unterhaltsanspruches führende schwere Pflichtverletzung seines Ehepartners gebilligt, veranlaßt oder gefördert hat. Davon kann hier auf der Grundlage der substanzlosen Prozeßbehauptungen der Klägerin und der darauf fußenden mangelnden Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes keine Rede sein. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes bedarf es aber dazu und zu der von ihm amtswegig aufgeworfenen und offenbar auf die mangelnde subjektive Schuldzurechenbarkeit der Klägerin zielende Frage "psychischen und geistigen Zustandes" auch keines ergänzenden erstinstanzlichen Verfahrens, denn der Unterhaltsprozeß ist nicht vom Untersuchungs-, sondern vom Beibringungsgrundsatz beherrscht (dazu Fasching Lehrbuch Rz 638, 639). Die Klägerin hat im gesamten bisherigen Unterhaltsverfahren keinen einzigen konkreten Vorwurf ehewidrigen Verhaltens gegen den Beklagten vorgebracht. Zutreffend hat der Beklagte im Rekurs darauf hingewiesen, daß bei dieser Sachlage keine Veranlassung besteht, die Säumigkeit der anwaltlich vertretenen Klägerin durch exzessive Auslegung der Vorschriften über die materielle Prozeßleitung (§§ 180 Abs 3 und 182 Abs 1 ZPO) aufzuheben.

Die Klägerin hat allerdings die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes mit Beweis- und Tatsachenrüge bekämpft, aber das Berufungsgericht hat diese Rüge auf Grund seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht unerledigt gelassen. Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird deshalb vorerst darüber zu befinden sein. Sollten die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes übernommen werden, bedarf es keiner weiteren Verfahrensfortsetzung, weil die vom Erstgericht festgestellten schweren Eheverfehlungen der Klägerin auch unter Berücksichtigung der oben dargelegten Beurteilungsgrundsätze die Annahme der Unterhaltsverwirkung rechtfertigen. Eine Verfahrensfortsetzung beim Erstgericht käme nur bei geänderten Feststellungen, etwa bei Annahme der Unbeweislichkeit des Fehlverhaltens der Klägerin - die Beweislast für die Voraussetzungen der Verwirkung ihres Unterhaltsanspruches trifft den Beklagten - in Betracht.

Diese Erwägungen führen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur Entscheidung nach allfälliger neuerlicher Verhandlung.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 letzter Satz ZPO.

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