OGH 9ObA106/04k

OGH9ObA106/04k23.2.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Eveline Umgeher (Arbeitgeber) und Thomas Albrecht (Arbeitnehmer) und als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Josef P*****, Angestellter, *****, vertreten durch Freimüller/Noll/Obereder/Pilz/Senoner/Celar, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei E*****AG, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 27.581,27 sA, Dotierung eines Pensionskontos und Feststellung (EUR 20.000,-), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juli 2004, GZ 7 Ra 63/04t-28, womit über Berufung der klagenden Partei das Teilurteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 25. November 2003, GZ 14 Cga 198/02t-22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der seit 1992 bei der Beklagten beschäftigte Kläger sorgte in den Jahren 1993 und 1994 unter Umgehung interner Vorschriften dafür, dass von seinem Bruder ausgestellte ungedeckte Fremdschecks von der Beklagten eingelöst wurden. Durch diese Vorgangsweise entstand der Beklagten ein Schaden von S 5,895.500,-, der ihr in der Folge vom Kläger ersetzt wurde.

Die Beklagte bemerkte die Malversationen des Klägers im Dezember 1994 und stellte ihn ab 29. 12. 1994 dienstfrei. Nach umfangreichen internen Erhebungen wurde ein Disziplinarverfahren gegen den Kläger eingeleitet, in dem er schließlich am 24. 5. 1995 vom Vorwurf der „Beihilfe zur Scheckreiterei mit dem Bewusstsein des betrügerischen Handelns des Bruders" freigesprochen, jedoch wegen der Veranlassung und Mithilfe einer finanziellen Begünstigung des Bruders entgegen der Arbeitsanweisung und mit Wirkung einer finanziellen Schädigung der Beklagten unter Pouvoirüberschreitung im Zusammenhang mit den Scheckeinlösungen des Bruders schuldig erkannt und zur Disziplinarstrafe der dauernden Kürzung des Monatsgehalts und der Sonderzahlungen um 25 % mit Auswirkung auf die Pensionsbemessung verurteilt wurde. Den Feststellungen des Disziplinarerkenntnisses ist zu entnehmen, dass nicht jede Vorsatzform, sondern nur die Wissentlichkeit bzw Absicht hinsichtlich der Betrugshandlungen des Bruders ausgeschlossen werden sollte. Dass der Kläger wissentlich seine Befugnisse überschritten hatte, stand aber schon auf Grund des Disziplinarverfahrens fest (so bereits 9 ObA 54/02k).

Die Streitteile kamen überein, kein Rechtsmittel gegen das Disziplinarerkenntnis zu erheben. Außerdem stellte die Beklagte dem Kläger eine Bestätigung über die Schadensgutmachung aus, um ihm zu ermöglichen, im mittlerweile anhängigen Strafverfahren „tätige Reue" geltend zu machen.

Die Dienstfreistellung des Klägers wurde am 31. 5. 1995 widerrufen, allerdings wurde ihm seine Leitungsfunktion und das Überstundenpauschale entzogen. Er arbeitete in der Folge als Bankangestellter und erzielte in den Jahren 1996, 1997 und 1998 hervorragende Ergebnisse, für die er auch Belobigungen erhielt.

Im mittlerweile fortgesetzten Strafverfahren erklärte sich der Kläger am 23. 7. 1998 der Untreue schuldig, worauf er wegen dieses Delikts zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt wurde. Auch dieses Urteil, bei dessen Verkündung ein Vertreter der Beklagten anwesend war, erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Urteils an die Beklagte am 2. 10. 1998 wurde der Kläger entlassen.

Diese Entlassung wurde vom Kläger, der begünstigter Behinderter ist, im Verfahren 22 Cg 56/99m des Erstgerichtes erfolgreich als unwirksam bekämpft. Seiner Klage auf Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses wurde stattgegeben. In seiner Entscheidung 9 ObA 54/02k wies der Oberste Gerichtshof darauf hin, dass das Strafverfahren keine wesentlichen, über die schon ursprünglich vorhandenen Kenntnisse hinausgehenden Aufschlüsse erbracht hatte. Schon auf Grund des Disziplinarverfahrens war festgestanden, dass der Kläger wissentlich seine Befugnisse als Filialleiter-Stellvertreter missbraucht und von seinem Bruder eingereichte Schecks ohne Rückfrage bei den bezogenen Banken bar eingelöst hatte. Aus dem Strafurteil ergaben sich keine wesentlich weitergehenden Erkenntnisse: Wissentlichkeit wurde beim Kläger lediglich hinsichtlich des Missbrauchs der ihm eingeräumten Befugnisse als Geschäftsleiter-Stellvertreter angenommen, während hinsichtlich der Zufügung eines Vermögensnachteils nur bedingter Vorsatz festgestellt werden konnte. In rechtlicher Hinsicht wies der Oberste Gerichtshof darauf hin, dass die Beklagte den Kläger trotz des im Disziplinarerkenntnis ausdrücklich erwähnten Vertrauensverlustes nicht nur wieder in den Dienst stellte, sondern ihm auch bei der Wiedergutmachung des Schadens entgegenkam und ihn wiederholt belobigte. Damit setzte sie nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs ein Verhalten, das der Kläger wie jeder andere Arbeitnehmer in seiner Lage trotz des noch anhängigen Strafverfahrens als Verzicht auf die Geltendmachung des Entlassungsrechts werten durfte. Um ihr Entlassungsrecht zu wahren, hätte die Beklagte unter den gegebenen Umständen daher unmissverständlich zum Ausdruck bringen müssen, dass sie sich wegen möglicher über das Disziplinarerkenntnis hinausgehender Ergebnisse die Entscheidung über die Entlassung bis zum Ende des Strafverfahrens vorbehalte.

Auf Grund des Ergebnisses dieses Verfahrens wurde der Kläger wieder in den Dienst gestellt. Die ihm nicht ausgezahlten Bezüge wurde ihm nachgezahlt.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger ua (weitere Ansprüche sind nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens) den Zuspruch von EUR 27.581,27 netto zuzüglich 8,75 % Zinsen sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Schäden, die ihm durch die einkommensteuerrechtliche Behandlung der Nachzahlung entstanden sind. Er habe Anspruch auf Verzinsung seiner Entgeltansprüche von Oktober 1998 bis Mai 2002 gemäß deren Fälligkeit unter Anwendung des gesetzlichen Zinssatzes gemäß § 49a ASGG. Darüber hinaus habe der Kläger dadurch, dass er seine Bezüge in rechtswidriger Weise nachgezahlt bekommen habe, einen Steuerschaden erlitten, weil für seine Bezüge bei laufender Auszahlung weniger an Steuern zu zahlen gewesen wären.

Die Beklagte hielt diesen Ansprüche im Wesentlichen entgegen, mit der Entlassung einen vertretbaren Rechtsstandpunkt vertreten zu haben, sodass § 49a ASGG nicht anzuwenden sei. Der behauptete Schadenersatzanspruch des Klägers bestehe ebenfalls nicht zu Recht, weil die Beklagte nicht schuldhaft gehandelt habe.

Das Erstgericht wies mit Teilurteil die in Rede stehenden Begehren des Klägers ab.

Mit der angefochtenen Entscheidung änderte das Berufungsgericht dieses Teilurteil im Sinne der Stattgebung der hievon betroffenen Klagebegehren ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof zur Frage eines Schadens durch eine Einmalversteuerung gemäß § 67 Abs 8 lit c EStG fehle.

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Ausspruch des Berufungsgericht nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO bindet den Obersten Gerichtshof bei Prüfung der Zulässigkeit der Revision gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht. Es war daher aufzugreifen, dass weder der im Zulassungsausspruch genannten Rechtsfrage noch den weiteren in der Revision erhobenen Einwänden erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt.

Dass die Nachzahlung der über Jahre zu Unrecht nicht ausgezahlten Bezüge des Klägers in Form einer Einmalzahlung zu einer erhöhten Steuerbelastung des Klägers geführt haben, wird in der Revision nicht bestritten, die auch die Berechnung dieses Steuerschadens nicht in Frage stellt. Dass ein derartiger Schaden vom rechtswidrig und schuldhaft handelnden Schuldner nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundlagen zu ersetzen ist, ist nicht zweifelhaft und wird von der Beklagten auch gar nicht bestritten. Sie macht allerdings geltend, mit der Entlassung (und der dadurch bedingten Einstellung der Gehaltszahlungen) auf dem Boden einer vertretbaren Rechtsauffassung gestanden zu sein und daher nicht schuldhaft gehandelt zu haben. Auch im Zusammenhang mit der von ihr bekämpften Anwendung des § 49a ASGG macht sie geltend, ihr Rechtsstandpunkt sei vertretbar gewesen.

Ob ein als unrichtig erwiesener Rechtsstandpunkt vertretbar war oder nicht ist - ebenso wie die Frage, ob das Handeln auf Grund dieses Rechtsstandpunktes vertretbar war - eine Frage des Einzelfalls, die, von Fällen krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen, nicht erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO ist. Eine krasse Fehlbeurteilung ist der zweiten Instanz aber nicht unterlaufen.

Die umfangreichen Ausführungen der Revisionswerberin beruhen auf der Annahme, dass das Strafverfahren gegen den Kläger gegenüber dem Disziplinarverfahren grundlegend neue Erkenntnisse gebracht habe, sodass die vorher gar nicht mögliche Entlassung nun mehr möglich gewesen sei. Damit weicht aber die Revisionswerberin vom oben wiedergegebenen Sachverhalt ab. Wie ausgeführt, sind nämlich im Strafverfahren keine wesentlichen neuen Erkenntnisse hervorgekommen, zumal auch dort dem Kläger Wissentlichkeit nur hinsichtlich des Missbrauchs der ihm eingeräumten Befugnisse als Geschäftsstellenleiter-Stellvertreter angelastet wurde. Dies stellt aber gegenüber dem Disziplinarverfahren inhaltlich keine Änderung dar.

Außerdem verkennt die Revisionswerberin mit ihrem die Verspätung der Entlassung bestreitenden Vorbringen den eigentlichen Grund für die Unwirksamkeit der Entlassung des Klägers. Wie in der bereits zitierten Vorentscheidung 9 ObA 54/02k ausführlich dargelegt, liegt dieser nicht in der Verspätung an sich, sondern im Umstand, dass der Kläger unter den gegebenen Umständen von einem Verzicht der Beklagten auf das Entlassungsrecht ausgehen durfte. Der Beklagten war auf Grund des Disziplinarverfahrens das Verhalten des Klägers in tatsächlicher Hinsicht bekannt. Sie wusste auch, dass ein Strafverfahren wegen dieses Verhaltens anhängig war. Dessen ungeachtet stellte sie den Kläger wieder in den Dienst, ließ ihn jahrelang für sich ohne irgendwelche Vorbehalte arbeiten und belobigte ihn sogar wegen seiner guten Leistungen. Mangels jeglichen Hinweises der Beklagten, sich dessen ungeachtet die Entlassung bis zum Ende des Strafverfahrens vorzubehalten, durfte der Kläger daher darauf vertrauen, dass die Sache mit der über ihn verhängten Disziplinarstrafe dienstrechtlich erledigt sei. Vor diesem Hintergrund stellt aber das Strafverfahren, das überdies keine wesentlichen neuen Erkenntnisse erbrachte, keinen Grund dar, der nach nunmehr fast vier Jahren die Beklagte hätte berechtigen können, ungeachtet ihres vorangegangenen Verhaltens dennoch die Entlassung auszusprechen.

Damit ist die Wertung der zweiten Instanz, der Rechtsstandpunkt der Beklagten sei nicht vertretbar gewesen und ihr Verhalten als schuldhaft zu qualifizieren, jedenfalls nicht unvertretbar, sodass sich die Revision insofern als nicht zulässig erweist.

Dass der Kläger selbst die Nachzahlung seiner Bezüge in Form einer Gesamtzahlung verlangt habe, beeinträchtigt seine Ansprüche nicht, da ihm ja wohl nicht zugemutet werden kann, noch länger mit der gänzlichen Einforderung der aushaftenden Bezüge zuzuwarten. Dass im Zuge von Vergleichsverhandlungen wegen der Versuche, eine Kulanzlösung mit dem Finanzamt zu erreichen, eine Teilzahlung der Beklagten über Wunsch des Klägers kurzfristig aufgeschoben wurde, stellt die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung ebenfalls nicht in Frage, zumal nicht einmal behauptet wurde, dass diese geringfügige Verzögerung auf die Höhe des Steuerschadens einen Einfluss hatte.

Auch der Einwand, dem Kläger fehle es an dem für die Zulässigkeit seines Feststellungsbegehrens erforderlichen rechtlichen Interesse, kann die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen. Auch in diesem Zusammenhang erweist sich die Rechtsauffassung der zweiten Instanz nicht als unvertretbar, zumal schon im Hinblick auf die dem Kläger nunmehr zugesprochene Nachzahlung ein weiterer Steuerschaden nicht ausgeschlossen werden kann.

Kosten der Revisionsbeantwortung waren nicht zuzusprechen, weil die Revisionsgegnerin auf die Unzulässigkeit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision nicht hingewiesen hat (Ris-Justiz RS0035962; zuletzt etwa 7 Ob 195/04h).

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