OGH 9ObA54/02k

OGH9ObA54/02k13.3.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter DI Hans Lechner und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Josef P*****, Angestellter, ***** vertreten durch Freimüller/Knoll/Obereder/Pilz/Senoner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei E***** AG, ***** vertreten durch Dr. Bernhard Hainz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert EUR 72.672,83), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. November 2001, GZ 7 Ra 345/01h-28, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 18. April 2001, GZ 22 Cga 56/99m-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.854,72 (darin EUR 309,12 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat die Frage, ob die Entlassung des Klägers, welcher als begünstigter Behinderter Bestandschutz genießt, unwirkam war, zutreffend bejaht. Es reicht daher insoweit aus, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen des Revisionswerbers entgegenzuhalten:

Es trifft zwar zu, dass der Arbeitgeber überall dort, wo ein vorerst undurchsichtiger, zweifelhafter Sachverhalt vorliegt, den er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zunächst gar nicht aufklären kann, bis zur einwandfreien Klarstellung aller wesentlichen Tatumstände in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch die hiefür zuständige Behörde mit der Entlassung zuwarten darf (RIS-Justiz RS0029297; RS0031361). Wie jedoch schon das Berufungsgericht zutreffend erkannte, lag hier ein derartiger zweifelhafter Sachverhalt für den Arbeitgeber nicht vor bzw brachte das Strafverfahren keine wesentlich über die schon ursprünglich vorhandenen Kenntnisse hinausgehenden Aufschlüsse. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes stand schon auf Grund des internen Disziplinarverfahrens fest, dass der Kläger wissentlich seine Befugnisse als Filialleiter-Stellvertreter missbraucht und von seinem Bruder eingereichte Schecks ohne Rückfrage bei den bezogenen Banken in bar eingelöst hatte, sodass der beklagten Partei ein Schaden in Höhe von S 5,895.500 entstanden war. Letztlich erfolgte die Verurteilung des Klägers durch die Disziplinarkommission der beklagten Partei wegen "Beihilfe zu einer finanziellen Begünstigung des Bruders entgegen den Arbeitsanweisungen mit Wirkung einer finanziellen Schädigung der Beklagten", "Pouvoir-Überschreitung auf Grund von Interessenkollision im Zusammenhang mit Überziehungen/Scheckeinlösungen seines Bruders" ..... Aus der Begründung des Disziplinarerkenntnisses geht auch hervor, dass Zweifel nur daran bestanden, ob der Kläger vom Schädigungsvorsatz seines Bruders gewusst hatte, was jedoch mit dem Bemerken dahingestellt blieb, dass jedenfalls eine grobe Sorgfaltswidrigkeit des gegen seine Vorschriften verstoßenden Klägers gegeben gewesen sei. Nach den Feststellungen erfolgte die verneinende Abstimmung der Disziplinarkommission "über die Schuldfrage betreffend die Beihilfe zur Scheckreiterei mit dem Bewusstsein betrügerischen Handelns des Bruders". Hingegen wurde gleichzeitig die Schuldfrage der Veranlassung und Mithilfe zu einer finanziellen Begünstigung des Bruders entgegen der Arbeitsanweisung und mit Wirkung einer finanziellen Schädigung der Beklagten bejaht. Daraus ist abzuleiten, dass im Rahmen des Disziplinarerkenntnisses vom 24. Mai 1995 wohl nicht jede Vorsatzform, sondern nur die der Wissentlichkeit bzw Absicht ausgeschlossen werden sollten. Entgegen dem Vorbringen der beklagten Partei ergeben sich aus dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23. Juli 1998 keine wesentlichen weitergehenden Erkenntnisse: Wissentlichkeit wurde beim Kläger lediglich hinsichtlich des Missbrauchs der ihm eingeräumten Befugnisse als Geschäftsstellenleiter-Stellvertreter angenommen (S 3 des Strafurteils), während hinsichtlich der Zufügung eines Vermögensnachteils nur bedingter Vorsatz festgestellt werden konnte (S 11 des Strafurteils).

Am 31. 5. 1995 wurde die zunächst ausgesprochene Dienstfreistellung widerrufen, dem Kläger jedoch seine Leitungsfunktion und die Überstundenpauschale entzogen. Am 25. 6. 1995 einigten sich der Klagevertreter und der Beklagtenvertreter darüber, dass gegen das Disziplinarerkenntnis beiderseits kein Rechtsmittel ergriffen werde; außerdem sagte die beklagte Partei zu, eine Bestätigung über die Schadensgutmachung auszustellen, um dem Kläger in dem seit 13. 2. 1995 anhängigen Strafverfahren die Argumentation in Richtung "tätige Reue" zu ermöglichen. Der Kläger arbeitete in der Folge als Bankangestellter für die beklagte Partei weiter und erzielte in den Jahren 1996, 1997 und 1998 hervorragende Ergebnisse, was auch wiederholt vom Vorgesetzten des Klägers in verschiedenen Urkunden lobend erwähnt wurde. Anlässlich der Hauptverhandlung vom 23. 7. 1998 erklärte sich der Kläger erstmals für schuldig, die ihm vorgeworfene Untreue begangen zu haben.

Soweit nun die beklagte Partei trotz des im Disziplinarerkenntnis ausdrücklich erwähnten Vertrauensverlustes den Kläger nicht nur wieder in den Dienst stellte, sondern diesem auch bei der (tatsächlich erfolgten) Wiedergutmachung des Schadens entgegenkam und überdies fortlaufend belobte, setzte sie damit ein Verhalten, welches der Kläger wie jeder andere Arbeitnehmer in seiner Lage trotz des noch anhängigen Strafverfahrens als Verzicht auf die Geltendmachung des Entlassungsrechtes werten durfte. Um ihr Entlassungsrecht zu wahren, hätte die beklagte Partei daher - bei der ganz konkreten Konstellation - unmissverständlich zum Ausdruck bringen müssen, dass sie sich vom Strafverfahren über das Disziplinarverfahren hinausgehende Aufschlüsse, insbesondere zur subjektiven Tatseite des Klägers, erwarte und daher auf eine Entlassung nicht verzichten wolle, sondern diese Entscheidung dem Ergebnis des Strafverfahrens vorbehalten bleibe. Damit bedarf es keines weiteren Eingehens auf das weitere Argument, dass die Entlassung auch verspätet gewesen sei, weil von der Verkündung des Strafurteils bis zum Erhalt der schriftlichen Ausfertigung zugewartet wurde.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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