OGH 7Ob322/04k

OGH7Ob322/04k26.1.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj Florian L*****, vertreten durch seine Eltern Mag. Heinz L***** und Margherita L*****, vertreten durch Dr. Franz Hitzenberger und andere Rechtsanwälte in Völcklabruck, gegen die beklagte Partei g***** AG, *****, vertreten durch Dr. Eckhard Pitzl und Dr. Gerhard W. Huber, Rechtsanwälte in Linz, wegen EUR 989.370,42 sA und Feststellung (Gesamtstreitwert EUR 1,019.370,42), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 6. Oktober 2004, GZ 2 R 136/04i-38, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 6. Mai 2004, GZ 4 Cg 218/02d-34, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 3.523,32 (darin enthalten EUR 587,22 USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung (richtig Rekursbeantwortung) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Gemäß § 528a ZPO iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung eines Rekurses an den Obersten Gerichtshofes wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken. Zum besseren Verständnis sei dennoch der von den Vorinstanzen ihren Entscheidungen zugrundegelegte Sachverhalt - kurz zusammengefasst - vorangestellt:

Der Kläger, der am 28. 7. 1991 im Landeskrankenhaus G*****, dessen Rechtsträger die beklagte Partei ist, zur Welt kam, ist seit seiner Geburt behindert; seine Sprachentwicklung und seine Motorik sind erheblich gestört.

Die Eltern des Klägers nahmen bereits im Februar 1992 an, Ursache der Behinderung ihres Sohnes wäre, dass dem behandelnden Arzt bei der Geburt ein Fehler unterlaufen sei. Die Eltern, die allerdings keinen Hinweis auf einen konkreten Fehler des damals behandelnden Arztes hatten, wandten sich in der Folge (nachdem ihnen der den Kläger im Februar 1992 behandelnde Arzt erklärt hatte, die Frage, ob es Zusammenhänge zwischen den Problemen bei der Geburt und der Behinderung gäbe, nicht abschließend beantworten zu können) an fünf weitere Ärzte, erhielten aber von keinem von diesen eine Auskunft, die sie in ihrer Vermutung eines Arztfehlers bestärken konnte, geschweige denn einen konkreten Anhaltspunkt für ein ärztliches Verschulden; vielmehr wies der verantwortliche Kinderarzt des Landeskrankenhauses G***** jegliches Verschulden von sich.

Ende des Jahres 2001 holten die Eltern ein Privatgutachten zur Frage ein, ob nicht doch ein ärztlicher Fehler zur Behinderung des Klägers geführt habe. Anlass dafür war, dass es im Landeskrankenhaus G***** einen Arztskandal gab, im Zuge dessen schwere Vorwürfe gegenüber einem Arzt erhoben wurden. Überdies kam den Eltern durch Bekannte, die ein Kind mit einer vergleichbaren Behinderung haben, ein ähnlicher Fall zu Ohren, in dem der betreffende Sachverständige ebenfalls ein Gutachten erstellt hatte. Das von den Eltern eingeholte, mit 1. 3. 2002 datierte Privatgutachten kam zum Ergebnis, dass anlässlich der Geburt des Klägers Kontrollmaßnahmen, die angezeigt gewesen wären, unterlassen worden seien. Durch eine entsprechend engmaschige Kontrolle hätte eine offenbar vorhandene Plazentainsuffizienz rechtzeitig erkannt und durch eine Kaiserschnittgeburt einer dauerhaften Schädigung des Kindes vorgebeugt werden können.

Die vom Kläger am 14. 10. 2002 beim Erstgericht gegen die Beklagte eingebrachte, auf Zuspruch von EUR 989.370,42 und Feststellung der Haftung für künftige Schäden gerichtete Klage wurde vom Erstgericht abgewiesen, da die Ansprüche des Klägers verjährt seien. Da die Eltern des Klägers bereits im Februar 1992 davon ausgegangen seien, dass die Ursache für die Behinderung ihres Sohnes in einem fehlerhaften Geburtsmanagement gelegen sei, wäre bereits damals unter Berücksichtigung einer angemessenen Überlegungsfrist die Einholung eines Sachverständigengutachtens möglich und zumutbar gewesen.

Das Berufungsgericht hob in Stattgebung der Berufung des Klägers das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die Eltern des Klägers hätten als medizinische Laien ihre Erkenntnisbasis für ein Verschulden eines Arztes oder sonstigen bei der Geburt ihres Sohnes beteiligten Krankenhauspersonals durch entsprechende Befragung mehrerer Ärzte ohne Erfolg zu verbreitern versucht. Sie hätten nicht damit rechnen können oder müssen, dass ihnen die Einholung eines Sachverständigengutachtens Kenntnis von einem Schädiger verschaffen und sie darüber hinaus in die Lage versetzen werde, diesem ein Verschulden nachzuweisen bzw eine Klage mit Aussicht auf Erfolg einzubringen. Da sie von der Existenz der Schiedsstelle der Ärztekammer keine Kenntnis gehabt hätten, könne ihnen auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, sich nicht an diese Schiedsstelle gewandt und erst Ende 2001 ein Privatgutachten eingeholt zu haben. Erst auf Grund dieses Gutachtens hätten sie von einem den Beginn der Verjährungsfrist des § 1489 ABGB auslösenden (allfälligen) Verschulden des die Mutter vor der Geburt behandelnden Arztes des Landeskrankenhauses G***** Kenntnis erlangt. Die vom Kläger erhobenen Forderungen seien daher zur Zeit der Klagseinbringung noch nicht verjährt gewesen, weshalb das Erstgericht die Verhandlung fortzusetzen und eine neuerliche Entscheidung zu fällen haben werde.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Zwar habe sich der Oberste Gerichtshof insbesondere in den letzten Jahren wiederholt mit der Erkundigungspflicht des Geschädigten und ihrem Umfang im Zusammenhang mit der Verjährungsfrist des § 1489 ABGB auseinandergesetzt, wobei jedoch nicht übersehen werden könne, dass diese tendenziell ausgedehnt zu werden scheine. Mehrere oberstgerichtliche Entscheidungen, die ärztliche Fehler zum Gegenstand gehabt hätten, hätten die Verletzung ärztlicher Aufklärungspflichten betroffen. Dagegen habe sich der Oberste Gerichtshof mit keinem dem gegenständlichen vergleichbaren Fall zu befassen gehabt, wobei der Frage der Erkundigungspflicht und im Rahmen derselben der Verpflichtung zur Einholung eines Privatgutachtens in Anbetracht der Häufigkeit ähnlich gelagerter Fälle erhebliche Bedeutung iSd §§ 519 Abs 2, 502 Abs 1 ZPO zukomme.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes - ist der Rekurs der Beklagten gemäß § 519 Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Gemäß § 1489 ABGB beginnt die Verjährung jeder Entschädigungsklage mit jenem Zeitpunkt zu laufen, in dem „der Schade und die Person des Beschädigers dem Beschädigten bekannt wurde". Nach stRsp umfasst diese Formulierung die Kenntnis aller Umstände, die für die Entstehung des Anspruches maßgeblich sind: Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt demnach dann, wenn der Sachverhalt dem Geschädigten so weit bekannt ist, dass er mit Aussicht auf Erfolg klagen kann (SZ 40/40; SZ 56/76; SZ 60/204 uva; RIS-Justiz RS0034524; vgl auch RS0034374; Mader in Schwimann, ABGB2 § 1489 Rz 9; M. Bydlinski in Rummel ABGB3 § 1489 Rz 3 mwN). Dies bedingt ua auch die Kenntnis des Kausalzusammenhanges und - bei verschuldensabhängiger Haftung - auch die Kenntnis der Umstände, die das Verschulden begründen (SZ 56/76; SZ 64/23; 5 Ob 32/01v; 9 Ob 278/00y; 7 Ob 93/02f, RIS-Justiz RS0034603 und RS0034524 [T 27, 29 und 33]; vgl RIS-Justiz RS0034322). Ist der Geschädigte Laie und setzt die Kenntnis dieser Umstände Fachwissen voraus, so beginnt die Verjährungsfrist regelmäßig erst zu laufen, wenn der Geschädigte durch ein Sachverständigengutachten Einblick in die Zusammenhänge erlangt hat (HS 25.724 = KRES 6/125 = RdW 1995, 13; 4 Ob 131/00v; 10 Ob 1/03z ua). Kommt demnach jemand durch einen ärztlichen Kunstfehler zu Schaden, so beginnt die Verjährungsfrist nicht, solange die Unkenntnis, dass es sich um einen Kunstfehler handelt, andauert, mögen auch der Schade und die Person des (möglichen) Ersatzpflichtigen an sich bekannt sein (KRES 9/2; KRES 9/7; 6 Ob 273/98k; 4 Ob 131/00v; 10 Ob 1/03z; vgl RIS-Justiz RS0034322; M. Bydlinski aaO).

Zur Frage ob sich aus § 1489 ABGB auch Nachforschungspflichten des Geschädigten ableiten lassen, findet sich in der frühen Judikatur (zB SZ 30/40) und Lehre (Ehrenzweig2 II/1, 78; Klang in Klang VI2 635) ausschließlich die Auffassung, die Norm spreche nur von tatsächlicher Kenntnis, ein „Kennenmüssen" reiche nicht aus. Diese rigide Haltung wurde inzwischen dahin „aufgelockert", dass nach nunmehr ständiger oberstgerichtlicher Judikatur sich der Geschädigte nicht einfach passiv verhalten und es darauf ankommen lassen darf, dass er von den Klagsvoraussetzungen eines Tage zufällig Kenntnis erhält. Wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahren bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (RIS-Justiz RS0034327; vgl auch RS0034335). Dabei ist auf die Umstände des konkreten Falles abzustellen (SZ 63/53 = JBl 1990, 653 = ecolex 1990, 345; vgl auch RIS-Justiz RS0113916).

Stets wurde vom Obersten Gerichtshof betont, dass die Erkundigungspflicht des Geschädigten nicht überspannt werden darf SZ 63/53 [verst. Senat]; JBl 1991, 654; 6 Ob 42/98i, RdW 1998, 543; 9 Ob 91/99v uva; RIS-Justiz RS0034327). Als eine solche Überspannung der Nachforschungspflicht wird in ständiger Judikatur regelmäßig die Verpflichtung des Geschädigten angesehen, bei sonstigem Beginn der Verjährungsfrist ein privates Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben, um fehlende anspruchsbegründende Umstände aufzuklären (ecolex 1995, 258; ecolex 2000, 797; ecolex 2001, 44 uva). Abweichend von dieser Regel wurde in einigen Entscheidungen (1 Ob 151/00p [einen Amtshaftungsfall betreffend], 8 Ob 285/00w, 7 Ob 249/01w, ecolex 2002/66 [abl Helmich]; 10 Ob 22/03p) allerdings in besonderen Ausnahmesituationen die Einholung von Sachverständigenrat bis hin zur Einholung von Privatgutachten gefordert, allerdings nur bei Evidenz der Beweisbarkeit anspruchsbegründender Tatsachen ausschließlich durch eine solche Maßnahme und der Zumutbarkeit des betreffenden Kostenrisikos. Betont wurde, dass es bei dieser Frage, bzw grundsätzlich bei der Frage des Ausmaßes der Erkundigungspflicht des Geschädigten über den die Verjährungsfrist auslösenden Sachverhalt, immer auf die Umstände des Einzelfalles ankommt (RIS-Justiz RS0113916 und RS0034327 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen) und keine über diesen hinausgehende Bedeutung gegeben ist (SZ 69/251 ua, zuletzt etwa 6 Ob 98/04m). Zufolge dieser Einzelfallbezogenheit könnte ein tauglicher Zulassungsgrund in diesem Zusammenhang daher nur dann vorliegen, wenn dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die aus Gründen der Rechtssicherheit einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte.

Davon kann im vorliegenden Fall aber gar keine Rede sein. Führt man sich vor Augen, dass die Eltern des Klägers (auf deren Kenntnis als gesetzliche Vertreter ihres mj Sohnes es ankommt - SZ 52/88; SZ 61/156 = JBl 1989, 113 ua) ohnehin wiederholt insoferne sachverständigen Rat bei fünf Ärzten eingeholt haben, die sie um Stellungnahme ersuchten, ob ein Zusammenhang zwischen der Behinderung ihres Sohnes und den Vorgängen bei bzw vor dessen Geburt bestünde, wobei ihnen beschieden wurde, dass es „keine Erklärung für dieses Ereignis" gebe, ist die Ansicht des Berufungsgerichtes keineswegs unvertretbar, sondern zu billigen. Kann doch unter den gegebenen Umständen die Möglichkeit, durch ein medizinisches Sachverständigengutachten ein Verschulden des behandelnden Arztes nachzuweisen, nicht als derart evident angesehen werden, dass der damit verbundene Kostenaufwand (der letzten Endes ja auch den mj Kläger treffen musste) ohne weiteres in Kauf zu nehmen gewesen wäre.

Dass der Oberste Gerichtshof mit der Frage der Verjährung in einem ganz vergleichbaren Fall noch nicht konfrontiert war, kann die Zulässigkeit des Rekurses allein nicht bewirken; begründet doch der Umstand, dass ein völlig gleichartiger Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden wurde, nach stRsp noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0107773). Eine erhebliche Rechtsfrage liegt insbesondere dann nicht vor, wenn die für vergleichbare Sachverhalte entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung auf den konkreten Sachverhalt anwendbar sind und ohne grobe Subsumtionsfehler auch angewendet wurden (4 Ob 13/04x, RIS-Justiz RS0107773 [T 3]). Dies trifft im vorliegenden Fall, wie eben dargestellt, zu.

Der Rekurs der beklagten Partei war daher zurückzuweisen, zumal auch die von der Rekurswerberin geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ebenso wie die behauptete Aktenwidrigkeit nicht vorliegt (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels ausdrücklich und mit zutreffender Begründung hingewiesen.

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