OGH 6Ob273/98k

OGH6Ob273/98k29.10.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kellner, Dr. Schiemer, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ernestine H*****, vertreten durch Dr. Jürgen Zwerger, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Land S*****, vertreten durch Univ. Prof. Dr. Friedrich Harrer und Dr. Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 450.000 S und Feststellung (Streitwert 50.000 S), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 17. Juni 1998, GZ 4 R 103/98i-12, womit das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 18. März 1998, GZ 6 Cg 212/97y-8, aufgehoben und die Rechtssache an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit 21.375 S (darin enthalten 3.562,50 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin wurde am 3. 12. 1992 in einer Krankenanstalt, deren Rechtsträger die Beklagte ist, thorakotomiert, es wurde eine Lungenresektion durchgeführt. Sie leidet seither unter Schmerzen, die Folge der Operation sind.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten 450.000 S Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung für alle weiteren Schäden aus der anläßlich der Operation vom Dezember 1992 erlittenen Verletzungen des Nervengeflechtes im 8. Intercostalraum. Die Operation habe nicht dem Stand der ärztlichen Kunst entsprochen. Die Klägerin sei über die Operationsfolgen nicht aufgeklärt worden, die Operation sei damit ohne rechtswirksame Einwilligung erfolgt. Der Operateur habe zunächst Schmerzen bis zu zwei Jahren nach der Operation als normale Operationsfolge bezeichnet. Erst im Verlauf des Jahres 1995 sei der Zusammenhang zwischen Schmerzen und Operation zugestanden worden. Ein Gutachten vom 14. 6. 1996 habe schließlich die Kausalität zwischen Beschwerden und Operation bejaht.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Operation sei nach den Regeln der medizinischen Kunst ausgeführt und die Klägerin mündlich aufgeklärt worden. Diese habe durch Unterfertigung eines Merkblattes die Einwilligung zur Operation erklärt. Die Ansprüche der Klägerin seien im übrigen verjährt, weil die Klage erst am 29. 7. 1997 bei Gericht überreicht worden sei. Die Verjährungsfrist habe spätestens am 18. 5. 1993 begonnen, an welchem Tag die Klägerin darüber aufgeklärt worden sei, daß ihre Beschwerden wahrscheinlich auf eine Nervenquetschung zurückzuführen seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen Verjährung ab. Die Klägerin habe Schaden und Schädiger sofort gekannt, der Ursachenzusammenhang sei spätestens am 18. 5. 1993 bekannt geworden.

Das Erstgericht stellte ergänzend fest, die Schmerzen der Klägerin seien Folge der Operation. Die an den Hausarzt der Klägerin gerichteten Arztbriefe der Krankenanstalt wiesen Intercostalneuralgie als Schmerzursache aus. Diese Diagnose sei dem Hausarzt nicht ungewöhnlich erschienen, sei dies doch eine ihm bekannte häufige Diagnose nach derartigen Operationen. Die Klägerin habe wegen ihrer Schmerzen den Operateur mehrmals - zuletzt im September 1994 - aufgesucht. Dieser habe ihr erzählt, auch er habe zwei Jahre lang unter derartigen Nervenschmerzen gelitten, sei danach aber absolut schmerzfrei geworden. Eine die Klägerin behandelnde Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie habe dem Hausarzt in einem Arztbrief vom 18. 5. 1993 mitgeteilt, es bestehe der Verdacht auf eine Quetschung der 7., 8. und 9. Intercostalnerven durch das Ausdehnen des Thorax. Sie habe der Klägerin erklärt, es sei zu einer Schädigung der Zwischenrippennerven entweder durch Quetschung bei der Operation oder durch narbige Verwachsungen gekommen. Derartiges könne bei solch einer Operation passieren. Nach einer Computertomographie habe die Nervenärztin der Klägerin erklärt, eine narbige Verwachsung sei für ihre Beschwerden ursächlich. Auch diese Ärztin sei davon ausgegangen, daß sich die Beschwerden der Klägerin - wenn auch erst nach langer Zeit - zurückbilden würden.

Im Oktober 1995 habe sich die Klägerin an die Patientenanwaltschaft gewendet. In dem daraufhin vom Versicherer der Landeskrankenanstalten der Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachten vom 14. 6. 1996 habe der Sachverständige ausgeführt, derart lang anhaltende neuralgische Schmerzen habe er noch nie gesehen, ein Grund, der Klägerin nicht zu glauben, bestehe jedoch nicht. Die Kausalität zwischen den angegebenen Beschwerden und der Operation im Jahr 1992 sei gegeben. Am 30. 7. 1996 habe die Versicherungsanstalt der Klägerin eine Prozeßkostenablöse angeboten. Die Klägerin habe daraufhin einen Rechtsanwalt konsultiert und am 29. 7. 1997 die gegenständliche Klage eingebracht.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache an das Prozeßgericht erster Instanz zurück. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Das Berufungsgericht verneinte eine Verjährung der Klageforderung. Die Aufklärung des Ursachenzusammenhanges durch die von der Klägerin konsultierte Nervenfachärztin habe nicht ausgereicht, den Beginn der Verjährungsfrist in Gang zu setzen. Für die Klägerin als Laien sei durch diese Informationen keinesfalls abschätzbar geworden, ob die Schädigung der Zwischenrippennerven und die auf eine narbige Verwachsung zurückzuführenden Beschwerden auf einem vorwerfbaren Kunstfehler beruhten oder ob es sich dabei um ein Risiko der vorgenommenen Operation, über welche sie aufzuklären gewesen wäre, handelt. Aufgrund der Aussagen des Operateurs und der Nervenfachärztin sei für die Klägerin die Annahme eines ärztlichen Kunstfehlers keinesfalls naheliegend gewesen. Sie habe damit noch nicht über die notwendigen Kenntnisse für eine aussichtsreiche Anspruchsverfolgung verfügt, zu Nachforschungen sei sie nicht verpflichtet gewesen. Mangels Verjährung habe das Erstgericht das Verfahren zu Anspruchsgrund und -höhe durchzuführen.

Das Berufungsgericht hielt den Rekurs an den Obersten Gerichtshof deshalb für zulässig, weil eine gesicherte (einheitliche) Rechtsprechung zur Nachforschungspflicht des Geschädigten fehle. Der Oberste Gerichtshof habe ausgesprochen, daß die Grundsätze der Erkundigungspflicht für die Frage nach dem Ursachenzusammenhang und dem Verschulden des Schädigers nicht anzuwenden seien, sowie daß die Erkundigungspflicht nicht überspannt werden dürfe. Es stelle sich im Zusammenhang mit behaupteten Kunstfehlern und Aufklärungspflichtverletzungen auch die Frage, ob die Nachforschungspflicht zeitlich unbeschränkt abzulehnen sei oder ob nicht vom Geschädigten, der häufig von anderen Ärzten nachbehandelt werde, billigerweise verlangt werden könne, ausdrücklich danach zu fragen, ob bei seiner Operation ein Kunstfehler unterlaufen sei und über welche Risken er hätte aufgeklärt werden müssen. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei aber auch sinnvoll, um nicht für den Fall, daß dieser die Verjährung bejahen würde, unnötigen, beträchtlichen Prozeßaufwand zu verursachen.

Der Rekurs der beklagten Partei an den Obersten Gerichtshof ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 Satz 2 ZPO) - Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichtes (§ 519 Abs 1 Z 2 und Abs 2 ZPO) nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes beginnt die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen soweit kennt, daß eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann. Die Kenntnis muß dabei den ganzen den Anspruch begründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhanges zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (stRsp RIS-Justiz RS0034951; SZ 68/179). Der den Anspruch begründende Sachverhalt muß dem Geschädigten zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch soweit bekannt sein, daß er in der Lage ist, das zur Begründung seines Ersatzanspruches erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (SZ 68/179; SZ 68/238; ecolex 1991, 454; ecolex 1994, 537; JBl 1987, 450; JBl 1988, 321; Schubert in Rummel, ABGB2 Rz 4 zu § 1489; Mader in Schwimann, ABGB2 Rz 9 und 11 zu § 1489; RIS-Justiz RS0034524 und RS0034366). Bloße Mutmaßungen über die angeführten Umstände genügen hingegen nicht (JBl 1987, 451). Hat der Geschädigte als Laie keinen Einblick in die für das Verschulden maßgeblichen Umstände, so beginnt die Verjährungszeit nicht zu laufen (WBl 1987, 66; JBl 1991, 654; RdW 1995/13). Kommt jemand durch einen ärztlichen Kunstfehler zu Schaden, beginnt die Verjährungsfrist daher nicht, solange die Unkenntnis, daß es sich um einen Kunstfehler handelt, andauert, mag auch der Schade und die Person des (möglichen) Schädigers an sich bekannt sein (JBl 1964, 371; ZVR 1994/12; Schubert in Rummel aaO Rz 3 zu § 1489 mwN).

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes steht mit der dargelegten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in Einklang und ist schon deshalb nicht zu beanstanden, weil die Klägerin durch die Aufklärungen der sie behandelnden Nervenfachärztin wohl über den Ursachenzusammenhang, nicht aber über die für das Verschulden maßgeblichen Umstände aufgeklärt wurde. Es war für die Klägerin auch keineswegs abschätzbar, ob ihre Beschwerden auf einem Kunstfehler beruhten bzw ob sie ein Risiko der an ihr vorgenommenen Operation (über welches sie hätte aufgeklärt werden müssen) darstellten. Überdies erklärte ihr die Nervenfachärztin 1993, daß derartige Schädigungen der Zwischenrippennerven durch Quetschung oder narbige Verwachsungen bei solch einer Operation passieren könnten; gleiches hatte die Klägerin auch vom Operateur erfahren. Seinen Äußerungen mußte sie überdies entnehmen, daß sie mit mindestens zwei Jahre andauernden Schmerzen rechnen müßte. Das Berufungsgericht ist daher mit Recht davon ausgegangen, daß für die Klägerin als ärztliche Laiin damals ein ärztlicher Kunstfehler keineswegs naheliegend war und Zweifel der Klägerin über die ordnungsgemäße Durchführung der Operation noch nicht ausreichten, um den Lauf der Verjährungsfrist in Gang zu setzen.

Der Oberste Gerichtshof hat auch ausgesprochen, daß in Fällen, in denen der Geschädigte die für eine erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen "ohne nennenswerte Mühe" in Erfahrung bringen kann, die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt gilt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Die Erkundigungspflicht des Geschädigten dürfe aber nicht überspannt werden (RIS-Justiz RS0034327; JBl 1991, 654). Ob aber der Geschädigte die zu einer erfolgversprechenden Anspruchsverfolgung notwendigen Vorausssetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, hängt von den Umständen des konkreten Falles ab (RIS-Justiz RS0034327). Das Berufungsgericht hat eine Verletzung der Erkundigungspflicht mit Rücksicht auf die Umstände des vorliegenden Falles verneint. Seiner Beurteilung kommt keine über diesen Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Sie ist auch nicht zu beanstanden, weil die Frage eines allfälligen Verschuldens des Operateurs bei Vorliegen eines Kunstfehlers wie auch die Frage, über welche operationsbedingte Risken die Klägerin aufzuklären gewesen wäre, nur durch ein Sachverständigengutachten geklärt werden könnte. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung der Voraussetzungen erfolgversprechender Anspruchsverfolgung würde aber jedenfalls eine Überspannung der Erkundigungspflicht des Geschädigten bedeuten.

Aus diesen Gründen ist eine im Sinn des § 519 Abs 2 iVm § 502 ZPO erhebliche Rechtsfrage nicht zu erkennen. Der Rekurs wird daher zurückgewiesen.

Der Ausspruch über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 sowie § 52 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen, ihre Rechtsmittelbeantwortung diente damit der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

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