OGH 11Os132/04

OGH11Os132/0411.1.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Jänner 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kain als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Franz Josef F***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 2. September 2004, GZ 22 Hv 64/04k-52, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Franz F***** (richtig:) der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 aF StGB (I 2, II 2 und III 2 des Urteilssatzes) und der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (I 1 und III 4), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (III 3) sowie der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II 1 und III 1) schuldig erkannt.

Danach hat er

I) in Graz seine damalige Ehefrau Astrid Erika F*****, jetzt E*****,

1) von 1988 bis 30. Juni 1989 mehrmals mit Gewalt zur Vornahme einer Handlung (Oralverkehr) genötigt, indem er sich auf ihre Schultern und Oberarme kniete, ihr den Mund gewaltsam öffnete und Oralverkehr durchführte,

2) vom 1. Juli 1989 bis 1990 mehrmals mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie teils festhielt, teils am Genick, teils am Hals erfasste und mit dem Penis in ihre Scheide eindrang,

II) in Graz seine damalige Lebensgefährtin Maria K*****

1) vom 24. März 1993 bis 16. September 1993 wiederholt durch Versetzen von Schlägen sowie dadurch, dass er ihre Haare erfasste und sie mit dem Kopf wuchtig gegen die Seitenscheibe eines Pkws stieß, vorsätzlich am Körper verletzt (Hämatom, Nasenbluten, Verlust der Hörfähigkeit bei einem Ohr für ein paar Tage),

2) vom 24. März 1993 bis 16. September 1993 außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB wiederholt mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er ihr Schläge versetzte, sie festhielt oder sich auf ihre Oberarme kniete, ihre Beine auseinanderpresste und mit seinem Penis in die Vagina eindrang,

III) seine Ehefrau Sabine F*****

1) im Jahr 1997 in der Türkei auf der Hochzeitsreise vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihr zahlreiche Schläge versetzte (Hämatome im Bereich der Brust und der Oberarme),

2) beginnend ab 2000 bis 22. November 2003 in Graz außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB oftmals mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs oder Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich eines Oralverkehrs, genötigt, indem er ihr Schläge versetzte, sie an den Haaren riss, sie festhielt oder indem er sich auf ihre Oberarme kniete,

3) in Graz gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

a) im Herbst 1998, nachdem er sie bereits geschlagen hatte, indem er ihr eine Pistole an den Kopf hielt und sagte, er habe sechs Patronen im Magazin, fünf seien für sie, die letzte für ihn,

b) im Jahr 2001, indem er sich auf ihre Oberarme kniete, ihr die Pistole gegen die linke Schläfe drückte und sagte: „Wenn ich dich jetzt erledige, kann ich endlich leben, dann habe ich das schönste Leben",

4) am 28. Dezember 2003 in Graz durch die Äußerungen: „Wenn du nicht verschwindest, dann klesch ich dir ein paar", bzw: „Wenn du nicht verschwindest, bring ich dich um", sohin durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zur Handlung des Verlassens ihres eigenen Wohnhauses am R***** genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich seine auf die Gründe der Z 3, 4, 5a und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde, welcher indes keine Berechtigung zukommt:

Mit dem unter § 281 Abs 1 Z 3 StPO erhobenen Einwand, die auf die Bestimmung des § 252 Abs 1 Z 4 StPO gestützte Verlesung des gesamten Akteninhaltes (S 22/II) widerspreche den Grundsätzen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens, werden die Verlesungsvorschriften des § 252 StPO grundlegend missverstanden.

Nach dessen Absatz 1 dürfen die dort genannten - in der Beschwerde richtig wiedergegebenen - Protokolle und Gutachten bei Vorliegen eines der dort taxativ angeführten Ausnahmetatbestände, deren einer das Parteieneinverständnis ist (Z 4 leg cit) - unter gesetzesgewollter Durchbrechung des Unmittelbarkeitsprinzips - verlesen werden. Alle anderen verfahrensrelevanten Schriftstücke müssen verlesen werden, wobei das Gesetz die Möglichkeit eines parteieneinverständlichen (durch das in § 258 Abs 1 StPO geforderte, etwa durch ein Referat des Vorsitzenden zu erreichende Vorkommen allerdings eingeschränkten) Verlesungsverzichts vorsieht (§ 252 Abs 2 StPO), die nach nunmehr gefestigter Judikatur wegen der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller zulässigen Beweismittel (§ 258 Abs 2 StPO) auf die in § 252 Abs 1 Z 1 bis Z 4 StPO genannten Verlesungsfälle ausgedehnt wird (14 Os 129/98; zuletzt 15 Os 94/03; 13 Os 151/03; 11 Os 77/04; 14 Os 93/04; auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 460). Nach dem - ungerügten - Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls wurde „gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO" der „gesamte Akteninhalt" einverständlich verlesen (S 22/II). die Anführung des Abs 1 Z 4 des § 252 StPO ist hier nur für die Verlesung jener Protokolle von Bedeutung, die Gegenstand des § 252 Abs 1 StPO sind, weil die Verlesung aller anderen, dem Abs 2 des § 252 StPO zuzuordnenden Aktenstücke, zu denen - soweit er Sachrelevantes enthält - auch der Antrags- und Verfügungsbogen zählt, vom Einverständnis der Parteien gerade nicht abhängig ist. In der solcherart insgesamt gesetzeskonformen Verlesung des Akteninhalts ist somit eine - gegebenenfalls mit Nichtigkeit bedrohte - Verletzung (§ 252 Abs 1 StPO) oder Umgehung (§ 252 Abs 4 StPO) der Bestimmungen des § 252 Abs 1 StPO nicht zu erblicken.

Unverständlich und einer sachlichen Erwiderung unzugänglich ist auch die Kritik an der Protokollierung der Verlesung insofern, als dabei nicht näher bezeichnete „Ton- und Bildaufnahmen, welche im Zuge der Verlesung nicht zur Vorführung gelangten, unberücksichtigt gelassen" worden seien. Wurden sie nicht vorgeführt - eine „Verlesung" scheidet begrifflich aus - dann waren sie auch im Protokoll nicht zu erwähnen. Bei dieser Sach- und Rechtslage erweist sich die Beschwerdeargumentation als nicht nachvollziehbar. Der relevierte Nichtigkeitsgrund ist daher nicht gegeben.

Die Anträge auf Vernehmung der Zeugen Dr. Peter A***** und Mag. Michaela W***** zum Nachweis „maßgeblicher Potenzprobleme" des Angeklagten (S 500/I, 21/II), durfte das Schöffengericht schon deshalb ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten abweisen (S 504/I, 22/II), weil nicht näher spezifizierte Potenzprobleme angesichts der vom Angeklagten selbst zugestandenen grundsätzlichen Erektionsfähigkeit (S 480 f/I) eine Tatbegehung während des gesamten Deliktszeitraumes keineswegs ausschließen.

Indem der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen zur Tatsachenrüge (Z 5a) aus einzelnen vom Erstgericht ohnedies erörterten Beweisergebnissen für ihn günstigere Schlussfolgerungen zu ziehen trachtet, wendet er sich lediglich nach Art einer Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung, ohne hiedurch erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zu Grunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Dass das Schöffengericht die durch die Vergewaltigung bei den Tatopfern hervorgerufenen psychischen Beeinträchtigungen und die der Maria K***** zugefügten, mit Verletzungen einhergehenden (US 11), für das Opfer als qualvoll eingestuften großen Schmerzen als erschwerend wertete, verstieß entgegen dem Vorbringen der Sanktionsrüge (Z 11) schon deshalb nicht gegen das Doppelverwertungsverbot, weil diese Tatfolgen nicht notwendigerweise mit einem Verbrechen nach § 201 Abs 2 StGB einhergehen und auch die aktuelle Strafdrohung nicht (mit-)bestimmt haben (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 711, Ebner in WK-StGB² § 34 Rz 22, 12 Os 14/97).

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Franz F***** war daher bereits in nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Graz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO). Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

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