OGH 14Os93/04

OGH14Os93/0410.8.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. August 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Sengstschmid als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Horst Hermann H***** wegen des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 10. Mai 2004, GZ 39 Hv 53/04z-15, nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Horst H***** - abweichend von der gegen ihn wegen des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB aF erhobene Anklage - "des Vergehens" des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Danach hat er von Frühjahr 2000 bis 28. Februar 2003 in Grinzens wiederholt (wöchentlich ein- bis viermal) seine minderjährige Tochter Sabine H*****, geboren 28. April 1986, dadurch, dass er durch sie an sich jeweils einen Handverkehr durchführen ließ, zur Unzucht missbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden einerseits des Angeklagten gestützt auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5 und 8 StPO, andererseits jene der Staatsanwaltschaft aus dem Grunde des § 281 Abs 1 Z 5 StPO. Beide sind nicht im Recht.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Die Bediensteten der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck Karin N***** und Peter Z***** bedurften für ihre Vernehmung als Zeugen in der Hauptverhandlung keiner Entbindung von der Amtsverschwiegenheit, weil sie nur über solche dienstliche Wahrnehmungen befragt wurden, welche ohnedies bereits Gegenstand der Anzeige waren. Es bestand daher keine Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit (Mayerhofer StPO5 § 151 E 14, 16, 16a).

Auf eine Entbindung der - über das ihnen in ihrer Eigenschaft als Psychologen des Kinderschutzzentrums Innsbruck gemäß § 152 Abs 1 Z 5 StPO zukommende Entschlagungsrecht ohnehin belehrten - Zeugen Mag. Monika F***** und Mag. Martin Sch***** von ihrer Verschwiegenheitspflicht durch Sabine H***** kommt es nicht an (Fabrizy StPO9 § 152 Rz 18).

Der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 3 StPO liegt demgemäß nicht vor.

Die Verfahrensrüge (Z 4) moniert die Abweisung des in der Hauptverhandlung vom 10. Mai 2004 gestellten Antrages auf Vernehmung der Zeugen Stefan Hä*****, Robert S***** und Marco Ha*****. Diese sollten bezeugen, dass Sabine H***** ihnen gegenüber "ganz andere Angaben gemacht hat, als jene, die sie vor der Gendarmerie und im gerichtlichen Verfahren zu diesem Vorfall gemacht hat" (S 195). Ein Beweisantrag muss (von hier nicht aktuellen Ausnahmen abgesehen) neben Beweismittel und Beweisthema auch angeben, warum die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse und inwieweit dieses für die Schuld- oder/und Subsumtionsfrage von Bedeutung ist.

Der hier aktuelle Antrag nennt weder konkrete von der Zeugenaussage abweichende Angaben, noch gibt er Hinweise auf deren Relevanz für die Schuld- oder Subsumtionsfrage. Er wurde daher vom Erstgericht zu Recht abgelehnt, ohne dass dadurch Gesetze oder Grundsätze des Verfahrens hinangesetzt oder unrichtig angewendet noch sonst Verteidigungsrechte verletzt worden wären.

Die Mängelrüge (Z 5) behauptet, das Schöffengericht hätte seinen Schuldspruch auf Beweismittel, nämlich auf die in der Anzeige enthaltene Sachverhaltsdarstellung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck und die Aussage der Zeugin Sabine H***** vor der Gendarmerie gestützt, obwohl diese nicht Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen seien.

Da jedoch - wie die Beschwerde selbst zugesteht - beide Teile auf die Verlesung von im § 252 Abs 1 und 2 StPO bezeichneten Schriftstücken verzichtet haben (vgl S 195 und 197), ist die Art ihres Vorkommens in der Hauptverhandlung (§ 285 Abs 1 erster Satz StPO) einer nachträglichen Kritik aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO entzogen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 460; zuletzt 14 Os 8/03).

Im Übrigen wurde die Sachverhaltsdarstellung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck in der Hauptverhandlung insbesondere durch Vorhalte mehrfach erörtert (S 161, 177, 187, 193). Die Zeugin Sabine H***** hinwieder verwies in der (durch Vorspielen des Videobandes in die Hauptverhandlung eingeführten) Aussage bei der kontratektorischen Vernehmung ausdrücklich auf ihre Angaben vor der Gendarmerie und bezeichnete diese als richtig (S 165 iVm S 117). Das Urteil ist daher mit keinem Begründungsmangel behaftet. Der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 8 StPO schließlich liegt nur dann vor, wenn das Urteil den Angeklagten eines Verhaltens schuldig erkennt, das nicht Gegenstand der Anklage war. Anklage und Urteil müssen daher denselben Lebenssachverhalt betreffen. Dieser ergibt sich aus dem Anklagetenor und der Anklagebegründung (Ratz aaO Rz 502; Mayerhofer StPO5 § 281 Z 8 E 8). Vorliegend besteht an dieser Identität kein Zweifel, weil Gegenstand des Verfahrens der sexuelle Missbrauch der minderjährigen Sabine H***** durch ihren Vater Horst H***** war und der in der Anklage dargestellte Lebenssachverhalt alle für einen Schuldspruch nach § 212 Abs 1 StGB notwendigen Elemente enthielt.

Darüber hinaus ist eintätiges Zusammentreffen von § 202 Abs 1 und § 212 Abs 1 StGB möglich (Mayerhofer StGB5 § 202 E 38 f), sodass das Gericht auch aus diesem Grund verpflichtet war, das Vorliegen des Tatbestandes nach § 212 Abs 1 StGB zu prüfen.

Ein Ausnützen der Stellung gegenüber dem Opfer ist, wenn es sich bei diesem (wie hier) um die minderjährige Tochter handelt, kein Bestandteil des Tatbildes und musste daher - der Ansicht des Beschwerdeführers zuwider - von dessen Vorsatz nicht umfasst sein. Eine Anklageüberschreitung (Z 8) liegt daher nicht vor.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Entgegen der von der Anklagebehörde in ihrer Mängelrüge vertretenen Ansicht sind die erstgerichtlichen Erwägungen, nach denen mit der Ankündigung des Angeklagten, er werde seine Tochter "hinausschmeißen", nur ein vorübergehendes Vor-die-Tür-Setzen gemeint gewesen sei, insbesondere im Hinblick auf die in diesem Zusammenhang zitierten Schilderungen der Zeugin Sabine H*****, ihr Vater habe sie tatsächlich mehrmals vor das Haus geschickt, nach kurzer Zeit jedoch wieder hereingelassen (US 7), jedenfalls denkmöglich und mit der allgemeinen Lebenserfahrung vereinbar.

Eine unzureichende Begründung liegt somit ebenso wenig vor wie die von der Beschwerdeführerin behauptete Unvollständigkeit der Urteilsbegründung (Z 5 zweiter Fall). Nach den Verfahrensergebnissen standen nämlich weder die Ankündigung des Angeklagten, seine Frau werde die Tochter "rausschmeißen", wenn sie von den Vorfällen erfahre, noch der Umstand, dass Sabine H***** im Februar 2003 das Elternhaus über Anordnung ihres Vaters dauerhaft verlassen musste, mit dessen Aufforderungen zu geschlechtlichen Handlungen in unmittelbarem Zusammenhang. Für den Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerungen des Angeklagten war daraus nichts abzuleiten, weshalb das Erstgericht im Hinblick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht gehalten war, sich mit diesen für die Feststellung entscheidender Tatsachen unerheblichen Verfahrensergebnissen im Einzelnen auseinanderzusetzen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 429). Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalprokurators, jedoch hinsichtlich des Rechtsmittels des Angeklagten entgegen seiner dazu gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung - als offenbar unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 2 StPO).

Daraus folgt, dass zur Entscheidung über die Berufungen der Gerichtshof zweiter Instanz zuständig ist (§ 285i StPO). Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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