OGH 1Ob136/04p

OGH1Ob136/04p12.10.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Wolfgang S*****, vertreten durch Dr. Gottfried Reif, Rechtsanwalt in Judenburg, wider die beklagte Partei Albert H*****, vertreten durch Dr. Peter Bartl & Partner, Rechtsanwalts OEG in Graz, wegen Entfernung (Streitwert 4.100 EUR) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 15. April 2004, GZ 1 R 71/04i-19, womit das Urteil des Bezirksgerichts Judenburg vom 22. Jänner 2004, GZ 2 C 246/03h-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger ist Alleineigentümer einer Liegenschaft, auf der ein Haus errichtet ist. Der Beklagte ist Alleineigentümer eines Grundstücks, das zu Gunsten der Liegenschaft des Klägers mit der Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechts belastet ist.

Der Kläger begehrte die Entfernung des "im Bereich der Südgrenze der Dienstbarkeitsfläche" auf der Liegenschaft des Beklagten "im Zuge der Herstellung einer Schrankenanlage errichteten westlichen, rot lackierten, rechteckigen" Stehers. Die Rechtsvorgänger der Streitteile hätten den Dienstbarkeitsvertrag geschlossen, mit dem das Geh- und Fahrrecht mit Fahrzeugen aller Art für immerwährende Zeiten eingeräumt worden sei. Dabei sei man davon ausgegangen, dass der Dienstbarkeitsbereich eine entsprechende Breite aufweisen müsse, um das Einfahren auch von größeren Fahrzeugen und "Großlastkraftwägen" zu ermöglichen. Der vereinbarte Dienstbarkeitsbereich sei etwa 6,6 m breit, was für eine begegnende Aus- und Einfahrt von größeren LKW ausreiche. Im Zuge der Vertragsverhandlungen sei u.a. vom späteren Vertragsverfasser darauf gedrängt worden, dass die von alters her gegebene natürliche Durchfahrtsbreite als Servitutsbereich erhalten bleibe. Der Beklagte habe im Dienstbarkeitsbereich einen Schranken mit zwei Stehern errichtet, was die Durchfahrtsbreite auf 4,9 m verringere; dies sei für eine flüssige Ein- und Ausfahrt in den Hofbereich für größere, aber auch für mittelgroße Lastkraftwagen zu wenig. Durch den im Dienstbarkeitsbereich angebrachten westlichen Steher werde die festgelegte Zufahrtsbreite unzulässig eingeschränkt. Die Schrankenanlage sei trotz Aufforderung nicht entfernt worden. Es sei nicht absehbar, inwieweit auch überbreite Fahrzeuge über die Dienstbarkeitsfläche zu- bzw abfahren müssten. Es müsse auch die Zufahrt mit übergroßen Sonderfahrzeugen gewährleistet sein. Bereits mit Lastkraftwagen mit einer Breite von 2,5 m müsste mehrfach reversiert werden, und die Lenker seien infolge des Stehers gezwungen, über die Fahrbahnmitte auszuscheren. Die Begegnung von Fahrzeugen im Dienstbarkeitsbereich sei durch den Steher erschwert. Der Schranken sei zwecklos, weil er seit dem Jahr 2001 ständig geöffnet sei. Der Kläger sei nicht verpflichtet, bei Ausfolgung eines Handsenders den Schranken zu dulden, zumal er faktisch allen Bekannten und Besuchern einen Handsender zur Verfügung stellen müsste. Die Errichtung und Belassung des Schrankens stelle eine Vorbereitungshandlung zum Abschließen der Dienstbarkeitsfläche dar.

Der Beklagte wendete ein, der Kläger sei durch den Schranken in der Ausübung seines Servitutsrechts in keiner Weise beeinträchtigt. Im Zuge der Einräumung des Geh- und Fahrrechts sei eine nähere räumliche Eingrenzung der Servitut nicht erfolgt. Die Liegenschaft des Klägers werde ausschließlich als Wohnhaus genutzt. Danach sei der Umfang des Servitutsrechts zu beurteilen. Bei Abschluss des Dienstbarkeitsvertrags sei nicht davon ausgegangen worden, dass auch größere Fahrzeuge die Dienstbarkeitsfläche befahren müssten, es seien auch nie größere Fahrzeuge in den Dienstbarkeitsbereich eingefahren. Größere Lastkraftwagen könnten problemlos auch bei der nunmehr gegebenen Durchfahrtsbreite ein- und ausfahren. Es sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte ein Interesse daran habe, sein Haus als Geschäfts- und Wohnhaus zu vermieten. Wegen der bestehenden Parkplatznot stellten unberechtigte Personen ihre Fahrzeuge auf die zu den einzelnen Bestandlokalen der Mieter des Beklagten gehörenden Abstellflächen. Deshalb sei ihm nichts anderes übriggeblieben, als die Liegenschaft abzuschranken. Er habe dem Kläger bzw dessen Rechtsvorgängern angeboten, auf seine Kosten Fernbedienungen auszuhändigen bzw den westlichen Steher so zu modifizieren, dass er umlegbar oder manuell versetzbar sei, um auch das Einfahren "allergrößter" Schwerfahrzeuge in den Hofbereich zu ermöglichen. Die Vorschläge seien abgelehnt worden. Letztlich habe er dem Kläger erklärt, den Schranken geöffnet zu lassen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Auf Grund des Dienstbarkeitsvertrags vom 20. 10. 1997 stehe dem Kläger ein Geh- und Fahrrecht mit Fahrzeugen aller Art im Servitutsbereich zu, wobei sich aus dem dem Dienstbarkeitsvertrag angeschlossenen Lageplan eine Breite der in Anspruch zu nehmenden Fläche von 6 m ergebe. Der westliche Steher der Schrankenanlage stelle kein das Servitutsrecht des Klägers beeinträchtigendes Hindernis dar. Die Zufahrt durch die geöffnete Schrankenanlage sei für Personenkraftwagen, Minivans, Kastenwagen oder Pritschenwagen kleinerer Bauart ebenso problemlos möglich wie für Lastkraftwagen kleinerer und mittlerer Größe mit einer Breite von 2,4 m und einem Abstand zwischen Front und Hinterachse von 6 m. Größere LKW mit einer Breite von 2,5 m könnten bei Durchführen eines Reversiermanövers am westlichen Steher vorbeifahren; dies sei zumutbar. Das Einfahren von Sattelzügen oder LKW-Zügen mit einer Gesamtlänge von 18 m sei selbst bei Entfernung des westlichen Stehers nicht möglich und daher zu keiner Zeit Grundlage für die Einräumung des Geh- und Fahrrechts gewesen. Es sei auch früher nur mit kleineren Lastkraftwagen zugefahren worden; nunmehr erfolge die Zufahrt höchstens mit "mittleren" LKW oder PKW.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 20.000 EUR übersteige. Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt. Überlegungen, ob der Beklagte den Schranken wieder schließen werde, könnten im vorliegenden Rechtsstreit dahingestellt bleiben, weil Streitgegenstand lediglich sei, ob das sich grundsätzlich auf eine 6 m breite Servitutsfläche beziehende Wegerecht durch den westlichen Steher der Schrankenanlage eine nicht bloß unerhebliche Einschränkung erfahren habe. Bei der auch nach Errichtung des westlichen Stehers gegebenen Durchfahrtsbreite von 4,9 m sei die Rechtsausübung durch den Kläger nicht erheblich oder gar unzumutbar erschwert; die geringfügigen Erschwernisse müsse er hinnehmen. Die meisten Lastkraftwagen könnten ohnehin in einem Zug und, ohne anzuhalten, die Dienstbarkeitsfläche benutzen, das ein- bis zweimalige Reversieren mit "größeren LKW" stelle keine beachtliche Beeinträchtigung oder Einschränkung der Ausübung des Wegerechts dar. Das Klagebegehren nehme in keiner Weise auf die Schrankenanlage Bezug und ziele auch nicht auf eine Unterlassung deren Inbetriebnahme ab, weshalb eine Interessenabwägung, die das Blockieren der Einfahrt durch einen Schranken berücksichtigte, entfallen könne.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Der Kläger rügt die mangelnde Einvernahme eines von ihm benannten Zeugen. Das Erstgericht hat die Einvernahme dieses Zeugen für nicht erforderlich erachtet, weil dieser "nur" der Verfasser des Dienstbarkeitsvertrags gewesen sei (S 18 des Ersturteils). Die darob erhobene Mängelrüge des Klägers erledigte das Berufungsgericht dahin, dass es das Vorliegen eines Verfahrensmangels verneinte. Sofern es dabei ausführte, es sei ohnehin als erwiesen angenommen worden, dass sich das Wegerecht des Klägers über die gesamte Breite der Dienstbarkeitsfläche erstrecke, und der Zeuge sei nie zum Beweis dafür geführt worden, dass die ungehinderte Zufahrtsmöglichkeit auch für "größere LKW" ausdrücklich Gegenstand des Dienstbarkeitsvertrags gewesen sei, ist eine Aktenwidrigkeit nicht zu erkennen. Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die das Berufungsgericht verneint hat, können nach stRsp in der Revision nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden. Ein Mangel des Berufungsverfahrens könnte nur vorliegen, wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte (7 Ob 256/03b mwN; SZ 53/12). Dies ist - wie oben dargestellt - nicht der Fall, weshalb die vom Revisionswerber vor dem Obersten Gerichtshof erhobene Mängelrüge unzulässig ist.

Weder das Erst- noch das Berufungsgericht hat eine Abwägung der Interessen der Streitteile dahin vorgenommen, ob dem dienstbarkeitsberechtigten Kläger die durch die Schrankenanlage bzw. den zu dieser gehörigen westlichen Stehern bedingten Erschwernisse zuzumuten sind, sofern das vom Erstgericht festgestellte Interesse des Beklagten, die im Hinterhof errichteten Parkplätze frei zu halten und Beschädigungen abgestellter Fahrzeuge zu verhindern (s S 10 des Ersturteils), berücksichtigt wird. Selbst wenn man nur auf die Existenz des westlichen Stehers abstellte, der nach dem Klagebegehren zu entfernen wäre, und die sonstige Schrankenanlage unberücksichtigt ließe, ist mit dessen Bestand eine - wenn auch nur geringfügige - Störung der Dienstbarkeit des Klägers verbunden, die dauernd wirkt und damit Klagegrund einer Servitutenklage sein kann (EvBl 2002/188; 1 Ob 134/01i uva). Wird die Rechtsausübung (hier: das Gehen und Fahren mit Fahrzeugen aller Art über eine ganz bestimmte Fläche) beschränkt, dann ist dies nur zulässig, wenn die Ausübung des Rechts dadurch nicht ernstlich erschwert oder gefährdet wird. Erhebliche oder gar unzumutbare Erschwernisse müssen nicht hingenommen werden. Stets ist der Widerstreit zwischen den Interessen des Berechtigten und jenen des Belasteten einer Dienstbarkeit in ein billiges Verhältnis zu setzen (EvBl 2002/188; 1 Ob 134/01i; 4 Ob 161/01g; 7 Ob 3/01v; SZ 72/136; NZ 1997, 165; Hofmann in Rummel ABGB3 Rz 5 zu § 484).

Eine derartige Interessenabwägung haben die Vorinstanzen - wie schon ausgeführt - unterlassen, sie kann aber auch vom Revisionsgericht - schon allein mangels entsprechender Feststellungen - nicht nachgeholt werden. Aus den vom Erstgericht festgestellten Intentionen des Beklagten zur Errichtung der elektronischen Schrankenanlage ist nämlich ersichtlich, dass (auch) der westliche Steher dieser Anlage nur dann den Interessen des Beklagten dienlich sein kann, wenn der Schranken die meiste Zeit über geschlossen bleibt, können doch die Parkplätze nur dann auf gesicherte Weise frei gehalten und Beschädigungen abgestellter Fahrzeuge verhindert werden. Gedenkt der Beklagte, von der Schrankenanlage nicht Gebrauch zu machen, dann muss sein Interesse am Fortbestand des westlichen Stehers dieser Anlage unbedeutend sein, dessen Belassung wäre dann geradezu schikanös. Bedeutung erlangt der westliche Steher gewiss nur dann, wenn der Schranken tatsächlich geschlossen wird. Insoweit ist es trotz des Klagebegehrens, das nur auf Entfernung des westlichen Stehers gerichtet ist, bedeutsam, wie der Beklagte mit der von ihm errichteten Schrankenanlage in Zukunft zu verfahren gedenkt. Den Mangel entsprechender Feststellungen hat der Kläger in seiner Revision richtig aufgezeigt. Erst wenn das Interesse des Beklagten und auch das des Klägers konkret festgestellt sind, kann die erforderliche Interessenabwägung erfolgen, und diese wird vom Erstgericht nachzuholen sein.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Dienstbarkeit des Klägers eine "gemessene" oder "ungemessene" Servitut darstellt, denn auch bei gemessenen Servituten ist deren Einschränkung durchaus möglich, sofern die Interessenlage auf Seiten des Dienstbarkeitsverpflichteten klar überwiegt (EvBl 2002/188). Das Erstgericht wird daher unter Bedachtnahme auf Natur und Zweck der Dienstbarkeit im Zeitpunkt deren Einräumung unter sorgfältiger Abwägung der beiderseitigen Interessen zu beurteilen haben, ob der Bestand des westlichen Stehers als Teil der intakten und verwendbaren Schrankenanlage dem servitutsberechtigten Kläger zumutbar ist. In diese Beurteilung wird auch einfließen müssen, ob durch die vom Revisionswerber aufgezeigte Möglichkeit, Besitzstörungsklagen gegen dritte Personen einzubringen (vgl 4 Ob 161/01g), im konkreten Fall die Interessen des Beklagten ausreichend gewahrt wären. Eine verallgemeinernde Aussage hiezu ist nicht möglich.

In Stattgebung der Revision sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben, und wird das Erstgericht neuerlich zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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