OGH 8ObA32/03v

OGH8ObA32/03v30.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und Dr. Spenling als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Ernst Galutschek und Herbert Bernold in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Badis J*****, vertreten durch Mag. Martin Nemec, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Leopold S*****, vertreten durch Mag. Günter Petzelbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 4.498,92 brutto sA und Feststellung (Streitwert EUR 3.633,64), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Oktober 2002, GZ 9 Ra 319/02a-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 14. Mai 2002, GZ 22 Cga 252/01s-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 665,66 (darin EUR 110,94 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Berufungsgericht hat zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs 3 lit a BAG angenommen und den Sachverhalt rechtlich richtig beurteilt. Es reicht daher gem. § 510 Abs 3 ZPO aus, auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils zu verweisen. Ergänzend ist anzumerken:

Rechtliche Beurteilung

Wird das Fahrzeug nicht zum widmungsgemäßen Gebrauch, sondern zu einem genau umgrenzten Zweck übergeben, ist der Täter - auch wenn er Dienstnehmer des Berechtigten im Sinne des § 136 Abs 4 StGB ist - im Falle eigenmächtiger Ingebrauchnahme gemäß § 136 Abs 1 StGB zu bestrafen (RIS-Justiz RS0094146; RS0094193; RS0094201). Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, dass der Kläger, der lediglich den Auftrag hatte, aus dem Fahrzeug des Beklagten Ware zu holen, dadurch, dass er das Fahrzeug in Betrieb nahm und damit 300 bis 400 Meter fuhr, die Straftat des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen gemäß § 136 StGB begangen hat. Eine Einwilligung zur Ingebrauchnahme konnte der Kläger auch nicht im Entferntesten annehmen, weil er keinen Führerschein hatte und er zudem nach der erstmaligen Inbetriebnahme vom Beklagten ausdrücklich auf die Gefährlichkeit dieses Tuns hingewiesen wurde.

Gemäß § 15 Abs 3 lit a BAG - der insoweit dem § 82d GewO entspricht - ist der Lehrherr zur vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses berechtigt, wenn der Lehrling sich eines Diebstahls, einer Veruntreuung oder einer sonstigen strafbaren Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Lehrberechtigten unwürdig macht.

Für die Beurteilung, ob die strafbare Handlung - die nicht davon abhängig ist, dass bereits eine Verurteilung erfolgt ist (8 ObA 124/02x) - einen Entlassungsgrund nach § 15 Abs 3 lit a BAG bzw § 82 lit d GewO darstellt, kommt es darauf an, ob zufolge des Verhaltens des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber die objektiv gerechtfertigte Befürchtung besteht, dass seine Interessen und Belange durch den Arbeitnehmer gefährdet sind (RIS-Justiz RS0060407; zuletzt 8 ObA 27/03h). Nur bei Diebstahl und Veruntreuung bedarf es keiner Prüfung, ob eine Vertrauensunwürdigkeit für den Arbeitgeber eingetreten ist. Macht sich jedoch der Lehrling einer anderen strafbaren Handlung schuldig, so muss diese, um eine Entlassung zu rechtfertigen, objektiv geeignet sein, den Verlust des Vertrauens des Arbeitgebers herbeizuführen. Ein Lehrling verliert dann das Vertrauen des Arbeitgebers, wenn sich dieser mit Rücksicht auf die strafbare Handlung nicht mehr darauf verlassen kann, dass der Dienstnehmer seine Pflichten getreulich erfüllen werde. Es kommt nicht auf die subjektive Einstellung des Arbeitgebers an, sondern darauf, ob das Verhalten des Dienstnehmers nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise objektiv Vertrauensunwürdigkeit bewirkt (RIS-Justiz RS0114536; RS0060407; RS0052754). Die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung durch den Lehrberechtigten ist eine wesentliche Voraussetzung für die Entlassung des Lehrlings. Dieses Kriterium ermöglicht die Abgrenzung zwischen einem in abstracto wichtigen Entlassungsgrund und einem in concreto geringfügigen Sachverhalt (Kuderna, Entlassungsrecht² 60 ff; RS0107934). Dabei ist auch das bisherige Verhalten zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0060363; vgl auch RIS-Justiz RS0052754; RS0114536; 8 ObA 27/03h).

Nach dem festgestellten Sachverhalt, der dahin zusammenzufassen ist, dass der Kläger, der nach der ersten unbefugten Inbetriebnahme unter Androhung der Entlassung ausdrücklich auf die Gefährlichkeit seiner Handlung hingewiesen worden war, trotzdem am nächsten Tag neuerlich mit dem Fahrzeug des Klägers in der Tiefgarage herumfuhr, kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Beklagte auf künftiges ordnungsgemäßes Verhalten des Klägers nicht mehr vertrauen konnte. Dies umsoweniger als er im Falle eines Unfalls in Anbetracht der ihm nun bekannten Neigung des Klägers wohl damit rechnen musste, zur Haftung herangezogen zu werden.

Der Revisionswerber verweist zutreffend auf die Rechtsprechung, dass Lehrlingen der Ernst der Situation in Bezug auf das Lehrverhältnis entsprechend deutlich vor Augen geführt werden muss, sodass sie erkennen können, eine weitere Pflichtenvernachlässigung könnte Konsequenzen haben (RIS-Justiz RS0052761). Im Sinne dieser Rechtsprechung hat die Ermahnung des Beklagten (wenn er, der Kläger, das noch einmal mache, "fliege er") an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig gelassen. Dass der Beklagte in der Folge zum Kläger auch noch gesagt hat, dieser wisse "eh, jetzt haben wir etwas gut bei dir", bedeutete entgegen der in der Revision vertretenen Rechtsansicht keine signifikante Abschwächung der Abmahnung, sondern eher im Gegenteil, dass der Kläger in der Schuld des Beklagten stehe. Eine Rücknahme der Abmahnung oder gar eine "schulterklopfende Verniedlichung" des Fehlverhaltens des Klägers kann dieser Äußerung nicht entnommen werden.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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