Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung
Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 27. 1. 2000 wurde der Antrag der Klägerin vom 2. 11. 1999 auf Zuerkennung der Invaliditätspension abgelehnt.
Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Klagebegehren ab. Es ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass die am 3. 3. 1943 geborene Klägerin in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 12. 1999) als Raumpflegerin beschäftigt gewesen sei und dieses Dienstverhältnis mit 31. 3. 2000 beendet worden sei. Die Klägerin, die keinen Berufsschutz genieße, sei nach dem medizinischen Leistungskalkül noch in der Lage, verschiedene Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Eine Invalidität der Klägerin nach § 255 Abs 3 ASVG liege daher nicht vor.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin dahin Folge, dass es das Ersturteil im Umfang der Abweisung des auf Gewährung der Invaliditätspension gerichteten Klagebegehrens für den Zeitraum ab 1. 7. 2000 aufhob und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwies. Es sei im Berufungsverfahren nicht mehr strittig, dass die Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung der Invaliditätspension nach § 255 Abs 3 ASVG nicht erfülle. Da die Klägerin jedoch noch vor Schluss der Verhandlung erster Instanz das 57. Lebensjahr vollendet habe, sei auch zu prüfen, ob sie die Voraussetzungen für die Gewährung einer Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG ab dem für diese Leistung frühestmöglichen Stichtag 1. 7. 2000 erfülle. Da das Erstgericht für eine Beurteilung der Invalidität der Klägerin nach § 255 Abs 4 ASVG keinerlei Feststellungen getroffen habe, sei das Verfahren insoweit mangelhaft geblieben.
Das Erstgericht wies auch im zweiten Rechtsgang das noch strittige Klagebegehren auf Gewährung der Invaliditätspension ab 1. 7. 2000 ab. Es stellte ein gegenüber dem ersten Rechtsgang unverändertes medizinisches Leistungskalkül fest. Die Klägerin sei auf Grund dieses Leistungskalküls noch in der Lage, eine Tätigkeit als Reinigungskraft im Bürobereich (Bürobedienerin), welche über weite Bereiche derjenigen einer Bedienerin, Aufräumerin bzw Raumpflegerin entspreche, auszuüben, da diese Tätigkeit mit einer körperlich leichten Belastung verbunden sei. Die Tätigkeit einer Bürobedienerin umfasse das Entleeren von Papierkörben, das Staubwischen und das Bodenkehren. Körperlich anstrengendere Tätigkeiten wie die Bodengrundreinigung und das Fensterputzen zählten nicht zum Aufgabenbereich einer Bürobedienerin, sondern würden von speziellen Arbeitstrupps erledigt. Für derartige Tätigkeiten gebe es österreichweit über 100 Arbeitsplätze.
Der Klägerin wäre auch noch die Tätigkeit einer Geschirrabräumerin in einem Selbstbedienungsrestaurant zumutbar. Bei diesen Arbeiten seien Teller von Essensresten zu säubern, schmutziges Geschirr vorzusortieren, in die Spülmaschine einzuräumen, von dort wieder auszuräumen und sauberes Geschirr zu stapeln. Je nach interner Organisation des Betriebes könne zum Tätigkeitsbereich auch das Einsammeln des gebrauchten Geschirrs unter Zuhilfenahme eines Rollwagens zählen, wobei es bei dieser Tätigkeit zu keinen mittelschweren Hebe- und Tragebelastungen komme. Zu solchen komme es lediglich beim Abwaschen von Schwarzgeschirr, auf welche Tätigkeit die Klägerin nicht mehr verweisbar sei, da es sich dabei um körperlich mittelschwere Arbeiten handle. Waschstraßen für die Reinigung von Weißgeschirr seien nur in Großkantinen vorhanden. Die Arbeit an derartigen Maschinen werde in akkordähnlicher Art ausgeübt. In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass die Klägerin auch nach der Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG nicht invalide sei, weil sie noch die Tätigkeiten einer Reinigungskraft im Bürobereich (Bürobedienerin) verrichten könne. Diese Tätigkeit entspreche im Wesentlichen der von der Klägerin in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag ausgeübten Tätigkeit. Aber auch die Tätigkeit einer Geschirrabräumerin bzw Weißgeschirrwäscherin erfordere keinen Wechsel des arbeitskulturellen Umfeldes. In beiden Fällen handle es sich um Reinigungstätigkeiten, wobei die körperlichen Anforderungen im Wesentlichen ident seien, sodass das Klagebegehren auch für den Zeitraum ab 1. 7. 2000 nicht berechtigt sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die Klägerin bekämpfe in ihrer Tatsachen- und Beweisrüge die Feststellung des Erstgerichtes, wonach sie auf Grund des medizinischen Leistungskalküles noch zur Verrichtung der Tätigkeiten einer Bürobedienerin und Geschirrabräumerin in einem Selbstbedienungsrestaurant imstande sei, als unrichtig. Sie begehre unter Hinweis auf das neurologische Gutachten die Feststellung, dass sie nur mehr zur Hälfte der Arbeitszeit Arbeiten im Stehen und Gehen verrichten könne und sie daher die Tätigkeiten einer Bürobedienerin oder einer Geschirrabräumerin, welche nahezu ausschließlich im Stehen und Gehen zu verrichten sei, nicht mehr ausüben könne. Das Verfahren sei nach Ansicht der Klägerin mangelhaft geblieben, weil das Erstgericht nicht von Amts wegen einen Widerspruch zwischen dem neurologischen Gutachten und dem Zusammenfassungsgutachten aufgeklärt habe, welcher darin bestehe, dass eine im neurologischen Gutachten enthaltene Einschränkung, wonach die Klägerin zur Hälfte der Arbeitszeit sitzend arbeiten müsse, in das den Feststellungen des Erstgerichtes zugrundeliegende Zusammenfassungsgutachten keinen Eingang gefunden habe.
Das Berufungsgericht vertrat dazu die Auffassung, dass auf diese Ausführungen nicht einzugehen sei, weil die Frage des medizinischen Leistungskalküls der Klägerin bereits im ersten Rechtsgang abschließend beurteilt worden sei und Gegenstand des zweiten Rechtsganges nur die Frage des beruflichen Werdeganges der Klägerin sei. Bereits im ersten Rechtsgang abschließend erledigte Streitpunkte dürften jedoch nach ständiger Rechtsprechung im zweiten Rechtsgang nicht wieder aufgerollt werden. Ausgehend vom festgestellten Leistungskalkül könne die Klägerin die ihr jedenfalls zumutbare Verweisungstätigkeit einer Bürobedienerin noch verrichten, weshalb sie nicht invalide im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG sei. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Stattgebung des noch strittigen Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Sinne ihres Eventualantrages berechtigt. Die Klägerin macht in ihrer Revision mit Recht geltend, dass das Berufungsgericht im zweiten Rechtsgang die Behandlung ihrer Mängel- und Beweisrüge zu Unrecht abgelehnt hat. Das Berufungsgericht ging in seinem Aufhebungsbeschluss zutreffend davon aus, dass im vorliegenden Verfahren die Gesetzesänderung des § 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000 zu berücksichtigen ist (vgl 10 ObS 199/02s; 10 ObS 302/01m ua) und daher auch zu beurteilen ist, ob die Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung einer Invaliditätspension nach dieser Gesetzesstelle ab dem für diese Leistung frühestmöglichen Stichtag 1. 7. 2000 erfüllt. Das Berufungsgericht hob die Entscheidung des Erstgerichtes deshalb auf, weil das Erstgericht für die Beurteilung der Invalidität nach § 255 Abs 4 ASVG keinerlei Feststellungen getroffen habe. Wird das Ersturteil wegen Feststellungsmängeln gemäß oder in sinngemäßer Anwendung von § 496 Abs 1 Z 3 ZPO aufgehoben, tritt das Verfahren in der Regel in den Stand vor Schluss der Verhandlung erster Instanz zurück, sodass die Parteien wieder grundsätzlich alle ihnen im erstinstanzlichen Verfahren bis dahin zustehenden Befugnisse wahrnehmen, vor allem also neue Tatsachen vorbringen und neue Beweismittel anbieten, Behauptungen des Gegners, zu welchen sie sich bisher nicht geäußert haben, bestreiten und nicht zuletzt auch das Begehren ergänzen oder ändern können. Lediglich die Beantwortung jener Fragen, die vom Rechtsmittelgericht, das die Aufhebung verfügt hat, auf der Grundlage des gegebenen Sachverhaltes bereits abschließend entschieden wurden, kann nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Abschließend erledigte Streitpunkte können im fortgesetzten Verfahren somit nicht mehr aufgerollt werden (MGA, ZPO15 ENr 44 zu § 496 mwN; Kodek in Rechberger, ZPO2 Rz 5 zu § 496 mwN; RIS-Justiz RS0042435, 0042031; SSV-NF 13/28 uva). Eine Ausnahme wird nur für solche Tatsachen zugelassen, die nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtsgang neu entstanden sind (MGA aaO ENr 45 mwN ua).
Bei Prüfung eines Pensionsanspruches wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ist auch in den Fällen des § 255 Abs 4 ASVG vorerst ein medizinisches Leistungskalkül zu erheben. Sodann ist unter Beachtung der Ergebnisse dieses Leistungskalküls das Verweisungsfeld zu prüfen, und es sind die damit verbundenen Anforderungen in möglichst detaillierter Form festzustellen. Durch Vergleich des medizinischen Leistungskalküls mit den Feststellungen über die psychischen und physischen Anforderungen, die die Verweisungstätigkeiten stellen, ist sodann die Frage zu lösen, ob der Versicherte im Hinblick auf die Ergebnisse des medizinischen Leistungskalküls zur Verrichtung der in Frage kommenden Verweisungstätigkeiten in der Lage ist (vgl SSV-NF 1/11 ua). Schon diese Ausführungen zeigen, dass das medizinische Leistungskalkül bei der Prüfung eines Pensionsanspruches wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nur eine der beiden wesentlichen Komponenten dieses Prüfungsverfahrens darstellt und ihm daher keine eigenständige Bedeutung in dem vom Berufungsgericht offenbar vertretenen Sinn zukommen kann. Es hat auch das Berufungsgericht in seinem Aufhebungsbeschluss nicht zum Ausdruck gebracht, dass es die Frage des medizinischen Leistungskalküls für bereits abschließend geklärt erachtet. Dies wäre auch insofern problematisch, als der von der Klägerin nunmehr begehrten Einschränkung ihres medizinischen Leistungskalküls im ersten Rechtsgang im Hinblick auf die weiteren in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine entscheidungswesentliche Bedeutung zugekommen wäre. Hätte nämlich die Klägerin ihr im zweiten Rechtsgang zur Mängel- und Beweisrüge erstattetes Berufungsvorbringen bereits in der im ersten Rechtsgang erhobenen Berufung geltend gemacht, wäre ihr wohl mit Recht entgegengehalten worden, dass dieses Vorbringen im Rahmen der vom Erstgericht allein auf die Bestimmung des § 255 Abs 3 ASVG gestützten rechtlichen Beurteilung nicht entscheidungswesentlich sei, da für sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt neben der Tätigkeit einer Geschirrabräumerin in Selbstbedienungsrestaurants auch noch die anderen angeführten Verweisungstätigkeiten in Betracht kommen und bereits das Vorliegen eines einzigen Verweisungsberufes Invalidität ausschließt. Für die Beurteilung der Frage einer möglichen Verweisung nach § 255 Abs 4 ASVG fehlten jedoch ausreichende Feststellungen des Erstgerichtes, insbesondere Feststellungen über konkrete nach dieser Gesetzesstelle in Betracht kommende Verweisungstätigkeiten. Die weitere für die Klägerin nach § 255 Abs 4 ASVG nunmehr in Betracht kommende Verweisungstätigkeit der Bürobedienerin wurde überhaupt erstmals im zweiten Rechtsgang Gegenstand des Verfahrens. Die Berufungsgründe sind aber - abgesehen von hier nicht vorliegenden Nichtigkeitsgründen - nicht losgelöst und isoliert vom Sachverhalt des Rechtsstreites, sondern vor dem Hintergrund des maßgeblichen Prozessstoffes zu behandeln. Werden also wie im vorliegenden Fall infolge einer von der des Erstgerichtes abweichenden rechtlichen Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht Feststellungen des Erstgerichtes erst im zweiten Rechtsgang relevant, so muss das Berufungsgericht, wenn es nicht einen Verfahrensmangel hervorrufen will, zur Richtigkeit dieser erstmals im zweiten Rechtsgang bekämpften Feststellungen Stellung nehmen (vgl EvBl 1957/303). Damit ist aber der Auffassung des Berufungsgerichtes, die Richtigkeit der Feststellungen zum medizinischen Leistungskalkül der Klägerin und zu der damit verbundenen Frage, ob die Klägerin die Tätigkeiten einer Bürobedienerin oder einen Geschirrabräumerin in Selbstbedienungsrestaurants auf Grund ihres Leistungskalküls noch verrichten könne, seien im zweiten Rechtsgang nicht mehr zu überprüfen, nicht zu folgen. Die Klägerin macht zutreffend als Verfahrensmangel geltend, dass das Berufungsgericht die in der Berufung enthaltene Mängel- und Beweisrüge nicht erledigt hat. Vor vollständiger Klärung des Sachverhaltes durch die Tatsacheninstanzen ist zu den rechtlichen Erwägungen der Vorinstanzen nicht Stellung zu nehmen.
Das Berufungsgericht wird daher über die Berufung neuerlich zu entscheiden haben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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