OGH 4Ob2327/96a

OGH4Ob2327/96a12.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Melanie W*****, wegen Antrags des Kindesvaters Harald W*****, auf Unterhaltsherabsetzung, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Minderjährigen, vertreten durch die Mutter Heidemarie W*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 23. August 1996, GZ 13 R 333/96x-46, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 17.Juni 1996, GZ 5 P 2401/95t-41, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die am 23.11.1985 geborene mj.Melanie W***** lebt im Haushalt der Kindesmutter. In einem anläßlich der Ehescheidung der Eltern abgeschlossenen Vergleich verpflichtete sich der Vater zu einer Unterhaltsleistung von S 4.000 mtl für das Kind und weiteren S 4.000 mtl für die geschiedene Ehegattin. Der Unterhalt für die Ehegattin wurde auf sieben Jahre ab Ehescheidung befristet. Vergleichsgrundlage war ein monatliches Nettoeinkommen des Vaters von 25.000 S (12 x jährlich).

Der Vater war im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses als Schichtarbeiter bei der VOEST tätig. Er schied mit 30.4.1994 auf eigenen Wunsch aus diesem Unternehmen aus. Ein im Verfahren auf Herabsetzung des Unterhalts der geschiedenen Ehegattin zu 5 C 19/95 des Bezirksgerichtes Linz eingeholtes fachärztliches Gutachten vom 26.4.1995 hat ergeben, daß dem Vater leichte bis mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen ohne das übliche Ausmaß überschreitende Arbeitspausen zumutbar sind, er Akkord-, Nacht- und Schichtarbeit jedoch vermeiden sollte. Die Kündigung des Vaters war nicht im Interesse des Arbeitgebers, der Arbeitsplatz wurde nachbesetzt. Im Falle einer Kündigung durch den Arbeitgeber hätte der Vater eine Abfertigung von S 125.401 netto erhalten. Er ist seit 1.5.1994 als Fernmeldemonteur bei der Post beschäftigt, besucht gleichzeitig einen Studienberechtigungslehrgang an der Johannes Kepler-Universität Linz und hat einige Prüfungen positiv abgelegt.

Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen des Vaters betrug vom 1.5. bis 31.12.1994 S 15.107, vom 1.1. bis 30.11.1995 S 16.670 und ab 1.12.1995. bis 31.3.1996 S 15.542.

Am 1.9.1994 stellte der Vater einen Antrag auf Herabsetzung des Kindesunterhalts ab 1.5.1994 auf monatlich S 2.125. Er habe aus gesundheitlichen Gründen die Tätigkeit als Schichtarbeiter bei der VOEST nicht mehr ausüben können und sei seit 1.5.1994 als Fernmeldemonteur bei der Post beschäftigt. Sein Nettoeinkommen betrage durchschnittlich S 13.284,13 mtl.

Die Mutter sprach sich gegen eine Unterhaltsherabsetzung aus. Die Kündigung gehe zu Lasten des Unterhaltspflichtigen. Er sei auf sein bisheriges Einkommen anzuspannen. Auch habe er sich die aus der Kündigung ergebenden Konsequenzen (Verlust der Abfertigung) anrechnen zu lassen.

Das Erstgericht setzte den Unterhalt ab 1.1.1995 bis 30.11.1995 auf S

3.100 und ab 1.12.1995 auf S 3.500 herab, wobei es von einer unrichtigen Unterhaltsbemessungsgrundlage ausging.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kindes nicht, dem Rekurs des Vaters jedoch teilweise Folge und setzte die Unterhaltsleistung herab: Vom 1.5.1994 bis 31.12.1994 auf S 2.500, vom 1.1.1995 bis 30.11.1995 auf S 2.700 und ab 1.12.1995 auf S 2.800. Das Rekursgericht legte seiner Berechnung die Prozentmethode zugrunde und sprach bis zur Beendigung des 10.Lebensjahres 16 % (das sind 18 abzüglich 2 % wegen der Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Kindesmutter) und danach 18 % (= 20 - 2 %) der Unterhaltsbemessungsgrundlage zu. Die nicht unerhebliche Einkommensminderung bilde eine wesentliche Änderung. Der Vater sei nicht anzuspannen. Daß er auf den Bezug der Abfertigung verzichtet hätte, wenn die Voraussetzungen hiefür vorgelegen wären, könne nicht angenommen werden.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Minderjährigen ist zulässig, weil zu der hier entscheidungswesentlichen Frage der Anspannung des Unterhaltsverpflichteten auf eine Abfertigung, die ihm bei Geltendmachung eines wichtigen Grundes zum vorzeitigen Austritt gebührt hätte, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt.

Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Unterhaltsregelungen, so auch Unterhaltsvereinbarungen durch Vergleich, unterliegen der Umstandsklausel (ÖA 1992, 157; EFSlg 68.421). Wesentliche Änderungen der maßgeblichen Verhältnisse, insbesondere der finanziellen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, führen zur Neufestsetzung des Unterhalts (Purtscheller/Salzmann Unterhaltsbemessung Rz 295 mwN; EFSlg 68.423), wobei sich die Unterhaltsbemessung einerseits nach den Bedürfnissen des Unterhaltsberechtigten und andererseits nach der konkreten Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen richtet (Schwimann, Unterhaltsrecht 35; Purtscheller/Salzmann aaO Rz 222 mwN).

Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat (JBl 1991, 40 = ÖA 1991, 78; RZ 1991/26; RZ 1991/50; ÖA 1994, 99 und 94; ÖA 1994, 191 f 84 ua; 7 Ob 503/95; siehe auch Schwimann aaO 33), bietet § 140 ABGB keine Grundlage für die Anwendung eines bestimmten Systems der Unterhaltsbemessung. Diese Bestimmung verknüpft die Bedürfnisse des Kindes mit den Lebensverhältnissen der Eltern und deren Verpflichtung, zum Unterhalt nach Kräften beizutragen. Maßgeblich sind daher die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten einerseits und die konkrete Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen andererseits. Eine Unterhaltsbemessung in der Höhe des jeweiligen Regelbedarfs ohne Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der Kindeseltern stehe daher mit dem Gesetz nicht in Einklang.

Das Rekursgericht hat die Bedürfnisse der Unterhaltsberechtigten unter Heranziehung des Durchschnittsbedarfs gleichaltriger Kinder ermittelt, ist jedoch aufgrund der nach der Prozentmethode ermittelten konkreten Leistungsfähigkeit des unterhaltsverpflichteten Vaters zu einer Unterhaltsbemessung in Höhe von 16 % bzw 18 % des väterlichen Nettoeinkommens gelangt. Der so errechnete Betrag liegt im gegenständlichen Fall unter dem Regelbedarfssatz gleichaltriger Kinder. Die Anwendung der Prozentmethode durch das Rekursgericht entspricht mit Rücksicht auf das unterdurchschnittliche Einkommen des Vaters ab 1.5.1994 und seine Sorgepflicht für die geschiedene Ehegattin der Rechtsprechung des erkennenden Senates (zuletzt 4 Ob 2285/96z). Auch das im Scheidungsvergleich festgelegte Verhältnis der Unterhaltsleistung von S 4.000 zum damaligen Nettoeinkommen von S 25.000 monatlich (das sind 13 %) spricht für sich allein nicht gegen die Angemessenheit der vom Rekursgericht angenommenen Herabsetzung (vgl RZ 1992/58; ÖA 1992, 157).

Allerdings ist Grundlage der Unterhaltsbemessung das tatsächliche oder durch Anspannung erzielbare Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen (Purtscheller/Salzmann aaO Rz 222). Bei Einkommensminderung infolge eines Beschäftigungswechsels ist der Unterhaltspflichtige auf das bisherige Einkommen anzuspannen, wenn er seine bisher gut entlohnte Beschäftigung ohne triftigen Grund aufgegeben und dadurch die Unterhaltsbemessungsgrundlage entscheidend reduziert hat (ÖA 1991, 43 U 17). Das trifft aber hier nicht zu, da gerechtfertigte Gründe für einen Wechsel des Arbeitsplatzes vorlagen.

Die von der Revisionsrekurswerberin relevierte Frage, ob die für den Berufswechsel kausale Erkrankung schon im Zeitpunkt des Unterhaltsvergleiches aufgetreten war, ist bedeutungslos. Entscheidend ist allein, daß die Erkrankung schon aufgetreten war, als der Unterhaltspflichtige aus diesem Grund den einkommensmindernden Berufswechsel vornahm. Unmittelbarer Grund für die Unterhaltsherabsetzung ist nicht die Erkrankung, sondern der infolge der Erkrankung (später) eingetretene Einkommensverlust.

Die Revisionsrekurswerberin führt aber auch ins Treffen, daß es der Unterhaltspflichtige verabsäumt habe, die für den Fall eines gerechtfertigten vorzeitigen Austritts zustehende Abfertigung in Anspruch zu nehmen. Er sei daher auf die Höhe dieser Abfertigung anzuspannen.

Gemäß § 25 AngG kann ein Dienstverhältnis von jedem Teil aus wichtigem Grund gelöst werden; dem Arbeitnehmer gebührt auch im Falle des begründeten vorzeitigen Austritts eine Abfertigung (§ 23 Abs 7 AngG; Dittrich/Tades, AngG20 Rz 22 zu § 23 Abs 7 AngG; Martinek/M.Schwarz/W.Schwarz, AngG7, 493 mwN). Er verliert diese auch dann nicht, wenn er zwar kündigt, jedoch ein Austrittsgrund im Sinn des § 26 AngG vorliegt und als Grund für die Kündigung angegeben wird (DRdA 1993, 220 mwN; Martinek/M.Schwarz/W.Schwarz aaO 493 mwN).

Als wichtiger Grund im Sinn des § 26 AngG ist insbesondere anzusehen, daß der Angestellte zur Fortsetzung seiner Dienstleistung unfähig wird oder diese ohne Schaden für seine Gesundheit nicht fortsetzen kann (§ 26 Z 1 AngG). Ein vorzeitiger Austritt ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn der Dienstgeber dem Angestellten eine andere, seiner Gesundheit nicht abträgliche Vewendung anbietet, die im Rahmen der durch den Anstellungsvertrag übertragenen Tätigkeitsbereiche liegt (DRdA 1990, 226; Martinek/M.Schwarz/W.Schwarz aaO 562 f).

Im vorliegenden Fall beruft sich der Unterhaltspflichtige zur Begründung des Berufswechsels darauf, er habe die bisher verrichtete Schichtarbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausführen können. Da dies im wesentlichen auch aus dem vom Erstgericht eingeholten fachärztlichen Gutachten hervorgeht, ist wahrscheinlich, daß er die Möglichkeit gehabt hätte, aufgrund seiner Erkrankung vorzeitig auszutreten oder unter Hinweis auf einen Austrittsgrund zu kündigen und dadurch die Abfertigung zu erhalten. Träfe dies zu, wäre die Abfertigung nach herrschender Rechtsprechung in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen und entsprechend dem vom Obersten Gerichtshof wiederholt betonten Überbrückungscharakter der Abfertigung (vgl 5 Ob 512/94) auf soviele Monate aufzuteilen, daß dadurch der Einkommensverlust durch den Berufswechsel ausgeglichen wird (vgl 3 Ob 183/94). Der Oberste Gerichtshof hat dies damit begründet, daß beträchtliche Einmalzahlungen wie Abfertigungen bei wirtschaftlich sinnvoller Betrachtungsweise dazu dienen, für einen längeren Zeitraum Vorsorge für ein höheres Einkommen zu treffen. Das unterhaltsberechtigte Kind sei berechtigt, an diesen Einkünften im Rahmen seiner Lebensverhältnisse teilzuhaben (vgl 1 Ob 504/95 = ÖA 1995,124). Der Senat teilt diese Ansicht.

Maßgebend für die Anwendung des Anspannungsgrundsatzes ist die nach den konkreten Umständen dem Unterhaltspflichtigen mögliche und zumutbare Bemühung zur Erzielung eines bestimmten Einkommens (Schwimann aaO 53). Ein Verzicht auf die Geltendmachung einer nach den Umständen zustehenden Abfertigung darf genauso wenig wie ein - nicht aus besonders berücksichtigungswürdigen Umständen erzwungener - Verzicht auf die Erzielung eines höheren Einkommens (vgl ÖA 1994, 192) zu Lasten des Unterhaltsberechtigten gehen. Die Anspannung setzt in beiden Fällen eine dem Unterhaltspflichtigen vorwerfbare Pflichtverletzung voraus, wobei leichte Fahrlässigkeit genügt. Beurteilungsmaßstab ist hiebei das Verhalten eines pflichtgetreuen Elternteiles. Ein solcher wäre im Falle eines krankheitsbedingten Berufswechsels bemüht gewesen, sein Recht auf vorzeitigen Austritt (oder Kündigung unter ausdrücklichem Hinweis auf den Austrittsgrund) zu wahren und sich damit den Anspruch auf die Abfertigung zu sichern, um die Einkommensminderung möglichst gering zu halten.

Waren aber die Voraussetzungen für einen vorzeitigen Austritt gegeben und wäre dem Vater daher eine Abfertigung zugestanden, die er nur deshalb nicht erhalten hat, weil er es versäumt hatte, sich diesen Anspruch durch eine entsprechende Gestaltung seiner Auflösungserklärung zu wahren, wäre die Abfertigung in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen. Ein solches Verhalten wird auch in aller Regel als fahrlässig zu beurteilen sein. Im vorliegenden Fall müßte es dem Vater leicht möglich gewesen sein, über seine Ansprüche bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen Erkundigungen - etwa beim Betriebsrat - einzuziehen.

Die bisherigen Verfahrensergebnisse reichen jedoch noch nicht zur Beurteilung der Frage aus, ob der Vater einen Anspruch auf die Abfertigung gehabt hätte, so daß die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen ist.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht mit den Beteiligten zu erörtern und festzustellen haben, ob dem Unterhaltspflichtigen eine Abfertigung infolge Vorliegens eines wichtigen Grundes nach § 26 Z 1 AngG und gegebenenfalls in welcher Höhe gebührt. Hiebei wird auch zu klären sein, ob der frühere Dienstgeber dem Unterhaltspflichtigen einen anderen, im Rahmen des Arbeitsvertrages liegenden, zumutbaren Arbeitsplatz ohne Schichtarbeit usw angeboten hätte, wenn der Unterhaltspflichtige den Dienstgeber vor der Auflösung des Arbeitsverhältnisses informiert hätte, daß er die bisherige Tätigkeit ohne Gefahr für seine Gesundheit nicht fortsetzen könne. In diesem Fall wäre der Vater auf das Einkommen anzuspannen, das er im fortgesetzten Dienstverhältnis bei der VOEST voraussichtlich bezogen hätte.

Zu erörtern und festzustellen wird auch sein, aus welchen Gründen der Vater von der Möglichkeit des vorzeitigen Austritts (bzw der den Abfertigungsanspruch wahrenden Kündigung) nicht Gebrauch gemacht hat.

Dem Revisionsrekurs der Unterhaltsberechtigten war daher Folge zu geben.

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