OGH 9ObA253/01y

OGH9ObA253/01y23.1.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Schenk und Georg Eberl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Vincent E*****, Pflegehelfer, ***** vertreten durch Dr. Andreas Löw und Dr. Ingo Riß, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter-Straße 65-67, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 20 Cga 216/98z des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien (Streitwert S 211.595,45 brutto sA), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Juli 2001, GZ 8 Ra 180/01a-11, mit dem infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 6. März 2001, GZ 20 Cga 199/00f-6, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens über die Wiederaufnahmsklage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekurs- und des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Urteil vom 26. 6. 2000 bejahte das Erstgericht im Vorprozess die Rechtfertigung der Entlassung des Klägers wegen Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 AngG und wies sein Klagebegehren über S 211.595,45 brutto sA ab (20 Cga 216/98z). Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge (8 Ra 381/00h). Seine Revision blieb erfolglos (9 ObA 130/01k).

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger begehrte gestützt auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO die Wiederaufnahme des Verfahrens und macht geltend, er habe sich schon im wiederaufzunehmenden Verfahren auf einen Zeugen mit dem Familiennamen "Karl" berufen, habe jedoch damals weder dessen richtigen Vornamen noch die Anschrift gekannt. Die Beklagte habe sich geweigert, die Daten dieses Zeugen - es habe sich um einen Patienten der Beklagten gehandelt - bekanntzugeben. Es sei daher für den Kläger nahezu unmöglich gewesen, den Zeugen nur auf Grund seines Familiennamens ausfindig zu machen. Dem Beweisantrag des Klägers sei daher nicht entsprochen worden. Erst nach Schluss der Verhandlung habe er durch Zufall mit Hilfe eines Dritten die Telefonnummer dieses Zeugen und letztlich die fehlenden und richtigen Personaldaten in Erfahrung bringen können. Der Kläger sei sohin ohne sein Verschulden außer Stande gewesen, dieses Beweismittel im Vorprozess zu gebrauchen. Die Entlassung sei erfolgt, weil der Kläger, dessen Sachverhaltsversion im Vorprozess kein Glauben geschenkt worden sei, einen Patienten pflichtwidrig misshandelt haben solle. Der ausfindig gemachte Zeuge Karl sei ein Bettnachbar dieses Patienten gewesen und könne die Version des Klägers bestätigen.

Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage nach Äußerung der Beklagten zurück. Im Vorprüfungsverfahren sei zwar in der Regel nicht darüber zu entscheiden, ob der Wiederaufnahmskläger ohne Verschulden außer Stande gewesen sei, ein Beweismittel im Vorprozess zu verwenden; davon könne jedoch nach Vorliegen der Berufungsentscheidung im Vorprozess eine Ausnahme gemacht werden. Nach den Ausführungen des Berufungsgerichtes (zur Mängelrüge des Klägers im Vorprozess) wäre es dem Kläger nämlich bei entsprechender Bemühung durchaus möglich gewesen, Name und Anschrift des Zeugen zu benennen. Die Wiederaufnahmsklage sei daher nach § 530 Abs 2 ZPO unzulässig.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Wiederaufnahmskläger sei hinsichtlich des fehlenden Verschuldens an der verspäteten Namhaftmachung des Zeugen beweispflichtig. Der bloße Hinweis auf Schwierigkeiten bei der Ausforschung des Zeugen genüge nicht. Der Kläger hätte vielmehr vorzubringen gehabt, welche konkreten Anstrengungen er tatsächlich unternommen habe, den Aufenthalt des Zeugen zu ermitteln. Es sei zwar nicht Sache des Rekursgerichtes, die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten aufzuzeigen, doch sei etwa auf die Möglichkeit, die Telefonnummer via Internet ("Herold Österreich") ausfindig zu machen, hinzuweisen; dabei genüge schon die ungefähre Kenntnis des Vornamens. Dass diese Ausforschung mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden sei, ändere nichts an der prozessualen Diligenzpflicht des Wiederaufnahmsklägers. Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Wiederaufnahmsklage zugelassen und das Wiederaufnahmsverfahren bewilligt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, dem Revisionrekurs nicht Folge zu geben. Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, kann auf Antrag einer Partei wieder aufgenommen werden, wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde (§ 530 Abs 1 Z 7 ZPO). Wegen dieser Umstände ist die Wiederaufnahme aber nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen (§ 530 Abs 2 ZPO). Das Gericht hat vor Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung zu prüfen, ob die Klage auf einen der gesetzlichen Anfechtungsgründe (§§ 529 bis 431 ZPO) gestützt und in der gesetzlichen Frist erhoben worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse oder ist die Klage wegen anderer, hier nicht relevanter Gründe unzulässig, so ist sie als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet durch Beschluss zurückzuweisen (§ 538 Abs 1 ZPO).

Im Vorprüfungsverfahren (§ 538 ZPO) ist - wie schon das Erstgericht richtig erkannte - in aller Regel nicht darüber zu entscheiden, ob der Wiederaufnahmskläger ohne sein Verschulden außerstande war, Beweismittel im Vorprozess zu verwenden (RdW 1992, 248; RIS-Justiz RS0044639. Die Prüfung der Verschuldensfrage ist Gegenstand der nach mündlicher Verhandlung zu fällenden Entscheidung über die Wiederaufnahme und nicht des Erneuerungsverfahrens (RIS-Justiz RS0044565). Die Frage, ob die Klage gemäß § 530 Abs 2 ZPO unzulässig ist, kann nur dann schon im Vorverfahren erledigt werden, wenn Angaben des Wiederaufnahmsklägers darüber, dass die Geltendmachung der neuen Tatsachen und Beweismittel im Vorprozess ohne sein Verschulden unmöglich gewesen sei, gänzlich fehlen oder sich schon aus den Parteiangaben ein Verschulden ergibt (Fasching IV 520; EvBl 1973/163; JBl 1979, 268; 1 Ob 375/97x; 1 Ob 270/98g; 8 Ob 272/00h; RIS-Justiz RS0044558, RS0044639).

Beides ist hier nicht der Fall. Weder fehlen überhaupt Angaben des Klägers zum mangelnden Verschulden, noch kann davon die Rede sein, dass sich aus seinem Vorbringen bereits das Verschulden an der Nicht-Geltendmachung eines vollständigen, gesetzmäßig ausgeführten Beweisantrages ergibt. Aus den Überlegungen des Berufungsgerichtes im Vorprozess zur Mängelrüge des Klägers in der Berufung gegen das abweisende Urteil ergibt sich entgegen der Auffassung des Erstgerichtes keine Bindung für die Zulässigkeit der Wiederaufnahmsklage im nachfolgenden Wiederaufnahmsverfahren. Da dem Klagevorbringen - entgegen der Auffassung der Revisionsrekursgegnerin - auch nicht von vornherein die abstrakte Eignung abzusprechen ist, eine Änderung der Entscheidung im Hauptprozess herbeizuführen (RdW 1992, 248; RIS-Justiz RS0044631), ist dem Revisionsrekurs stattzugeben, sind die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und ist dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens über die Wiederaufnahmsklage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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