OGH 10ObS124/01k

OGH10ObS124/01k12.6.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Hübner und Dr. Michael Braun (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helmut R*****, Fleischer, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Paul Bachmann, Dr. Eva-Maria Bachmann und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. März 2001, GZ 8 Rs 12/01y-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. August 2000, GZ 31 Cgs 198/99w-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 19. 9. 1944 geborene Kläger hat nach Beendigung der Pflichtschule den Beruf eines Fleischers erlernt und später auch die Meisterprüfung abgelegt. Er arbeitete bis zum Dezember 1977 als unselbständiger und von diesem Zeitpunkt bis Juni 1997 als selbständiger Fleischer. Von Juli 1997 bis 30. 6. 1999 bezog der Kläger eine befristete Erwerbsunfähigkeitspension.

Der Kläger besitzt Gewerberechtigungen zum Führen des Fleischergewerbes und des Handelsgewerbes (Kleinhandel mit Lebens- und Genussmitteln). Sein Betrieb umfasste einen Hauptbetrieb (Produktion) und zwei Filialen (Verkaufsstellen), in denen die im Hauptbetrieb erzeugten Produkte vertrieben wurden. Mehr als 90 % des Umsatzes wurden aus der Fleischerei, der Rest aus dem Handelsgewerbe erwirtschaftet. Neben dem Kläger waren in den Jahren 1992 bis einschließlich 1996 jeweils 22 bis 32 Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt. Im Fleischerbetrieb waren 7 gelernte Fleischergesellen sowie 3 Helfer tätig. Die weiteren Arbeitskräfte verteilten sich auf die Verkaufsstellen. Im Jahr 1993 oder 1994 absolvierte der Sohn des Klägers die Meisterprüfung. Bis zu jenem Zeitpunkt war der Kläger der einzige Meister im Betrieb. Mit 1. 7. 1997 übernahm der Sohn des Klägers den Betrieb (nach Umwandlung des Unternehmens in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung). Der Sohn, der den Kläger im Bedarfsfall als Betriebsleiter vertreten hat, arbeitete jeweils zur Hälfte im Fleischerbetrieb und im Verkauf. Das Wursten erfolgte durch den Sohn des Klägers und einen weiteren Gesellen sowie vertretungsweise auch durch den Kläger. Die übrigen Gesellen unterteilten sich in einen Selcher, einen Spritzenburschen (Wurstfüllen), zwei Tafelburschen (Warenverkauf, fertig herrichten), zwei Ausbeinler (Schlachtkörper zerlegen). Weiters war ein Geselle als Stockbursch in einer Verkaufsfiliale eingesetzt, wobei dieser als Verkäufer entlohnt wurde. Die Hilfsarbeiter haben Zustell- bzw Reinigungsarbeiten ausgeführt.

Der Kläger arbeitete von Montag bis Samstag jeweils ca 12 bis 14 Stunden täglich, wobei er ca ein Drittel der Arbeitszeit mit Kontroll-, Aufsichts-, Kalkulations- und Buchhaltungsarbeiten verbrachte, ein Drittel der Arbeitszeit mit Fleischerarbeiten (Zerlegen, Maschinenbedienung) und ca ein Drittel mit Einkauf, Auswahl und Sortieren der Waren. Am Samstag arbeitete der Kläger im Verkauf mit. Im Übrigen zerlegte der Kläger Schlachttierhälften, wobei Schweinehälften etwa 45 bis 50 kg und Rinderviertel etwa 90 bis 100 kg wiegen. Es wurden wöchentlich ca 6 bis 8 Tonnen Fleisch zerlegt. Der Einkauf erfolgte im Schlachthof, wo der Kläger die Waren aussuchte. Der Kläger hätte jedoch ebenfalls die Möglichkeit gehabt, sich die Waren vom Schlachthof zustellen zu lassen. Er hätte in diesem Fall allerdings die Ware (Qualität) nicht selbst aussuchen können. Im Zuge seiner Einkaufstätigkeit im Schlachthof markierte der Kläger die Fleischstücke. Obwohl er die Möglichkeit gehabt hätte, wartete er nicht, bis ein Beschäftigter des Schlachthofes kam und ihm half, die Fleischstücke vom Haken zu nehmen, sondern der Kläger verrichtete diese Arbeiten selbst. Zum Zwecke des Einkaufes fuhr der Kläger drei- bis viermal am Montag, ein- bis zweimal am Dienstag und je einmal von Mittwoch bis Freitag zum Schlachthof. Ungefähr 1995 begann der Kläger seinen Sohn im Einkauf anzulernen.

Der Kläger kann auf Grund seines näher beschriebenen Leidenszustandes nur mehr leichte körperliche Arbeiten im Sitzen und Stehen ganztägig verrichten, wobei das Heben und Tragen von Lasten mit einem Gewicht von 5 kg beschränkt ist. Weiters sind dem Kläger keine Tätigkeiten zumutbar, welche eine Überstreckung bzw Abwinkelung des rechten und linken Handgelenkes erfordern. Es sind aus diesem Grund keine Schneidearbeiten mit einem Messer, Arbeiten mit einem Hackbeil oder Aufschnitttätigkeiten zumutbar. Das selbständige Herabnehmen eines Fleischstückes von Überkopfhöhe von einem Haken ist ebenfalls nicht zumutbar. Alle Arbeiten können nur zu ebener Erde geleistet werden. Arbeiten im Gehen sind um ein Drittel eines Arbeitstages zu verkürzen. Bück- und Hebearbeiten sind um die Hälfte zu reduzieren. Überkopfarbeiten sind um ein Drittel zu verkürzen und gleichmäßig zu verteilen. Ein Fußanmarschweg ist mit 1500 m zu begrenzen. Arbeiten im Knien und Hocken scheiden aus. Akkord- und Fließbandarbeiten sind nicht zumutbar. Ein forciertes Arbeitstempo ist bis zu zwei Drittel eines Arbeitstages möglich. Ein normales Arbeitstempo kann ganztägig eingehalten werden. Nachtschichtarbeiten scheiden aus.

Die Tätigkeiten eines selbständigen Fleischermeisters sind mit einer leichten bis fallweise mittelschweren körperlichen Belastung verbunden. Im Gewerbe und im Handel sind zudem fallweise schwere Lasten zu transportieren, vom Haken zu nehmen usw. Für einen Betriebsinhaber besteht jedoch die Möglichkeit, den Transport mittelschwerer und schwerer Lasten an Mitarbeiter zu delegieren. Hebearbeiten kommen in Summe bis zu einem Drittel der Arbeitszeit vor. Die Tätigkeiten werden öfters bis häufig (zur Hälfte bis zu zwei Dritteln) im Stehen, von Gehen unterbrochen sowie fallweise bis öfters (ein Drittel bis zu einer Hälfte) im Sitzen ausgeführt. Eine gebückte Körperhaltung ist nur kurzfristig und in Summe unter 10 % der täglichen Arbeitszeit einzunehmen. Tätigkeiten in exponierten Lagen oder auf Steighilfen sind ebensowenig berufstypisch wie fein manuelle Tätigkeiten. Auch Überkopfarbeiten sind für den Betriebsleiter nicht zwingend notwendig. Ein Überstrecken der Handgelenke ist jedoch notwendig. Vom Betriebsleiter ist fallweise ein forciertes Arbeitstempo zur Abdeckung von Belastungsspitzen zu erbringen. Nachtschichtarbeiten sind nicht berufstypisch.

Der Kläger ist ausgehend von der bisherigen Betriebsstruktur nicht mehr in der Lage, seiner bisherigen Tätigkeit ohne Gefährdung seiner Gesundheit nachzugehen. Er könnte nur mehr fachlich leitende, organisatorische, qualitätssichernde, dispositive, kontrollierende und kaufmännische Tätigkeiten (Buchhaltung, Fakturierung, Inkasso, Einkauf, bürokaufmännischer Schriftverkehr) ausführen. Dies entspricht auch einem Teilbereich der vom Kläger zuletzt ausgeführten Tätigkeiten (wenigstens ein Drittel der Arbeitszeit). Der Kläger könnte den Betrieb derart umorganisieren, dass er eingekaufte Schlachttiere entweder vom Schlachthof selbst oder durch den im eigenen Betrieb befindlichen Zusteller anliefern lässt. Es würden dadurch im Bezug auf den Einkauf keinerlei kalkülsüberschreitende Tätigkeiten mehr anfallen.

Bei sieben in einem Betrieb beschäftigten Gesellen ist es als branchenüblich anzusehen, dass der Betriebsleiter bzw Meister auch selbst manuell mitarbeitet. Ein Überwälzen aller nicht mehr vom Kläger ausführbarer Arbeiten auf das vorhandene Personal ist unmöglich. Es müsste im Betrieb ein weiterer ganztagsbeschäftigter Meister eingestellt werden, der universell all jene Tätigkeiten ausführt, welche der Kläger handwerklich mitarbeitend bewältigt hat und welche von ihm nicht mehr ausgeführt werden können. Die Beschäftigung eines Meisters ist deshalb zielführend, weil dieser von der fachlichen Kompetenz her alle anfallenden Arbeiten erledigen kann.

Die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft wies mit Bescheid vom 21. 7. 1999 den Antrag des Klägers auf Weitergewährung der Erwerbsunfähigkeitspension über den 30. 6. 1999 hinaus gemäß § 132 GSVG ab.

Das Erstgericht wies das vom Kläger dagegen erhobene und auf die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension ab 1. 7. 1999 gerichtete Klagebegehren ab. Es traf die bereits wiedergegebenen Feststellungen sowie weitere Feststellungen über die Höhe der Einkünfte des Klägers, des Investitionsfreibetrages und der Einkommenssteuer in den Jahren 1992 bis einschließlich 1996 sowie über die Kosten einer Ersatzarbeitskraft für den Kläger auf der Basis des kollektivvertraglichen Gehaltes für die Jahre 1993 bis einschließlich 1996. Es stellte dazu noch fest, dass alle im Betrieb des Klägers im Beobachtungszeitraum beschäftigten Arbeitnehmer überkollektivvertraglich (in der Regel zwischen 20 und 30 %) entlohnt wurden und die Gattin des Klägers ein Einkommen auf Grund eigener Erwerbstätigkeit bezieht. Für den Kläger kommen in dem auf die Berufsgruppe der selbständig Erwerbstätigen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten eingeschränkten Verweisungsfeld auf dem Arbeitsmarkt keine weiteren Tätigkeiten mehr in Betracht. Auch eine Spezialisierung innerhalb der bisher ausgeführten Tätigkeiten auf Teilbereiche ist nicht möglich.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, dass die persönliche Arbeitsleistung des Klägers zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig gewesen sei, zumal der Kläger bis zum Jahr 1993 oder 1994 der einzige Meister im Betrieb gewesen sei. Bei der Prüfung der Frage der Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 2 GSVG sei nicht auf die bisherige Betriebsstruktur abzustellen, sondern darauf, ob der Kläger in der Lage wäre, einen gleichartigen Betrieb unter Verwendung seiner bisherigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu führen. Dabei sei zwar zu berücksichtigen, dass der Kläger das entsprechende Personal, im Besonderen daher auch einen Meister, beschäftigen werde müssen. Die daraus resultierende Einkommenseinbuße sei ihm aber zumutbar, weil nicht von der im konkreten Betrieb praktizierten überkollektivvertraglichen Entlohnung ausgegangen werden könne. Unter dem Aspekt einer wirtschaftlich vertretbaren Betriebsführung sei davon auszugehen, dass der Kläger einen Betrieb führen könnte, in welchem eine überkollektivvertragliche Entlohnung zumindest nicht in jenem Ausmaß erfolge, wie im Betrieb des Klägers, was zu einer Reduzierung der sonstigen Personalkosten und zu einer Erhöhung des Einkommens führen würde. Dem Kläger sei bei entsprechender Umorganisation des Betriebes sowie Beschäftigung eines Meisters die Führung eines Fleischerbetriebes noch möglich, weshalb die Voraussetzungen für die Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension nicht mehr gegeben sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es teilte im Wesentlichen die Rechtsansicht des Erstgerichtes und verwies noch ergänzend darauf, dass auch von einem selbständig Erwerbstätigen eine gewisse Verschmälerung seiner Einkommenssituation vor Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen zur Erwerbsunfähigkeitspension billigerweise in Kauf genommen werden müsse und dem Kläger daher die Einstellung einer Ersatzkraft für seine sein Leistungskalkül übersteigenden "Fleischhauertätigkeiten im engeren Sinn" wirtschaftlich zumutbar sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Als erwerbsunfähig nach § 133 Abs 2 GSVG gilt auch der Versicherte, der das 50. Lebensjahr vollendet hat und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außer Stande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat. Der Gesetzgeber verfolgte mit der Novellierung dieser Bestimmung die Absicht, dass ab dem 50. Lebensjahr für Kleingewerbetreibende zur Beurteilung der dauernden Erwerbsunfähigkeit nur mehr eine qualifizierte Verweisung zulässig sein soll, so wie das auch bei erlernten oder angelernten Berufen unselbständig Erwerbstätiger schon vor dem 50. Lebensjahr der Fall ist. Ein Tätigkeitsschutz sollte allerdings zwischen dem 50. und dem

55. bzw 57. Lebensjahr weiterhin nicht bestehen. Ein Versicherter, der krankheitsbedingt dauernd außer Stande ist, jener selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die er zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat, hatte nach der am Stichtag maßgeblichen Rechtslage nach Vollendung des 57. Lebensjahres (die Versicherte nach Vollendung des 55. Lebensjahres) Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit nach § 131c GSVG. Letzterer Anspruch ist jedoch nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheides und des vorliegenden Verfahrens (vgl SSV-NF 9/31; RIS-Justiz RS0107534).

Zu prüfen ist daher zunächst, ob die persönliche Arbeitsleistung des Klägers zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war. Unter der Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes ist die ausführende Mitarbeit zu verstehen, die notwendig sein muss, um wirtschaftlich gesehen den vom Versicherten zuletzt geführten Betrieb rentabel aufrechtzuerhalten (RIS-Justiz RS0085905). Da das Gesetz von der Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung und nicht etwa von ihrer tatsächlichen Erbringung spricht, muss rückschauend geprüft werden, ob diese objektiv im Hinblick auf den betreffenden Betrieb auch erforderlich war. Insoweit kommt es also doch auf den konkreten Betrieb des Klägers und nicht auf die Verhältnisse in einem "durchschnittlichen" Fleischerbetrieb an (SSV-NF 13/26; 13/117 ua). Dabei ist auch die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Umstrukturierung des Betriebes sowie die Rentabilität und Zumutbarkeit der Weiterführung bei einer solchen Umorganisation zu prüfen, etwa auch im Sinn einer Delegierung einzelner Arbeitsgänge an Mitarbeiter, Aufnahme von Hilfskräften und Ersatzkräften usw, um festzustellen, ob trotz des eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls bei solchen Maßnahmen noch eine wirtschaftlich vertretbare Betriebsführung möglich ist (RIS-Justiz RS0106377). Dabei sagt die bloße Zahl der Mitarbeiter noch nichts darüber aus, ob der Arbeitsbereich des Betriebsinhabers, soweit er kalkülsüberschreitend ist, delegiert werden konnte, dh, ob es Mitarbeiter im Betrieb gab, die diese Arbeiten für den Kläger übernehmen konnten. Eine derartige Umorganisation des Betriebes soll nur dazu dienen, den Betriebsinhaber von allfälligen ihm gesundheitlich nicht mehr zumutbaren Tätigkeiten, nicht aber von jeglicher persönlichen Mitarbeit zu entbinden (10 ObS 107/98b). Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, muss nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates (vgl RIS-Justiz RS0106511) - so wie einem Unselbständigen vom Gesetzgeber unter Umständen (§ 255 Abs 3 ASVG) ein Herabsinken seines Einkommens bis zur "Lohnhälfte" zugemutet wird - auch bei einem selbständig Erwerbstätigen jedenfalls eine gewisse Verschmälerung seiner Einkommenssituation vor Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen zur Erwerbsunfähigkeitspension billigerweise in Kauf genommen werden. Soweit ein Betrieb daher wirtschaftlich rentabel, also gewinnabwerfend ("positiv") geführt werden kann, muss vom Versicherten eine gewisse Einkommensminderung hingenommen werden.

Die Rechtsfrage, ob die persönliche Arbeitsleistung des Klägers zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, oder ob die Möglichkeit besteht, durch organisatorische Maßnahmen den Betrieb so zu gestalten, dass der Kläger von der persönlichen Mitarbeit in dem kalkülsüberschreitenden Bereich befreit werden kann, kann auf Grund der bisher getroffenen Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden. Nach den Feststellungen verrichtete der Kläger ungefähr zu einem Drittel seiner Arbeitszeit Kontroll-, Aufsichts-, Kalkulations- und Buchhaltungsarbeiten, welche er auch unter Berücksichtigung seines eingeschränkten Leistungskalküls weiterhin verrichten kann. Ungefähr ein weiteres Drittel seiner Arbeitszeit betraf Einkauf, Auswahl und Sortieren der Waren, wobei der Kläger den Betrieb nach den Feststellungen in der Weise umorganisieren könnte, dass er eingekaufte Schlachttiere entweder durch Mitarbeiter des Schlachthofes oder durch den im eigenen Betrieb befindlichen Zusteller anliefern lässt, wodurch beim Einkauf keinerlei kalkülsüberschreitende Tätigkeiten mehr anfallen würden. Es könnte somit die Auswahl der Waren im Schlachthof, welche eine besondere Erfahrung erfordert, vom Kläger nach dem vorliegenden Leistungskalkül weiter verrichtet werden, wenn er sich entsprechender Hilfskräfte (bei der Abnahme der Fleischstücke bzw für den Transport in seinen Betrieb) bedient. Damit wäre aber dem Kläger eine Verrichtung des überwiegenden Teiles der bisher von ihm verrichteten Arbeiten noch möglich, sodass eine für den Kläger benötigte Ersatzarbeitskraft im Ergebnis nur einen Teilbereich des bisherigen Aufgabenbereiches des Klägers übernehmen müsste und daher offensichtlich auch teilweise noch Arbeiten übernehmen könnte, die jetzt von anderen Arbeitskräften besorgt werden. Hinsichtlich des übrigen Tätigkeitsbereiches des Klägers (insbesondere die Verrichtung qualifizierter Fleischerarbeiten) ist darauf hinzuweisen, dass der im Betrieb tätige Sohn des Klägers nach den Feststellungen seit dem Jahr 1993 oder 1994 die Qualifikation eines Fleischermeisters besitzt und daher möglicherweise die für den Kläger kalkülsüberschreitenden Tätigkeiten, die einem Meister vorbehalten sind, ebenfalls durchführen könnte, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt der einzige Meister im Betrieb war. Bevor jedoch nicht geklärt ist, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine Delegierung kalkülsüberschreitender Arbeiten des Klägers an dessen Sohn, der nach den Feststellungen mittlerweile auch tatsächlich die Führung des Betriebes übernommen hat, im Zuge einer zumutbaren Neuverteilung der Aufgaben in Betracht kommt, kann auch nicht verlässlich beurteilt werden, ob und gegebenenfalls in welchem Aufgabenbereich und in welchem zeitlichen Ausmaß allenfalls auch der Einsatz einer Ersatzarbeitskraft notwendig ist. Bestünde nämlich die Möglichkeit, durch organisatorische Maßnahmen den Betrieb so zu gestalten, dass der Kläger (auch ohne Aufnahme einer Ersatzarbeitskraft) von der persönlichen Mitarbeit in dem kalkülsüberschreitenden Bereich befreit werden kann, wäre das Klagebegehren schon aus diesem Grunde nicht berechtigt. Dies wird im fortzusetzenden Verfahren noch näher zu prüfen sein.

Wäre hingegen die Beschäftigung eines weiteren Mitarbeiters (Meister oder sonstiger Facharbeiter) unumgänglich, wäre die Frage der Zumutbarkeit einer Umorganisation des Betriebes an Hand eines Vergleiches zwischen dem Betriebserfolg bei der bisherigen Mitarbeit des Klägers (ohne eine solche Ersatzarbeitskraft) und dem Betriebserfolg bei Anstellung eines solchen weiteren Mitarbeiters unter Berücksichtigung dessen Kosten zu beurteilen (RIS-Justiz RS0106510). In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die Frage, ob eine allenfalls erforderliche personalorientierte Umstrukturierung eines Betriebes durch Einstellung einer Arbeitskraft wirtschaftlich zumutbar ist, ohne Bedachtnahme auf konjunkturelle, regionale oder sonstige arbeitsmarktbedingte Kriterien zu prüfen ist (SSV-NF 10/122). Der Berechnung der Höhe der für einen einzustellenden Mitarbeiter bzw für eine Mitarbeiterin aufzuwendenden Lohnkosten wird die - erforderlichenfalls auch noch festzustellende - angemessene, ortsübliche und aktuelle Entlohnung dieser Tätigkeit - im vorliegenden Fall für das Jahr 1996 - zugrundezulegen sein, da es für eine angemessene Berücksichtigung dieser Kosten bei einer objektiven Betrachtungsweise geboten erscheint, nicht nur die kollektivvertragliche Mindestentlohnung, sondern auch eine ortsübliche Überzahlung des kollektivvertraglichen Mindestentgeltes zu berücksichtigen. Dabei wird ausgehend vom Standort des Betriebes des Klägers auf das Lohnniveau der betreffenden als einheitlicher Arbeitsmarkt in Betracht kommenden Region abzustellen sein (vgl dazu die Rechtsprechung zum Begriff des "angemessenen, ortsüblichen Entgelts" im Sinn des § 10 AÜG: Arb 10.977 ua; RIS-Justiz RS0050683). Die vom Kläger unter Berufung auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz geforderte Bedachtnahme auf eine betriebsübliche (überkollektivvertragliche) Entlohnung erscheint hingegen schon deshalb nicht geboten, weil der Gleichbehandlungsgrundsatz den Arbeitgeber grundsätzlich nicht daran hindert, in zeitlicher Hinsicht zu differenzieren und Vergünstigungen den ab einem bestimmten Zeitpunkt neu eintretenden Arbeitnehmern nicht mehr zu gewähren (vgl Krejci in Rummel, ABGB I3 Rz 36 zu § 1157; Pfeil in Schwimann, ABGB2 Rz 28 zu § 1157; MGA, ABGB35 ENr 22c zu § 1157 mwN ua). Schließlich wird auch zu berücksichtigen sein, dass zusätzliche Personalausgaben zu einer Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage und damit zu einer geringeren Steuerbelastung führe. Erst wenn feststeht, wie sich die Beschäftigung einer solchen Ersatzkraft auf das Betriebsergebnis konkret ausgewirkt hätte, kann beurteilt werden, ob der Betrieb bei notwendiger Umorganisation wirtschaftlich rentabel hätte weitergeführt werden können und ob daher dem Kläger diese Umorganisation zumutbar gewesen wäre. Es erweist sich daher das Verfahren auch in diesem Punkt als ergänzungsbedürftig.

Sollte die Notwendigkeit der persönlichen Mitarbeit des Klägers zur Aufrechterhaltung seines konkreten Betriebes auch im Rahmen einer wirtschaftlich vertretbaren Betriebsführung bejaht werden, stellt sich die weitere Frage, ob der Kläger außer Stande ist, einer (nicht jener) selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die er zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat. Bei der Beurteilung dieser Frage kommt es nicht mehr auf die Möglichkeit einer Umorganisation des konkreten Betriebes an, sondern auf den durchschnittlichen Betrieb eines solchen Unternehmens (SSV-NF 13/26; 13/114 ua).

Da es zur Beseitigung der aufgezeigten Feststellungsmängel einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und es war die Sozialrechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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