OGH 6Ob333/00i

OGH6Ob333/00i26.4.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Roman H*****, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei F***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Wolfgang Miller, Rechtsanwalt in Wien, wegen 198.500,-- S und Feststellung, über die Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 14. September 2000, GZ 5 R 116/00s-75, mit dem das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 4. April 2000, GZ 27 Cg 327/97m-69, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Die klagende und die beklagte Partei haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung jeweils selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Beklagte betreibt ein Fitness-Studio. Nach der am 5. 5. 1992 geschlossenen Vereinbarung war der Kläger gegen Zahlung von 550,-- S monatlich zur Nutzung der Anlagen und der Fitness-Geräte berechtigt. Nach den Geschäftsbedingungen der Beklagten wurde jegliche Haftung, die nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht, sowie "eine Haftung für Körperschäden, die sich das Mitglied beim Training zuzieht", ausgeschlossen. Am 17. 5. 1992 verletzte sich der Kläger beim Training an einem der Sportgeräte ("Kickmaschine"). Als er mit dem Fuß von der Rolle abrutschte, schnellte der Kraftarm, den der Kläger selbst eingestellt hatte, nach oben und schlug auf auf dem Quergriff auf, an dem sich der Kläger mit der rechten Hand festgehalten hatte. Dabei wurde das erste Glied des Zeigefingers abgetrennt.

Der Kläger begehrte insgesamt 198.500,-- S und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftigen Verdienstentgang. Er sei auf die Beschaffenheit und Gefährlichkeit des Gerätes nicht hingewiesen worden. Die Beklagte hätte die Maschine durch einfache Vorkehrungen gegen die vom Kläger vorgenommenen Veränderungen absichern können.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie bestritt jeglichen Verschuldensvorwurf. Der Kläger habe die Kickmaschine zweckwidrig verwendet. Das Gerät sei vom deutschen TÜV geprüft worden und habe den Sicherheitsanfordernissen entsprochen. Die Betriebsanlagengenehmigung habe auch die später angeschaffte Kickmaschine umfasst.

Das Erstgericht erkannte dem Kläger 67.589,50 S zu und stellte die Haftung der Beklagten für den künftigen Verdienstentgang des Klägers zur Hälfte fest, wobei es von einer der Höhe nach berechtigten Forderung von 135.179,-- S ausging und ein gleichteiliges Verschulden der Parteien am Unfall zugrunde legte.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgsamt 52.000,-- S, nicht aber 260.000,-- S übersteige und dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Abgrenzung der Haftung des Betreibers eines Fitness-Centers erhebliche Bedeutung zukomme. Die Haftungsfreizeichnung sei unwirksam. Ungeachtet dessen treffe die Beklagte ein grobes Verschulden, weil sie mit der unsachgemäßen Benützung des Gerätes rechnen habe müssen und durch einfache Vorkehrungen (Verschließen der entsprechenden Bohrungen in der Lochscheibe) verhindern hätte können, dass das Pendel der Kickmaschine in eine gefährliche Position gebracht werde. Im Übrigen hätte sie mit dem Hersteller Kontakt aufnehmen können. Zudem habe es die Beklagte unterlassen, eine Genehmigung der Änderung der Betriebsanlage im Sinn des § 81 Abs 1 GewO einzuholen. Dem Kläger sei hingegen anzulasten, dass er die Kickmaschine nicht wie in der Bedienungsanleitung vorgesehen benutzt und sich mit der rechten Hand nicht an der vorgesehenen Stelle angehalten habe, dass er keinen Trainer oder Trainingsplan begehrt und weiters die Beklagte nicht aufgefordert habe, ihm den Betrieb der Kickmaschine zu erklären. Die "Verschuldensteilung" von 1 : 1 sei daher zu billigen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen des Klägers und der Beklagten sind entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes über die Zulässigkeit der Revision mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

Zu grundsätzlichen Fragen der Verkehrssicherungspflichten sowie der Schutz- und Sorgfaltspflichten als vertragliche Nebenpflichten liegt eine umfangreiche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vor (vgl die Nachweise bei Reischauer in Rummel ABGB II2, Rz 4, 5 zu § 1294, Rz 5 zu § 1297, Rz 14, 20 [mietähnliche Verträge] zu § 1298; RIS-Justiz RS0013999; RS0017049). Auch mit der Frage der Haftung des Betreibers von Sportanlagen, darunter auch Fitness-Anlagen (1 Ob 508/79 = EvBl 1980/111 = JBl 1980, 590; 8 Ob 567/84) hat sich der Oberste Gerichtshof in diesem Zusammenhang bereits auseinandergesetzt (RIS-Justiz RS0023427). Danach trifft jeden, der eine seiner Verfügung unterliegende Anlage dem Zutritt eines Personenkreises eröffnet oder auf seinem Grund einen Verkehr für Menschen unterhält, eine Verkehrssicherungspflicht. Er muss die Anlage für die befugten Benützer in einem verkehrssicheren und gefahrlosen Zustand erhalten und vor erkennbaren Gefahren schützen. Entsteht - wie im vorliegenden Fall - zwischen dem Betreiber der Anlage und deren Besucher ein Vertragsverhältnis, besteht für den Betreiber die vertragliche Nebenpflicht, die dem Besucher zur Sportausübung überlassene Anlage in verkehrssicherem und gefahrlosem Zustand zu erhalten. Für die Verletzung dieser Schutzpflicht hat der Betreiber nach Vertragsgrundsätzen einzustehen. Die Verkehrssicherungspflicht darf nicht überspannt werden, soll sie keine in Wahrheit vom Verschulden unabhängige Haftung des Sicherungspflichtigen zur Folge haben. Sie findet ihre Grenze in der Zumutbarkeit möglicher Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich dabei vor allem danach, in welchem Maß der Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen kann (EvBl 2001/67). Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflichtung kann immer nur von Fall zu Fall bestimmt werden; enscheidend ist vor allem, welche Maßnahmen zur Vermeidung einer Gefahr möglich und zumutbar sind (7 Ob 51/00a = ZVR 2000/94).

Ob eine Situation geschaffen wurde, die eine Schädigung wahrscheinlich macht, hängt genauso von den Umständen des Einzelfalles ab wie die Frage, ob ein sorgfältiger Mensch rechtzeitig erkennen konnte, dass Anhaltspunkte für eine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten bestehen und ob er die Möglichkeit hatte, sich darauf einzustellen. Eine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO muss über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles hinaus Bedeutung haben. Dies ist bei bloßen Ermessensentscheidungen wie über die Abwägung des Verschuldens im Allgemeinen nicht der Fall. Soweit sich das Berufungsgericht im Rahmen der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bewegt, die Rechtslage nicht verkennt und nur auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalles seine Entscheidung trifft, ohne von einer in ständiger Rechtsprechung anerkannten Ermessensübung abzuweichen, liegt eine erhebliche Rechtsfrage nicht vor (7 Ob 151/98a; Kodek in Rechberger, ZPO2, Rz 3 zu § 502 ZPO mwN).

Ein solches Abweichen des Berufungsgerichtes vermag keine der Revisionen aufzuzeigen.

Im Einzelnen ist noch auszuführen:

Zur Revision der Beklagten:

Eine Fitness-Anlage ist so zu gestalten und zu erhalten, dass von den Benützern Gefahren, die nicht schon ihrer Natur nach mit der vorgesehenen Betätigung verbunden sind, nach Möglichkeit abgewendet werden (1 Ob 508/79). Die Genehmigung der Herstellung und des Betriebes einer Anlage durch die dafür zuständige Behörde entschuldigt den Eigentümer der Anlage nicht, wenn ihm auf Grund eigener besserer Kenntnis der Bestand einer Gefahrenquelle bekannt ist oder bekannt sein muss und ihm im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht Maßnahmen zur Verhütung von Gefahren zuzumuten sind (3 Ob 576/82 = JBl 1983, 324 mwN; vgl weiters RS0023419). In der Ansicht des Berufungsgerichtes, dass die Beklagte erkennen hätte können, dass das Gerät auch auf die vom Kläger benützte Weise, insbesondere mit einem in die Höhe ragenden Kraftarm zu gebrauchen war (waren doch die Bohrungen zwecks Einstellung der Positionen des Kraftarms über die gesamte Drehscheibe verteilt) und hiebei eine besondere Gefahr durch Zurückschnellen des Kraftarms in Richtung der Handgriffe nahegelegen sei, ist eine zur Korrektur Anlass gebende Fehlbeurteilung in diesem Einzelfall nicht zu erblicken. Da weiters auch festgestellt wurde, dass die Gefahr durch einfache Maßnahmen wesentlich verringert hätte werden können und das Berufungsgericht zudem zutreffend darauf verweist, dass eine Rücksprache mit dem Hersteller angezeigt gewesen wäre, ist es daher nicht entscheidend, ob die gewerbebehördliche Betriebsanlagengenehmigung auch die Kickmaschine umfasste oder ob eine Genehmigung der Änderung der Betriebsanlage nach § 81 GewO einzuholen gewesen wäre. Die Beklagte kann sich daher auch nicht mit Erfolg auf die Prüfung des Gerätes durch den deutschen TÜV berufen.

Auch der Ansicht des Berufungsgerichtes, dass eine Haftungsfreizeichnung für Personenschäden in allgemeinen Geschäftsbedingungen selbst insoweit, als sie sich auf leichte Fahrlässigkeit bezieht, als Verstoß gegen die guten Sitten zu beurteilen ist, sodass auch die im vorliegenden Fall vor Inkrafttreten des § 6 Abs 1 Z 9 KSchG vereinbarte Haftungsfreizeichnungklausel unwirksam war, entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SZ 71/58; 6 Ob 160/00y). Ob der Beklagten grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, kann daher dahingestellt bleiben.

Der Zuspruch der Entschädigung nach § 1326 ABGB hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Unter der Behinderung des besseren Fortkommens im Sinn dieser Bestimmung ist nicht bloß die Verhinderung des beruflichen Aufstiegs, sondern ganz allgemein die konkrete Gefahr zu verstehen, dass eine sonst mögliche Verbesserung der Lebenslage infolge der nachteiligen Veränderung der äußeren Erscheinung entfallen könnte, wie etwa eine vorteilhafte Eheschließung (RS0031203), die auch bei Männern zum Tragen kommt (RS0031229). Es genügt die bloße Möglichkeit der Verhinderung besseren Fortkommens. Das Ausmaß richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalles (1 Ob 161/00h = ZVR 2001/25). Die Frage des Ausmaßes der Entschädigung stellt grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage dar.

Zur Revision des Klägers:

Der Vorwurf der Erkennbarkeit der vom hochgestellten Kraftarm der Kickmaschine ausgehenden Gefahr des Zurückschnellens, den der Kläger gegen die Beklagte nach wie vor aufrecht erhält, trifft ihn ebenso:

Wenngleich die vom Berufungsgericht gewählte Bezeichnung der auf der Kickmaschine angebrachten bildlichen Darstellungen, wie mit dieser zu üben sei, als "Bedienungsanleitung" nicht korrekt sein mag und dem Kläger beizupflichten ist, dass es sich hiebei bloß um Übungsvorschläge handelt, musste es doch auch dem Kläger klar sein, dass der Kraftarm bei einer wesentlich von diesen Bildern abweichenden Position in gefährliche Nähe zu seiner rechten Hand gerät. Auch für ihn musste die Erkenntnis naheliegend sein, dass ein mit 60 kg belasteter Kraftarm bei plötzlichem Ändern des durch sein Bein bewirkten Gegendruckes zurückschnellen und auf die vorgesehenen Haltegriffe aufschlagen kann.

Ein Mitverschulden des Verletzten bei Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten ist zu bejahen, wenn ein sorgfältiger Mensch rechtzeitig erkennen konnte, dass Anhaltspunkte für einen solchen Verstoß bestehen und er die Möglichkeit hatte, sich darauf einzustellen; erkennbaren Gefahren muss grundsätzlich ausgewichen werden (RS0023704, vgl EvBl 2001/67). Auch insoweit, als das Berufungsgericht dem Kläger selbst eine Fehleinschätzung der Situation und das Unterlassen von entsprechenden Erkundigungen über die Funktionsweise des Gerätes trotz eigenmächtiger, von den am Gerät angebrachten Skizzen erheblich abweichender Änderung der Position des Kraftarmes angelastet hat, kann daher eine Verkennung der Rechtslage nicht erblickt werden.

Ob die auf Verschuldensabwägung beruhende Schadensteilung angemessen ist, ist eine Ermessensentscheidung, bei der im Allgemeinen - abgesehen von einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage, die hier aber nicht vorliegt - eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu beantworten ist (RS0087606).

Beide Revisionen waren daher mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen (§ 508a Abs 1 ZPO).

Die Kosten der Revisionsbeantwortungen haben die Parteien gemäß §§ 40 und 50 ZPO bzw § 43 Abs 2 ZPO jeweils selbst zu tragen.

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