Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung
Mit der am 12. 4. 2000 zu Protokoll gegebenen Klage begehrte der Kläger die Scheidung seiner mit der Beklagten am 2. 2. 2000 geschlossenen Ehe aus gleichteiligem Verschulden. Es seien unüberwindbare Differenzen vorhanden, die eine Weiterführung der Ehe unmöglich machten. Es bestehe auch kein gemeinsamer Wohnsitz mehr. Die ebenfalls anwesende Beklagte trat dem Scheidungsbegehren nicht entgegen und gestand ihr gleichteiliges Verschulden an der Zerrüttung der Ehe zu.
In der noch am selben Tag durchgeführten Verhandlung verkündigte der Erstrichter das Urteil, dass die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden der Ehegatten geschieden werde.
Mit seiner nach rechtzeitiger Berufungsanmeldung (§ 461 Abs 2 ZPO) erhobenen Berufung beantragte der Kläger, dieses Urteil als nichtig aufzuheben, allenfalls es aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurückzuweisen, wobei er als Berufungsgründe Nichtigkeit, Verfahrensmängel und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend machte.
Das Berufungsgericht wies die Berufung zurück. In den Entscheidungen EFSlg 66.559 und 2 Ob 279/56 sei zwar ausgesprochen worden, dass im Ehescheidungsverfahren auch die voll obsiegende Partei gegen die Entscheidung ein Rechtsmittel ergreifen könne. Es genüge in diesem Fall für die Zulässigkeit der Berufung das Interesse, den Eintritt der Rechtskraft des ersiegten Scheidungsurteils zu verzögern, um die Klage zurücknehmen zu können. Der Kläger, der im Scheidungsprozess voll obsiegt habe, könne Berufung nur erheben, wenn er bereits im Rechtsmittel zum Ausdruck bringe, die Ehe aufrechterhalten und die Klage zurücknehmen zu wollen. Strebe er aber nach dem Inhalt der Berufung nach wie vor die Scheidung der Ehe an, fehle dem Rechtsmittel trotz § 483a Abs 1 ZPO die Beschwer. Im vorliegenden Fall habe der Berufungswerber die Aufhebung des Scheidungsurteiles und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht verlangt. Er strebe somit offenbar nach wie vor die Scheidung seiner Ehe an. Auch aus dem Berufungsvorbringen ergebe sich kein konkreter Hinweis darauf, dass der Kläger die Klage zurückzunehmen gedenke.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen die Zurückweisung der Berufung erhobene Rekurs des Klägers ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig. Er ist auch berechtigt.
Gemäß §§ 483a Abs 1, 483 Abs 3 letzter SatzZPO kann der Kläger in Ehesachen (§ 49 Abs 2 Z 2b JN) die Klage, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, auch nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung bis zur Rechtskraft des Urteiles mit Zustimmung des Beklagten zurücknehmen. Im Umfang der Zurücknahme der Klage wird das angefochtene Urteil wirkungslos. Dies hat das Berufungsgericht mit Beschluss festzustellen. Diese Bestimmung ist dem (gleichzeitig aufgehobenen) § 79 Abs 1 1. DVzEheG nachgebildet. Anders als danach soll jedoch - weil die wirksame Klage zur Rücknahme ex lege die Unwirksamkeit des Ersturteiles im Umfang der darauf gerichteten Parteienerklärung zur Folge hat - aus Gründen der Rechtssicherheit durch eine gerichtliche Entscheidung festgestellt werden, im welchem Umfang das Ersturteil außer Kraft tritt (RV 669 BlgNR 15. GP, 57). Der Regelungsinhalt des § 79 Abs 2 DVzEheG wurde ohne Änderung in § 483a ZPO übernommen (AB, 78 BlgNR 16. GP, 3).
Wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat, leiten Rechtsprechung (so bereits 2 Ob 279/56, die zum insoweit gleichlautenden § 79 1. DVzEheG erging; weiters 1 Ob 553/91 = AnwBl 1992, 318 = EFSlg 66.559; vgl auch die Entscheidungen 8 Ob 2016/96w mwN, 9 Ob 143/99s, in denen vom Vorliegen der formellen Rechtskraft des Scheidungsurteils - erst - im Fall eines Rechtsmittelverzichtes beider Teile ausgegangen wurde) und Lehre (Fasching, LB2 Rz 2366 mwN; Kodek in Rechberger, ZPO2, Rz 1 zu § 483a ZPO) aus dieser Rechtslage ab, dass im Ehescheidungsverfahren auch die voll obsiegende Partei gegen die Entscheidung Rechtsmittel ergreifen kann, weil sie ja bis zur Rechtskraft des Urteiles die Klage zurücknehmen und so die Ehe aufrechterhalten kann.
Im vorliegenden Fall hat der Kläger nicht bloß den Verschuldensausspruch des Ersturteiles bekämpft, auch wenn eine Passage in seinen Berufungsausführungen (... wäre der unvertretene Kläger entsprechend belehrt worden, "hätte er sicher nicht so leichtfertig und alleine zum Zweck der Verfahrensbeschleunigung ein Mitverschulden unsubstantiiert zugestanden") darauf schließen lässt, dass es dem Kläger zumindest auch oder sogar in erster Linie um die Beseitigung des Ausspruches seines gleichteiligen Mitverschuldens geht. Sowohl nach dem Berufungsantrag als auch den (sonstigen) Berufungsausführungen ergibt sich vielmehr unmissverständlich, dass der Kläger die Beseitigung des gesamten Scheidungsurteiles, insbesondere auch dessen Scheidungsausspruch anstrebt. Es kann ihm daher nicht unterstellt werden, ohnehin an der Scheidung interessiert zu sein und an seiner Klage festhalten zu wollen. Der Umstand, dass der Kläger in seiner Berufung nicht auch zugleich die Klagerücknahme angekündigt oder erklärt hat, vermag nichts daran zu ändern, dass er mit seiner Berufung die Aufhebung auch des Scheidungsausspruches anstrebt und damit doch dokumentiert, an der Ehe festhalten zu wollen.
Im Übrigen bedürfte selbst eine zugleich mit der Berufung erklärte
Zurücknahme der Klage zu ihrer Wirksamkeit noch die Zustimmung der
Beklagten (§ 483a ZPO). Eine Zurücknahme der Klage ohne solche
Zustimmung, nur mit Verzicht auf den Anspruch, ist nicht zulässig (6
Ob 697/85 = SZ 59/12 = EFSlg 52.218 mit ausdrücklicher Ablehnung
älterer gegenteiliger Entscheidungen). Die Zulässigkeit des
Rechtsmittels der einen Partei kann aber nicht vom Willen der anderen
Partei abhängen. Die Ankündigung oder Erklärung der Klagerücknahme in
der Berufung des voll obsiegenden Klägers ist daher keine
Voraussetzung für die Bejahung der Beschwer des Klägers für seine
gegen das Scheidungsurteil erhobenen Berufung. Eine Widerklage hat
die Beklagte nicht erhoben, sodass ihre (bloße) Erklärung, dem
Scheidungsbegehren nicht entgegenzutreten, einer Klagerücknahme durch
den Kläger nicht im Wege stünde (vgl 6 Ob 673, 674/86 = JBl 1987, 519
= EvBl 1987/111 = EFSlg 52.220/7).
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes ist daher das Rechtschutzinteresse des Klägers und damit seine Rechtsmittellegitimation zu bejahen. Das Berufungsgericht wird demnach meritorisch über die Berufung des Klägers zu entscheiden haben.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO (8 Ob 576/92; 1 Ob 392/97x; 2 Ob 61/00k).
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