Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz wird aufgehoben und diesem Gericht die neuerliche Beschlußfassung aufgetragen. Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
In dem zwischen den Parteien beim Erstgericht anhängig gewesenen Scheidungsstreit verkündete der Richter bei der Verhandlungstagsatzung vom 11.5.1987 in deren Anwesenheit ein dem Begehren der Antragstellerin auf Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Antragsgegners vollinhaltlich stattgebendes Urteil. Nach dem Inhalt des Verhandlungsprotokolls beantragten beide Parteienvertreter je zwei Protokollabschriften und eine Urteilsausfertigung, lediglich der Beklagtenvertreter verzichtete jedoch auf Rechtsmittel gegen diese Entscheidung. Die schriftliche Ausfertigung des Urteils wurde dem Klagevertreter (Vertreter der Antragstellerin) - ebenso wie dem Beklagtenvertreter - am 18.5.1987 zugestellt; am 21.5.1987 langte beim Erstgericht ein Schriftsatz des Klagevertreters ein, mit dem er "im Hinblick auf den Rechtsmittelverzicht um Bestätigung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit" ersuchte.
Mit am 16.5.1988 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz begehrte die Antragstellerin unter Berufung auf die §§ 81 ff EheG die Aufteilung näher bezeichneter Bestandteile des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse.
Der Antragsgegner sprach sich gegen diesen Antrag unter anderem aus dem Grunde der Verfristung aus.
Das Erstgericht sprach aus, daß eine näher bezeichnete Eigentumswohnung und die darin befindlichen Fahrnisse im Eigentum des Antragsgegners verblieben, und verpflichtete diesen zu einer Ausgleichszahlung von S 150.000 an die Antragstellerin. In rechtlicher Hinsicht meinte es - soweit dies für die Erledigung des Revisionsrekurses von Bedeutung ist - hiezu, daß das Urteil im Scheidungsstreit der Antragstellerin gegenüber erst mit Ablauf der Berufungsfrist nach Zustellung des Urteils in Rechtskraft erwachsen und der Antrag deshalb rechtzeitig gestellt sei.
Rechtliche Beurteilung
Das Rekursgericht hob den erstinstanzlichen Beschluß und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf, wies den Antrag auf Einleitung des Aufteilungsverfahrens ab und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Es führte aus, § 95 EheG sei eine materiellrechtliche Fallfrist; Rechtskraft im Sinne dieser Bestimmung sei die formelle Rechtskraft. Das Scheidungsurteil erwachse wie jedes andere Urteil in Rechtskraft, wenn beide Teile einen Rechtsmittelverzicht erklärt hätten. Daß das Urteil den Parteien gegenüber erst mit seiner Zustellung an diese wirksam werde, beeinflusse daher den Zeitpunkt des Eintritts der formellen Rechtskraft nicht. Es sei zwar nur der Rechtsmittelverzicht des Beklagtenvertreters protokolliert, es sei bei dieser Verhandlungstagsatzung jedoch "zweifelsfrei" auch ein Rechtsmittelverzicht der Klägerin erfolgt. Das ergebe sich daraus, daß der Klagevertreter nach Zustellung der Urteilsausfertigung im Hinblick auf den Rechtsmittelverzicht um Beisetzung der Rechtskrafts- und Vollstreckbarkeitsbestätigung ersucht habe. Dieses Schreiben enthalte selbst keinen Rechtsmittelverzicht, es gehe vielmehr davon aus, daß die Rechtskraft (und Vollstreckbarkeit) nach Urteilsverkündung eingetreten sei. Aber selbst dann, wenn die Klägerin einen solchen "formellen" Rechtsmittelverzicht bei der Verhandlungstagsatzung nicht erklärt haben sollte, wäre das Urteil für sie unanfechtbar und damit auch ihr gegenüber formell rechtskräftig geworden, weil mit diesem Urteil ihrem Begehren voll stattgegeben worden sei. Das "dürfte" auch der Grund für die Unterlassung der Beurkundung des Rechtsmittelverzichtes der Klägerin gewesen sein. Der Vermerk des Erstgerichtes, das Urteil sei am 21.5.1987 in Rechtskraft erwachsen, sei unrichtig und deshalb zu berichtigen. Der Antrag auf Einleitung des Aufteilungsverfahrens gemäß den §§ 81 ff EheG sei deshalb wegen Verfristung abzuweisen.
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig, aber auch berechtigt.
Dem Rekursgericht ist darin beizupflichten, daß die im § 95 EheG vorgesehene Antragsfrist eine materiellrechtliche Fallfrist ist, deren Nichtbeachtung zum Verlust des Anspruches führt (SZ 55/192 ua). Wird der Antrag erst nach Ablauf dieser Frist gestellt, ist er deshalb abzuweisen (SZ 54/166 uva). Demgemäß erweist sich schon die Erledigung des Rekurses im Spruch des zweitinstanzlichen Beschlusses als verfehlt, weil die vom Rekursgericht angenommene Fristversäumung keine Verfahrensnichtigkeit auslöst, sondern deren Verneinung durch das Erstgericht nur als unrichtige rechtliche Beurteilung wahrgenommen werden könnte; das Rekursgericht hätte deshalb - seiner Rechtsauffassung entsprechend - den Antrag in Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung abweisen müssen.
Richtig ist, daß unter Rechtskraft im Sinne des § 95 EheG nach ständiger Rechtsprechung (SZ 60/116; SZ 55/34; EvBl. 1981/211 ua) die formelle Rechtskraft gemäß § 411 ZPO verstanden wird. Die formelle Rechtskraft einer Entscheidung bedeutet deren Unanfechtbarkeit (Fasching, Lehrbuch2 Rz 1493). Das Gericht zweiter Instanz vertritt nun die Auffassung, das bei der Verhandlungstagsatzung am 11.5.1987 in Gegenwart beider Parteien verkündete Urteil sei sofort in Rechtskraft erwachsen, weil auch - allerdings entgegen dem Protokollwortlaut - die Antragstellerin (dort Klägerin) sogleich Rechtsmittelverzicht erklärt habe, aber auch, weil sie angesichts der vollinhaltlichen Stattgebung ihres Klagebegehrens mangels Beschwer zur Berufung gegen diese Entscheidung nicht berechtigt gewesen sei, sodaß das Urteil auch ihr gegenüber schon deshalb sofort in Rechtskraft erwachsen sei. Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden:
Das Gericht zweiter Instanz erschließt diesen Rechtsmittelverzicht aus dem Inhalt des Schriftsatzes der Klägerin (Antragstellerin), mit dem diese "im Hinblick auf den Rechtsmittelverzicht" um Rechtskraftbestätigung ersuchte. Ein solcher Schluß ist aber schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil sich dieser wenig deutliche Hinweis ebensogut nur auf den - tatsächlich erklärten - Rechtsmittelverzicht des Verfahrensgegners beziehen konnte. Das Rekursgericht hätte daher, wenn es gegen die Richtigkeit der Protokollierung Bedenken hegte, im Rahmen von Erhebungen gemäß § 526 Abs. 1 ZPO klären müssen, ob der von ihm unterstellte Rechtsmittelverzicht der Klägerin nur versehentlich nicht protokolliert wurde (wogegen allerdings spricht, daß das Erstgericht im Protokoll wohl das Ersuchen beider Parteienvertreter um Zustellung von Protokollabschriften und Urteilsausfertigungen, jedoch nur den Rechtsmittelverzicht des Beklagtenvertreters vermerkte): Bei Bewahrheitung seiner Bedenken hätte das Rekursgericht dann die Berichtigung des Protokolls durch das Erstgericht veranlassen müssen. Sollte es im fortgesetzten Verfahren seine Bedenken aufrechterhalten, wird das Gericht zweiter Instanz diese Erhebungen nachzuholen haben.
Aber auch die Beschwer kann der Klägerin trotz vollinhaltlicher Klagsstattgebung nicht abgesprochen werden. Aus § 483 a Abs. 1 ZPO, wonach der Kläger die Klage in Ehesachen (§ 49 Abs. 2 Z 2 b JN) auch nach Schluß der mündlichen Verhandlung bis zur Rechtskraft des Urteils mit Zustimmung des Beklagten zurücknehmen kann, ergibt sich im Zusammenhang mit dem früher in §§ 77 und 79 Abs 2 1. DVEheG und § 10 JMV RGBl. 1897/283 verankerten Grundsatz des möglichsten Schutzes der Aufrechterhaltung der Ehe favor matrimonii) in Scheidungs- und Aufhebungsverfahren, daß in solchen Streitsachen auch die Partei, die mit ihrem Scheidungs- oder Aufhebungsbegehren (voll) obsiegt hat, gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel ergreifen kann, weil sie bis zur Rechtskraft des Urteils die Klage zurücknehmen und so die Ehe aufrechterhalten kann (Fasching aaO Rz 2366; derselbe in Komm. IV 18; Rechberger-Simotta, Zivilprozeßrecht3 Rz 283; vgl. auch Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht14 1079).
Sollte die Antragstellerin - was sie auch im Revisionsrekurs ausdrücklich behauptet - im Scheidungsstreit nach Urteilsverkündung keinen Rechtsmittelverzicht erklärt haben, so wäre ihr Antrag selbst dann fristgerecht gestellt, wenn man ihren am 21.5.1987 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz als solche Verzichtserklärung deuten wollte.
Das Rekursgericht wird daher in Beachtung der vorstehenden Grundsätze neuerlich über den Rekurs des Antragsgegners zu befinden haben.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens muß vorbehalten werden, weil sich die im § 234 AußStrG vorgeschriebenen Billigkeitserwägungen erst nach Abschluß des Verfahrens anstellen lassen.
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