OGH 6Ob220/99t

OGH6Ob220/99t28.6.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Baumann, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Birgit A*****, vertreten durch Dr. Eduard Wegrostek, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. Erich S*****,

2. Ing. Herbert S***** und 3. Ing. Franz N*****, alle vertreten durch Dr. Walter Riedl und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 367.900 S und Feststellung, über die Revisionen der beklagten Partei und ihrer Nebenintervenienten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 28. April 1999, GZ 13 R 164/98b-94, mit dem das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 3. Juni 1998, GZ 21 Cg 204/95i-81, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 25.920 S (darin enthalten 4.320 S USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der beklagte Bund ist Eigentümer des etwa 1878 errichteten Gebäudes der Universität Wien. Zum Haupteingang des Gebäudes führen eine Außentreppe und zwei geschwungene Auffahrtsrampen, die jeweils mit Balustraden aus Naturstein begrenzt sind. Die Eingangshalle der Universität liegt um etwa 2,5 m höher als der Gehsteig der Ringstraße.

Am 13. 11. 1994 veranstaltete die Österreichische Hochschülerschaft an der Universität Wien ein Fest. Die Balustrade hielt dem Gedränge nicht stand. Im Bereich der rechten Auffahrtsrampe stürzte ein Teil davon in die Tiefe. Die Klägerin, die auf einer unterhalb der Absturzstelle befindlichen Steinbank saß, wurde durch herabfallende Teile am Rücken und am rechten Fuß getroffen und schwer verletzt. Sie begehrte zuletzt insgesamt 367.900 S an Schmerzengeld, Besucherkosten, Fremdpflegekosten und Kosten einer kosmetischen Operation sowie die Feststellung, dass die beklagte Partei für alle Folgen aus dem Unfall hafte. Die Klägerin stützte ihren Anspruch insbesondere auf § 1319 ABGB. Die Balustrade sei auf Grund ihrer mangelhaften Beschaffenheit abgestürzt. Die Sicherheitsmängel wären bei einer periodischen Überprüfung erkennbar gewesen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Unfall sei auf ein Verschulden der Österreichischen Hochschülerschaft und des Magistrats der Stadt Wien zurückzuführen, weil die Veranstaltung ohne behördliche Genehmigung durchgeführt worden sei und die MA 35 eine zu hohe zulässige Besucherzahl festgelegt habe. Für die Mitarbeiter der beklagten Partei sei der Einsturz der Balustrade nicht vorhersehbar gewesen. Bei den routinemäßigen Kontrollen seien keine Mängel hervorgekommen. Der Druck auf die Balustrade sei so groß gewesen, dass diesem "auch keine andere Balustrade" standgehalten hätte.

Die für das Universitätsgebäude zuständigen Bediensteten der Bundesbaudirektion Wien traten dem Verfahren als Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei bei.

Das Erstgericht sprach der Klägerin 220.300 S zu und gab dem Feststellungsbegehren statt. Das Mehrbegehren wies es unangefochten ab.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der von ihm bejahten Frage der Haftung des beklagten Bundes beim Balustradeneinsturz bei der Universität Wien eine über den vorliegenden Fall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen der beklagten Partei und ihrer Nebenintervenienten sind im Hinblick auf die zu 4 Ob 179/99y ergangene und inzwischen in RdW 1999, 715 veröffentlichte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, der ebenfalls die Klage einer beim Absturz der Balustrade am 13. 10. 1994 verletzten Studentin zugrundelag, mangels Vorliegens erheblicher Rechtsfragen unzulässig.

In der zitierten Entscheidung wurden die auch hier maßgebenden Rechtsfragen umfassend behandelt. In Erwiderung der Ausführungen in den Revisionen zu deren Zulässigkeit ist zunächst hervorzuheben, dass für die Frage der Belastbarkeit der Balustrade nicht die im Zeitpunkt der Generalsanierung im Jahr 1964 gültige E-Norm B 4001, sondern die im Unfallszeitpunkt gültige Ö-Norm B 4012 heranzuziehen ist. Entscheidend ist daher, ob die Balustrade einer Kraft von 1,5 kN/lfm - und nicht bloß einer solchen von 1,0 kN/lfm, wovon die beklagte Partei und ihre Nebenintervenienten ausgehen - standgehalten hätte.

Nach den hier vorliegenden Feststellungen der Vorinstanzen bleibt zwar offen, ob die durch die Besucher auf die Balustrade ausgeübte Kraft höher als 1,0 kN/lfm war. Von einer - zumindest ohne zusätzliche Einwirkung von Muskelkraft durch Abstemmen von Besuchern sowohl auf der Balustrade als auch an einem dort abgestellten PKW - über 1,5 kN/lfm liegenden Krafteinwirkung gehen aber auch die Vorinstanzen nicht aus. Vielmehr war nach ihren Feststellungen im Bereich der Absturzstelle sowohl beim Anschluss der Baluster an den Steher als auch an den Sockel seit längerer Zeit teilweise keine kraftschlüssige Verbindung gegeben. Insgesamt waren nur bei 12 von 41 Balusterbasen und bei den beiden Postamenten noch kraftschlüssige Mörtelverbindungen vorhanden. Verzapfungen im Sockelbereich der Balustraden waren durch Feuchtigkeitsangriffe und Frost stark in Mitleidenschaft gezogen und hatten ihre Wirksamkeit großteils verloren. Manche Baluster ließen sich mit der Hand verdrehen oder kippen. Nur ordnungsgemäß vermörtelte Fugen hätten aber - selbst wenn man bloß sehr geringe Übertragungskräfte ansetzt - eine Belastbarkeit (Kippsicherheit) der Balustrade von 1,0 bis 1,5 kN/lfm bewirkt.

Auch die beklagte Partei selbst führte aus, dass die Krafteinwirkung zwischen 1,0 und 1,5 kN/lfm (ohne Einsatz von Muskelkraft) auf die Balustrade betragen habe und verwies insoweit auf das Gutachten des Sachverständigen DI Dr. Gunter Rösner, der eine Belastung von 1,4 kN/lfm errechnete.

Die Haftung für die Folgen einer rechtswidrigen Unterlassung ist zu verneinen, wenn der Nachteil, auf dessen Ersatz jemand in Anspruch in genommen wird, auch bei dessen pflichtgemäßem positiven Tun eingetreten wäre. Die Unterlassung ist nur dann ursächlich, wenn die Vornahme einer bestimmten aktiven Handlung den Eintritt des Erfolges verhindert hätte und diese Handlung möglich gewesen wäre (1 Ob 33/97b). Die Beweislast, dass bei gebotenem Verhalten der Schaden nicht eingetretenen wäre, trifft den Geschädigten (EvBl 1993/57), wobei aber an einen für die Haftungsbegründung erforderlichen Kausalitätsbeweis keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden dürfen (7 Ob 677/89). Der Geschädigte ist dafür beweispflichtig, dass zumindest überwiegende Gründe dafür vorliegen, der Schaden sei durch das Verhalten des Beklagten herbeigeführt worden (1 Ob 2051/96s = ZVR 1996/96).

Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen lassen zwar die Möglichkeit offen, dass die auf die Balustrade wirkende Kraft im Bereich der Absturzstelle allenfalls den Wert von 1,5 kN/lfm überschritten haben könnte, wenn sich mindestens vier Personen mit Muskelkraft einerseits gegen den dort abgestellten PKW, andererseits gegen die Balustrade gestemmt hätten. Eine solche Schadensursache wurde aber weder von den Parteien behauptet noch kann in den diesbezüglichen Ausführungen des Erstgerichtes eine ernstzunehmende Alternativursache für den Schadenseintritt erblickt werden. Daraus folgt aber, dass der Klägerin nicht nur der hinreichende Nachweis ihres Schadens und dessen Verursachung durch Ablösung eines Gebäudeteiles, sondern auch der mangelhaften Beschaffenheit des Gebäudes und des Umstandes, dass die Schadensursache in der mangelhaften Beschaffenheit des Gebäudes lag, gelungen ist.

Auf die in den Revisionen bekämpfte Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, dass § 1319 ABGB eine Schutznorm sei, kommt es daher nicht an, sodass sich Ausführungen hiezu erübrigen.

Aus dem im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt geht hervor, dass die von der beklagten Partei eingesetzten Gebäudeaufseher den Zustand der Balustraden nur unzureichend kontrolliert und offenkundige Mängel nicht bemerkt haben. Mit der Frage, ob die beklagte Partei für die Nebenintervenienten als ihre Repräsentanten haftet, hat sich ebenfalls die erwähnte Vorentscheidung des 4. Senates bereits eingehend auseinandergesetzt und zusammenfassend dargelegt:

Nach ständiger Rechtsprechung haftet die juristische Person - nicht nur für ihre verfassungsmäßigen Organe, sondern auch - für alle Personen deliktisch, die in verantwortlicher, leitender oder überwachender Funktion für sie tätig werden, ohne dass es darauf ankäme, ob deren Wirkungskreis dem eines Organs annähernd entspricht. Repräsentanten sind demnach Personen, die in "gehobener" Stellung tätig sind, nicht aber Personen, die untergeordnete Tätigkeiten wahrnehmen. Für deren deliktisches Verhalten hat die juristische Person nur nach § 1315 ABGB einzustehen. Sie kann sich aber ihrer Haftung nach § 1319 ABGB nicht dadurch entziehen, dass sie die ihr obliegenden Aufgaben einem in untergeordneter Stellung Tätigen ohne jegliche weitere Kontrolle überträgt. In einem solchen Fall haftet sie für das Versäumnis ihrer Organe (Repräsentanten), für wirksame Kontrollen zu sorgen.

Im vorliegenden Fall hat die beklagte Partei die Bundesbaudirektion Wien mit der baulichen Betreuung des Universitätsgebäudes betraut. In der im Hauptgebäude der Universität eingerichteten Außenstelle sind ein Bautechniker und zwei (angelernte) Gebäudeaufseher tätig. Die Kontrolle des Bauzustandes ist Aufgabe der beiden Gebäudeaufseher. War den beiden Gebäudeaufsehern ein selbstständiger Wirkungsbereich übertragen, so waren sie Repräsentanten der beklagten Partei und die beklagte Partei haftet aus diesem Grund für sie deliktisch. Arbeiteten sie hingegen unter der Kontrolle des Bautechnikers, so wäre dieser als Repräsentant der beklagten Partei anzusehen. Ihm wäre vorzuwerfen, dass er nicht durch entsprechende Weisungen und Kontrollen sichergestellt hat, daß die beiden Gebäudeaufseher ihre Tätigkeit ordnungsgemäß ausführten.

Da die Entscheidungen der Vorinstanzen diesen Grundsätzen entsprechen, waren die Revisionen mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Die beklagte Partei hat der Klägerin auch die Kosten für die Beantwortung der Revision der Nebenintervenienten zu ersetzen (EFSlg 20.743).

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